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Elftes Kapitel

Das ist interessant, – wahrhaftig, das ist einmal etwas Neues!«

Der Kommissar Bauer war es, der die Worte rief. Er saß in seinem Büro, vor ihm stand ein junger Mann, der in Kleidung und Haltung von ungekünstelter Eleganz war. Sein Gesicht mit braunem, gestutztem Schnurrbart war weich und rund, aber ein paar Augen von grau-grüner Farbe mit scharf beobachtendem Blick widersprachen dem Genußmenschenausdruck des übrigen Gesichtes.

»Ich bin zufrieden, Herr Grabert, Sie haben Ihre Sache sehr gut gemacht.«

»Vielen Dank für das Lob. Aber ich hab' es vorher gewußt, Herr Kommissar, so etwas kann ich. Ihr Verdienst ist es, mit mir einen Versuch gewagt zu haben.«

Der Kommissar schmunzelte. »Nun, das wäre schlimm, wenn man im Laufe der Jahre bei diesem Beruf nicht etwas Menschenkenntnis erworben hätte. Sie haben mir gleich gefallen, Herr Leutnant, – pardon, Herr Grabert. Sie wollen ja den Titel nicht mehr hören.«

»Der hängt mit meinem bunten Rock am Nagel im Schrank und soll dort hängen bleiben. Es war auch eine der Geschichten von zwei glücklichen Tagen. Der eine war, als ich den bewußten bunten Rock anzog, der zweite, noch glücklichere dann, als ich ihn auszog. Allen Respekt vor dem Beruf des Militärs, aber ich war nicht für ihn geboren. Sie werden lachen, Herr Kommissar, ich war dafür zu neugierig.«

»Von Ihrer Neugierde haben Sie mir schon ein paarmal vorerzählt.«

»Jawohl. Und gerade für den Kommiß war sie mir furchtbar lästig. Da hieß es immer nur: ›Du sollst!‹ Und ich hätte doch für mein Leben gern gefragt: ›Warum?‹ Das aber war verboten, war Tabu, war Frevel. Ich habe seit jeher alles wissen wollen und habe meine gute Mutter halb tot gequält mit all meinen Fragen. Na, da hat mir schließlich ein guter Geist eingegeben, daß es einen Beruf gibt, wo Neugierde zur Tugend wird. Ich bin hier bei der Polizei gelandet und kann jetzt so viel umherfragen und umherschnüffeln, wie mir gefällt. Sie haben mich gütig aufgenommen in Ihre Vaterarme, Herr Kommissar, wenn ich so vertraulich reden darf, und geben sich alle Mühe, den Leutnant a. D. zum perfekten Detektiv auszubilden.«

»Und ich hoffe, Sie machen mir Ehre. Diese Sache haben Sie sehr gut gefingert. Bei solchen Ueberwachungen kann man die Geduld leicht verlieren, weil man oft stundenlang herumstehen und herumlaufen muß, ohne daß etwas dabei herauskommt. Aber Sie haben Ihren Indier, diesen Herrn Amaru, nicht aus den Augen gelassen und haben etwas wirklich Neues herausgebracht. Kommen Sie her, Sie müssen das dem Herrn Untersuchungsrichter gleich selbst erzählen.«

Er war aufgestanden und klopfte mit einem einzigen kurzen, lauten Schlag der Handknöchel an die Tür zum Nebenzimmer. Auf ein von drinnen erklingendes »Herein!« traten die beiden in den Amtsraum des Untersuchungsrichters, der mit freundlichen Blicken auf den hübschen, eleganten, jungen Detektiv schaute.

»Nun, hat sich Ihr Schützling seine Sporen verdient?« fragte Germelmann, zu Bauer gewandt.

»Jawohl, sie klirren schon,« entgegnete Bauer lachend. »Herr Grabert hat uns Wichtiges ermittelt. Allem Anscheine nach besteht eine geheime Beziehung zwischen diesem Herrn Amaru und Fräulein Hanna Rainer.«

»Alle Wetter! Das ließe tief blicken. Erst Xaver Stieler im abendlichen Dunkel mit ihr im Pavillon, und nun dieser Indier!« Germelmann wandte sich lebhaft an Grabert. »Vor allen Dingen berichten Sie mir genau; was haben Sie gesehen und erlauscht?«

»Anfangs war es nicht viel. Es gab wirklich solch ein zweckloses Herumstehen und Herumlaufen, wie der Herr Kommissar eben sagte. Der Indier ging pünktlich an jedem Vormittag ins Theater zur Probe, – gegenwärtig befindet er sich auch dort, so daß ich für den Augenblick dienstfrei bin,« fügte Grabert mit einem leichten, liebenswürdigen Auflachen hinzu.

»Wohl, und hinterher?«

»Hinterher hat er einen merkwürdig stillen, eingezogenen Lebenswandel geführt und sein Hotel ein paar Tage lang überhaupt kaum verlassen, seine Mahlzeiten sogar ganz allein unten im Restaurant eingenommen. Ich bin dort auch Stammgast geworden und beobachte mein Opfer nach Herzenslust. Er scheint mir ein wenig Melancholikus und Menschenfeind, – ich habe mir einen Zauberkünstler bisher immer ganz anders vorgestellt.«

»Und was haben Sie Neues entdeckt?«

»Ja, das eine war vor zwei Tagen. Da war morgens das Begräbnis von Xaver Stieler. Die ganze Stadt war auf den Beinen, und beinahe auch das ganze Personal des Variété-Theaters war dabei. Mein Indier aber blieb ruhig zu Hause. Nur am Nachmittag erschien er unerwartet auf der Straße, ging in einen Blumenladen, um einen Strauß von wundervollen weißen Rosen zu kaufen, und fuhr dann auf der Trambahn zum Friedhof hinaus. Ich im Anhängewagen ungesehen hinter ihm her, rasch in den Friedhof hinein und hier sah ich, hinter einem hohen Grabstein versteckt, Herrn Amaru zu dem frischen Hügel von Xaver Stielers Grab herantreten. Dort stand er lange Zeit, nachdem er die Rosen darauf niedergelegt hatte, und über sein braunes Gesicht flossen ihm reichliche Tränen, – wie Vater Homer wahrscheinlich gesagt haben würde.«

»Das ist nichts Belastendes.«

»Durchaus nicht. Ich erzähle die Sache nur, weil sie mir charakteristisch für ihn erscheint. Am Abend kam dann das – möglicherweise – Belastende. Mein Indier fuhr nur auf ganz kurze Zeit nach Hause; sehr bald schon kam er wieder auf die Straße heraus und ging in einem auffallend raschen Tempo nach der Hohenbergerstraße.«

»Dort liegt ja die Villa Rainer.«

»Ganz recht. Und sie war offenbar auch für ihn der Anziehungspunkt. Ihr gegenüber ging er, jetzt sehr langsam, ein paarmal auf und ab, dann blieb er stehen, ging wieder weiter, machte Kehrt und stand abermals da, so gespannt hinüberschauend nach den Fenstern der Villa, daß er von meinem Vorhandensein keine Spur bemerkte.«

»War das keine Komödie?«

»Nein, ich glaube sicher nicht. Uebrigens war ich auch gut gedeckt vom Schatten eines überhängenden Baumes. Das war vorgestern, und gestern hat sich das gleiche Schauspiel wiederholt. Nur daß mein Amaru diesmal nach einem erleuchteten Fenster des Erdgeschosses hinübergrüßte, hinter dem eine hohe Frauengestalt stand, und, soviel ich von weitem sehen konnte, von ihr wiedergegrüßt wurde. Sie verschwand gleich darauf sehr schnell, und auch der Indier machte sich bald auf den Heimweg. Aber das eine scheint mir nach alledem doch sehr wahrscheinlich, daß irgend welche Beziehung zwischen diesem trübsinnigen Zauberkünstler und Fräulein Rainer besteht.«

Germelmanns Gesicht hatte sich umwölkt; er sträubte sich nach wie vor gegen einen Verdacht auf Hanna. Sein Mißmut verriet sich auch in der kurz, beinahe schroff gegebenen Weisung: »Es ist gut. Setzen Sie die Beobachtung fort und berichten Sie mir.«

Grabert hatte wohl ein ähnliches Lob wie vom Kommissar auch hier erwartet; als er aber aus dem Zimmer hinausging, ließ er den kleinen Aerger darin zurück. Er schüttelte sich leicht gleich einem naß gewordenen Pudel und ging mit einem Lachen auf den Lippen die Treppe hinunter, sich das »Mit mir so spät im Tête à Tête« aus der »Fledermaus« leise pfeifend.

Ohnedies war es für ihn Zeit, seine Spur wieder aufzunehmen. Er empfing ungesehen den Indier am Bühnenausgang des Theaters, begleitete den Ahnungslosen gleich seinem Schatten zum Hotel, aß nicht weit von ihm zu Mittag. Und er sah hier wieder etwas Neues. Amaru zog ein paarmal einen Brief hervor und las ihn mit solchem Aufleuchten seiner ausdrucksvollen Augen, daß es aus ihnen hervorbrach wie Sonnenschein.

Ein paar Stunden lang blieb er dann wieder still im Hotel, und Grabert mußte sich auf seinem Beobachtungsposten in einem kleinen Kaffee dem Gasthaus gegenüber pflichtschuldigst langweilen. Die hübsche Kellnerin darin kam – nicht ohne sein Zutun – täglich mehr dahin zu glauben, daß dieser elegante Herr, der so viele Stunden an demselben Platz am Fenster saß und ungezählte Tassen Kaffee oder Schokolade auf Staatsunkosten vertilgte, mit reellen Absichten auf ihre Hand umginge.

Nur daß er manchmal so plötzlich aufbrach, auch wenn sie das gefühlvollste Gespräch gerade geschickt eingeleitet hatte, gefiel ihr nicht. Und auch heute wieder geschah das. Punkt vier Uhr sprang er plötzlich auf – er zahlte der völligen Bewegungsfreiheit wegen seine Schuld immer sofort – und eilte mit freundlichem, aber eiligem Abschiedswort hinaus. Gegenüber war sein Opfer soeben aus der Haustür getreten, – seine Jagd begann aufs neue. Diesmal ging Amaru wieder sehr eilig mit seinem wiegenden, anmutigen Gange, so daß Grabert Mühe hatte, seine Gestalt in den dichtbelebten Straßen im Auge zu behalten. Doch ließ er nicht ab und sah schließlich den Indier vor der Tür eines großen, eleganten Cafés Halt machen und eintreten. Er folgte sehr bald, mußte jedoch mit Kummer feststellen, daß eine Menge Menschen schon darin und nur noch ganz wenige von den kleinen runden Tischen frei waren. An einen von ihnen, an dem eine dunkel gekleidete Dame saß, – Hanna Rainer, wie Grabert bei sich feststellte, – trat Amaru schnell heran und begrüßte sie mit größter südländischer Höflichkeit, aus der zugleich innere Bewegung zu sprechen schien. Es war Grabert aber unmöglich, einen Platz in der Nähe der beiden zu bekommen, wo sein Ohr etwas von ihrem Gespräch erlauschen konnte. Nur aus einiger Entfernung sie zu beobachten, war ihm vergönnt.

Nach kurzer Zeit aber sprang er wieder auf. Er hatte ganz nahe bei ihrem Platz einen Ständer für Zeitungen aufgefunden; an den trat er jetzt eilig heran und blieb, unter den Zeitungen scheinbar nach einem bestimmten Blatte suchend, vor ihm stehen. Und hier fing er wirklich ein paar Worte von Hannas Lippen auf.

»Ich habe mich leider sehr in der Wahl dieses Cafés geirrt. Ich hatte geglaubt, wir wären hier ziemlich allein und könnten ungestört sprechen. Aber nun rüsten sie sich sogar, Musik zu machen – – –«

Schmetternder Trompetenklang unterbrach sie. Die Vorbereitungen für das Musikmachen waren beendet; ein Café-Konzert begann und raubte durch den lärmenden Militärmarsch, der das Programm eröffnete, Grabert vorerst jede Möglichkeit, mehr vom Gespräch der beiden zu hören.

Er nahm eine Zeitung mit sich auf seinen Platz und vertiefte sich scheinbar ganz in die Lektüre. Nach geraumer Zeit erst, als eine Pause in der Musik eingetreten war, erhob er sich wieder, anscheinend nur, um die gelesene Zeitung mit einer anderen zu vertauschen. Abermals blieb er, unter den Blättern suchend, an ihrem Ständer eine Weile stehen, und jetzt vernahm er, wie der Indier halblaut sagte: »Gewiß, ich haben dem Herrn Untersuchungsrichter ganz offen gesagt, ich haben das Gift. War doch das beste das, nicht wahr? Ich ihm haben sogar – – –«

Aergerlicher war Grabert noch niemals über den Anblick eines alten Freundes gewesen, als in diesem Augenblick. Eine Hand schlug ihm herzhaft auf die Schulter, und eine wohlbekannte Stimme rief die Worte: »Sieht man dich endlich einmal wieder, alter Junge?« Vor ihm stand ein Kamerad von seinem früheren Regiment, ein frischer, lustiger Mensch, den er immer gern gehabt hatte, jetzt aber in den Höllengrund verwünschte. Doch blieb ihm, wenn er kein Aufsehen machen wollte, nichts anderes übrig, als dessen Einladung zu folgen und sich zu ihm an seinen Tisch zu setzen. Er hörte nur halb, was der andere sprach, und antwortete zerstreut. Seine Blicke hafteten auf dem Indier und Hanna Rainer, von denen er hier etwas weiter entfernt war, und als Hanna sich plötzlich, anscheinend aufgeregt oder zornig, erhob, da nahm er eine notwendige Verabredung zum Vorwand, um sich auch von dem unwillkommenen alten Freunde schnell zu verabschieden. Mit einer demütigen, verlegenen Miene war Amaru gleichfalls aufgestanden, doch machte Hanna sich mit kurzem, offenbar wenig freundlichem Abschied von ihm los und ging allein hinaus.

Langsam, den Kopf tief zu Boden gesenkt, verließ der Indier das Lokal durch einen anderen Ausgang, vorsichtig ging Grabert in gleichem Tempo hinter ihm her – voller Aerger, daß es ihm nicht gelungen war, mehr von der Unterredung der beiden zu hören. Die Häuser der Stadt aber sahen wieder einmal Amarus fremdartige Gestalt an sich vorübergleiten, verfolgt von seinem lebendigen, unermüdlichen Schatten. – – –

Des nächsten Tages Morgen stand, in kühle, herbstliche Schleier gehüllt, über der Stadt. Ein mattes und schwermütiges Licht nur war in dem Wohnzimmer des Doktors Glaritz, und auf seinem Gesichte lag verwandte Schwermut. Kaum berührt stand vor ihm sein Frühstück. Er hatte nur kurze Zeit am Tische gesessen, dann war er aufgesprungen und ging nun zwischen Tür und Fenster hin und her. Seine herabhängenden Hände waren ineinandergekrampft, als wenn er ein stummes Gebet spräche, nicht nach oben zum Gotte des Lichtes, sondern abwärts gerichtet an eine geheimnisvolle Gottheit in finsterer Tiefe.

Unablässig schritt er auf und nieder gleich einem ruhelosen, gehetzten Geiste. »Hanna, – Hanna!« murmelten seine Lippen ein paar mal kaum vernehmlich. Nachdem er es eine Weile so getrieben hatte, trat er, einem plötzlichen Einfall folgend, an seinen Schreibtisch, setzte sich davor nieder und riß die hastig aufgeschlossene Schublade mit einer gewaltsamen Bewegung auf. Unter anderen Papieren lag ein weißer Briefumschlag darin, den er herausnahm und öffnete. Nichts war in ihr als eine Photographie, sichtlich ein Werk von Dilettantenhand, ein leichtes, unaufgezogenes Blatt. Hannas Gestalt war auf ihm zu sehen, daneben die des Grafen Stefan; ein Stück vom Garten der Villa Rainer bildete den Hintergrund. Liselotte Hell, die mit Anfängerleidenschaft photographierte, hatte das Bild im letzten Sommer gemacht.

Er legte das Blatt vor sich hin und starrte darauf nieder, den Kopf aufgestützt auf die breit an die Seiten der Augen gelegten Hände, wie wenn er die Welt von sich abschließen wollte. Seine Blicke hafteten unverwandt auf Hannas Bildnis, ein Zittern durchlief seinen Körper und ließ ihn im Froste der Leidenschaft erschauern. Zuletzt faßte Glaritz mit einer plötzlichen, wilden Bewegung das Blatt, riß es empor und preßte die Lippen auf Hannas Gesicht – wieder und wieder.

In einer augenblicklichen Erschlaffung ließ er es dann wieder sinken und starrte wie zuvor darauf nieder. Aber diesmal suchten seine Blicke Stefans Gestalt, und wütender Haß verzerrte mehr und mehr seine Züge. »Du hast sie mir genommen, du Hund!« rief er in zischender Wut. Und plötzlich ergriff er ein scharf zugespitztes Falzbein von blankem Stahl, das auf dem Schreibtische lag, hob es empor gleich einem Dolch und stieß es immer aufs neue hinein in Stefans Bild an der Stelle, wo das Herz des Lebenden saß.

Nach diesem Ausbruch wieder ein Erschlaffen, ein Insichversinken, dann ein rasches Aufspringen unter dem Antrieb einer jähen Eingebung. Und auf dem Gesichte dabei das triumphierende, grausame Lächeln, das den Anblick eines besiegt Unterlegenen, Vernichteten begleitet.

Rasch machte der Arzt sich zum Ausgehen fertig, nahm etwas aus dem Schreibtisch, was er sorgsam in der Tasche barg, legte Hut und Mantel an und verließ das Haus. Dann ging er schräg über die Straße zu der Gitterpforte, die sich an jenem Unglücksabend für Xaver Stieler aufgetan hatte. Drinnen im Garten tat Glaritz mit einer kurzen, zaudernden Bewegung einen Schritt nach der Seite, wo links von ihm der Pavillon lag, als wenn es ihn dorthin zöge, wandte sich aber gleich wieder ab und verfolgte mit eiligen Schritten den Weg, der direkt auf die hinter hohen Bäumen verborgene Villa zuführte.

So kam er ins Haus und klopfte mit einer vor Aufregung bebenden Hand an die Tür von seines Onkels Arbeitszimmer, wo der alte Herr schon eifrig über seinen Briefen und Geschäftspapieren saß. Doch unterbrach er seine Tätigkeit mit einer freundlichen Begrüßung des Neffen.

»Welch ein früher Gast, – aber umso willkommener. Guten Morgen, Heinz. Bei dir kann man sich doch einmal vom Herzen herunter reden, was darauf liegt. Hanna heißt bei mir jetzt nur noch das große Schweigen. Sie kommt mir manchmal vor, wie das verschleierte Bild von Sais, – wenn ich von dem auch eigentlich nicht viel weiß.«

Glaritz nickte stumm und reichte Rainer die Hand. Sein Onkel redete sprechfreudig weiter. »Setze dich zu mir, Junge. Nimm dir eine Zigarre, – sie stehen da neben dir.«

»Danke, ich rauche jetzt nicht.«

»Und was verschafft mir denn deinen Besuch zu dieser ungewohnten Zeit?«

»Ich komme wegen Hanna.«

»Ja, wenn ich dir helfen könnte, – wie gern würde das geschehen.«

»Es ist nicht meinetwegen, daß ich heute hier bin. Du weißt, wie lieb ich sie habe, wie sehr ich mir wünsche, – davon wollen wir aber gar nicht sprechen. Auf mich kommt es nicht an, – ich möchte nur, – – ich möchte Hanna retten.«

»Retten, – wovor?«

»Vor sich selbst und vor – – ihm!«

Er sprach die letzten Worte mit einem Tone, der an die leidenschaftliche Wut erinnerte, womit er Stefans Bild kurz vorher zerfetzt hatte.

»Wie sollen wir das machen? Sie liebt ihn, – leider Gottes!«

»Wir müssen sie jetzt als Kranke betrachten. Wir dürfen dabei nicht fragen, ob die Medizin ihr schmeckt, womit wir sie heilen. Ob es ihr wehe tut, wenn wir hineinschneiden in ihr Herz.«

»Gewiß, gewiß, nur, – dein alter Onkel ist gerade kein Sachverständiger in Liebesangelegenheiten, Heinz, aber soviel weiß er doch auch, daß es keine Medizin gibt gegen die Liebe.«

»Doch, es gibt solch eine Medizin,« sagte Glaritz, jedes Wort mit schwerem Nachdruck belastend.

»Zeig' sie mir, wenn du kannst.«

»Wenn wir Hanna beweisen, daß Graf Stefan Hersberg der Mörder seines Bruders ist, wird sie geheilt werden von ihrer Liebe.«

»Heinz, dieser Mensch ein Mörder? Das wäre ja so furchtbar, daß es unglaublich ist. Ich bitte dich, das ist ja ganz unmöglich. Und beweisen, – wir sollen das beweisen? Das Gericht quält sich schon tagelang vergeblich, den Schuldigen zu finden, – wie sollten wir mehr fertig bringen wie das Gericht?«

»Es hat bereits einen engen Kreis des Verdachtes um den Grafen gezogen. Die Zeitungsberichte lassen das deutlich genug erkennen. Jetzt fehlt nur noch der endgültige, schlagende Beweis von seiner Schuld.«

»Eben, – der fehlt.«

Schweigend sah Glaritz noch eine Sekunde lang zu Boden, dann hob er den Kopf und sagte langsam:

»Ich glaube, daß ich diesen Beweis liefern kann.«

»Du, – Heinz, du?«

»Der Zufall hat mich an dem Abend, als der Ermordete hier im Pavillon bei Hanna war, seinen Bruder sehen lassen, als er nach Stielers Fortgehen, und als auch Hanna schon ins Theater gefahren war, beobachtend auf der Straße stand und gleich darauf im Pavillon Licht machte. Der Gedanke daran hat mich nicht losgelassen. Und ich habe ganz vor kurzem noch etwas anderes entdeckt, gesehen. Ich habe gezaudert, ob ich davon sprechen sollte. Wenn du mich fragst, Onkel, weshalb: um einer falschen, mißverstandenen Rücksicht auf Hanna willen, weil mein Fund ihren geliebten Grafen Stefan verdächtigt. Aber nach und nach ist es mir klar geworden, die Wahrheit allein kann sie heilen von der Vergiftung, die verübt worden ist an ihrer Seele. Soll ich dir zeigen, Onkel, was ich gefunden habe?«

»Ja, ja, natürlich, – so furchtbar es auch wäre, wenn du recht hättest.«

Glaritz erhob sich; sein Körper schwankte bei der Bewegung ein wenig.

»Dann warte, gleich bin ich wieder hier.«

Damit ging er hinaus. Rainer war gleichfalls aufgesprungen und schritt, während er allein war, in höchster Aufregung hin und her. »Das wäre ja doch eine tolle Sache!« kam es halblaut von seinen Lippen, – »es ist wahrhaftig eine verteufelte Geschichte!«

Da war Glaritz bereits wieder. Zwei Gegenstände hielt er in seiner Hand: blank, dunkelgrün, mit Glasglanz der eine, weiß mit roten Flecken und schwarzen Schriftzügen der andere.

»Dies ist, was ich gefunden habe, – nein, Onkel, rühr' es nicht an. Es muß noch untersucht werden, ob Gift sich daran befindet.«

»Aber ich verstehe nicht, – was ist es?«

»Dies hier ist nichts anderes als der Boden einer zerschlagenen Weinflasche. Du siehst, ein Bodensatz von eingetrocknetem Wein ist noch darin. Dies andere – –«

»Ja, woher kommt es denn? Und wie kommt es in deinen Besitz?«

»Ich habe die beiden Sachen unmittelbar neben dem Pavillon gefunden. Die Polizei hat nur sein Inneres durchsucht. Mir kam der Gedanke, daß draußen im Garten vielleicht noch eine Spur zu finden wäre. Das eine seitliche Fenster geht ja nach dem Garten hinaus. Darunter ist, wie du dich erinnern wirst, ein kleiner Luftschacht am Fundament. Ein junger, niedriger Hollunderstrauch breitet seine Blätter darüber und verdeckt ihn fast ganz. Als ich den gestern beiseite bog, blinkte mir diese Scherbe von unten aus dem Luftschacht entgegen. Daß gerade von einer Weinflasche ein Stück dort lag, machte mich stutzig. Mehr noch dies Papier, das in den Blättern des Hollunderbusches hängen geblieben war, das man aber vom Garten aus nicht bemerken konnte. Wie du siehst, ist es ein zerknitterter Briefumschlag, – der Umschlag eines Briefes, der an den Grafen Hersberg adressiert war.«

»Das ist Hannas Handschrift, – um Gotteswillen, laß uns vorsichtig sein!«

»Ich hätte das Papier still für mich behalten, wenn ich fürchtete, daß ihr dadurch irgend ein Schaden geschähe. Sie selbst kann aber dadurch in keiner Weise belastet werden. Denn sie hätte niemals – – –«

»Aber was bedeuten die roten Flecken darauf?«

»Sie stammen meiner Ansicht nach von Wein, vom Auswischen eines gebrauchten Weinglases. Ich denke mir den Vorgang so: Der Mörder ist eine Weile nach Verübung der Tat noch einmal in den Pavillon gekommen, – wie wir das vom Grafen Stefan ja wissen. Er hat nun die Flasche, die den vergifteten Wein enthielt, mit einer anderen von unschädlichem Inhalt vertauscht; auch das Gericht soll diesen Verdacht hegen. Das benutzte Weinglas hat er ausgewischt, um die Giftspuren darin zu vertilgen; hierzu hat er das erste beste Papier, das er in der Tasche trug, benutzt. Vielleicht hat er dann auch noch das Glas mit reinem Wein ausgespült und ihn aus dem Fenster in den Garten gegossen. Anscheinend hat er auch dabei die vergiftete Flasche noch in der Hand gehalten, hat sie fallen lassen und so zerschlagen. Die Scherben hat er hinterher vermutlich im Dunkeln zusammengerafft, hat aber diesen Flaschenboden, der in den Luftschacht gefallen war, nicht fühlen und bemerken können. Danach und nach dem gleichfalls hinausgefallenen Papier bei Tage zu suchen, war ihm wohl zu gefährlich. So blieben beide Sachen liegen, und nur war es beschieden, sie zu finden.«

»Aber die Scherbe lag unten im Luftschacht, wie du sagst – –«

»Ich habe sie jetzt eben daraus hervorgeholt. Unter dem weit vorspringenden Dache des Pavillons ist sie vor jeder Feuchtigkeit geschützt gewesen, ebenso das Papier. Der Wein ist ruhig eingetrocknet auf dem Glase. Wenn er vergiftet war, muß man das heute noch feststellen können.«

»Feststellen? – Du meinst – –?« Wieder ging Rainer in maßloser Aufregung im Zimmer auf und ab, um endlich mit einem tiefen Atemzuge, der einem schmerzlichen Seufzer sehr ähnlich war, vor seinem Neffen stehen zu bleiben. »Ja, mein Gott, mir scheint, wir hätten dann doch die Verpflichtung – –«

»Ich sehe dabei nur das eine: Hanna muß geheilt werden von ihrer Liebe zu diesem Grafen. Dazu haben wir hier das Mittel in den Händen.«

»Das auch, das auch. Aber darüber hinaus: Ich muß eine Pflicht erfüllen, eine der schwersten Pflichten meines Lebens. Ja, Heinz, ich habe die Pflicht, bei der Aufdeckung eines Verbrechens, das anscheinend hier auf meinem Grund und Boden begangen worden ist, nach besten Kräften mitzuwirken. Deshalb muß ich – es wird mir furchtbar schwer, – aber ich muß dich bitten, Heinz: geh' hin zum Untersuchungsrichter und bring' ihm, was du gefunden hast.«

»Ich gehe.«


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