Timm Kröger
Leute eigener Art
Timm Kröger

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ein schlechter Mensch

Was half es, daß alle Leute sagten, er sei der Stärkste im Dorf – setzten sie doch gleich hinzu, er sei auch der Beste und Gutmütigste. Denn in der ihm zugeschriebenen Gutmütigkeit entdeckte er das Hemmnis, das ihn im Leben bei manchen Sachen, bei allen Wettläufen zumal, nicht so zur Geltung kommen ließ, wie es ihm sonst wohl geglückt wäre und er bei Anderen sah. Sie trug ihm wohl Liebe und Freundlichkeit ein, minderte aber seines Dafürhaltens den Respekt, den er verlangen konnte.

Er mußte zugeben, daß was dran sei, was die Leute sagten, daß er am letzten Ende keinem weh tun konnte, auch dann nicht, wenn er mal aufbrauste und im Begriff schien, alles vor sich niederzustoßen. Aber ganz konnte er sich von der Richtigkeit des Urteils nicht überzeugen. Scheinen mochte es so, mehr als Schein war es aber doch nicht. Die erste Innenschicht seines Wesens mochte richtig eingeschätzt sein, der letzte Kern aber, so meinte er, sei nichts als Glut und Feuer und Tat. Er war kein Büchermensch und kein Gelehrter, sonst hätte er das Bild eines unter dem Aschenkegel schlummernden Vulkans zu Ende gedacht.

Aber die Welt hatte doch wohl recht, wenn sie ihn gutmütig nannte. Wo wäre sonst wohl ein Mann dieser Kraft zu finden gewesen, der ein Mädchen immer weiterliebte wie Anna Schlüter, die mit einem andern schön tat, obgleich sie seinen Verlobungsring am Finger trug? Wie war es möglich? Wie konnte der starke Klaus Kipp so töricht sein?

Ja, fragt lieber: wie konnte die Natur es verantworten, einen so hübschen braunen Kopf auf das Gehäuse einer so leichtfertigen Mädchenseele zu setzen? Oder fragt: wie konnte der starke Mann so ganz dem Zauber von zwei weichen Mädchenlippen erliegen, die sich (zum ersten mal war es in Johann Krischan Hebbels Weidenhecke geschehen) auf seinen Mund gelegt hatten, dem Reiz der beiden Mädchenarme, die ihn in Johann Krischan Hebbels Weidenhecke umhalst hatten? Denn das war kein Trugbild, in Johann Krischan Hebbels Weidenheckengang war es gewesen. Da hatte sie, als er um ihre Liebe bat, ihm an Hals und Mund gehangen, dort hatte sie ihm ewige Treue gelobt.

Ein großer Stein lag, wo das geschah, hart am Wagengeleise, ein Stein, den kein Mann bewegen konnte, so groß und rund und schwer war er. Seine Geliebte aber sagte zu Klaus: »Heb den Stein, ich will den stärksten Mann haben, den es gibt!« Da ging er hin, rüttelte den Koloß aus seiner Lage und hob ihn eine Elle hoch und trug ihn mit beiden Händen nach dem Graben, aus dem der Knick ausgehoben war, und warf ihn hinein. Und Anna, ganz außer sich, jauchzte: »Was krieg ich für einen starken Mann!«

Und wie sie das sagte, kam der alte Trotz, das alte Aufbäumen in ihm auf, vielleicht auch die Ahnung, daß es ganz gut sei, seiner leichtblütigen Braut zu bedeuten, wie doch auch mal seine Gutmütigkeit ein Ende finden könne. Daher sagte er, als er wieder an ihrer Seite stand: »Diese Arme und diese Fäuste sollen über jeden kommen, der sich zwischen uns stellen will.« Das Mädchen erkannte nicht, was er damit sagen wollte, sie hörte kaum hin, flog wieder an seinen Hals und rief: »Wat krieg ik förn starken Kerl!«

Damals stand Friedrich Volkens Nebenbuhlerschaft noch nicht in Frage, Klaus Kipp war eine gute Partie, und Anna Schlüter war froh, daß sie ihn hatte.

Er hatte als Knecht gedient, seinen Lohn gespart und für seine Ersparnisse das wilde Heide- und Moorland erworben, das an dem hohen Koppelland der Dorfschaft nach den Wiesen hin abfällt. Die Heide hatte er urbar gemacht, zweimal schon hatte sie ihm Buchweizen getragen.

An der Seite des neuen Ackers lagen freilich noch große, runde Steine. Klaus hatte sie aus dem Boden herausgearbeitet und einstweilen an den Rand des Feldes gerollt, sie später ganz fortzuschaffen. Das dahinter liegende Moorland hatte er durch tiefe Gräben trocken gelegt; noch ein Jahr, und der Wind wird auch dort Wellen in gelben Ähren schlagen. Kam man den Weg vom Dorfe, dann sah man die großen weißen Findlinge im Buchweizenfelde vor sich. Und sie lagen dick und schwer vor dem Beschauer, als wollten sie sagen: »Bis hierher hat er uns gekriegt, wollen schauen, ob er sich getraut, uns noch weiter zu bringen.«

Als der Hufner Hans Busch seinen Stall zum Abbruch verkaufte, war Klaus Kipp der Käufer und baute daraus seine Kate am oberen Ende des Buchweizenfeldes auf.

›Was ist er für ein starker Mann, wie wird er seine Frau, wenn er eine so gute bekommt, wie er verdient, wie wird er sie durchs Leben tragen! Schade, daß sie Anna Schlüter heißt.‹ So sprach das Dorf. Und er selbst dachte: ›Das Heim ist fertig, Tischler und Zimmerer und Maler sind weggegangen, der Hof ist gepflastert; vor der Hand hat die Mutter alles zum Empfang hergerichtet. Nun komm, Erwählte meines Herzens! Nun darfst du für und für in meinen starken Armen ruhen!‹

Aber .. aber .. Wenn er sichs auch noch nicht gestand, ganz leise kam die Ahnung, daß er auf Sand gebaut habe und daß der Baugrund seines Glückes sich zu lockern beginne. Und wenn er auch die Augen zumachte und nichts hören wollte, im Grunde traute er schon damals nicht mehr seinem Glück. Friedrich Volkens Nebenbuhlerschaft war aufgetaucht. Friedrich Volkens, Sohn eines großen Bauern, begann sich um Klaus Kipps Braut mehr als nötig war zu mühen. In den Stunden der Selbsterkenntnis schätzte Klaus Kipp sich schon damals als Bären ein, der nur so lange am Seil geführt werde, bis der andere bereit sei, anstatt seiner den Ring zu tragen. Meistens wollte Klaus es aber auch jetzt noch nicht sehen. ›Komm, Geliebte meiner Seele, meine starken Arme sollen die Diener deines Willens sein!‹

Aber eines Abends, als er mit Schaufel und Spaten von der Arbeit heimkehrte, kam ihm aus der Tür seines Hauses anstatt seines jungen Glücks eine alte Frau entgegen. Es war seine Mutter, sie führte ihm den Hausstand. Sie zeigte ein ernstes Gesicht, und den großen Sohn faßte sie an der Hand. »Ich habe dir böse Briefe zu bringen«, sagte sie. »Es wird dich betrüben. Aber wer weiß, vielleicht meint der liebe Gott es gerade darin gut mit dir.«

Sie standen an der Hauswand vor der Bank, worauf sie an schönen Sommerabenden zu sitzen pflegten. Klaus Kipp nahm Schaufel und Spaten von der Schulter und trug sie schweigend in den Stall. Er war ein großer Mann, von lässigem Herkulesbau, mit lichtbraunem Haar, breitem, ruhigem Gesicht. Es war aber um einen Ton bleicher, als er Spaten und Schaufel, die er im Kleigraben gebraucht hatte, wegtrug. Als er zurückkehrte, fand er die Mutter noch am alten Platz. Und er schien ganz ruhig zu sein.

»Anna war hier?« fragte er.

»Ja«

»Sie hat die Zeit abgepaßt, wo sie mich auf Arbeit wußte.«

»Das hat sie wohl.«

»Sie will nicht mehr, gibt mir den Laufpaß?« Als er das fragte, lief doch ein leises Zittern durch seine Stimme.

»Ja«, erwiderte die alte Frau. »Sie meint, ihr paßtet nicht zu einander.«

Klaus Kipp schlug eine leise Lache an. Aber der Ton sagte, daß es nicht das Lachen der Überlegenheit sei. »Sie hat ein bißchen viel Zeit gebraucht, das einzusehen. Sie will Friedrich Volkens lieber. Ist es nicht so, Mutter?«

»Sie sagt, das passe besser, und sie habe sich mit ihm versprochen.«

»Ja, Mutter, da hast du recht, das sind böse Briefe.«

Die Alte fuhr mit der Hand über das Gesicht ihres Sohnes.

»Wer weiß, Klaus, wozu es gut ist.«

»Ich will es mal überdenken«, erwiderte dieser. »Laß mich hier draußen ein bißchen sitzen. Es steht so schönes Abendrot am Himmel, und Sterne kommen auf. Will mal bei Abendrot und Sternenschein überdenken, wie ich die Medizin vertrage.«

Er saß lange vor der Tür auf der Bank, unbedeckten Hauptes (bei der Arbeit trug er selten etwas auf dem Kopf), die großen schweren Kleigrabenstiefel an den Füßen. Ein Riese. Er sah anfangs ins Abendrot, dann in die Dunkelheit, sah in die Einsamkeit und sah auf die blanken Steine, die, vom Tageslicht gesättigt, noch immer einen hellen Schein abgaben. Und sann und sann, wußte nicht gleich, worüber, sann erst im Zickzack, dann etwas stetiger:

Er hatte gehört, wer sich zwischen ihn und sein Mädchen gedrängt hatte. Er hatte gelobt, jeden, der das tun würde, zu vernichten, und er dachte: nun mußt du dein Wort einlösen. Er wußte daher, wen er mit seinen großen starken Fäusten erdrosseln müsse. Er hatte es gewissermaßen geschworen, als er den großen Stein hinter Johann Christian Hebbels Weidenknick hob und in den Graben schleuderte. Es tat ihm leid, daß er ein Mörder werden müsse, aber es war doch wohl nicht zu vermeiden.

Die Mutter ließ ihn lange in Ruhe. Sie dachte: »Das Ärgste muß er mit sich allein ausmachen, da ist es nicht gut, hineinzureden. Er wird wohl kommen und mit seiner Mutter ein Wort sprechen wollen. Er hat ja auch noch keinen Bissen genossen, der arme Junge. Er wird wohl kommen.

Aber er kam nicht. Da rief seine Mutter zum Essen, er aber blieb, wo er war, und schaute in die Weite. Denn das Gewölk fing an, sich zu verteilen, und in dem hellen, durch freie Stellen quellenden Schein vermutete er den Mond. Und das traf zu. Frei und kahl und ruhig und kalt kam der Vollmond hervor. Und die Heide und das Buchweizenfeld füllte er mit Glanz und Licht. Und wie Graupelschnee auf Friedhofplatten lag er auf den Steinen.

Schließlich fühlte der Träumer wieder die Mutterhand auf seinem Haar. »Komm rin, Klas«, sagte die Alte. »Hest gar keen Mütz op, un büst natt vun Sweet. Verköhlst di na. Komm rin, Kind!«

Er blieb sitzen, die Mutterhand aber, die über sein Gesicht fuhr, merkte, daß er Tränen vergossen habe. Der starke Mann. »Das ist recht, Klaus«, sagte sie, »wein nur mal, das gibt Luft. Die alte Mutter darfs wissen, und sonst sieht es kein Mensch. Will Licht machen«, setzte sie hinzu. Und tat so. Und als der Kerzenschein aus dem Fenster des Stübchens fiel, erhob sich der Starke und ging, nunmehr ein vollständig Gefaßter, in die Stube.

Klaus schämte sich seiner Tränen. Und die vielfache Quelle dieser Tränen schoß vor ihm auf. Erstens und zumeist hatte er um seine Liebe geweint und um die große Täuschung seines Lebens. Denn er hatte sie wirklich geliebt, liebte sie wohl noch. Sodann hatte er geweint, weil er nunmehr, wie er gelobt, denjenigen töten mußte, der sich zwischen sie gestellt hatte. Es entsprach das so ganz und gar nicht seiner Natur, aber es ging nicht anders. Und wieder hatte er geweint, weil er wußte, daß doch nichts daraus werde, da seine Gutherzigkeit es nicht zuließ. Und endlich hatte er geweint, weil er nach alledem erkennen mußte, wie viel schwächer er sei als die meisten anderen Menschen, seiner bärenhaften Stärke zum Trotz. Aber zugleich keimte das Gefühl der Erleichterung, der Entlastung in seiner Seele auf. Und als er ganz genau hinmerkte, sah er, daß er sich über seine Gutmütigkeit freute, die kaum eine Gewalttat gegen Andere zuließ. Und wenn auch dadurch das Bewußtsein der Kraft und der gerechten Vergeltung um seine Rechte betrogen wurde: es überwog doch das Glück der Entlastung von einer ihm aufgebürdeten Hamletstat.

Und dann wieder Pendelschlag aus entgegengesetzter Richtung: Wie schlecht war doch das Mädchen, an das er seine Liebe verschenkt hatte! Die Mutter hatte recht, der liebe Gott meinte es eigentlich gut mit dieser Prüfung. Wie hatte er nur dazu kommen können, sich so in das falsche Ding zu vergaffen! Das falsche Ding ... Und immer noch fühlte er schneidendes Weh, wenn er sie für immer verloren halten mußte. Wie war es möglich gewesen, daß er sie geliebt? Und wie, daß er sie noch liebte? Denn die letzten Wurzelhäkchen, das fühlte er, waren noch auszugraben. Wie war es möglich! Aber er fing an, die Gründe zu erkennen: wegen ihrer hübschen Larve hatte er ihrer Seele allerlei Vortrefflichkeiten angedichtet. Die Natur kann nicht täuschen, uns nicht betrügen, hatte er gemeint. In Wirklichkeit hatte sie das auch nicht getan. Denn nun besann Klaus sich darauf, daß ihr Auge ihm immer viel zu rund und zu glatt vorgekommen sei, und daß ihr Blick flackernd und unstet gewesen. Jetzt erkannte er ihre eigennützige Seele. Sie war ein Weib, das versorgt sein wollte, und zwar möglichst gut, dabei von der Freude des Lebens mitnehmen wollte, was sich nur fassen ließ. Sie gab Versprechen mit dem inneren Vorbehalt, sie zu halten, wenn es ihr passe, sie aber zu brechen, wenn es ihr anders passe. Dabei forderte sie von ihm unverbrüchliche Treue. Ja, so war sie, und das tat sie, ohne sich ihrer unschuldigen Gewinnsucht und der Verwerflichkeit ihrer Gesinnung bewußt zu sein ... So ganz klar und kahl sah er es wohl nicht, aber es gingen ihm doch die Augen auf. Das ihrer Seele angehängte Flittergold riß er ab; das war nichts als Verfälschung.

Als er ins Haus getreten war und die schweren Stiefel abstreifte, sagte er zu seiner Mutter: »Es geht mitunter wunderlich zu in der Welt. Lange habe ich mit jedem Gedanken an ihr gehangen und geglaubt, ich müßte die Welt auf den Kopf stellen, wenn nichts daraus würde. Und nun, da es aus ist, begreife ichs kaum noch. Erst war mir, als ob ich Mord und Totschlag begehen müsse. Und nun, nachdem ichs überdacht habe, seh ich die Sache ganz anders an.«

Und wieder lag die Mutterhand auf seinem Scheitel: »So ists recht, mein Sohn, das sind Gedanken, die Gott lieb hat.«

»Ja, Mutter, der Spott und das Gerede werden nicht ausbleiben. Aber das laß die Leute man tun, die sollen ja nur was zu reden haben. Und es ist ja nicht das erste mal.«

»Lat doch de Lüd!« entgegnete die Mutter. Und wieder streichelte die magere Hand den starken Sohn.

 

Nach ein paar Wochen war Sonntags Tanz im Krug. Klaus Kipp wollte nicht hin und seine Mutter bestärkte ihn dann. Er wollte lieber nach dem Jungvieh sehen, das auf der Pachtwiese einer benachbarten Feldmark weidete. Seine Mutter gab ihm recht. Jetzt ins Wirtshaus, das paßt sich nicht. »Ich geh inzwischen ein bißchen ins Dorf zu Meister Nissen. Da holst du mich ab, nicht wahr?« Meister Nissen war der ihnen befreundete Schmied des Dorfes.

Bei dem Jungvieh war alles in Ordnung. Als Klaus heimkehrte, stand die Sonne zwar noch am Himmel, aber es ging gegen Abend. Am Tage hatte es geweht, nun legte sich der Wind. So war es auch bei Klaus; auf dem Hinweg hatte es noch in ihm geweht, nun gingen seine Gedanken zu Rüste. Kälberkropf wuchs überall am Wege, ihm schien, als läge hinter jedem Heckenzaun ein Friedensengel und ›schneide sich ein Pfeifchen aus dem Rohr‹.

Sein Fußweg führte über hohe Koppeln. Als er auf der Höhe war, hörte er Gesinge und Gedudel, Klarinette und Geigen vom Kruge her. Jawohl! Die Dielentore sind offen, die Töne quellen heraus, es ist der Trubel vom Gelagshaus. Er stand still ... So ist es. Das sind die Töne. Er sieht ordentlich die Röcke der Mädchen fliegen und atmet den Dunst und den Schweiß der lärmenden Freude. Die Alten stehen herum und sehen zu, und alle lassen verstohlen die Augen herum gehen, ob die zugegen sind, von denen heute das ganze Dorf spricht: Friedrich Volkens und Anna Schlüter und der von ihnen betrogene Klaus.

Noch immer horcht Klaus, und die Töne schmeicheln sich ein. Ob Friedrich und Anna wohl im Gelage sind? 2b sie es wohl gewagt haben, hinzugehen? Wenn er mal ins Dielentor sähe, nur um zu wissen, ob sie da sind ...

Sie werden da sein. ›Klaus Kipp ist aber nicht da‹, werden die Leute sagen. ›Da ist er zu gutmütig zu, Klaus Kipp läßt sich alles gefallen, mit dem kann man Fangball spielen, so stark er auch ist‹.

Und siehe! Es siedete die Feueresse seines Innern. Und weil die Feueresse seiner Seele glühte, ging er hinunter nach dem sogenannten grünen Weg und wandte sich, dort angekommen, rechts nach dem Krug.

Dicht vor dem Wirtshaus begegnete ihm Detel Wurm. Detel Wurm und Klaus Kipp konnten sich nicht leiden, ohne eigentlich zu wissen, warum. Sie fühlten aber heraus, daß ihr Wesen auf entgegengesetzten Grundsätzen aufgebaut sei. Detel hatte immer ein gelbes, schadenfrohes Gesicht, heute lachte er Klaus Kipp schon von ferne an.

»Na, Klaus? Hast die Braut weggegeben? Ja hätte ich das geahnt, hätte ich gewußt, daß die zu haben, da wäre ich auch Bieter gewesen.«

Weiter kam er nicht, Klaus gewaltige Faust war dicht vor seiner Nase. Und er hörte die Worte: »Will dir was sagen, Detel. Kennst du die Hand? Nein? Willst sie auch nicht kennen lernen? Nun, da rate ich dir, den Mund zu halten.«

Detel war nicht schlecht erschrocken. So hatte er den guten Klaus noch nicht gesehen. »Jung, Klaus, verstehst keinen Spaß? Ich mein ja man.«

»Ich mein auch man.«

Detel machte sich eilig davon, und Klaus ging weiter.

Es war ein landesüblicher Weg, in dem er ging, einer mit hohen Heckenzäunen, so hoch, daß man Klaus von der anderen Seite nicht gewahrte. Und dort sprachen zwei Mädchen, Anna Holz und Liese Wieben, miteinander. Klaus erkannte sie an den Stimmen.

»Scham ist da gar nicht in«, sagte die eine. »Wie sie das wohl tun mögen, so vor aller Welt. Gestern Braut von dem, heute im Arm eines andern.«

»Deern, das sag man mal!« So die Zweite.

»Klaus Kipp ist nicht da.«

»Da ist er viel zu vernünftig und zu anständig zu.«

»Ich glaube gar nicht, daß es zu Stück kommt mit Friech und Anna. Den alten Volkens soll es gar nicht recht sein.«

Klaus Kipp zu anständig, sich zu zeigen ... Und er, Klaus Kipp in Person, was wollte er tun? Was hatte er eben noch aufgeführt? Wäre er nicht bald handgemein geworden? ... Was wollte er eigentlich im Gelage?

So dachte er, und doch näherte er sich dem Tanzhaus. Es lag hinter einem Vor- und Hofplatz, ein breit ausgeladenes Strohdach. Auf der Diele ging es her wie im 'Faust' unter der Linde: »Juchhe, Juchhe! Juchheissa, Heissa, He! – Geschrei und Fiedelbogen!« Man sah es dem alten Kasten ordentlich an, wie heiß ihm der Atem ging. Vor den, Dielentor im Freien übten sich halbtrunkene Knechte im Balgen und Ringen.

Aus der Pforte der Hofstelle schritt ein Mädchen. »Klaus, büst du dat?«

»Ja, Elsbe.«

Es war Elsbe Nissen, die Tochter vom Schmied. Klaus war mit ihr zur Schule gegangen, sie hatten sich immer gut vertragen. Sie war ein nicht zu großes, blondes Bauernmädchen mit schlicht gescheiteltem Haar und schlichter Gesinnung, nicht so hübsch wie Anna, aber treu und zuverlässig. Wann und wo es sich traf, bemutterte sie Klaus Kipp ein wenig.

»Wolltest auch hin?«

»Ich dachte.«

»Klaus, soll ich dir'n Rat geben?«

»Ja, gern.«

»Geh nicht hin! Das ist besser, du weißt selbst, warum. Anna ist da mit Friech, und da bist du zu gut und anständig zu.«

»Habe ich nicht ebenso viel Recht wie die?«

»Recht? Ja. Aber man darf nicht alles tun, wozu man ein Recht hat, Klaus.«

Klaus betrat nicht das Tanzhaus, er begleitete Elsbe Nissen vielmehr nach Haus und traf dort verabredetermaßen seine Mutter. Sie nahmen an dem einfachen Abendessen teil. Klaus machte noch ein Spielchen Karten mit dem alten Meister, während die Mutter nach Hause ging, da für das kommende Tagwerk noch etwas vorzubereiten war. Und als er selbst aufbrach, war es dunkel geworden.

In Johann Christian Hebbels Weidengang stieß er auf Friedrich Volkens und Anna Schlüter, und zwar bei der Bornkoppel, wo die abgesägten Weidenstämme stehen und der große Stein im Graben liegt. Er hätte sie gar nicht erkannt, wenn Friedrich nicht im Vorbeigehen die Worte gesprochen hätte: »Er hat es doch nicht gewagt.« Als Klaus das hörte, fing es bei ihm unter der zweiten Schicht zu sieden an.

»Guten Abend«, sagte er und stellte sich breit in den Weg.

»Was willst du, Klaus?«

»Ein Wort mit Anna reden!«

»Dazu ist hier nicht der Ort.«

»Das sehe ich ein. Aber wenn du uns beide auf eine Minute allein lassen wolltest, da, denk ich, würde sichs passen.«

»Weißt du auch, daß das unverschämt ist?«

»Friech, nun will ich dir mal was sagen: Sieh da mal hin, im Graben liegt ein Stein. So viel hell ists noch, daß du ihn sehen kannst. Den hab ich, als das Mädchen da sich mit mir versprach, hineingeworfen und dabei geschworen, jeden niederzuwerfen, der sich zwischen uns stelle. Du bists, der sich zwischen uns gestellt hat. So dachte ich damals. Nun aber denk ich: laß fahren, was fahren will, und vergiß den Schwur. Nimm aber deine Reden in acht, sonst könnte es doch noch ernst werden!«

»Du bist verrückt!«

»Das bin ich also. Ich will dir nur soviel sagen: hör ich das noch mal, dann kriegst du mit diesen Fäusten zu tun.« Klaus Kipp erhob drohend seine Hand.

Da tat Friech Volkens einen Sprung und einen Stoß. Aber gleich saß sein Handgelenk im Schraubstock von Klaus Kipps großer Faust. Das von dem Angreifer geführte Messer fiel zu Boden. Da folgte von Klaus ein zweiter Griff mit der Linken, und Friedrich deckte der Länge nach den Boden.

»O, o ... «, rief Anna. Friedrich konnte nur zischen und fauchen. Klaus bändigte ihn mit einer Hand, die andere hob das Messer auf. »Sieh«, sagte er ein richtiger Genickfänger. So einer bist du also.«

»O, o«, rief das Mädchen. Der Überwundene konnte nur fauchen. »Wenn du so einer bist, dann müssen wir doch mal ein bißchen Ernst machen mit meinem Schwur. Erst werde ich dich ein wenig im Graben taufen und dir dann einen kleinen Denkzettel geben. Es ist ja nicht das, was ich gelobt habe, aber doch etwas.«

»O, o!« klagte Anna. Friech zischte und fauchte. Aber Klaus tat nicht so, wie er gesagt hatte. Er hielt den Gegner ruhig am Boden. »Ich will es doch lieber nicht tun – ihretwegen nicht und auch meinetwegen nicht. Ich habe mich schon genug an dir verunreinigt.«

Er stellte sein Opfer auf die Beine, den Genickfänger aber schlug er bis zum Heft in den Weidenstamm am Weg und sagte dazu: »Wenn du die Kraft und den Mut hast, den herauszuziehen, dann kann das Spiel von neuem beginnen.«

Über Friedrichs Lippen kam kein Laut. Klaus kehrte sich um und ging nach Haus. »Gute Nacht«, rief er, bekam aber keine Antwort.

 

Und es verging eine lange Zeit. Es wurde Sommer und Herbst und Winter, und wieder kamen Frühling und Sommer und dann ein warmer, wundervoller Herbst. Draußen ›am Moor‹ hörte man wenig von dem, was im Dorf geschah. Noch immer stand die Hochzeit von Anna Schlüter und Friedrich aus. Den Alten war die Partie niemals recht gewesen, Friedrich sollte auch anderen Sinnes geworden sein, man sprach so allerlei, man hörte aber nichts Rechtes.

Der Tagesweg führte Klaus Kipp öfters durch Johann Christian Hebbels Weidengang. Viele Wochen lang stak der Genickfänger noch immer in dem abgesägten Stamm. Klaus hatte, wenn er es sah, immer ein Gefühl des Triumphes, zugleich aber auch der Scham. Wer dächte nicht so menschlich, daß ihn nicht das Bewußtsein schwellte, einen Gegner gedemütigt zu haben! Stärker war aber doch das Gefühl, daß sein Verhalten unter der Durchschnittslinie seines Wesens gestanden habe, daß er sich vergessen gehabt habe, als er es getan. Er hatte selbst keinen Namen dafür: in Wahrheit aber wuchs der neue Klaus Kipp über den alten Klaus, der sich in die nette, leichtfertige Anna Schlüter vergafft hatte, hinaus. Was war ihm jetzt Anna Schlüter? Er hoffte und durfte hoffen, die Stelle, die er lange mit dem Bewußtsein der Leere in sich herumgetragen hatte, ausgefüllt zu sehen, und nicht durch eine so leichtfertige, unbeständige Person wie jene.

Wenn er durch Hebbels Weidengang kam und das sich mehr und mehr mit Rost überziehende Heft des Genickfängers sah und nach etwa vier Wochen nicht mehr sah (wer es geholt hat, hat er niemals erfahren), wenn er an dem großen Stein vorbeiging, der für und für im Graben lag, dann hatte der neue Klaus Kipp Neigung, sich über den alten Klaus Kipp lustig zu machen. Er glaubte auch nicht mehr an die Feueresse seines Innern. Mehr und mehr gab er der öffentlichen Ansicht recht, wenn sie den hervorstechenden Zug seiner Gesinnung in seiner Gutherzigkeit sah. Doch hätte er es lieber Gerechtigkeit nennen gehört als glatte Gutmütigkeit.

Und es war Winter geworden und wieder Frühling, und Sommer und Herbst, ein Jahr und darüber war seit dem Zusammenstoß in Johann Christian Hebbels Weidengang verstrichen.

Und wieder war es Sonntag. Das Abendbrot war früh eingenommen worden, weil die Mutter vorhatte, wie es auch geschah, ins Dorf zu gehen, den Schmied und seine Tochter, mit denen der Verkehr jetzt häufiger hinüber und herüber ging, zu besuchen. Klaus blieb einstweilen zu Hause, die Wirtschaft zu besorgen. Später wird er das Haus abschließen, die Mutter zu holen.

Das Wetter war warm und angenehm und still, er saß an der Hauswand auf der Bank. Die brennende Petroleumlampe stand darauf (so vollständig schlief der Wind), Nachtfalter flogen und klebten an Glas und Kuppel. Er achtete nicht darauf. Die Arbeit war besorgt, nun wollte er mit Behagen seine lange Pfeife, seinen Portoriko rauchen, in den prächtigen Abend schauen und dann aufbrechen, zum Schmied gehen und mit dem Alten und mit der mehr und mehr von ihm als echt erkannten Elsbe das sprechen, was zu sagen noch immer nicht hatte passen wollen – das heißt, wenn er heute dazu Gelegenheit und Mut fand.

Die Pfeife .. paff .. paff! Ein echter Raucher muß den Rauch sehen, deshalb ist die Lampe am Platz. Und wenn man sich in den Rand des Lichtscheins, ins Zwielicht setzt, dann hat man beides, den Rauch und die Schönheit des Abends; dann verschließen sich dem Auge auch nicht die Geheimnisse der Nacht.

Nicht die Geheimnisse der Nacht, zumal nicht die einer hellen Mondnacht. Es ist wie damals, als er auf derselben Bank saß und seinen Kummer durchdachte; der Mond ist aufgekommen, und in voller Scheibe steht er am Himmel.

Und Klaus Kipp atmete die Ruhe und die Wunder der wunderbaren Nacht. Wieder lag der Graupelschnee des weißen Lichts auf den Steinen des neuen Feldes. Diese sackartig, lang und rund, wie bäuchlings mit dem Nabel in den Acker hineingeworfene, dicke Teufel – lauernd, als ob in heutiger Nacht das kommen müsse, worauf sie schon lange warteten.

Und Klaus Kipp fühlte, welch eigenartige Vorstellungen mondbeschienenes Land auslöse, ganz anders als der helle Tag und die schwarze Nacht. Dem großen, von Kindheit an im Herzen getragenen Gott war er sich niemals so nahe wie im Weben des Mondes, niemals war ihm das Vorhandensein einer anderen, höheren Welt gewisser, und niemals glaubte er mehr an Engel und Geister, als beim Leuchten und Verbergen des guten Monds.

Zur rechten Andacht gehört die volle Pfeife. Er zündete sich eine neue an, da sanken seine Gedanken erdenwärts und kamen mit praktischen Aufgaben des Tages. ›Ich muß Anstalt machen‹, dachte er, ›die Steine fortzuschaffen, um auch die Stücke, wo sie liegen, unter den Pflug zu nehmen. Ich denke, es soll die Arbeit meiner Hände lohnen.‹

Die Steine ... Was ist das? ... Die Steine lagen noch da, wo sie immer gelegen, aber es kam etwas mitten durch das Steinfeld zu ihm hergeschritten ... Ein Phantom? Ein Mann, eine Frau? ... Jedenfalls ein Mensch. Und wie der Mensch die Pforte seines Gartens bewegte, jankte sie. ›Die hat Öl nötig‹, dachte der Hausherr, ›soll morgen besorgt werden.‹

Stumm ging die Erscheinung in den Gartensteig hinein. Es war kein Zweifel, der, der da kam, wollte zu ihm. Es war aber, wie er jetzt sah, kein Mann, es war ein Weib, und die Umrisse wurden ihm immer bekannter ...

Es war Anna Schlüter, seine gewesene Braut.

Er stand auf und stellte die lange Pfeife an die Wand. »Guten Abend«, sagte er. »Guten Abend«, sagte sie. Eine kleine Weile zögerte er, dann gab er ihr die Hand. »Sieh, Anna!« sagte er. Dann schwiegen beide.

»Das ist später Besuch«, fing Klaus darauf an und setzte hinzu: »Du hast mir wohl was zu sagen, da ist es besser, wir gehen hinein.«

»Laß uns hier bleiben, Klaus. Es hört uns hier keiner!«

»Das wohl nicht; es müßte wunderlich zugehen, wenn uns hier einer hörte. Und wenn es dir lieber ist, dann setz dich auf die Bank. Dann machen wir es hier im Freien ab.«

»Ich stehe gern.«

»Wie du willst.«

Beide standen.

»Wie geht es, Anna?«

»Ach, Klaus!« Und sie fing zu weinen an. Sie weinte wie eine schlechte Schauspielerin, hauptsächlich durch die Nase, der Schmerz wurde weder aus dem Innern eines qualvoll geschüttelten Leibes, noch aus der Tiefe der Seele herausgeworfen. Er ließ derweilen seine Augen über, sie hingehen. Ihm schien, sie habe einen Hof um die schönen, falschen Augen, und sei um einen Ton blasser als früher.

Anna Schlüter faßte sich und fing an zu reden: »Was bist du für ein guter Mensch, und wie bin ich schlecht gegen dich gewesen!«

Sie tat einen Schritt zu ihm hin, Klaus aber wich unwillkürlich zurück. »Meinst du, Anna?« entgegnete er.

»Klaus, ich glaube, du hast mich sehr lieb gehabt!«

»Meinst du, Anna?« wiederholte Klaus und setzte dann hinzu: »Weiß Gott! Und du, und du!«

»Ach, Klaus!«

»Was, Anna?«

»Ach, Klaus, ich bin so unglücklich.«

»Er ist dir also untreu geworden, will nicht mehr?«

»Nein, er will nicht mehr.« Nach diesen Worten setzte Anna sich auf die Bank und fing wieder zu weinen an, diesmal mit dem Anschein von etwas mehr Aufrichtigkeit. »Er hat sich mit Line Schümann aus Vornholt versprochen, mit der, die so viel Geld hat«, schluchzte sie.

»Sieh, sieh! Das geht rasch. Alle Jahr eine andere.« Klaus saß jetzt auch, ließ aber einen Zwischenraum der Fremdheit zwischen ihm und ihr. »Ich habe mirs übrigens gleich gedacht, daß es so kommen werde«, setzte er hinzu.

Und wieder weinte Anna. »Und ich«, fragte Klaus, »was soll ich? Soll ich mit den großen Fäusten über ihn kommen?« Anna schüttelte den Kopf. »Gut, daß du das nicht verlangst. Ich bins auch gar nicht gewohnt.«

Das Weinen ließ nach. »Ach, Klaus! Das, was ich sagte, ist nicht das Schlimmste!«

»Noch schlimmer?«

Als Klaus das gesagt hatte, setzte wieder Weinen ein, heftiger als früher, auch gelungener, wenn man will: ehrlicher.

»Hat er dich angeführt?«

Stärkeres Weinen; Klaus hatte das Richtige getroffen.

»Ich habe mirs gleich gedacht«, bemerkte Klaus. »Das mußte wohl kommen. Und nun kommst du zu mir?«

Anna nickte.

»Weil ich ein so guter Kerl bin.«

»Ja, ja!«

»Und meinst, da könnte ich, wie man so sagt, in die Bucht springen, dich und das andere auf meine Rechnung nehmen?«

»Ach ja, Klaus.«

Es lag eine schier verbrecherische Unschuld im Ton und Augenaufschlag. Sie war sich ihrer Schamlosigkeit nicht bewußt, und Klaus hatte Mitleid mit dieser naiven Niedertracht. Er lächelte. »Ach ja, Klaus«, ahmte er nach.

Der Ton, in dem Klaus sprach, machte sie stutzig. Sie wußte nicht recht, was sie davon halten dürfe. In ihrem unschuldigen Egoismus sah sie aber darin noch nichts Schlimmes. Für Anna Schlüter war die Welt ›Wille und Vorstellung‹, das heißt: ihr Wille und ihre Vorstellung. Sie der Mittelpunkt, der dem All allein Berechtigung zum Dasein gab. Dabei war sie zugleich der Meinung, daß die Welt auch in den Köpfen ihrer Mitmenschen nichts anderes sein könne als Anna Schlüters Wille und Anna Schlüters Vorstellung.

»Habe ich mir gleich gedacht«, setzte Klaus hinzu. »Wofür hieße ich sonst der gute Klaus?« Er nahm die Pfeife wieder zur Hand, die hielt noch Feuer, er paffte. »Ja, mein Mädchen, bin, glaube ich, nicht gerade schlecht. Das geht aber doch über mein Können. So haben wir nicht gewettet, das geht nicht.«

Anna erschrak ein bißchen bei diesen Worten, konnte aber nicht gleich glauben, daß jemand so sein könne, hielt es daher für Spaß. Und dann hatte sie noch einen weiteren Trumpf.

»Aber, Klaus ...«

»Nu?«

»Friech will mir zweitausend Mark geben. Das ist doch auch was!« Unschuldig sah sie zu ihm auf, mit einem Gesicht, auf dem geschrieben stand: »Was sagst du nun? Das streckt dich zu Boden.«

Klaus tat wirklich überrascht und verwundert. »Tausend noch mal«, erwiderte er, »dann bist ja ein reiches Mädchen. Zweitausend, da kann man eine Katenstelle für kaufen. Und da sollte sich niemand finden, der über das bißchen Schande wegsähe? – Zweitausend«, wiederholte er und wog gleichsam die Summe in seiner Stimme.

Anna Schlüter hielt die Partie für gewonnen. »Ich will aber Dreitausend haben, unter dem will ich es nicht«, erklärte sie und bestärkte und begleitete das mit kräftigen Bewegungen ihres für und für hübsch aussehenden Kopfes.

»So gehört es sich auch«, erwiderte Klaus. »Mit Fordern und Bieten und Ablassen wird man einig. Und dann ist es ein Handel, bald über Kuh und Korn, bald über Kind und Ehe und so was. Vielleicht wirst du mit Volkens auf den Halbschied einig.«

Der Ton gefiel Anna nicht, aber den Spott und den Hohn hörte sie nicht heraus. Dazu war sie zu töricht und zu eigennützig.

»Vielleicht wirst du mit Volkens auf den Halbschied einig«, wiederholte Klaus und paffte kräftig aus der Pfeife.

»Detel Wurm sagt, für Fünfundzwanzighundert wolle er es tun.«

»Siehst du wohl! Na also! Dann hast ja schon den Mann! Der alte Wurm hat eine eigene Kate, die Detel doch auch noch mal bekommt. Was ist denn da zu weinen und traurig zu sein? Bist ja ein Glückskind!«

Es wurde ihr schwül, und sie beschloß, alles auf eine Karte zu setzen. Und da Klaus an seiner eigentlichen Gesinnung vorbeiredete, glaubte sie noch immer das Mißliche seiner Äußerungen für Spaß halten zu dürfen.

»Ich wollte lieber, daß du es tätest. Wir haben uns doch früher so gern gehabt.«

»Haben wir?«

»Ja, mein Klaus.«

»Wollens gut sein lassen. Es geht nicht, Anna, da kann nichts aus werden. Ich bin nicht für Kuckuckseier, auch nicht für goldene.«

»Ist das dein Ernst, Klaus?«

»Ja, Anna, in solchen Dingen soll man nicht spaßen.« Er hatte sich erhoben, stand ganz im Lichtkreis, sie sah seine Miene, nun wußte sie, daß ihre Sache hoffnungslos war. »Klaus!« rief sie. Und sie kochte vor Zorn. »Klaus, du bist ...«

Weiter kam sie nicht ... Klaus sah nicht gleich den Grund ... das Mädchen aber erhob sich und stob mit rauschenden Röcken davon.

Das kam davon, daß die Pforte wieder gejankt hatte. Es war gut, daß sie kein Öl hatte, sonst hätte man die beiden noch gar beim Zank überrascht. Frau Kipp und Elsbe kamen den Garten herauf.

Anna rannte wortlos an ihnen vorüber, stand dann still .. die Wut suchte einen Ausweg. Sie kehrte im stiebenden Lauf zurück und kam gleichzeitig mit den anderen bei dem ruhig rauchenden Klaus Kipp an.

»Elsbe Nissen«, schrie sie, »will dir was sagen! Der da«, (sie zeigte auf Klaus), »gut und sanft stellt er sich, aber nimm dich vor dem in acht! Und ich wills ihm ins Gesicht sagen: er ist ein ganz schlechter, unanständiger, gemeiner Mensch .. Pfui! pfui!« Und sie trat dicht vor den Riesen hin und spie vor ihm aus. »Pfui!« Und sie spie noch einmal. »Nun weißt du Bescheid! Und nun habe ich nichts mehr zu sagen.«

»Gute Nacht!« rief Klaus.

Es kam keine Antwort. Die Pforte wurde heftig an den Pfahl geschlagen. Man sah noch eine Gestalt hinter dem Gartenzaun mit der Hand herüberdrohen, dann verschlang sie der Mondnebel und die Nacht.

Die alte Frau fand zuerst die Sprache. »Das war ein wunderlicher Besuch!« sagte sie.

»War es auch.« Klaus Kipp erzählte. Die Mutter lachte.

»Nun weißt du, was deiner Mutter Sohn für einer ist«, sagte Klaus. »Nun habe ichs so gut wie schwarz auf weiß. Das ist doch mal was anderes. Bekommt wie ein Oktoberbad im Mergelloch.«

»Und die hast du zur Frau nehmen wollen?« Über Elsbes Lippen kam unwillkürlich dieser Ruf.

»Nicht wahr, der kann von Glück sagen«, entgegnete die Alte, räusperte sich und fuhr fort: »Laß gut sein. Ich habe dir was Besseres mitgebracht. Der Mond schien so hell, da bin ich früher gegangen und Elsbe mit mir. Klaus, sagte ich, soll dich wieder nach Hause bringen. Willst du?«

Es bedurfte nicht dieser Frage. Die Jungen standen Hand in Hand.

»Und dann«, fuhr die Mutter fort, »habe ich mir gedacht, beim Nachhausegehen fände sich vielleicht Gelegenheit, ein Wort zu sprechen, das doch mal gesagt sein muß.«

 

Das Wort ist gesprochen. Klaus Kipp und Elsbe Nissen sind ein Paar geworden, ein glückliches.

Detel Wurm und Anna Schlüter sind auch ein Paar.

Als Anna in die Wurmsche Kate einzog, fand sich in der Stützlade ihrer Kleidertruhe ein Sparkassenbuch über zweitausendfünfhundert Mark.


 << zurück weiter >>