Timm Kröger
Leute eigener Art
Timm Kröger

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13

Um fünf Uhr stand Pastors Grete auf. Sie hatte die Küchenlampe angezündet, hatte sacht und leise den Eimer (sie war eine rücksichtsvolle Grete) genommen, war nach dem Brunnen gewesen und hatte die Tür offen gelassen: nun war sie dabei, den Herd anzuheizen. Da schrie sie laut auf, ein Strolch stand vor ihr.

Sie lief in das Schlafzimmer der Herrschaft, der Pastor aus dem Bett und im Schlafrock nach der Küche. »Was wollen Sie, Mensch? Wer sind Sie?«

»Ich bin Franz.«

»Franz? ... Was für ein Franz?« Der Pastor konnte sich nicht gleich auf das Gesicht besinnen.

»Ich bin der, der seinen Vater vergiftet hat.«

Der Pastor, noch immer verständnislos und fassungslos: »Wo kommen Sie her?«

»Aus der Kirche, war dort eingeschlossen.«

»Diese Nacht?«

»Diese Nacht.«

Der Geistliche sah ihn mit großen Augen an. »Und wie herausgekommen?«

»Durch die Sakristei, die Tür war offen.«

»Und was wollen Sie?«

»Auf den Scharfrichter warten.«

»Schrecklicher ... M...«, und noch einmal: »Schrecklicher ... M...« – ›Schrecklicher Mensch‹, hatte der Pastor sagen wollen, hielt aber an sich. »Kommen Sie mit nach meiner Stube«, brach er ab.

In der Stube fuhr es dem alten Herrn doch heraus. »Schrecklicher Mensch, Sie wollen unserer Gemeinde das Schauspiel einer Hinrichtung geben, wovon man noch Jahre, ja ein Jahrhundert reden wird? Sie wollen den guten Ruf unserer Gemeinde untergraben? Wenn Sie nur weg wären: man würde es vergessen. Es würde Gras darüber wachsen. Aber nun kommen Sie und sagen: ›Ich warte auf den Scharfrichter.‹ Junger Mensch, meinen Sie denn, es ist eine so einfache Sache, sich köpfen lassen? Glauben Sie, Sie haben nur nötig, sich zu stellen, und dann gehts los – morgen, übermorgen? Meinen Sie, damit sind die Behörden so leicht bei der Hand? Wissen Sie nicht, daß da ein Untersuchen, ein Erheben und Inquirieren anfängt, bei dem sich die Seele im Leib umkehrt? Und haben Sie bedacht, was es heißt, den Kopf auf den Block zu legen?«

Der Pastor wurde beinahe komisch in seiner Erregung. Er war mit dem Übeltäter, der absolut gerichtet sein wollte, allein. Er hätte gar nicht nötig gehabt, aus der Küche zu gehen, denn Grete war nicht dahin zurückgekehrt, sie stand noch immer zitternd bei der Frau Pastorin in der Schlafstube.

Mit großen Schritten ging der Pastor im Zimmer auf und ab. Ohne recht zu wissen, was er tat, zündete er seine Pfeife an und rauchte. »Da hab ich gedacht«, sprach er halb für sich, »hab gedacht, der geht sicher übers große Wasser. Ja, ich will gestehen, gefreut habe ich mich bei dem Gedanken. Denn, was hat man davon, daß uns der Henker einen Besuch macht? Ein Menschenleben ist ein Menschenleben, wenns auch einem Mörder gehört. Und schade ists um ihn. Es war doch eigentlich eine Art Wahn, und es fragt sich noch, ob er dafür zu büßen hat. Und nun kommt der, ist eine ganze Gespensternacht hindurch in der Kirche, stört einen zur nächtlichen Stunde und sagt: ›Ich will gerichtet werden!‹«

»Hör mal, Franz!« wandte er sich an diesen. »Hast du just kein Geld und magst es nicht von Hause holen – ich geb dir, so viel wie ich habe. Tu mir den Gefallen und mach, daß du aus dem Lande kommst, und schlag dir den dummen Gedanken, den Kopf preiszugeben ...« Er stockte, der Pastor wußte selbst nicht recht, woraus Franz sich diesen Gedanken schlagen sollte.

»Sieh, Franz«, fuhr er fort, und sah väterlich ernsthaft drein, »man hat doch nur einen, und den läßt man sich nicht gern nehmen. – Nun, du denkst ja auch nicht anders.« Er musterte den Anzug seines Gastes. »Die Verkleidung ist gut. Das andere kann ja nicht dein Ernst sein. Ich persönlich hab auch ja gar nichts mit der Sache zu tun, ich bin nicht Polizeibeamter, das ist der Kirchspielvogt. Also sag, wieviel brauchst du?‹

»Wenn ich an verkehrter Stelle bin, dann bitte ich um Entschuldigung«, erklärte Franz. »Geld? Geld kann ich nicht gebrauchen. Aber für Ihren guten Willen, für Ihre Menschlichkeit – Dank! Meine Kleidung habe ich mit einem Bettler gewechselt, ihm gab ich auch meine Barschaft. Mit einer Verkleidung hat das nichts zu tun. Solange ich noch lebe, will ich gern nach den Worten der Schrift tun. Die Obrigkeit soll das Schwert nicht umsonst führen. Auch meinetwegen muß es sein. Denn sehen Sie, Herr Pastor, jetzt bin ich heiter und sicher und froh, hab heute nacht sogar gute Träume gehabt. Aber diese Träume und das Gefühl der Zuversicht und des Friedens habe ich nur, weil ich mir vorgenommen habe, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist. Und auch Gott, was ihm gebührt. Ich will keinen hintergehen. Es würde sich auch nicht lohnen. Denn ... Sie wissens nicht ... ich aber erfahre es an mir: nach solcher Tat kann man nicht mehr leben.«

Der Geistliche sah feierlich drein. »Tu, wie dir dein Herz gebeut. Du bist mein lieber Sohn. Wenn du die Kraft hast, dann geh zum Kirchspielvogt! Aber wie du dich auch entscheidest, ohne Trost und ohne ein gütiges Wort, ohne Trank und Speise lasse ich dich nicht.« – »Grete!« rief er zur Tür hinaus. »Grete«, befahl er, »heize flink in meinem Studierzimmer.« – »Da ist ein kleiner Kanonenofen, da wirds leicht warm«, wandte er sich an Franz. Wieder zum Mädchen: »Dann koch Kaffee und trag auf, was der Keller bietet. Und dann hol meinen grauen Anzug her.« – »Er ist mir ein bißchen eng«, redete er wieder gegen Franz, »er wird passen. Wir müssen uns aushelfen. Wenn man satt und warm ist und heile Kleidung anhat, dann hat man doch mehr Mut. Es ist auch würdiger. Satt und gut gekleidet, tut man einen schweren Schritt leichter. – Du bist heute mein Gast«, fügte er hinzu. »Vielleicht besinnst du dich anders und denkst, daß der liebe Gott dir auch so seine Gnade schenken kann. Dann bleibts bei meinem Angebot. Solltest du aber meinen wie jetzt, dann geh zum Kirchspielvogt! – Lieber Freund«, fuhr er fort und legte unserem Franz die Hand auf die Schulter. »Da stehst du mit einem gesunden Kopf auf graden Schultern und willst diesen Kopf der weltlichen Gerechtigkeit überantworten. Junger, tapferer Mann! Die Gnade des Herrn muß mächtig in dir sein, daß du das über dich vermagst. Es gibt nicht viele, die dir das nachtun. Ich war ein schlechter Geistlicher, daß ich dich flüchtig, dich schwach sehen wollte. Nun bin ich fast stolz auf dich. Vielleicht ist es besser, du bleibst deinem Vorsatz getreu und gehst zum Kirchspielvogt.«

Franz ging zum Kirchspielvogt.

 

Es verging etwa ein Jahr, da war er am Ziel. Franz wurde zum Tode durch das Beil verurteilt. Einige der Grausamkeit jener Zeit entsprechende schimpfliche und quälende Nebenstrafen wurden von dem Landesherrn gestrichen. Mit dem Einwand, daß Inquisit in Wahnsinn gehandelt habe, wurde der Verteidiger nicht gehört. Der Vorwand, Franz habe den Tod seiner Mutter rächen wollen, fand bei dem Gericht überhaupt keinen Glauben. Die Beweggründe suchte man in dem Verhältnis zu Witten und was damit zusammenhing, hielt auch erb- und habsüchtige Motive nicht für ausgeschlossen.

Von der Leichenuntersuchung der Frau Lisette wurde, als bei der Länge der Zeit zwecklos, abgesehen; bei Mutter Marieken ergab der Befund zur nicht geringen Bestürzung des Angeschuldigten, daß sie an einer Unterleibsentzündung, hervorgerufen durch einen Pflaumenkern, gestorben war. Er schien nicht einmal einen gerechten Grund gehabt zu haben. Der Gedanke stärkte schließlich aber nur seine Haltung. Er ging wie ein Sieger auf die Galgenwiese in die Arme seiner Mutter. Er kannte die Stelle. Der Gnade des himmlischen Richters fühlte er sich sicher...

Als Vater auserzählt hatte, gings an schwarzen, in Weidenbüschen vergrabenen Gruben und Lachen vorüber vom Berg hinunter, dem Dorfe zu. Wir kamen in runder Biegung um einen unbebauten Platz. Unter Eichen wogten zwischen Steinklötzen lange, gelbgrüne, harte Grashalme im Morgenwind, und Ziegenböcke, langbeinige, schwarzbunte Tiere, wüste Bärte am Kinn, kauende, kletternde, mit listigen Augen nach dem Wagen schauende Kobolde grasten sie ab.

Der ›Rattensteert‹ von Vaters Peitsche winkte heimlich hinüber. Gesprochen wurde nichts. Wir wußten: da war es gewesen. Ein Druck band die Gemüter; halb war es Andacht, halb Grauen, und noch lag es auf unsrer Gesellschaft, als die Hufe der Pferde das Steinpflaster des Dorfes schlugen.

Aber als der Knecht des Gasthofs, als Johann sichtbar wurde, da verschwand es. Johann lachte immer über das ganze Gesicht, und Johann lachte auch heute. Er hatte immer eine blaue Futterschürze mit Bändern aus Messingketten um und warf einen Besen in die Ecke, oder stellte rasch einen Eimer weg, wenn wir in das Dielentor einbogen. Johann rief immer und auch heute lachend:»Godn Morgn«, und den schwitzenden Pferden die Stränge zu lösen, machte ihm unsagbares Vergnügen.

Auf der Galgenwiese unter der Eiche, wo die Mutter den Ausgestoßenen, wo sie ihren Sohn in die Arme genommen hat, steht ein Granitstein. Das Schwert der Gerechtigkeit ist darauf eingemeißelt.

In des Baumes Krone aber wohnt das Rauschen der Liebe.


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