Ernst Kossak
Schweizerfahrten
Ernst Kossak

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18.
Nach Zürich.

Es mag wahr sein, daß sich nichts schwerer ertrage als eine Reihe von schönen Tagen, nur muß der Abwechselung gewährende häßliche Tag sich nicht auf einer Reisetour einstellen, welche uns zwingt, fünf mal in 10 Stunden die Fahrgelegenheit zu benutzen.

Als ich in Luzern das Dampfboot bestiegen, sämmtliche Trinkgeldansprüche befriedigt und mein Gepäck an einer trockenen Stelle untergebracht hatte, ahnte ich noch nicht, unter welchen Eindrücken ich aus der Schweiz gebracht werden sollte. Um den Pilatus, den Hygrometer der Gegend, streiften einzelne verdächtige Vagabunden von grauen heruntergekommenen Wolken; das Bergpanorama, mit Einschluß des Rigi, hatte sich in einen grauen Regenrock gehüllt, und der Vierwaldstättersee plätscherte lustig in schäumenden Wellen, als wollte er das bevorstehende Regenwetter begrüßen. Am Bord wurden alle Vorkehrungen gegen Wind und Wetter getroffen. 122 Die Mannschaft bedeckte die Berge von Koffern und Kisten mit einer großen Wachsdecke, knöpfte ihre Jacken zu und rollte das Leinwanddach zusammen; der Schornstein dampfte trotzig in die trübe Regenluft hinaus; der Tag fing wirklich vielversprechend an. Nach und nach fand sich die heutige Pilgerschaft, natürlich höchst misvergnügt, auf dem Verdeck ein. Alle Physiognomien waren möglichst zusammengerollt, wasserdicht verpackt und zugeknöpft, nur die Regenschirme flatterten vorläufig im Westwinde um ihre Stäbe. Gutta-Percharöcke, Ueberschuhe und lackirte Regenmäntel waren augenblicklich die beliebteste Mode. Ganz zuletzt stiegen meine alten Freunde, Oskar und Malwine, an Bord. Er trug, in graues Löschpapier eingewickelt, einen großen Reliefplan der Schweiz, ein als Spazierstock verkleidetes Fernrohr, ein Körbchen mit etwas angefaulten Aprikosen, eine Flasche mit Kirschwasser, einen ausgestopften Falken, und sah aus, als wollte er den Rest seiner Tage in einer hochgelegenen Einsiedelei beschließen. Die junge Frau dagegen fiel mir durch ihre kühne Sicherheit und ein Ansehen von männlicher Bestimmtheit auf; Oskar schien in einer Entscheidungsschlacht bei Interlaken total geschlagen und in den diplomatischen Friedensunterhandlungen, in Betreff der schönen Engländerin, einen für seine künftige Macht- und Weltstellung sehr nachtheiligen Vergleich eingegangen zu sein.

Malwine hüllte sich in einen grauen Plaid, setzte sich auf einen Feldstuhl neben mich und ergriff alsbald die Offensive: »Oskar, ich bitte dich, wenn du den theuern Reliefplan so ungeschickt hältst, fällt er doch noch zu Boden und Onkel Moritz hat uns ganz vergeblich den Auftrag gegeben.«

»Aber, liebes Kind, wie soll ich ihn denn halten, ich kann ihn doch nur unter den Arm nehmen wie das Fernrohr. Du siehst doch, daß ich den Falken für August und das 123 Kirschwasser für Papa auch nicht fallenlassen darf. Die verwünschten Aprikosen rauben mir alle Freiheit der Bewegung. Sie würden mich verpflichten, lieber Freund, wenn Sie wenigstens das Körbchen und das Fernrohr tragen wollten, ich kann dann besser auf den Falken Acht geben!«

Mit diesen Worten überreichte mir der geplagte Ehemann die beiden kostbaren Stücke und befestigte in mir die Ueberzeugung, daß ich nach dem unerforschlichen Rathschlusse des Himmels die Schweiz unter denselben Gepäckqualen, wie ich sie betreten, auch verlassen solle. Diese Einsicht gab mir vollständig meine Ruhe wieder; ich beugte mich gelassen unter das unabwendbare Schicksal und fühlte die natürliche Heiterkeit meines Wesens wiedererwachen. Wie tief war dieser Assessor binnen wenigen Wochen durch weibliche Alleinherrschaft und seine thörichten Versuche, sich ihr heimlich zu entziehen, statt ihr einen offenen ritterlichen Kampf anzubieten, herabgewürdigt worden! Ich hatte ihn noch in Berlin unter den Linden siegesfroh mit junger Garde von Kaiser Franz oder Alexander Arm in Arm spazieren und die schönen Damen durch ein schwarzes Nasenkneifglas beäugeln gesehen; zwischen jenem Apoll von Belvedere und dem geknechteten Wächter des Falken und Kirschwassers lag eine zertrümmerte Welt von Träumen, über denen das bleiche Bild der Miß Nelly schwebte.

Das Läuten der Glocke unterbrach diese traurigen Gedanken, ein dreister Eindringling von Spitz wurde noch rasch aber freundlich ans Land gepeitscht und der Dampfer machte sich auf den Weg nach Küßnacht. Jetzt nahm das Regenwetter auch nicht die geringste Rücksicht mehr, die Wolken senkten sich dicht herab, und nachdem die Damen eilig und mit Zetergeschrei in die enge Kajüte geflüchtet waren, saßen wir unglücklichen Mannspersonen unter unsern Regenschirmen auf dem Verdeck des ersten Platzes wie zwei bis drei Dutzend 124 holländischer Heringe, die zur Mahlzeit gewässert werden. Die von den Regenschirmen herabströmenden Fluten bildeten außerdem zwischen uns auf Tischen, Stühlen und Reisetaschen Seen, Teiche und kleine Pfützen, oder erzeugten Cascaden, welche einen poetischen Abfluß in Röcke, zwischen Halstuch und Kragen suchten; zum Ueberfluß stieg sogar der Rauch aus dem Schornstein gastlich zu uns hernieder und überzog unsere Leibwäsche mit einer gräulichen Masse von Ofenatomen. Jede Unterhaltung blieb uns in der Kehle stecken, ich goß zuweilen das angesammelte Wasser aus dem Aprikosenkörbchen und schützte mit dem Regenschirm mehr das Fernrohr als meinen eigenen Leib. Endlich langten wir in Küßnacht an und bestiegen die bestimmten Plätze in dem aufgestellten Postwagen. Das grundgütige Schicksal hatte mich auch hier wieder mit meinem berliner Ehepaare zusammengeführt. Ich sah mich sogar aus Ritterlichkeit genöthigt, meinen tröstlichen Eckplatz an Frau Malwine abzutreten und mit einem schnöden Mittelsitz vor einem Fenster vorliebzunehmen. So rollten wir denn in angenehmem Trabe der berühmten Gegend entgegen, welche unsern Heldenspielern so viele Redensarten zu kosten pflegt; natürlich hatte der Regen aufgehört, sobald wir im Wagen saßen.

Unsere Schöne zog jetzt aus ihrer Reisetasche einen Bädeker und einen Schiller und bereitete sich, indem sie abwechselnd eine Stelle aus dem Monolog und einige Zeilen in dem Reisehandbuch las, ästhetisch und topographisch auf den Moment vor, in dem wir die Hohle Gasse passiren würden. Gewöhnt an dergleichen Ausbrüche von berliner Poesie, gab ich nicht weiter Acht auf Malwine, sondern richtete mein Augenmerk auf einen neben der Kutschenthür sitzenden ältlichen kurzleibigen Herrn, der sein dem Anschein nach tückisches rothes Gesicht zwischen zwei mit vielen himmelblauen Rosenknospen bedruckte 125 Vatermörder zu verbergen suchte. Der Herr schien von einer namenlosen Unruhe gepeinigt zu werden; er rückte auf seinem Sitze hin und her, sah zur Thür hinaus, schüttelte unwillig den Kopf, warf wüthende Blicke auf Malwine und die Bücher in ihren Händen, bückte sich angstvoll und brummte Allerlei vor sich hin. Schon wollte ich in der festen Ueberzeugung, daß wir einen heimlichen Anhänger der Börne'schen Recension über Schiller's »Tell«, laut welcher die That des Mannes nichts als ein schnöder Meuchelmord war, vor uns hätten, Malwine einen Wink geben, sie möge das zarte Gewissen des kurzleibigen Herrn nicht zu stark auf die Probe stellen, als dieser plötzlich die Wagenthür aufriß, mit starker Stimme die Worte des Tell:

Hier vollend' ich's. Die Gelegenheit ist günstig.
Dort der Hollunderstrauch verbirgt mich ihm –

ausstieß und alsbald wirklich im Gebüsch verschwand. Wir erschraken nicht wenig und riefen nach dem Conducteur; allein da ein schweizer Conducteur nie Ohren für seine Pflegebefohlenen hat, und die Wagen sämmtlich langsam bergan fuhren, wir den Herrn auch bald wiedererscheinen und uns mit rüstigen Schritten folgen sahen, legten sich unsere Besorgnisse. Kaum hatte sich der kurzleibige Herr wieder auf seinem Platze eingebürgert und die Thür geschlossen, als er auch in seinem ganzen Wesen wie verändert erschien. So muckisch und maulfaul er vorher gewesen war, von einer so angenehmen Seite zeigte er sich jetzt als Meister einer geistreichen Unterhaltung. Als ob ihm auf seinem kurzen Ausfluge neue herrliche Ideen gekommen wären, ging er auf die Tellsage ein, zeigte sich als solch ein gelehrter und munterer Mann, brachte so viele kleine anekdotisch unterhaltende Züge bei, daß Malwine Schiller und Bädeker einsteckte und trotz einiger Verlegenheit ganz Ohr 126 war. Der Kurzleibige hielt augenscheinlich nicht viel von der ganzen Sage, und das Endresultat seiner Untersuchungen war, daß ohne die herrliche Dichtung Schiller's alle jene Wallfahrtsorte, wie Rütli, Altorf, Tell's Platte und die Hohle Gasse, wahrscheinlich sehr wenig beachtete Localitäten geblieben sein würden. Unterdessen hatten wir die berühmte Stelle wirklich passirt und der eben wiederbeginnende Regen erinnerte uns daran, daß wir sehr bald die Wagen verlassen und uns dem Dampfboot über den Zugersee anvertrauen müßten.

Man wird es mir hoffentlich erlassen, diese klägliche Ueberfahrt specieller zu schildern. Oskar wurde so arg von dem Regen mitgenommen und gab infolge dessen so schlecht Acht auf seinen Pensionär, den Falken, daß dieser ein rheumatisches Fieber bekam, das sein früheres gutes Aussehen sehr beeinträchtigte. In unendlich trübseliger Stimmung gelangten wir nach Zug, wo das Boot uns unter fortwährendem Regen auf einem freien Platze eilig an das Land setzte und unser Gepäck dem grimmigen Unwetter überließ. Da es in der Schweiz zuweilen ganz passend sein kann, wenn man sein Gepäck controlirt, blieb ich mit einer Menge Herren bei den Packstücken und wunderte mich, daß nasse Koffer nicht weniger in die Höhe gehen als ein mit frischer Hefe eingerührter Kuchenteig. Eine allgemeine Verstimmung herrschte in jeder Menschenbrust, selbst die wohlbestallten Postknechte warfen mit unserm Eigenthum so grimmig um sich und stauchten die Sachen so wüthend zusammen, als wollten sie uns zeigen, was wir als die eigentlichen Urheber ihrer Unbequemlichkeiten erst verdienten. Endlich zog der Conducteur seine Personenliste heraus, die Passagiere stürzten aus der kleinen Poststube auf den Platz, der mit Wasser getränkte Kiessand spritzte uns Allen um die Köpfe, und die aufgeweichte Reisegesellschaft drängte sich bange in die zum Glück dichten und bequemen Wagen.

127 Der kurzleibige Herr war zu Malwinens sichtlicher Beruhigung in Zug zurückgeblieben, und zwei räthselhafte Frauenzimmer hatten unsern Kreis vergrößert. Ich nenne diese Wesen räthselhafte, weil sie durchaus gepäcklos, mit Blumensträußen und einem ausgeprägten norddeutschen Dialekt ausgestattet, dazu von mittlern Jahren und zuversichtlichem Wesen, in kein Fach der Touristenregistratur passen wollten. Oskar, in dem trotz der Leiden seiner Flitterwochen noch immer eine Ader des ehemaligen verwegenen Assessors pulsirte, ergriff sofort seine Maßregeln zur Anknüpfung eines angenehmen Verkehrs. Nachdem er sich nach Möglichkeit seiner Bagage entledigt, die Flasche mit Kirschwasser zwischen die Plaids gesteckt und den Falken in das Wagennetz gelegt hatte, nahm er mir mit unbeschreiblicher Verwegenheit das Aprikosenkörbchen aus der Hand und präsentirte es zuerst seiner Gemahlin, dann aber den beiden unbekannten Damen. Obgleich die Früchte keine Leckerbissen waren, wurde die Aufmerksamkeit doch sehr gut aufgenommen, und nach der üblichen kurzen Capitulation sah sich der in seiner Selbstgefälligkeit überglückliche Oskar in ein lebhaftes Gespräch mit den Damen verwickelt. Welche Rolle hätte ich wol spielen können als die des Sündenbocks? Mir fiel die Aufgabe zu, die göttliche Malwine zu unterhalten, ein Vergnügen, das ich bei ihrer Laune gern dem ersten besten Stellvertreter unentgeltlich überlassen hätte. Die Dreistigkeit des vermessenen Oskar, den sie bereits vollständig unter den Pantoffel gebeugt zu haben glaubte, der augenblickliche Mangel eines Courmachers, dieses unentbehrlichsten Möbels für Damen von Malwinens Charakter, und meine mit dem Stempel einer verwünschten Pflichterfüllung gebrandmarkte Unterhaltung verdarben ihren Humor, und als ich ihr zuletzt, zu den äußersten Mitteln greifend, 128 anbot, durch das verkleidete Fernrohr aus dem Wagenfenster die bezaubernde Gegend des Albis, welche eben durch ein aufsteigendes Donnerwetter verdunkelt wurde, zu betrachten, gab sie mir gar keine Antwort mehr.

Unter einem großen Aufwande von Redensarten seitens der Damen und Oskar's langten wir nach einigen Stunden in Horgen am Zürichersee an und stiegen in einem schöngelegenen Hôtel ab, wo zwei reglementsmäßig geschnurrbärtete schwärzliche junge Herren die mit großer Sehnsucht erwarteten Damen in Empfang nahmen und die zärtlichen Empfindungen Oskar's wieder in einen verwitweten Zustand versetzten. Die Pärchen mochten gewissen gesetzlichen, kirchlichen und conventionellen Fesseln im fernen Norden entflohen sein und an den lieblichen Ufern des schönen Sees im Lande der republikanischen Freiheit auch die momentan errungene Freiheit von allen andern Banden genießen; die Villeggiaturen im Süden gewähren reichen und emancipirten Nordländern zuweilen die verlängerten Freuden der winterlichen Maskenbälle. Ich setzte mich in die Nähe des räthselhaften Quartetts und zweifelte nach kurzer Beobachtung nicht mehr daran, daß die beiden Gentlemen vielleicht ein paar Kunstreiter, Hercules oder Seiltänzer seien, welche als sommerliche Cavaliere jener Damen von ihnen hierherberufen, sie nach einem kurzen Abstecher ins Gebirge gehorsam erwartet hatten. 129


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