Ernst Kossak
Schweizerfahrten
Ernst Kossak

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4.
Bern.

»Ihr seid Gemälde außerm Hause, Schellen im Zimmer, Drachen in der Küche, verletzt ihr – Heilige; Teufel, kränkt man euch; spielt mit dem Haushalt, haltet Haus im Bett.« So lästert der teuflische Jago im zweiten Aufzuge des »Othello« die Damen; er hätte sich gewißlich noch zu einem Anhang veranlaßt gefunden, wäre Malwine, die Schöne auf Reisen, vor sein bösartiges Maul gekommen. Wir Unglücklichen ohne Shakspeare's Geist verschluckten stumm unsern Ingrimm, 23 denn selbst auf dem Gesicht des flitterwöchentlichen Assessors lagen schon die Wolken des ersten ehelichen Donnerwetters.

»Denken Sie sich«, sagte Oskar, als wir die junge Frau mit ihrem geliebten Gepäck allein gelassen hatten, »Malwine hat seit heute früh noch kein Wort mit mir gesprochen – sie schmollt – sie wird mich noch zur Verzweiflung bringen.«

»Und aus welchem Grunde zürnt sie Ihnen?«

»Sie fühlt sich ohne Grenzen unglücklich, weil sie hier nicht im Stande gewesen ist, Toilette zu machen, und gezwungen war, Bern in ihren Reisekleidern zu besehen; was sagen Sie dazu?«

Wie die Vertrauten in den Trauerspielen, sagte ich wohlweislich gar nichts, veröffentlichte nur eine sprechende Geberde und schlug wie an ein Schwert an meinen klirrenden Regenschirm, was »Rache« bedeutet. Oskar sah mich wehmüthig lächelnd an: »Warten wir, bis sie besserer Laune wird – wir können Beide nichts Gescheiteres thun.«

Schon wollte ich ihm diesen vertraulichen Dualis verweisen und an meine ewigen und unveräußerlichen Menschenrechte als aus eigener Tasche lebender Reisender appelliren, als ein leises Klopfen an der Wand ihm das Signal gab, Malwinen zu Hülfe zu eilen. Das Ehepaar blieb lange aus, endlich erschien es im Speisesaal, wo ich den Kaffee genommen hatte. Auf der Stirn der berliner Schönen schimmerte das selige Bewußtsein von Crinoline, sie rauschte heiter lächelnd gleich einer Woge der sommerlichen Flut auf mich zu, und ein kleiner Kellner verschwand für einige Augenblicke vollständig unter ihrem Kleiderschwall, der arme Bua arbeitete sich wie aus einer Lavine seines Vaterlandes Wallis mühsam aus blauseidenen Falten und Spitzenverbrämungen hervor.

»Nun, meine Herren, stehe ich Ihnen zu Diensten«, plauderte die Holde und ließ den Handschuhknöpfer sein letztes 24 Werk verrichten; »wir gehen doch auf die Münsterterrasse? Ich möchte gern das Alpenglühen sehen.«

»Du weißt, liebes Kind«, antwortete Oskar, »daß deine Wünsche uns Befehl sind«, immer mich zum Compagnon seiner ehelichen Leiden machend, während ich mich von dem Nießbrauch der Activa vollständig ausgeschlossen sah. Mir wurde klar, daß ich einen sehr nachtheiligen Contract eingegangen war. So schritten wir von unserm freundlichen saubern Hôtel, dem »Mohren«, durch einige schmale düstere Gäßchen auf die herrliche Münsterterrasse. Oskar trug den Parasol, ich den Parapluie. Der schwüle Tag hatte seinen Regenmantel angezogen, und die berühmte Aussicht blieb unter ihrem europäischen Ruf zurück. Das ferne Relief des Berner Oberlandes zur Linken schwamm in einer grauen Trübung, die Berge zur Rechten schwebten in Dünsten, und selbst der Vordergrund der grünen Aar, der Wiesen, Aecker und Gärten, litt unter dem heranrückenden Dunkel einer bevorstehenden Entladung der Atmosphäre.

»Mein Gott, Oskar«, bemerkte Malwine, nachdem sie eine Minute lang die düstere Scenerie betrachtet, »ist das die vielgerühmte Schweiz? Du hast mir doch soviel von der berner Aussicht erzählt?«

»Aber liebes Kind, ich hatte sie ja selber noch nicht gesehen!« entschuldigte sich der vermeintliche Landschaftsfälscher.

»Was sagen Sie dazu«, wandte sich die Schöne zu mir, »Sie sind ein ruhiger, billigdenkender Mann – lockt dieser Mensch mich hierher, phantasirt von der göttlichen Aussicht, liest mir aus dem Reisehandbuche vor, und nun ich ihm gefolgt bin, sehe ich nichts als drohenden Regen und den sichern Ruin meines blauseidenen pariser Kleides –?«

»Sie wollen doch nicht etwa Ihren Herrn Gemahl für den Witterungswechsel verantwortlich machen?«

25 »Ach so, Sie vertheidigen ihn – ich sollte meinen, in der Schweiz –«

»Regnet es so gut wie in Berlin über Gerechte und Ungerechte; danken wir doch dem Himmel, daß er uns für morgen Regen sendet und den entsetzlichen Staub anfeuchtet«, sagte ich etwas trocken.

»Aber ich will das Alpenglühen sehen – wozu bin ich denn von euch hierhergelockt worden?«

»Sie vergessen, meine Gnädige, daß Sie uns hierherbefohlen haben!« fügte ich hinzu, und Oskar verrieth hinter Malwinens Rücken schüchtern durch Augenzwinkern seine Beipflichtung zu meiner Meinung. Die Debatte hätte vielleicht eine lebhaftere Wendung genommen und zu persönlichen Bemerkungen Veranlassung gegeben, wenn nicht ein beleibter Regentropfen auf Malwinens gelben Handschuh gefallen wäre. »Den Schirm, Oskar, den Schirm! – nach Hause –es fängt an zu regnen – helfen Sie mir die Mantille umkehren!« Der Ehemann riß mir den Schirm aus der Hand und Malwine band vorsichtig ihr Taschentuch über das Hütchen.

»Binden Sie die Zipfel nicht zu – die pariser Damen nehmen bei solchen Gelegenheiten dieselben in den Mund – das ruinirt weniger den Aufputz und den Hutkopf«, bemerkte ich voller Mitgefühl über die Leiden der Unglücklichen. Sie gab mir keine Antwort; sich an Oskar klammernd, beugte sie ihr Haupt unter den Regenschirm, dessen wir noch gar nicht bedurften, während ich hinterdrein trabte und die Bedingungen auseinanderzusetzen versuchte, unter denen ein Alpenglühen möglich sei. Man hörte nicht auf mich, wir stürzten, verlacht von dem Volke, durch die Gassen nach dem Hôtel zurück und flüchteten in den Speisesaal. Unterdessen war der Regen eine Wahrheit geworden; er fiel so dicht, daß, nach der Behauptung jenes nordamerikanischen Münchhausen, Gefahr vorhanden war, 26 die Tropfen erhitzten und entzündeten sich durch die gegenseitige heftige Reibung.

»Es wird uns nichts übrigbleiben«, sagte Malwine, nachdem sie eine zeitlang höchst misvergnügt zum Fenster hinausgesehen hatte, »als daß wir einen Wagen nehmen und in das Theater fahren.« Der rathlose Oskar sah mich fragend an; er schien mich, wie der blödsinnige Almaviva den Figaro, für sein helfendes Factotum zu halten.

»Auf diesen Genuß werden Sie wol verzichten müssen!« antwortete ich.

»Und wenn es das schlechteste Stück ist – doch halt, ist nicht die Birch aus der Schweiz? Vielleicht wird ›Die Waise‹ gegeben – das wäre herrlich, wenn ich hier mein Lieblingsstück sehen könnte. – Ach, Oskar, hole Billets, ich muß sehen, wer hier Lina's Rolle gibt – sie werden hier keine Fuhr haben. – Gott, Oskar, weißt du noch, wenn Lina mit der Mappe zu Hendrichs kommt – sie ist zu reizend!« Malwine ließ ihrer muthwilligen Phantasie zu frei den Zügel; es schmerzte mich fast, ihr anzukündigen, daß weder gespielt werde, noch überhaupt ein Theatergebäude im Sommer geöffnet sei.

»Wo halten sich denn die berner Aristokraten im Sommer auf?« wollte Malwine in sichtbarem Verlangen nach jungen eleganten Cavalieren wissen.

»Sie werden sie zur rechten Zeit in Interlaken kennenlernen; denken Sie sich aber nur um Gotteswillen keine stattlichen Gardeoffiziere und keine correct angezogenen Civilisten darunter. Der berner Aristokrat ist nichts als ein roh und fest aussehender Bursche, der ohne Bildungstrieb rauchend im Fenster liegt, Abends in seinem Cabriolet spazierenfährt und selbst zu träge ist, sein eigenes Vermögen zu verwalten.«

27 »Wenn die Aristokraten so aussehen, wie werden dann erst die Demokraten sein?« flüsterte schaudernd Malwine.

»Liebes Kind – nur keine Politik – wenn ich bitten darf«, flüsterte der ängstliche Assessor und sah sich bange um, ob nicht hinter ihm ein paar Polizeiohren gespitzt würden.

»Fürchten Sie nichts, gnädige Frau«, tröstete ich, »Ihre norddeutschen antikisirenden Begriffe von Republikanismus passen nicht auf diese Zustände. Die Abwesenheit eines Königs begründet noch nicht die Republik, wie die Kapuze noch nicht den Mönch macht, und diese geldgierige und wenig gebildete Menschenrace gehört weder nach Athen noch nach Sparta; nur Böotien wäre ein würdiges Vaterland für sie.«

»Gehen Sie nicht ein wenig zu weit, lieber Freund?« fragte mit protektorischer Miene Oskar, in dem sich der liberale Tick regte, seit er sich unbeachtet wußte.

»Sie als aufgeklärter Jurist haben gerade am wenigsten Ursache, diese Republikaner zu vertheidigen.«

»Und aus welchem Grunde, wenn ich fragen darf?«

»Weil wir uns in einem Lande befinden, wo noch die Folter im Gebrauch ist.«

»Nicht möglich – Sie verleumden diese einfache und biedere Nation«, rief der tugendhafte Oskar.

»Ich will Ihnen noch mehr sagen; es ist im Jahre 1850 in Appenzell ein Mensch, den eine Mörderin fälschlich der von ihr verübten Schandthat bezüchtigte, so scharf gefoltert worden, daß er für immer den Gebrauch seiner Gliedmaßen verloren hat.«

»Irren Sie sich auch nicht?« fragte Oskar erstaunt.

»Als Journalist muß ich es wissen, da ich selbst jene Correspondenz einem großen süddeutschen Blatte entlehnte, zugleich mit der Hinrichtung jenes Weibes, die unter so schrecklichen 28 Umständen stattfand, daß wir glauben mußten, drei Jahrhunderte zurückversetzt zu sein.«

Das Ehepaar schwieg, und ich hielt für räthlich einzulenken und darauf hinzuweisen, daß wir nur aus Neigung für die landschaftlichen Schönheiten des Landes, nicht aber um unsere Sitten zu verbessern und unsere civilisirtern Einrichtungen umzumodeln, den Fuß über den Rhein gesetzt hätten. Es gelang mir jedoch nicht, eine leidliche Stimmung hervorzurufen, und die nach und nach sich im Zimmer versammelnde Gesellschaft von Stammgästen aus dem Orte, Kaufleuten und Beamten, trug durch ihre Unterhaltung auch nicht zu unserer Erheiterung bei. Sie tranken ihren sauern Landwein, saßen noch sauertöpfischer beieinander und antworteten auf alle Fragen nur verdrossen und einsilbig, ohne sich untereinander freundlicher zu betragen. Wir begaben uns daher zeitig zur Ruhe, nachdem wir in dem abscheulich engen Postgebäude, uns zwischen allerlei Gefährt und der schmuzigen Mauer durchdrängend, mit Lebensgefahr Plätze nach Thun und Interlaken gesichert hatten. Der Regen goß unermüdlich in Strömen herab und meine Abendunterhaltung bestand zuletzt nur in Beobachtung der Hunde von Bern, die augenscheinlich in ebenso viele politische Fractiönchen gespalten, wie ihre Herren und Landsleute, alle Augenblicke bald zu zweien, bald in Trupps, unter den Bogengängen der Erdgeschosse hervorstürzten und sich mit angestammter Tapferkeit herumbissen, als würden sie dafür von den Bourbonen baar bezahlt. 29


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