Timm Kröger
Aus alter Truhe
Timm Kröger

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8

Es war an demselben Tage gleich nach Tisch, zu derselben Stunde, als Klaus Uhrhammer mit dem Gesetz von der Erhaltung der Kraft aus dem Stadttor gegangen war.

Jürn Alpen wollte eben nach der Buschkoppel gehen, wo seine Leute zur Brache pflügten ... da stieß er auf der Stubenschwelle mit seiner Braut zusammen. Sie sah bleich und ernst und entschlossen aus.

»Na nu?«, fragte Jürn. »Na nu, was ist denn?«

»Ich habe mit dir zu reden«, antwortete sie.

»Komm!« Er kehrte um und ging in die Stube zurück.

Die sogenannte neue, die gute Stube war durch eine Kammer von dem Wohnzimmer getrennt. Nach der neuen Stube, durch die Kammer hindurchschreitend, führte Jürn seine Braut. Die Fensterluken der neuen Stube waren zwar vorgelegt, ließen aber nach oben eine Spalte frei. Es webte Stille in dem Raum.

»Du bringst doch nichts Schlimmes, Elsbe?«

Die mit den Sparkassengeldern angeschaffte Einrichtung war schon im Zimmer, stand aber noch etwas wild an den Wänden umher. Elsbe lehnte sich leicht an den neuen Sofatisch.

»Ich komme, Jürn, dich zu bitten, wie ich schon mal getan habe: laß mich frei ... ich kann deine Frau nicht werden.«

»Elsbe!«

»Du weißt, wie ich mit Martin stehe. Mutter ist mir entgegen gewesen, aber sie wird es nicht mehr sein, wenn ich mit dir quitt bin. Am besten ist es, du tust bei ihr, als ob es von dir komme. Du magst mir Schandtaten andichten, die du willst: es soll alles wahr sein ...«

»Elsbe!«

»Ja, Jürn – und ... und wenn du es auch nicht tust, deine Frau kann ich doch nicht werden!«

»Elsbe!« rief Jürn Alpen zum dritten mal. »Was redst du da? Das ist ja Unsinn, das ist ja gar nicht möglich. Kannst dich ja bloß umsehen ... die Dinge um dich her ... alles sagt, daß es Unsinn ist. Da die Aussteuer, die steht hier in der Stube ... da das Sofa ... da der Sekretär ... da die Stühle ... da der Eckschrank ... und das und das ... Übermorgen ist Polterabend und überübermorgen Hochzeit.«

»Jawohl«, murmelte die bleiche Braut. »Übermorgen und überübermorgen ... es wird hohe Zeit.«

»Elsbe, ich frage wieder, bist du bei Trost? Du hast mir doch zugesagt. Ein Eheversprechen gibt man doch nicht, um es ein paar Tage vor der Hochzeit zu brechen!«

»Das ist wahr, ich habe es gesagt, das habe ich getan. Aber du weißt, wie ich dazu gekommen bin. Du weißt, wieviel auf dem Schein stand, um den du mich kauftest.«

Jürn Alpen schwieg.

»Ich glaube«, fuhr Elsbe fort, »viertausend standen darauf; aber das, was du dafür gegeben hast, wird wohl nicht viel über einen Judaslohn hinausgegangen sein.«

Jürn Alpen wurde zwar rot und innerlich zornig, blieb aber äußerlich in Fassung, als er antwortete: »Wie viel ich dafür gegeben, geht niemand was an. Mir gehörte er zu, ich hatte zu fordern, was drauf stand. Leider war ich so dumm, ihn in Bräutigamslaune zu zerreißen, als du, die du nichts hattest und nichts warst, dich endlich, endlich dazu verstandest, Bäurin von Dückerswisch zu werden.«

»Für einen Dummkopf habe ich dich nie gehalten, Jürn; du wußtest ganz genau, was du tatest, als du das Papier entzweirissest. Es ist ja nie was anderes wert gewesen, als zerrissen zu werden.«

»Du willst damit sagen, Elsbe?«

»Damit will ich sagen, Jürn, daß es ein Spielwechsel gewesen ist, den mein armer Vater unterschrieben hat, und daß du es ganz gut gewußt hast, was du in der Hand hattest. Ja«, fuhr sie fort, »so betört man ein armes Mädchen, so bringt man sie um ihre Liebe, so erhält man ihr Wort. Damals wußte ich es noch nicht, jetzt habe ich herausgekriegt, wie es mit dem Schein zusammenhing, und habe mich bei Leuten, die etwas davon verstehen, erkundigt; nun weiß ich, daß Spielschulden keine Schulden sind und daß sie vor Gericht nicht gelten.«

Der Bauer von Dückerswisch ging aufgeregt in der Dämmerstube auf und ab – Elsbe verharrte unbewegt. Ein paar mal blieb der Bräutigam vor ihr stehen und drohte sie mit seinen Augen an. Er war lange nicht in so dringender Gefahr gewesen, seine Ruhe zu verlieren. Das war er nicht gewohnt, und deshalb war er beim Auf- und Abgehen tapfer dabei, seinen Zorn und seine Aufregung zu dämpfen. Zorn und Aufregung empfand er als etwas seinem Wesen Fremdes, als etwas Unkluges und Unzweckmäßiges. Es dauerte denn auch nicht lange, da hatte er es abgestoßen, da war er wieder der alte Jürn, dessen Ruhe allgemein bekannt war ... Er konnte sogar lächeln.

»Elsbe«, sagte er und stand mit wohlwollendem und gemütlichem Gesicht vor seiner Braut. »Liebe, da führen wir was auf, was wir eigentlich andern Leuten überlassen sollten. Es kommt ja doch nichts danach und kommt nichts dabei heraus. Wir wollens mal vernünftig bereden. Was du da sagst, das geht nicht, ist nicht überlegt, im Grunde daher auch nicht dein Ernst ... Nein, Elsbe, das geht nicht, und das wirst du mir nicht antun. Ich will nicht von dem Unrecht sprechen, das du mir zufügtest, ich will von dem Schimpf reden, den du auf uns lüdest ... Übermorgen Polterabend, dann Hochzeit ... die Gäste geladen ... der Hochzeitsbitter herum ... die Aussteuer angeschafft ... der Pastor bestellt ... wir vierzehn Tage im Kasten gehangen ... von der Kanzel heruntergekommen ... viel schönes Geld gekostet ... die ganze Gegend voll von unsrer Hochzeit ... und da ... auf einmal alles aufheben ...: die Brautleute haben sich veruneinigt? – Nein, Elsbe, das geht nicht, das ist ganz unmöglich. Das würde ja ein Aufsehen und einen Aufstand geben, wie er noch nicht dagewesen ist. Das wirst du nicht machen, das wirst du uns nicht nachsagen lassen, das zu denken ist unmöglich. Es mag ja sein, daß du was von Martin gehalten hast und noch an ihn denkst ... Du bist jung, warum solltest du nicht? ... Das kommt alle Tage bei Bräuten vor ... Und hat nichts zu sagen. Früher hast du dich darin gefunden gehabt, Frau auf Dückerswisch zu werden, nun aber, wo der Tag naherückt, da fliegt es wieder auf.« Jürn machte eine den Gedankenflug andeutende Bewegung des Handrückens nach der Zimmerdecke zu. »Es kommt«, fuhr er fort, »wieder auf, aber glaube mir, es ist nichts. Es ist, wie die weißen Wolken sind, die an Sommertagen am Himmel kommen und gehen, man weiß nicht wohin.«

Jürn Alpen schwieg einen Augenblick, das Gesicht seiner Braut zu prüfen. Es blieb aber ruhig und entschlossen wie zuvor. Da fing er wieder an: »Sieh, ich bin älter als du und auch älter als Martin. Ich denke anders, ich spreche anders als ihr, das macht die Erfahrung. Da kannst du nicht gegen an. – Nun denkst du hin und denkst her, aber das gibt sich, Kind.«

Jürn faßte sie am Kinn: »Wenn ich dich erst hier habe, wenn du erst hier schaltest und waltest in Küche und Keller und über Mädchen befiehlst, wenn du unserm Töchterchen nur erst nähergekommen bist, wenn ich dich nur erst ein paar mal im Arm gehabt habe ...«

Als Jürn das sagte, zog Elsbe seine Hand von ihrem Kinn hinweg. Jürn Alpen wollte dies nicht bemerken, jedenfalls nicht beachten, er sprach ruhig weiter: »Ja, wenn das alles erst da ist, dann wirst du deinen Mann gegen Martin Uhrhammer nicht eintauschen wollen. Und dann kommt es doch nicht nur auf den Mann an, es kommt auch darauf an, was er ist und was er hat. Und da hab ich doch was andres unter den Füßen als Martin ... Die Stelle kriegt Martin nicht, und was ist dann überhaupt auf Altenhof los? Schulden ... und wieder Schulden ... Schuld und Sch... wie man so sagt. Da ist es bei mir anders, und ist doch gewiß nicht zu verachten ... So wie du zu sitzen kommst, sitzt keine Frau im Kirchspiel. Peter Bauervogt prahlt wohl, als ob er das meiste Geld habe ... Es ist aber nur Prahlen, Elsbe ... Die reichste Bäuerin im Kirchspiel wird meine Frau.«

»Jürn«, entgegnete Elsbe Wulffen harsch, »du siehst die Sache so an. Ich sehe sie anders an. Ich kann deine Frau nicht sein.« Nach einer Pause kam es milder: »Du hast gewiß gute Seiten, in gewissen Dingen hast du, ich will es glauben, auch Herz. Ich wende mich an den guten Jürn ... Jürn, gib mich frei!«

Jürn Alpen antwortete kein Wort, aber ein »Nein!« stand in seinem Gesicht geschrieben.

»Ich sehe, du willst nicht. Jürn, als ich herging, konnte ich mir nicht denken, daß du ein Mädchen würdest halten wollen, das einen andern liebt, eine nehmen wolltest, die dich nicht mag und es dir sagt. Ich dachte, er wird dich schlagen, er wird dich mißhandeln und zur Tür hinauswerfen. Das hoffte ich, dann wäre alles aus gewesen. Aber du schlägst mich nicht, du schimpfst nicht einmal, dafür bestehst du auf meinem Wort. Und da du so bist, so muß es sein, was ich sagen will. Ja, da muß ich ein Wort sagen, das mich sicher frei macht. Ich hätte es gern für mich behalten, aber ich sehe, es geht nicht anders. – Jürn«, sagte sie und trat dicht vor ihn hin, »du glaubst, ein reines Mädchen zu freien, das ist nicht wahr, ich bin es nicht.«

Als Elsbe Wulffen das gesagt hatte, da flammte in seinem Auge etwas auf, was man für Empörung halten konnte. »Das ist stark«, erwiderte er. Es übermannte ihn sogar. »Pfui! Braut und das?«

»Nein, Jürgen, lügen will ich nicht darum. Solange ich mit dir versprochen gewesen bin, habe ich mir nichts zu, schulden kommen lassen ... Martin hat mich aber von Hans Jägers Jort nach Hause gebracht.«

Fürn Alpen wurde wieder ruhig, ging in der Stube auf und ab und trat dann vor Elsbe hin. »Nun muß ich dich was fragen«, begann er ernst.

»Sprich!«

»Und wenn es zwischen uns trotzdem beim Alten bliebe, würdest du mir was ins Haus tragen, etwas, das mir nicht zugehörte?«

»Jürn, ich wollte, ich könnte ›ja‹ sagen. Leider darf ich nur ›nein‹ antworten.«

Der Bauer maß noch einmal die Länge der Stube. »Wenn die Sache so ist, Elsbe, dann kann ich in dem, was du gefehlt hast, nichts sehen, was dich unwert machte, meine Frau zu werden. – Und nun Elsbe, denke ich, brechen wir ab. Nimm mirs nicht übel, ich muß nach der Buschkoppel.«

Die nach der Hausdiele führende Stubentür war zugeschlossen. Jürn hatte sie aufgemacht und war schon draußen.

»Jürn«, rief Elsbe hinter ihm her, »ich will aber nicht!«

Jürn Alpen hörte nichts mehr, er schritt schon über die Dielenschwelle ins Freie.


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