Ernst Kossak
Schweizerfahrten
Ernst Kossak

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14.
Der Vierwaldstättersee.

Wol an keiner Stelle der Erde dringt sich dem unbefangenen Beobachter lebhafter der Gedanke auf, daß Reisen eine Arbeit, ein trockenes Geschäft werden könne, als an den romantischen Ufern des Vierwaldstättersees. Obgleich sich ein Abend von der seltensten Schönheit über die Felsen und die 92 hellgrünen Wasser verbreitete, wurde ich bei dem Gebaren der ganzen Umgebung den Gedanken nicht los, daß die Natur dieses sublime Schaugericht nur auf den gedeckten Tisch der Landschaft setze, um nach 10 Minuten einen Schweizer mit der Rechnung an den beschaulichen Reisenden abzusenden. Schon bei meiner Ankunft in Beckenried hatte ein dienstwilliges Frauenzimmer gleich meine Effecten in Beschlag genommen, und in der Voraussetzung, ich könne nichts Anderes thun, als mich in Pension zu verdingen, sie von mir unbemerkt in ein Hôtel getragen. Nachdem ich sie zum großen Misvergnügen eines andern Frauenzimmers, welches den Posten einer Gasthausgouvernante zu bekleiden schien, gerettet und wieder an den See hatte tragen lassen, sahen sämmtliche vorhandenen Pensionäre so neugierig und glücklich aus den Fenstern der Wohnungen auf mich herab, als wollten sie mir durch ihre ungemeine Zufriedenheit andeuten, welches Glück meiner an diesem bezaubernden Orte harre.

Auf der Landungsbrücke angelangt, fand ich einen Vorrath von Schweizerkindern, welche eben einen Regenschirm, den ein junger Mensch in der Zerstreuung hatte in den See fallen lassen, zu retten bestrebt waren. Nachdem ihre menschenfreundlichen Bemühungen ihnen gelungen, erschöpften sie sich durch krampfhafte Anstrengungen möglichst viel Trinkgeld zu erhalten; mir ward wahrhaftig italienisch oder böhmisch unter diesen Kindern der Freiheit und Republik zu Muthe. Die Ankunft des Dampfers, der von Gersau quer über den See kam und die letzte Menschenladung für heute nach Luzern bringen wollte, unterbrach meine misvergnügten Reflexionen. In zwei Minuten war ich mit einem ganzen Schwarm von Touristen an Bord gegangen, in derselben Zeit hatte sich das Schiff einer gleichen Masse entledigt und schaufelte gelassen durch das liebliche Gewässer seines Weges.

93 Gern hätte ich den Untergang der Sonne, welche die wildphantastischen Gipfel des Pilatus mit einer unvergleichlichen goldhaltigen Färbung malte, still betrachtet, gern die Contouren dieses berühmten Berges, welche von einem gewissen Punkte aus einem behelmten römischen Haupte glichen, das auf dem Deckel eines Sarkophags ruht, mit wenigen Strichen gezeichnet; es war auf dem ganzen Verdeck kein Platz zu finden, und die Harmonien einer entsetzlichen Drehorgel zerrissen die Nerven des Ohres und die Gedärme des Unterleibes. Eine Mailänderin mußte von ihrem Gemahl als seekrank von Musik in den Salon gebracht werden.

Es war im Freien kein Stuhl zum Sitzen und kaum eine Stelle zum Stehen vorhanden; das ganze Verdeck war mit Menschen und Gepäck, der zweite Platz sogar mit Frachtgütern, Pferden und Ochsen bedeckt. Wenn man sich ein wenig rührte, trat man auf englische Hühneraugen oder Reisesäcke und setzte sich der Gefahr aus, mit der Spitze eines Alpstocks »aus Versehen« bearbeitet zu werden. Nur einem Savoyarden mit einem der unverschämtesten Affen gelang es, überall durchzudringen und sich gründlich unausstehlich zu machen. Dieses Ungeheuer faßte alten Herren in die Tasche, nahm kleinen Mädchen die Strohhüte vom Kopf und betrug sich so sicher, wie es nur ein zum eisernen Bestande gehöriger Schiffsaffe thun konnte. Dem entsprechend unternahmen auch die Beamten nichts gegen ihn; sie überließen die Passagiere seinen Belästigungen, zählten die Personen, vertheilten die Billets und kassirten die Francsstücke ein. Die Menschen waren ihnen nur numerirte Waarenballen. Die Qual dauerte jedoch nicht lange; gegenüber dem Rigi, in der Nähe von Wäggi, läutete das Boot, ein Kahn näherte sich seinem Räderkasten, und ein rascher Sprung befreite mich von Engländern, Savoyarden 94 und Affen. Nie sah ich mit größerer Genugthuung einen Dampfer das Weite suchen.

In Gesellschaft einiger weniger Personen landeten wir und traten in das Hôtel, das seinen ehrlichen deutschen Namen Zur Eintracht auch noch in andern Sprachen an der frechen Stirn trug. Alle seine Fenster und Thüren standen offen; sobald man in den Flur trat, vernahm man ein Geräusch, ähnlich wie wenn man das Ohr auf den Deckel eines von Virtuosenhand wohlgepaukten Klaviers legt. Wäggis steckte voller heimkehrender Rigifahrer oder solcher, die es erst werden wollten. Zu meiner grenzenlosen Freude betheuerte mir aber der Wirth und sein Kellner, dessen brauner, mit blanken Stahlknöpfen beschlagener Frack wie ein schönes Sternbild durch den Suppen- und Theebrodem des Speisesaals schimmerte, daß ich unter seinem Dache kein Obdach finden könne, daß er aber Sorge tragen werde, mich bei einem Freunde unterzubringen. Damit nahmen wir die Effecten und begaben uns links von der »Eintracht« ein wenig bergan in ein alleinstehendes, unter schattigen Bäumen am Felsabhang gelegenes Haus. Es gehörte einem Doctor, und die einfache Familie desselben nahm mich wie den verlorenen Sohn auf. Zwar wurde kein gemästetes Kalb geschlachtet, allein die Schnitzeln und der Thee waren vortrefflich, und der gute Doctor leistete mir freundlich Gesellschaft, mich ganz besonders ermahnend, trotz meiner Ermüdung nicht zu früh zu Bette zu gehen, da uns nach dem heißen klaren Tage eine köstliche Nacht bevorstehe. Der wackere Aesculap hatte die Wahrheit gesprochen, und ich erinnere mich nicht, in irgendeines Herrn Ländern die Poesie der lauen Sommernacht so göttlichrein genossen zu haben. Wenn sich in der Natur etwas von dem Frieden der platonischen Republik vorfindet, so schlummert es 95 in einer Mondnacht an dem Felsabhange dieses märchenhaften Sees. Ich setzte mich einsam vor ein Spalier, an dem Pfirsichen und eine edle Birnensorte gezogen wurden, und schaute verwundert in die Gegend, deren nächtliches Dunkel ein röthlichviolettes Phosphorlicht auszustrahlen schien. Vor mir stieg jenseit der süßschlummernden Wasserfläche, deren müdes Murmeln sich an dem Gestein der untersten Gartenterrasse brach, eine steile Felswand empor und warf einen kohlschwarzen, von schwachem Zwielichtscheine umgrenzten Schatten auf den See. Da stieg über den Ausläufern des Rigi der Mond empor, eine blutrothe Scheibe, und hauchte sacht die zarten Nebel an, die wie Geister über Wellen und Felskanten huschten. Wie er nun aus den irdischen Resten der Atmosphäre in eine lichtere Sphäre schwebte, ward sein Schimmer ein so gediegener Silberblick, daß die Augen kaum den Reflex auf der gekräuselten Oberfläche ertrugen. Der ganze massenhafte Umkreis des Felslandes erhielt durch dieses verklärte Licht ein so zartes und überirdisches Colorit, daß man wähnen konnte, die Massen würden sich in leichte Wolken auflösen und in den blendendweißen Strahlen dahinschwinden. Den unendlichen Reiz dieses Augenblicks erhöhte der kräftige Duft der nahen Blumen und Sträucher, die, geweckt von dem Monde, tiefer und energischer athmeten. Nichts unterbrach die Stille dieser kirchlichen Naturstimmung, und selbst die geräuschvollen Bewohner der beiden Gasthäuser unten am See verstummten vor dem ergreifenden Eindruck der erhabenen Missa solemnis der Alpen. Als ich am Morgen vor die Thür des friedlichen Hauses trat, schien mir der ganze Ort in der Ruhe des Dante'schen Paradieses zu träumen. Eine milde warme, aber kräftige Luft, gemischt aus Alpenduft, Waldhauch, Seekühle und Blumengeruch wehte durch die Einsamkeit des Aufenthalts, und ein Wasserfädchen, das aus einer eisernen Röhre in ein 96 steinernes Becken lief, machte dazu eine leise Morgenmusik. Das Toben der Reisearbeit und des Touristenproletariats drang nicht bis hierher, nur zuweilen zogen tornisterbeschwerte Jünglinge, berittene Damen und bepackte Träger einige Hundert Schritte weiter nach dem dichtbelaubten Pfade zum Rigi hinan.

Es war mir durchaus unmöglich ihrem Beispiel zu folgen. Auf Reisen besteht der Hauptgenuß in der freien Ausbeute jener seltenen Momente, die uns die zufälligen Combinationen glücklicher Naturscenen und Lichtphänomene zum Genuß anbieten. Ich setzte mich unter einen alten Wallnußbaum am Abhange in den tiefsten Schatten und verlor mich in ein gedankenloses seliges Schauen auf Fels und See. Die höhersteigende Sonne verbreitete ihre goldene Glorie über die herrliche Landschaft, sodaß es keinen größern Schatten mehr gab. Aber die eigenthümlichen Farben der Gegenstände vermischten sich in dem zarten Dufte der Atmosphäre durch die helle Beleuchtung zu einem mysteriösen Lichtfluidum, das eine gewisse Aehnlichkeit mit der Färbung eines Goldkäfers hatte. Man bewunderte vor einigen Jahren eine ähnliche Ansicht aus der Gegend des Vierwaldstättersees von dem Genfer Calame, hielt aber das Colorit für eine phantastische Uebertreibung; ich kann versichern, daß der geniale Meister wahrscheinlich sein Werk nur für einen schwachen Abklatsch der Natur angesehen hat, als er es aus seinen Händen entließ. Von meinem Platze aus leuchtete das gegenüberliegende Felsufer und das stille Seewasser in einer so überirdischen Färbung, daß der Blick sich magisch gefesselt fühlte und ich bis Mittag in Entzücken verloren vor diesem Wunder der Optik sitzen blieb.

Nach Tisch, als die Beleuchtung sich veränderte, entschloß ich mich endlich mein Zaubergärtchen zu verlassen und die Besteigung des Rigi zu unternehmen. Das Söhnchen meines 97 Wirths, der erste wohlerzogene Knabe, der mir auf Reisen seit zwei Monaten in den Wurf gekommen war, trug meinen Plaid bis zu dem Hôtel Zur Eintracht, und ich ging jetzt an das ernste Geschäft, mir ein Pferd auszusuchen. Voraussichtlich drohte das Geschäft schwierig zu werden, denn es verlautete als Gerücht, daß schon am frühen Vormittage alle Pferde der Umgegend für die Menge der Reisenden mobilgemacht worden seien, und mein guter schweizer Doctor hatte bedenklich die Achseln gezuckt. Auf dem Platze vor der »Eintracht« herrschte ein lebhaftes Getümmel von dienendem Rigipersonal, und als ich meine Wünsche kundgab, entfernte sich sofort ein Mann, um den verlangten Gaul zu holen. Inzwischen ließ ich mich mit dem Wirthe in ein Gespräch ein und erfuhr, daß jährlich ein Regierungsbeamter eintreffe und die Rigi-Miethklepper inspicire, also dem Reisenden gewisse Garantien für seine Sicherheit gewährt würden. Als aber der Mann mit seinem Pferde erschien, mußte ich unwillkürlich der ähnlichen berliner Droschkenparaden und ihrer geringen Gewährleistung für die Bequemlichkeiten der Fahrenden gedenken. Das Pferd war der Größe nach in seiner Jugend für den leichten Cavaleriedienst geeignet gewesen, aber das Alter hatte ihm unbarmherzig alle Eigenschaften geraubt, welche es einst wahrscheinlich ausgezeichnet. Zudem litt es an einem Altmannshusten, der, wie man weiß, unter die unheilbaren Uebel der vorgerückten Lebensjahre gehört. Als ich auf alle diese Bedenken hinwies, war der Besitzer ehrlich genug, einzugestehen, daß ich auf seinem Thiere nur bergauf reiten könne, für den Rückritt wolle er in keiner Weise haften. Dieses Bekenntniß einer schönen Seele begleitete der umstehende Haufe von etlichen 30 Kerlen durch ein unbefangenes Gelächter, und der Wirth empfahl mir sogar, bergab Träger zu nehmen. Lieber hätte ich jedoch meinem lahmen Beine das 98 Aeußerste zugemuthet, ehe ich als Mann menschliche Schultern und – Lungen in Anspruch genommen; ich verlangte deshalb ein anderes Pferd. Alsbald erschien ein alter Mann und führte einen Goliath von braunem Engländer vor, der wahrscheinlich nicht im Lande der Freiheit geboren, sondern erst durch eine Verkettung seltsamer Umstände in den Verband der Eidgenossenschaft aufgenommen worden war. Cervantes erspart mir durch die Beschreibung des Rozinante die Mühe, das Conterfei dieser Mähre zu entwerfen. Was sollte ich thun? Die Rigibesteigung aufgeben, oder meine Gebeine dem Skelet dieses schwanz- und mähnelosen armen Pferdeungethüms anvertrauen? Ein gewisser türkischer Fatalismus, der mich schon häufig durch allerlei schlimme Händel glücklich gebracht hat, ließ mich das Letztere wagen. Trotz der Abmahnungen meines Doctors befahl ich, einen Tritt an das Pferd zu setzen, da ich trotz ausreichender Mannesgröße doch nicht den Steigbügel erreichen konnte, und bestieg den alten Gentleman. Zugleich verfügte ich, »da der Tod jedes Menschen gewiß, die Zeit desselben aber bekanntlich äußerst unbestimmt ist«, über meine zurückgelassenen Effecten, übergab dem Doctor eine Karte an Richard Wagner in Zürich, den ich zu meinem Testamentsexecutor ernannte (er befand sich damals nur leider am Genfersee), und ritt gelassen auf dem letzten Pferde aus Wäggis vondannen. Um den untröstlichen Doctor zu beruhigen, versprach aber mein alter Rossebändiger, ein hoher Siebziger, noch an demselben Abende durch einen rückkehrenden Boten an seinen Vater eine Depesche zu senden, auf welche Weise wir hinaufgekommen seien. Hier war Alles merkwürdig: die Gegend, die Pferde, die Menschen – ein Siebziger hatte noch einen rüstigen Vater! Zur möglichsten Sicherung eines Nachtquartiers aber versprach ich einem der umherlungernden Jungen einen Franc, worauf diese 99 menschliche Gemse alsbald auf eine unbegreifliche Weise im Buschwerk verschwand, eine steile Felswand hinanschwebte und nicht mehr gesehen ward.


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