Karl Kraus
Glossen bis 1924
Karl Kraus

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Wien 1923

Die mit Hochspannung erwartete Generalprobe zu »Madame Pompadour« hat gestern abend im Carltheater stattgefunden ...Von den vielen musikalischen Schlagern wurde das Tanzduett zwischen der Massary und Ernst Tautenhayn, ein Fall, der sich bei einer Generalprobe noch niemals zugetragen hat, wiederholt. Wir kennen den Refrain, den sicher bald ganz Wien singen wird, unsern Lesern nicht vorenthalten; er lautet:

Josef, ach Josef, was bist du so keusch?
Das Küssen macht so gut wie kein Geräusch.
Ach Jojojojoiosef,
Du wunderbarer Mann,
Vor allem zieh' den Mantel aus,
Du hast ja viel zu viel noch an!

Beim Verlassen des Theaters sah man nur zufriedene und vergnügte Gesichter.

Auf jedem der einzelnen der Abglanz von Jojojojojosef. Und in allen Nachtcafés gröhlt es bereits, wenn die für »Stimmung« engagierte Mudelsaubere vortritt, die Menschheit, die einen Weltkrieg überstanden hat. Sie kennen es einander nicht vorenthalten; sie sind vergniegt. Das Küssen, ehedem bloß keine Sind mit einem schönen Kind, macht jetzt so gut wie kein Geräusch, während das Fressen, Sprechen und Sonstiges noch Geräusch macht. Und keines der in Menschenhaut eingenähten Nilpferde merkt, daß in der Gehirnjauche, aus der die Dichtung geschöpft ist, offenbar eine unlösbare Verbindung von Pompadour und Potiphar platzgegriffen hat, wodurch allerdings das erotische Moment erheblich verstärkt erscheint.


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