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2. Der Fluch der Schwester

Wir müssen in unserer Erzählung um zwei Jahre zurückgreifen.

Die siegreichen Truppen der englisch-indischen Armee waren in die Heimat eingeschifft worden. Sie hatten nach blutigen Schlachten die aufständigen Indier niedergeworfen, und ganz London, arm und reich, beteiligte sich an dem festlichen Empfang der Sieger.

Alle, die zur Gesellschaft zählen wollten, stritten sich um die Ehre, die heldenmütigen Offiziere bewirten zu können, und einer der ersten, dem dies gelang, war der pensionierte General Battinson.

In den glänzenden Sälen seines Hauses waren die Offiziere, alle in Zivil versammelt; Einladungen waren auch an die angesehensten Familien Londons ergangen; das Licht der Kronleuchter beleuchtete blendend weiße Arme und Schultern und brach sich in den prächtigsten Juwelen.

Daß General Battinson, der kurz vorher noch vor dem Bankrott gestanden,. ein solches Fest geben konnte, darüber wunderte man sich nicht. Seine schöne Tochter Isabel hatte vor einer Woche einen indischen Teehändler namens Sirbhanga geheiratet, und dieser hatte bereitwilligst die Schulden seines Schwiegervaters getilgt.

Derartige Heiraten mit Indiern sind in England häufig, allerdings sind es meist politische oder geschäftliche Heiraten. Es war ein offnes Geheimnis, daß der General keinen Indier zum Schwiegersohn genommen, wenn er nicht Geld gebraucht hätte.

Das junge Ehepaar bildete den Mittelpunkt des Festes. Welch seltsamen Gegensatz stellten beide dar! Isabel war eine hohe, stolze, junonische Schönheit, deren Haar an Schwärze mit ihren glutstrahlenden Augen wetteiferte, Sirbhanga dagegen eine kleine, plumpe Gestalt mit einem Gesicht von abschreckender Häßlichkeit. Außerdem hinkte er auch noch stark.

Man bedauerte Isabel allgemein wegen dieser Geldheirat, mit Ausnahme vielleicht derer, die das stolze, erst so anspruchsvolle Mädchen mit ihrer Werbung zurückgewiesen hatte.

Konnte Isabel nicht mit der Erscheinung ihres Gatten prahlen, so tat sie es desto mehr mit seinem Reichtum; ihre kostbare Toilette war mit Diamanten förmlich übersät; wo sich nur ein Juwelengeschmeide anbringen ließ, an den Fingern und an den Armen, am Hals, im Haar, da brach sich auch das Licht in tausend Farben.

Den zweiten Mittelpunkt bildete ein junger Mann, dessen frischvernarbte Wunden im Gesicht bewiesen, welchen Anteil er an den letzten Kämpfen genommen. Der schlanke, kraftvolle Offizier war von einer ausgelassenen Lustigkeit, die jüngeren Herren und Damen suchten ihn auf, wo sie nur konnten, aber wenn er lachend zu einer andern Gruppe eilte, wurde ihm manch mitleidvoller Blick nachgesandt, und es war unverkennbar, daß die älteren Offiziere ihn mieden.

Dieser Mann war Frank Carter, damals nur einfacher Leutnant, und man wußte allgemein, daß seine Lustigkeit nur Galgenhumor war. Jeden Augenblick konnte ein Kurier eintreffen, der Carter von diesem Platz der Freude verbannte, ihn vielleicht hinter finstere Kerkermauern führte, ihm auf jeden Fall aber seine Entlassung aus der Armee brachte.

Frank Carter hatte sich nämlich des schwersten Vergehens schuldig gemacht, das ein Soldat begehen kann: er hatte den Befehl eines Vorgesetzten mißachtet und nach eignem Ermessen gehandelt, und noch dazu im Kriege, dicht vor dem Feinde! Es war in der Schlacht bei Nursingpur gewesen. Die Rebellen hatten sich auf Hügeln verschanzt, und ihre Kanonen spieen gehacktes Blei in die Reihen der anstürmenden Engländer.

Ging diesen die Schlacht verloren, so mußten sie Indien räumen, denn dann fielen auch noch alle bisher treugebliebenen indischen Stämme von ihnen ab. Und sie mußte verloren gehen! Immer mehr schmolzen die englischen Regimenter zusammen; immer lauter erklang der Siegesjubel der Indier. Mit blutendem Herzen gab der kommandierende General den Befehl zum Rückzuge, oder besser gesagt, zur Flucht – er sah die Ehre Englands verloren.

Wer aber konnte diese Tod und Vernichtung speienden Schanzen auch lebendig erreichen! An einer Waldecke hielt Leutnant Carter an der Spitze von vierhundert roten Dragonern.

Soeben hatte er durch die Feldpost einen Brief erhalten, als ihm eine Ordonnanz des Generals den schriftlichen Befehl überreichte, den Rückzug zu decken.

Mit todbleichem Antlitz steckte Carter den Brief aus England in die Tasche, richtete sich hoch im Sattel auf und – gab das Kommando zum Angriff auf die Schanzen.

Seine Leute hörten die Signale zum Rückzuge, sie wußten, daß ihr Führer eine eigenmächtige Handlung beging, aber nicht um sonst schwor jeder Soldat im Regiment, für Frank Carter, den liebenswürdigsten, lustigsten und besten Offizier, durch Feuer und Wasser zu gehen. Kein einziger blieb zurück; die vierhundert Dragoner stürmten ihrem Führer nach, den Schanzen entgegen.

Nur zehn Mann erreichten die Batterie, darunter auch Carter und der Unteroffizier Jeremy, alle übrigen tränkten das Feld mit ihrem Blute.

Aber diese zehn Mann erklommen die Hügel; im Nu waren sie bei den ersten Kanonen und ließen sie verstummen, ihre Pallasche säbelten die beturbanten Köpfe ab, und plötzlich änderte sich das Schlachtenbild. Die Engländer sammelten sich, sie hörten kein Kommando mehr, mit erneuter Wut stürmten sie vor, und nach einer halben Stunde war die feindliche Stellung in ihrem Besitze, daß Rebellenheer in wilder Flucht.

Im Triumph wurde Frank Carter zum kommandierenden General gebracht. Dieser tat seine Pflicht: er nahm dem Leutnant den Degen ab und verhaftete ihn. Die Waffe des jungen Helden wurde auch nicht mehr gebraucht – die Ruhe in Indien war wiederhergestellt.

Carter machte die Heimreise als Gefangener mit. In London, wurde er vorläufig auf freien Fuß gesetzt, aber vielleicht wurde jetzt eben der Königin vom Kriegsministerium seine Entlassung zur Unterschrift vorgelegt. Die Fürstin war zwar edel, war sie doch erst neunzehn Jahre alt, aber ihr zur Seite standen Ratgeber, die sich von Edelmut oder Bewunderung nicht fortreißen ließen. – Während einer Tanzpause erregte eine sonderbare Szene teils Unwillen, teils Erstaunen.

Jedenfalls gab sie viel zu denken.

Isabel ging am Arme ihres Gemahls durch den Saal und kam an Carter vorüber, der mit einem Herrn plauderte und die Ankommenden nicht sah. Zufällig entfiel Isabels Hand der Elfenbeinfächer. Carter hörte den Fall, drehte sich um, bückte sich und wollte den Fächer schon aufheben, als sein Auge dem Isabels begegnete.

Sofort richtete er sich wieder empor, drehte der Dame kurz den Rücken und ging nach der andern Seite des Saales hinüber, wo er in einem Nebengemache verschwand. Sirbhanga mußte seiner Gemahlin den Fächer aufheben. Als Isabel ihn aus seiner Hand empfing, preßten sich ihre Finger darum so fest zusammen, daß die Elfenbeinstäbe zersplitterten, und der Blick, den sie dem Fortgehenden nachsandte, war wie versengendes Feuer. Sonst blieb ihr Antlitz jedoch unbeweglich.

Alle, die dies beobachtet hatten, staunten, nur bei einer Person wurde ein anderes Gefühl erregt.

In einer Nische stand ein junges Mädchen von siebzehn Jahren. Ihre jungfräuliche Gestalt umschloß ein einfaches, weißes Kleid, so einfach, daß das stille Mädchen gar nicht unter die Geladenen zu gehören schien. Ihren einzigen Schmuck bildeten weiße Rosen, die züchtig den zarten Busen verhüllten.

Bis jetzt hatten ihre lieblichen Züge stets einen Anflug von Schwermut gezeigt; beständig waren ihre schüchternen Augen mit einem Ausdrucke von Traurigkeit auf Carter gerichtet gewesen, in dem Augenblicke aber, als sich der Leutnant so verletzend gegen Isabel benahm, verklärte ein Freudenschimmer ihr Gesicht, und die Augen leuchteten wie im Triumph auf.

Unbemerkt eilte das junge Mädchen an der Seite des Saales entlang in dasselbe Zimmer, das vorhin Carter betreten. Sie wußte im Hause gut Bescheid, war doch das so einfach gekleidete Mädchen keine andere als die zweite Tochter des Gastgebers, Isabels Schwester.

Niemand achtete auf sie, nur Isabels Augen waren ihr mit unheilverkündendem Ausdrucke gefolgt Das Mädchen ging durch das leere Zimmer, dessen Hinterwand Portieren bildeten, die sie zurückschlug.

In dem kleinen Kabinett befand sich Carter. Er saß in einem Lehnstuhle, hatte den Arm auf ein Tischchen gestützt und das Gesicht in der hohlen Hand verborgen.

»Frank Carter!« flüsterte da eine Stimme.

Erschrocken sprang er auf und sah sich einem jungen Mädchen gegenüber, das er zuerst nicht erkannte.

»Wie, Emily – Miß Battinson, ist es möglich?« rief er dann und ging ihr mit ausgestreckter Hand entgegen. Über sein eben noch trauriges Gesicht flog ein heller Freudenschimmer.

Wortlos nahm sie seine Hand, seinem Blicke. ausweichend.

»Ich habe Sie vorhin nicht erkannt,« fuhr er fort. »Als ich Sie vor zwei Jahren verließ, waren Sie – verzeihen Sie – noch ein Kind, und nun –« Er hielt verlegen inne. Das Mädchen kam ihm so seltsam vor. Was sollte dieses Aufsuchen, dieses Benehmen? Sie sah ihn jetzt fest an, und zwar mit einem so eigentümlichen Blicke, daß er befangen abbrach.

»Nein, ich bin kein Kind mehr,« kam sie ihm jetzt zu Hilfe, »und eben deswegen kann ich mit Ihnen etwas Ernstes besprechen, ohne daß Sie mich irgend einer Unschicklichkeit zeihen dürfen. Bitte, wollen Sie sich setzen?«

Mechanisch nahm Carter Platz; er war über diese Ansprache vollständig verblüfft.

»Etwas Ernstes?« sagte er, nur um irgend etwas zu sagen. »An diesem Tage der Freude sollten wir uns lieber über etwas Lustiges unterhalten. Wir sind stets gute Freunde gewesen, Emily, und Sie können kaum glauben, wie sehr ich mich über dieses Wiedersehen freue.«

»Auch ich freue mich darüber, aber versuchen Sie mich doch nicht zu täuschen! Meinen Sie, ich glaube, daß Sie wirklich so lustig sind, wie Sie gern scheinen möchten?«

Mit immer größeren Augen schaute Carter das Mädchen an, das so zu ihm sprach.

»Sie haben vielleicht gehört, was mir bevorsteht« sagte er dann leichthin; »nun ja, ich weiß, daß ich meine Pflicht verletzt habe, und ich weiß auch, daß eine Strafe darauf folgen muß.

Aber dies ist kein Grund, daß mich mein Humor verläßt. Ich bin nicht der Mann, der sich sofort verloren gibt, weil er sich aus einer Karriere, und wäre ihm diese auch noch so lieb gewesen, in eine andre begeben muß.«

Plötzlich trat Emily dicht vor Frank hin und legte ihm beide Hände auf die Schultern.

»Leutnant Carter,« sagte Sie mit bebender Stimme, »wissen Sie, daß mich Ihre Sprache schmerzt? Sie glaubten, in mir noch den lustigen Kobold – wie Sie mich immer nannten – wiederzufinden, und wissen Sie, wer daran schuld ist, daß ich jetzt ein von Schwermut geplagtes Wesen bin?«

»Doch nicht etwa ich?« lächelte Carter befangen.

»Ja, Sie! Sie sind daran Schuld. Die erste Freude habe ich vorhin wieder gehabt, als Sie ein so offenes Zeugnis abgaben, daß Sie meine Schwester verachten. Ach, wenn Sie wüßten, wie mir das wohlgetan hat!«

Erschrocken sprang der Offizier auf; er glaubte seinen Ohren nicht trauen zu dürfen.

»Was – was sagen Sie da?« stammelte er. »Ich Ihre Schwester verachten? Ich weiß nicht –« »Aber ich weiß alles,« unterbrach ihn Emily fast heftig. »O, Frank, wenn Sie sich doch wenigstens mir gegenüber nicht verstellen wollten! Glauben Sie, ich sehe nicht, wie Ihr Herz blutet, wie Sie sich bemühen, lustig zu sein, während Sie sich am liebsten in die Einsamkeit zurückziehen und weinen möchten? O, Frank, tun Sie das nicht, freuen Sie sich, triumphieren Sie, daß Sie nicht in die Schlingen jenes Weibes gefallen sind, das ich meine Schwester nennen muß; denn Sie wären noch tausendmal unglücklicher geworden, als Sie es jetzt schon sind. Seitdem ich weiß, daß Sie Isabel verachten, bin auch ich wieder glücklich.«

Emily hatte mit wachsender Leidenschaft gesprochen. Carter war in den Stuhl zurückgesunken; seine Verstellungskunst konnte solcher Sprache gegenüber nicht standhalten.

»Sie wissen alles,« kam es stöhnend von seinen Lippen.

»Ja, ich weiß alles, und noch, mehr als Sie, und das sollen Sie auch noch erfahren. Hören Sie mir zu: Als Sie vor vier Jahren Abschied, nahmen, weil Sie nach Indien gingen, war ich noch ein Kind und besaß die Unarten eines solchen. Vor allen Dingen lauschte und spionierte ich gern, und so wußte ich auch sehr gut, wie sie zu meiner Schwester standen - Sie liebten sie und wurden wiedergeliebt, ohne daß jemand außer mir eine Ahnung davon hatte. Ich wohnte heimlich Ihrem Abschied bei, ich hörte euern Treueschwur und ich junges Mädchen tat damals ebenfalls einen Schwur; ich schwor, ich wollte über ihre Braut, über meine Schwester, wie über meinen Augapfel, wachen. Warum? Weil ich Sie liebte, wie eine Schwester ihren Bruder, ich verehrte Sie, betete sie an, Sie waren in allen meinen Kinderträumen und Spielen der Held. Mein Morgen- und Abendgebet aber galt nicht Ihnen, denn ich glaubte, Ihnen könnte nichts zustoßen. Sie erschienen mir selbst wie ein Gott, nein, es galt Isabel, daß sie Ihnen erhalten bliebe.«

Emily hielt inne. Carter hatte die Augen mit der Hand bedeckt, die Bewegungen seiner Brust verrieten den inneren Kampf.

»Isabel hat ihren Schwur nicht gehalten!« fuhr das junge Mädchen mit bebender Stimme fort. »Sie kommen in die Heimat zurück und finden Ihre Braut als das Weib eines andern.«

»Emily, beurteilen Sie Ihre Schwester nicht zu hart!« sagte Frank leise. »Sie ging diese Heirat aus Liebe zu ihrem Vater ein, um ihn vor Armut und Schande zu retten.«

»Wie? Sie wagen, Isabel noch zu verteidigen?« entgegnete Emily mit schneidender Stimme, »aus Liebe zum Vater hätte sie Ihnen entsagt? Isabel, hat weder Sie noch den Vater geliebt,« fuhr sie heftiger fort, »und wenn Sie Beweise dafür wollen, so werde ich solche bringen. Aus Liebe zu Pracht und Reichtum hat sie den Indier geheiratet! Ich, ich habe den Vater geliebt, ich wußte, daß er vor seinem Bankrott stand, ich habe nie von ihm Schmuck und Toiletten verlangt, ich habe mir meine Kleider durch nächtliche Arbeit meiner Hände selbst verdient, ich hätte für ihn auch gearbeitet, ich hätte für ihn gebettelt, aber nie würde ich den aufgegeben haben, den ich liebte, um meinem Vater die Mittel zu einem verschwenderischen Leben zu geben. Aber ich habe ja nun gesehen, daß Sie dieses Weib verachten, und das hat mich mit unsagbarer Freude erfüllt.«

»Ich verachte sie nicht, ich meide sie nur,« sagte Carter dumpf.

»Sie lügen! Sie verachten sie, und müssen sie verachten. Was hat sie Ihnen im letzten Brief geschrieben?«

»In welchem Brief?«

»Den Sie in der Schlacht bei Nursingpur empfingen.«

»Isabels Verlobungsanzeige.«

»Frank, warum wollen Sie mich immer täuschen?« fragte Emily bitter. »Sie teilte Ihnen allerdings mit, daß sie den Indier heirate, um den Vater zu retten, zugleich gab sie Ihnen aber deutlich zu erkennen, daß sie ihr als Liebhaber stets willkommen wären.«

»Emily!«

Der Leutnant war wieder aufgesprungen und starrte die Sprecherin entsetzt an.

»Sie sehen, ich weiß alles,« fuhr Emily mit erkünstelter Ruhe fort. »Nachdem Sie jenen Brief gelesen, wußten Sie nicht mehr, was Sie taten. Statt dem Befehle zu gehorchen, griffen Sie die Schanzen an, und so ist Isabel schuld daran, daß Sie unglücklich geworden sind und auch noch aus Ihrer Karriere gestoßen werden. Aber zu einem Triumph will ich Ihnen doch noch verhelfen, vielleicht ist es Ihnen ein Trost: Isabel hat einen Indier geheiratet.«

»Das ist nichts Neues und in England nichts Anstößiges.«

»Gewiß nicht, aber ehe die Engländerin einen Indier heiratet, verlangt Sie, daß dieser seinen Harem auflöst.«

»Und Isabel?« fragte Carter erschrocken.

»Sirbhanga nahm Isabel nur unter der Bedingung zum Weibe, daß er seinen Harem nicht aufzulösen brauche, und der Vater sowohl, als Isabel gingen darauf ein. Meine Schwester kommt also in einen indischen Harem, vorläufig als Lieblingsfrau, bis sie einst von einer andern verdrängt wird.«

Carter war über diese Mitteilung so entsetzt und Emily so aufgeregt, daß beide den halberstickten Wutschrei überhörten, der draußen vor der Portiere erscholl.

Der Offizier kam erst wieder zur Besinnung, als hinter ihm ein Schluchzen ertönte; Emily lag auf dem Diwan, das Gesicht in den Händen vergraben, und weinte. Carter trat zu ihr und strich ihr sanft über das Haar.

»Nehmen Sie es sich nicht so zu Herzen,« tröstete er, obgleich er selbst Tränen in den Augen hatte, »Suchen Sie Isabel zu vergessen, wie ich sie schon aus meinem Herzen gerissen habe! Unter solchen Verhältnissen wird sie nicht lange mehr in England bleiben.«

»O, diese Schande, diese Schande!« schluchzte Emily. »Der Vater verkauft sein Kind in den Harem eines reichen Indiers! Er wird auch mich noch verkaufen.«

»Er kann nichts ohne Ihre Einwilligung tun.«

»Und sie hat auch Sie unglücklich gemacht,« fuhr das Mädchen weinend fort. »Ich habe Sie beobachtet, Ihre Fröhlichkeit ist eine erzwungene. Sie lieben Ihren Beruf, und nun müssen Sie ihn aufgeben, nein, Sie werden ausgestoßen, und daran ist nur meine schamlose Schwester schuld.«

»Ja, ich stehe vor meiner Entlassung, ich darf mich nicht darüber täuschen, und doch habe ich noch einige Hoffnung,« entgegnete Carter, setzte sich neben Emily und ergriff ihre Hand.

»Ich habe Freunde, die für mich sprechen; die Königin selbst hat sich für mich interessiert, sie ist edel und großmütig, und vor allen Dingen, Emily, ich habe Freunde, die mich auch nicht im Unglück verlassen.«

»Nein, nein, wenn das Urteil gesprochen ist, wird sich alles von Ihnen wenden.«

»Auch Sie würden, mich verlassen, Emily?«

*

Die beiden ahnten nicht, daß draußen an der Portiere ein mit Juwelen bedecktes Weib stand und sie belauschte. In Ihrem Gesicht war eine dämonische Wut zu lesen. Den Kopf vorgebeugt, die Hand. auf den wogenden Busen gepreßt, lauschte sie, und ihre glühenden Augen schienen die dichten Vorhänge durchbohren zu wollen.

Jetzt sank das Sprechen zu einem Flüstern herab, man hörte Schluchzen und eine eindringliche Stimme, etwas später ließ das Weinen nach, ab und zu erklang ein leises Lachen, die Worte wurden wieder lauter – es waren Koseworte.

Das lauschende Weib zitterte; seine Zähne gruben sich so fest in die Unterlippe, daß Blutstropfen hervorsickerten.

»Ich muß jetzt gehen,« hörte es Carters Stimme, »man könnte uns finden, und das ist noch nicht nötig. Sei ruhig, mein Lieb! Ich danke dir, mehr kann ich nicht sagen. Du flößtest mir wieder Lebensmut ein; mag es kommen, wie es will, wir wollen zusammenhalten, in Armut und Reichtum, in Leid und Freud! Auf Wiedersehen, Emily!«

Schnell trat die Lauscherin in den Schatten eines Schrankes zurück, denn Carter verließ das Kabinett. An seiner Brust trug er eine weiße Rose. Er bemerkte das Weib nicht. Mit fröhlichem Gesicht eilte er in den Saal, aus dem Musik ertönte. Jetzt war seine Fröhlichkeit keine erkünstelte mehr.

Isabel warf ihm einen furchtbaren Blick nach, dann betrat sie das Kabinett. Emily saß mit einem glücklichen Lächeln auf dem Sofa, beim Anblick der Eintretenden aber sprang sie erschrocken auf und flüchtete sich hinter einen Tisch, so schreckenerregend war das Aussehen Isabels. Sie hatte den Kopf weit vorgebeugt und die funkelnden Augen starr auf die Schwester geheftet sie glich dem Basilisken, dessen Blick vergiftet. Langsam, Zoll für Zoll näherte sie sich Emily, bis sie ihr am Tisch gegenüberstand.

»Schlange! Verräterin! Hündin!« kam es zischend über die Lippen des Weibes.

Emily war erst sehr erschrocken gewesen, doch jetzt richtete sie sich plötzlich hoch auf, und ihre sonst so schüchtern blickenden Augen nahmen einen drohenden Ausdruck an.

»Ich fürchte dich nicht, Isabel, – verlaß mich!« sagte sie ruhig.

»Also auf diese Weise lockst du den Mann in das Garn,« fuhr Isabel fort, »dadurch, daß du mich schlecht machst!«

»Ich erzählte ihm nur die Wahrheit.«

»Und weißt du auch, warum ich dies alles tat? Warum ich Carter aufgab? Meinem Vater zuliebe, um ihn nicht am Bettelstab zu sehen. Darum opferte ich meine Liebe zu Carter.«

»Sprich nicht von Liebe!« fuhr Emily sie heftig an. »Du kanntest nie wahre Liebe. Ich durchschaue jetzt deinen abscheulichen Charakter. Geh fort ich verachte dich!«

»Hahaha« lachte Isabel höhnisch. Wie Sie sich so mutig fühlt, weil sie Carter sich zur Seite weiß! Wie lange gedenkt er denn sein Spiel mit dir zu treiben?«

Verächtlich wandte Emily sich ab.

»O, ich habe vorhin eure Zukunftspläne gehört,« fuhr Isabel fort, »aber ich bedaure, einen Dämpfer aufsetzen zu müssen. Eben erhielt ich die sichere Nachricht, daß Carter bereits mit der Pension eines Kapitäns entlassen ist. Hahaha, ich gratuliere dir zu diesem Bettlerbräutigam!«

»Besser das Weib eines Bettlers als Sklavin in einem Harem!«

»Emily!« rief Isabel drohend.

»Es ist so. Du bist nichts weiter als ein Haremsweib!«

»Du sollst deine Worte noch bereuen!«

»Niemals! fort von hier, treulose Verräterin an deinem Bräutigam!«

»Aus Liebe zu meinem Vater wurde ich's.«

»Nein, aus Liebe zum Reichtum! Du konntest keinen Mann gebrauchen, der dich knapp ernähren kann, aber du warst schamlos genug, Carter zu schreiben, daß er dir als Liebhaber stets willkommen sei. Ja, geh in deinen Harem, du paßt hinein, denn du bist nichts Besseres wert.«

Ein Zischen kam über Isabels Lippen; es schien, als wollte sie sich auf die Schwester stürzen, die ihr furchtlos gegenüberstand, doch sie beherrschte sich.

»So ist es zwischen uns aus!« keuchte sie endlich. »Nun nimm zu deiner Verlobung mit Carter noch meinen Glückwunsch entgegen.«

»Ich brauche ihn nicht. Geh, ich verachte dich!«

»Du verschmähst meinen Glückwunsch?« sagte Isabel leise. »Wohlan, so sollt du etwas anderes bekommen!«

Ihre bisher noch verhaltene Wut brach plötzlich mit maßloser Heftigkeit hervor; wie eine Furie stand sie vor der Schwester und schleuderte ihr die Worte entgegen: »Du verachtest mich, ich aber hasse dich, und du sollst meinen Haß zu fühlen bekommen! Ich will mich rächen, so furchtbar, wie sich nur je ein Weib gerächt hat. Verflucht sollt ihr sein, du, dein Mann, deine Kinder! Mein Haß soll euch verfolgen, bis ihr alle vernichtet seid.

Ich will dich in Armut verkommen sehen, allein, ohne Eltern, ohne Mann, ohne Kinder, und dann sollst du hilfesuchend zu mir kommen, sollst mich im Überfluß schwelgen sehen, ich aber will dich mit Hunden von meiner Tür hetzen und dir nicht den Abfall meines Tisches gönnen. Du spottest über mich, daß ich einen Indier geheiratet habe; gut, so wünsche ich dir, daß deine Kinder Bastarde werden, dir zum Spott und zur Schande. Mein Wunsch soll in Erfüllung gehen, mein Fluch ist mir schon vorausgeeilt: ja, Carters Entlassung ist mein Werk; mein Brief brachte über euer Haus das erste Unglück, es soll euch nicht verlassen, und ich will mich daran erfreuen. Das ist mein Glückwunsch zu deiner Verlobung!«

Emily wollte auf diese keuchend hervorgestoßenen Worte antworten, doch Isabel wandte sich schnell um und rauschte hinaus.

In diesem Augenblick verstummte die Tanzmusik im Saal, die tanzenden Paare blieben stehen und blickten nach der Tür, von wo ein sporenklirrender Schritt kam. Lautlose Stille herrschte, nur einmal ging es noch flüsternd von Mund zu Mund: »Wahrhaftig, das ist Lord Canning, der Günstling der Königin, ihre private Ordonnanz! Was will er hier?«

In Begleitung des Hausherrn trat ein junger, stattlicher Mann in der glänzenden Uniform der königlichen Leibgarde-Offiziere in den Saal. Der goldene Helm mit fliegendem Drachen beschattete ein ernstes, männlich schönes Antlitz, die Brust umschloß ein stählerner Panzer, und um diesen schlang sich eine weißseidene Schärpe, auf welcher in Gold die Worte standen: »On Here Majesty's Service – im Dienste Ihrer Majestät.«

Lord Canning war zwar nur ein Gardeleutnant und Ordonnanz der Königin, aber ein Mann, vor dem sich aus gewissen Gründen, wie wir später sehen werden, damals die mächtigsten Männer Englands demütig beugten.

Sporenklirrend schritt die schöne Erscheinung durch den Saal, ihr zur Seite der Hausherr, der jetzt nach einer Säule deutete und sagte: »Leutnant Carter!«

Dort lehnte der schuldbewußte Offizier, er sah die Entscheidung kommen, doch er zitterte nicht.

»Herr Leutnant, Ihre Entlassung flüsterte neben ihm eine Stimme. Zur Seite sehend, blickte er in das schadenfrohe Gesicht Isabels.

Der Königsbote trat vor ihn hin, grüßte, streckte ihm die Hand mit einem versiegelten Schreiben entgegen und sagte so laut, daß man es in der entferntesten Ecke des Saales hören konnte: »Sir Frank Carter, Baronet von Nottingham!«

Noch hielt der Überraschte sein Ernennungsschreiben zum Ritter in zitternden Händen, noch stand alles in sprachlosem Erstaunen da, als ein heller Jubelruf ertönte; eine weiße Gestalt flog an Isabel vorbei und stürzte sich in die Arme Carters – es war Emily.

»Ein doppeltes Glück?« lächelte Lord Canning. »Sir Carter nehmen Sie meinen Glückwunsch als ersten entgegen.«

Dann hob er den Helm vom Kopfe und rief: »Hoch lebe Ihre Majestät, die gnädige Königin! Hoch lebe Sir Carter, der Held von Nursingpur!«

Der Mann, der dieses Hoch ausbrachte, war der Jugendgespiele der Königin, er galt als ihr Heimlichgeliebter. Schmetternd fiel das Orchester, jubelnd die Gäste ein in den Ruf, mit Ausnahme zweier.

»Ihren Arm!« flüsterte neben Sirbhanga eine heisere Stimme.

Der Indier blickte in das entstellte Gesicht seiner sonst so schönen Gemahlin. Beide verließen den Saal.

Diesmal hatte Isabel zu früh triumphiert.

Nach kurzer Zeit verschwand der indische Teehändler mit seiner Gemahlin aus England, man hörte auch nichts mehr von ihnen. Dann tauchte plötzlich das Gerücht auf, Sirbhanga sei ein indischer Spion gewesen, man hätte nach ihm gefahndet. Doch Indien ist groß, Sirbhanga und Isabel blieben verschollen. In indischen Städten kannte man weder ihn noch eine Firma mit seinem Namen.

Bald darauf heirateten Carter und Emily. Die junge Königin sorgte dafür, daß der Mann, dem sie mit eigner Hand den Ritterschlag erteilt hatte, seiner Würde entsprechend leben konnte; sie war sehr freigebig gewesen.

Die jungen Eheleute verbrachten den Sommer auf den Besitzungen zu Nottingham, im Winter in London. Ihr Glück wurde noch vergrößert, als Emily ihrem Gatten ein Töchterchen schenkte, das Eugenie getauft wurde.

Isabels wurde nicht mehr gedacht, ihr Name nicht mehr genannt.

Lange Zeit störte nichts des friedlichen Hauses Glück, bis es von einem sichtbaren Schicksalsschlage, durch den Raub des Kindes, betroffen wurde.

Der Fluch der Schwester machte sich zum ersten Male fühlbar.


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