Ernst Kossak
Schweizerfahrten
Ernst Kossak

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8.
Wengernalp.

Auf der letzten Höhe angelangt, wurde die Mittagsstation des Tages gemacht. Im Speisesaale zur Linken saß eine kleine halb amerikanische, halb englische Gesellschaft, untermischt mit einigen russisch-französischen Elementen, und verzehrte stumm die aufgetragenen Leckerbissen. Ein deutscher Herr hatte sich pflichtschuldigst ganz seitwärts gesetzt und wahrscheinlich die Schiller'schen Worte:

Auf den Bergen ist Freiheit!

allzu muthig und großsprecherisch gefunden. Er war ein stattlicher Herr, vielleicht ein hübscher Gerichtsrath aus einer sächsischen Stadt, aber die fremde Gesellschaft hatte ihn vollständig erdrückt und moralisch ruinirt; der Mann sah mich 50 demüthig an und buhlte um meine Blicke, als ich in deutscher Sprache das Essen bestellte; allein ich wandte ihm den Rücken vor Unwillen über seine vaterländische Bescheidenheit. Ich war noch nicht 24 Stunden älter geworden, als meine Theorie vollständig umgeschlagen war. Wie bereute ich um diese Zeit mein garstiges hochfahrendes Benehmen; aber heute ließ ich mich durch ein Vorurtheil hinreißen. Der stattliche Herr saß an einem Tischchen vor dem Fenster und bemühte sich, einen Eierkuchen von felsenfester Constitution nebst einer Portion Schinken zu überwältigen. Ein Schoppen Wein stand vor ihm und mochte nach den Gesichtern, die der Herr schnitt, wohl geeignet sein, jene Victualien aufzulösen, aber wol auch die Wände eines allzu vertrauungsvollen Magens. Ich musterte hierauf die andern Gesellschaften. Kleine Portiönchen Braten, aber riesige Schüsseln mit gebratenen Kartoffeln auf allen Flanken, im Centrum, in der Reserve, im Vortrab, gebratene Kartoffeln, und noch einmal: mit Schaffett gebratene Kartoffeln waren die Leckerbissen, in denen die Mitglieder der mächtigsten europäischen Nationen schwelgten. Dazu drang ein heiterer Gesang aus einem dem Speisezimmer am Ende des langen Ganges gegenüberliegenden Raume. Die Sänger waren unsere Führer und Reitknechte. Sie freuten sich des Lebens, während ihre Herrschaften mit äußerster Mühe die angegriffenen Nervensysteme zu ordnen und wiederherzustellen suchten. Als Zuthat zu unserm Mahle mußten wir die Reden eines Holzschnitzers aushalten, der sich Zurflue nannte und wie noch 20 andere Schnitzer, die ich später kennenlernte, der berühmte Holzarbeiter sein wollte, dessen Bädeker gedenkt. Er brachte allerlei Gemslein, Böcklein, Häuserchen und Büchschen, Messer und Gabeln u. dergl. m. aus den großen Schränken an der Wand herbei, und ging uns nicht eher vom Leibe, als bis Jeder ihm etwas von den 51 theuern Sachen abgekauft hatte. Die Reinlichkeit und das saubere appetitliche Ansehen dieser Dinge brachte mich auf den Gedanken, daß es wol besser wäre, wenn wir diese Holzcompositionen essen könnten, und uns dagegen die höchst merkwürdigen Küchenwaaren als Curiositäten aus dem Schweizerlande zum Verkauf angeboten würden. Ein Russe ließ sich indessen für einige Hundert Francs von der gebrechlichen Waare aufschwatzen und ritt davon, nachdem sein Pferd vorn und hinten mit weißen klappernden Holzkästchen behängt worden war.

Es war mir unmöglich in der dumpfen geheizten Stube zu bleiben, wo die mächtigen Aromen der Schweiz und Rußlands: Käse und Juften, einen Todeskampf ausfochten, und ich ging hinaus, um mich in der erhabenen Natur über die Menschen zu trösten. Das Haus auf der Wengern-Scheideck liegt auf einem schmalen Felsrücken und blickt südwestlich nach der Jungfrau und dem Mönch, südlich nach dem Eiger hinüber, dessen steile Pyramide gerade vor dem Fenster des Hauses in den Himmel zu steigen scheint. Als ich aber in Betrachtung versunken das kahle graugrüne Terrain zwischen unserer Schwelle und dem Fuß des Giganten maß, drang plötzlich ein wunderbar harmonischer Ton in mein Ohr. Er kam vom schneebedeckten Eiger und glich den verlorenen Tönen einer Aeolsharfe; allein wenn der sanfte Wind schwieg, schwoll er an und gewann Gleichmaß und Festigkeit. Ich nahm ein kleines Fernrohr zur Hand und entdeckte zwischen dem Eiger und dem Hause eine Heerde von mehr als 1000 Stück Vieh, deren Glocken das liebliche Geräusch hervorbrachten. Die Thiere waren so entfernt, daß sie nur wie braune, schwarze und weiße Punkte auf dem monotonen Hintergrunde hervortraten. Aber zuweilen gewährte es eine reizende Unterbrechung, wenn ein junges Thier den unermeßlichen ruhigen Schwarm verließ und, 52 wie ein flüchtiges Insekt, im Galopp davonschwebte, während das fromme friedliche Geläut der Gesammtheit ihm still und mahnend nachklang, wie die Kirchenglocken einem leichtsinnigen Ketzer und Sünder.

Südlich war die Aussicht durch die Kolosse des Berner Oberlandes beschränkt, und nur zuweilen konnte man auf dem Wege nach der Jungfrau die Eisspitze des Finsteraarhorn erblicken; nördlich verrammelte die weniger hochragende Bergkette des Faulhorn den Brienzersee, und nur östlich that sich ein meilenweiter Abhang auf, der sich am Horizont mit Schärfe hellgelb gegen das Himmelblau absetzte, und ein Häuschen, das sogenannte »Hôtel« auf der Hasli-Scheideck zeigte.

Die ganze Scenerie in ihrem unendlichen glorreichen Schweigen, mit der weitreichenden Fernsicht in eine grandiose Einfachheit erstarrter Elemente, war wunderbar und entzückend. Zwei junge Franzosen traten aus dem Hause, stocherten sich in den Zähnen und legten sich alsbald in das dürftige Gras innerhalb eines weiten Geheges, indem sie naturphilosophische Glossen ausstießen und die milde Kühle des Grases lobten. Aber bald verstummten sie, machten befremdete Gesichter, berührten das gelobte Gras, näherten den Finger der Nase, schüttelten die Köpfe, standen auf und entfernten sich gebeugt. Jenes weite Gehege war das Nachtrevier für jene entfernte große Heerde, und das junge Frankreich hatte die vielfach zertretenen kühlen Düngerreste der Schweizerkühe für eine herzerfreuende Eigenschaft der Bergvegetation gehalten.

Unsere Herren Knechte hatten sich jetzt nachhaltig mit Speise, Getränk und Gesang erfrischt, ihre Pferde, auf denen wir ritten, waren von andern Herren Knechten, die wieder jene bedienten, in einem unbekannten Quell gebadet worden, und allmälig empfingen wir die Ordre, uns bereitzuhalten, 53 um die Reise nach Grindelwald fortzusetzen. Die gesattelten Pferde wurden an einen hohen in die Erde gerammten Tritt geführt und wir stiegen geduldig auf; nur ein alter französischer Herr ließ es sich nicht nehmen, seine junge Dame auf das Pferd zu heben. Da es ihm nach vielen vergeblichen Versuchen nicht gelang, trat er zurück, beschuldigte das Pferd, einen kleinen gedrungenen Schimmel, das größte Thier zu sein, das ihm noch je zu Gesicht gekommen, und bat alle Anwesenden, dieses Ungeheuer von Reitpferd genau in Augenschein zu nehmen, da es unter die Merkwürdigkeiten von Europa gehöre.

Als alle Individuen zu Pferde gestiegen waren, ritten sie in östlicher Richtung friedlich bergab und bekümmerten sich nicht weiter umeinander; der stattliche Herr aber war schon eine halbe Stunde früher in die Gegend nach Lauterbrunnen aufgebrochen. Die uns begleitenden Herren Knechte hatten auf unserer Tour nach Grindelwald mehr zu thun als auf dem Ritt des Vormittags. Ihre Hauptbeschäftigung bestand wesentlich darin, ihre Thiere beim Schwanze zu ergreifen und sie an vielen sehr abschüssigen und aus morschen Schieferfragmenten bestehenden Stellen vor dem Sturze zu bewahren. Die Unterhaltung, welche sie dabei mit den Pferden pflogen, muß für einen Kenner der Pferdesprache sehr anziehend und belehrend gewesen sein.

Gleich nachdem wir die Wengern-Scheideck verlassen hatten, kamen wir auf dem abschüssigen und steilen Pfade in die Nähe eines aussterbenden Arvenwaldes. Die weitausgedehnten Gruppen dieses kiefernartigen Nadelholzes standen im traurigsten Verfalle da. Die am weitesten den westlichen Abhang des breiten Felsens hinanwachsenden Bäume waren längst den Tod tapferer Vorposten im Kampfe mit verwildernden Temperaturmächten gestorben. Sie schienen bis in das innerste 54 Mark von Weststürmen erstarrt zu sein, und glichen im Glanz der Nachmittagssonne dichtbereiften zackigen Holzgebilden. Etwas tiefer sahen wir Reihen von Bäumen, die kurz über der Erde noch einige Spuren von frischem Grün trugen, aber in der Höhe längst dem rauhen Ungemach der Witterung gewichen waren. Nur wenige Stämme waren noch unversehrt und blickten still auf dieses wilde Gehölz, in dem der Sturm, der Regen und das rasende Feuer des Blitzes so schreckliche Verheerungen angerichtet hatten.

Wir ritten schweigend über mehre hastig dem Thale zueilende Berggewässer und fanden neben einer Brücke noch eine Wölbung von Schnee, welcher der Ueberrest einer im Frühjahr vom Eiger herabgestürzten Lavine sein mochte. Dann gelangten wir an eine Sennhütte von unnennbarem Aeußern und einer grotesken Bevölkerung. Unter einem kleinen nach Norden gerichteten Wetterdach saßen nämlich zwei musikalische Sennerinnen von einem Alter und einer Häßlichkeit, daß man unwillkürlich auf den Verdacht fiel, sie seien maskirt und eigentlich bei der großen Oper zu Berlin angestellt. Die Ehrwürdigere dieser Schwestern schlug die Zither und zeigte die Zähne, die Jüngere, in der Blüte der funfziger Jahre stehende, blies die Clarinette und sang dazwischen zum Erbarmen. Auf einem kleinen schmuzigen Tischchen aber standen Milch, Erdbeeren, Butter und Käse, jeder dieser Stoffe in einem kleinen elenden Töpfchen. Nach kurzem Aufenthalte ging es wieder länger als eine Stunde bergab, und wir kamen endlich an den Rand des steilen Abhanges, der sich inmitten von Wald, Buschwerk, Felsen, Châlets und Wiesen nach Grindelwald hinabstürzt. Hier mutheten uns die Herren Knechte ohne weiteres zu abzusteigen und links einen kürzern Richtweg zu wählen, während sie den üblichen Saumpfad zurücklegen wollten. Wir zogen es vor, ihnen nicht zu widersprechen, und 55 stelzten geduldig den anfangs höchst mühseligen, dann aber anmuthiger werdenden Fußweg zwischen üppigen Wiesen, an lieblich rieselnden Bächen hinab. Grindelwald lag vor unsern Augen und bald standen wir am Ufer der aus den Gletschern lebhaft hervorrauschenden Lütschine, welche dem idyllischen Bilde des Thales ein reizendes und feuriges Attribut verlieh. Hier fanden wir unsere Rossebändiger wieder, stiegen von neuem zu Pferde und ritten nach dem»Adler«.


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