Timm Kröger
Aus alter Truhe
Timm Kröger

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3

»Velmal to gröten vun Hans Jäger un Fru up Büngershof un ji möchen alltosam kam un lütt Jort bi em verteern. Un Sünndag klock veer geit los. Un Snider Rehm spelt de Viggelin. Un dat is wegen bat Schipp un wegen dat Dack. Un Hans Jäger un Fru bedankt sik ok na velmal.«

Es war Herbst geworden, und Hannes Haß bat zu dem ›Jort‹ um, das Hans Jäger der Dorfschaft für das Dachfahren gab.

Er hatte im Frühling des vergangenen Jahres Blitzschaden erlitten, hatte ein neues Haus gebaut, es, wie üblich, mit dem in den Eidersümpfen von Pahlhude und Delve wachsenden Dachreth gedeckt und die Ware auf dem Wasserwege erhalten. Die Ladestelle war eine kleine Stunde von Büngerhof entfernt, der Schiffer mußte in vierundzwanzig Stunden, wie er sich ausdrückte, ›lerrig‹ (leer) sein; das konnte Hans nicht allein zwingen, da war Not an Mann; da ist nach altem löblichen Brauch das Dorf hinzugetreten und hat Dachreth gefahren. Dabei fällt keinem ein, zu fragen, ob es in seiner Schuldigkeit liege. Solche Kleinigkeit! Es ist eine Art Fest, man trifft sich, es gibt viel Schnack und viel Spaß und viel Geschichten, und später, wenn das Haus mal fertig ist, dann folgt das kleine Gelage, das ›Jort‹ mit Branntwein und Bier und Tanz auf dem Hof.

Hans Jäger war im vorigen Jahre spät mit dem Bau fertig geworden, da hatte es nicht gepaßt, aber heuer, wo die Ernte beseitigt ist, wenigstens zum größten Teil beseitigt ist, heuer bei dem Wetter, wie es auf Feld und Au liegt, da gibt er gern das übliche Jort, und der alte Hannes Haß macht sich fein und ›bittet um‹.

Was ist Großes dabei, wenn Hannes umbittet? Und doch liegt eine Art Erhabenheit auf dem Augenblick. Es ist in Haus und Scheune schon lange davon gesprochen worden: wieder steht ein Tag der Losgebundenheit in Aussicht. Es ist keine Kleinigkeit, sich das von Hannes Haß bestätigen zu lassen. Vor den Küchentüren und Dielentüren recken Mägde und Knechte die Hälse, junge Leute stehen da, in denen ein Halleluja nachklingt, wenn Hannes Haß sein Sprüchlein aufsagt.

 

Und es kam, wie zugesagt worden war, nur der Geigenstrich fehlte, denn Schneider Rehm hatte das kalte Fieber bekommen. Müßig hing die Viggeline in der Schneiderstube, dafür zog der Rademacher Hinrich Brandt die Register seiner Harmonika.

Martin und Elsbe waren beide da, aber es stand eine Wolke zwischen ihnen. Elsbe war wieder in Eifersucht. Einige Tage vor dem Fest hatte Martin zu Dora Pahl geschickt, weil ein Lademädchen fehlte, und war dann mit ihr zusammen auf einem Sitzbrett hinunter nach den Wiesen zum Grummet gefahren. Und unglücklicherweise war Elsbe Wulffen ihnen in den Weg gelaufen. Und wenn Elsbe Wulffen den Wagen auch scheinbar gar nicht gesehen hatte, so wußte Martin doch gleich, was die Glocke geschlagen hatte, daß Elsbe auf Hans Jägers Jort den dummen Schneiderjungen gegen ihn ausspielen werde.

Martin saß oben auf der Diele und paffte Zigarren und sah dem Tanzen zu. Dora Pahl kam und wollte ihn zu einem Hopsa verleiten, eine innere Stimme riet Martin: ›Tu es, ärgere Elsbe, wie sie dich ärgert‹. Er überwand es aber und lehnte ab. Dabei deuchte ihm die hübsche glatte Dora, wenn er sie ansah, eine Schlange im Paradies, und die Paradiesschlange lachte und erwiderte: »So, min Jung, du wullt ni, denn bliev man sitten.«

Das tat Martin denn auch, und es war ihm immer, als höre er Elsbe und Friech Gripp aus allen Ecken lachen. ›Laß sie man‹, redete er sich ein, ›die ist mir gleichgültig wie'n Povis‹ (Staubschwamm). ›Mit der, das ist rein aus.‹ So dachte er, fühlte aber dabei, daß all sein Denken und Sinnen nichts sei als Aufklagen einer leiderfüllten Seele.

Eine sonore Stimme störte sein Brüten. Ein stattlich aussehender, in den besten Jahren stehender Bauer mit krausem, braunem Haar und braunen Augen, eine Meerschaumpfeife mit Silberbeschlag rauchend, bat um die Erlaubnis, sich neben ihn setzen zu dürfen. Das war der Besitzer von Dückerswisch, der Trostklotz der Witwen und Waisen.

Er begann sofort ein Gespräch. Weshalb Martin nicht tanze, er selbst sei in jungen Jahren immer der erste auf der Diele gewesen. Als Elsbe und Friech vorüberwalzten, kam er auf die Wulffen-Familie, auf ihre mißlichen Vermögensverhältnisse, flüsterte Martin ein Geheimnis ins Ohr das dieser nicht verstand, und äußerte, Elsbe sei gewiß eine hübsche und auch eine nette Deern, aber wenn die, die hinter ihr herliefen, glaubten, da sei was los, dann habe da eine Eule gesessen.

»Die Leute sagen viel«, antwortete Martin, »die Leute sagen auch, du wolltest Elsbe haben.«

Als Martin das gesagt hatte, sah ihn der Dückerswischer aus seinen blanken, braunen Augen voll ins Gesicht: »Sieh, sagen das die Leute! Nu, wenn es ihre Meinung ist, dann wird am Ende was dran sein. Und für Elsbe wäre es vielleicht auch am besten, wenn sie den Dückerswischer nähme.«

Der Dückerswischer war aufgestanden und hatte Martin allein gelassen. Der Hauswirt Hans Jäger kam, die Lichter im Kranzholz anzuzünden und nach Bier und Branntwein zu sehen. Als die Helle aufflackerte, entstand Lärm und Gelächter in der Gegend, wo Martin saß; darum kümmerte sich aber Hans Jäger nicht. Er ging in die Abseite der leeren Kuhständer, die Fässer abzuklopfen, so wie ein Doktor eine kranke Brust abhorcht.

Da kam Hannes Haß hinzu und rief: »Hans, das hättest sehen sollen!«

»Was denn?«

»Wie war Martin Uhrhammer fühnsch.«

»Warum denn?«

»Dora Pahlen hat ihn, wie alle Leute dabeistanden, unversehens überfallen und abgeküßt.«

Hannes Haß lachte, und Hans Jäger lachte auch. »Ja, Dorten ist 'ne wilde Hummel. Und Martin? Was hat der denn angestellt?«

»Er war verdrießlich. Elsbe Wulffen hatte es mit angesehen. Er sagte, er wolle nach Hause gehen.«

Im ersten Ärger war es wirklich Martin Uhrhammers Absicht gewesen wegzugehen. Aber wie er in den Garten gekommen war, weigerten sich seine Füße, ihn von der Stelle wegzutragen, wo Elsbe Wulffen tanzte. Er hielt sich für dumm und töricht, daß er dem Schneiderjungen das Feld geräumt habe. Und wieder klagte sein Herz vor Sehnsucht auf, und wieder dachte er an den Tag, wo er mit seiner Geliebten durch den Hechtsee gefahren war. Hatte er nicht mitten im Wasser den Pferden die Zügel gelockert, hatte er nicht mitten im See seine Küsse bekommen? War es vor der Grasinsel gewesen oder nachher? Es war ja ganz gleichgültig, und Martin wußte, daß es ganz gleichgültig war. Und doch schien ihm beim Grübeln immer wichtig, ob es vor dem Gras, nach dem Gras oder in dem Gras gewesen sei. Zuletzt bildete er sich ein: es war in dem Gras. Er mußte auch denken, daß in demselben Augenblick der große Vogel ... Rrrrrrt!... aus dem Wasser gebrochen sei. Die mächtigen Flügel hatten ein paar Wassertropfen auf das Vorderleder des Wagens geworfen. Er wollte, daß es gleichzeitig gewesen sei, und erinnerte sich bestimmt, daß das nicht der Fall gewesen war, denn es war ein bißchen vorher oder ein bißchen nachher geschehen.

Hans Jäger hatte einen weiten, mit düsteren Baumreihen besetzten Garten. Martin Uhrhammer maß noch immer ihre Länge, spazierte noch immer auf und ab, bat die halbe Mondsichel, die am Himmel stand, um ihr Mitgefühl und dachte an Elsbe Wulffen, und ehe er sich dessen versah, fand er sich wieder in der Wohnstube von Büngerhof.

Man war beim Kaffeetrinken und Geschichtenerzählen; Geister und Gespenster führten das Wort.

In der Sandkuhle spinnt zwischen zwölf und ein Uhr eine weiße Frau, im Bach am Breinerweg wimmert es, auf Fritz Klaußens großem Teich brennt nachts ein Licht. Des Webers Frau kann vorhersehen, es kommt Krieg, Soldaten in roten Röcken kommen den Landweg von Embüren her, zu einer Zeit, wo auf Hans Vollerts Holzkoppel Misthaufen in Buchweizenstoppeln stehen.

Auf Steinberg hat vor vielen Jahren ein Bauer an einen Handelsmann eine Kuh verkauft. »Der Steert liegt hoch«, hat der Handelsmann gesagt, »ist das auch ein Brüller?« – »Nein!« hat der Bauer geantwortet, »daß der Steert so hoch liegt, ist angeborener Stolz der Kuh, das ist kein Brüller, und wenn die Kuh ein Brüller ist, will ich nicht selig werden und will brüllen, wo ich hier steh.« – Und da hat er, nachdem er gestorben, im Kuhhaus gebrüllt, bis der alte Bau abgerissen worden ist.

Georg Harms Vater ist nachts gerufen worden, kein Rufer ist dagewesen. Acht Tage darauf ist der Großvater gestorben, da hat der Knecht wirklich ans Fenster geklopft und ihn geweckt.

Ähnliche Vorgänge erzählte man viele, der eine von seinem Nachbarn, der andere von seinem Ohm. Da nahm auch Martin das Wort, sprach von einer Erscheinung oder Traum, den er selbst als kleines Kind gleich nach dem Tode seiner Mutter gehabt habe:

Stine-Mersch nahm sich seiner an. Er schlief bei ihr im Wandbett, und wenn sie früh aufstand, in Küche und Keller zu schaffen, blieb er allein im warmen Lager. Einmal wird er wach, es ist ganz hell um ihn. Er sieht, er erkennt alles; die Wände des Bettraumes, das Bretterbort an der Wand, den Stopfkorb, her darauf steht, die Wollknäuel, die darin sind. Die Bettdecke hat ein rotes Würfelmuster, von der Decke hängt ein hanfener Bettquast herab. Alles sieht er. Und zur Schiebtür hinein lehnt sich etwas über ihn. Er will schreien... kann nicht. .. er will sich bewegen, kann auch das nicht... Und was sich über ihn lehnt, erkennt er als eine weiße Frau, und die weiße Frau sieht ihn mit großen Augen an ... Aber auf einmal ist alles weg, es ist wieder dunkel um ihm her.

Martin war zu Ende, die Zuhörer blieben stumm. Es waren mehr Leute hinzugekommen, es war ein großer Kreis, und in dem großen Kreis tiefe Stille. Nur ein Mädchenseufzer quoll auf, Elsbe Wulffen stand hinter Martins Stuhl.

»Du bist ja ein ganz böser Junge«, sagte zuletzt einer, »da wagt man ja gar nicht mehr allein zu Bett zu gehen.«

Die Gespensterstimmung tat der Tanzlust Abbruch, der Harmonikaspieler erschien in der Tür und meldete, die Diele sei leer, ob er vielleicht nach Hause gehen dürfe. Um Gotteswillen nicht! Man besann sich auf den Zweck der Jort in Büngershof. Jeder nahm sein Mädchen, und was eben noch vor Grausen erstarrte, gurrte wie junges Hühnervolk nach der Diele.

Martin Uhrhammer blieb im Zimmer, stand hinter dem Kartentisch und sah Krischan Franzen ins Spiel. Da faßte eine warme Mädchenhand seine Rechte und zog ihn in die Ecke. »Bist mir noch böse, Martin?« fragte Elsbe.

Martin ging das Herz über, er wollte was Liebes sagen, konnte aber nicht, gab eine alberne Antwort wie »Das glaub ich nicht« oder dergleichen.

Elsbe wußte nicht, was sie davon halten solle. Sie wolle nach Haus gehen, antwortete sie, und setzte hinzu: »Du bleibst wohl noch?«

»Ja«, antwortete er und sagte wieder ganz was Anderes, als er meinte. Er sprach davon, er hoffe noch ins Spiel zu kommen, möchte gern mal rumspielen.

Das war Anderes, als Elsbe erwartet hatte, und unglücklicherweise setzte Martin hinzu: »Ja, Elsbe, wenn Friech nicht abkommen kann, will ich dich gern nach Hause bringen.«

Das war zuviel. Das könne sie nicht verlangen, entgegnete sie und sah ›fühnsch‹ und schnippisch drein. Für Friech sei es freilich ein Umweg, aber das mache ihm nichts aus.

»Ich spaßte, Elsbe, ich will mit dir«, entgegnete Martin. Nun hatte er den Teufel, der sich bei ihm festgekrallt hatte, überwunden. Aber es war zu spät. »Ich will dich gar nicht mithaben«, antwortete Elsbe, »du sollst Karten spielen.«

»Schön, mein Mädchen, das ist mir denn auch recht.« Er hielt es wieder mit dem Dämon.

Martin verstand sich aufs Kartenspielen. Es wurde ein Mitspieler nach Hause geholt, seine Stute war an Kolik erkrankt. Martin übernahm die Partie und spielte.

Er spielte und war im Gewinnen. Die Stubenuhr schlug elf und zwölf. Und gleich nach zwölf machte Elsbe Wulffen die Stubentür noch einmal auf und rief: »Godn Nacht denn...«

Martin Uhrhammer hörte es gar nicht, denn er warf just drei Trümpfe auf den Tisch... Trumpf und Trumpf und Trumpf. Und deckte die Karten auf. Krischan Franzen lachte aus voller Kehle: »So spelt man in Venedi!«

Sie spielten noch einmal herum, dann brach man ab. Die anderen wohnten an der Landstraße, Martin hatte einen anderen Weg, er mußte, um nach Altenhof zu kommen, über den Reesenkamp gehen.


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