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Dreizehntes Kapitel

Es war Montag, also ein Unglückstag von Beruf. Und er zeigte heute diese häßliche Eigenschaft an den verschiedensten Leuten. Sein erstes Opfer war Hulda Müller, die Frau des schönen Löwenbändigers Enrico.

Der Morgen hatte für sie scheinbar sehr angenehm begonnen. Es war ausnahmsweise kein Liebesbrief an ihren Gatten gekommen, dieser selbst aber war von seiner Verwundung so weit hergestellt, daß er sich zum ersten Male wieder in den Zirkus zu seinen Tieren hatte begeben können. Aus diesem doppelten Grunde war Hulda zum Abschied sehr zärtlich gegen ihn gewesen und hatte den ihr ordnungsmäßig angetrauten Apollo so fest in die Arme geschlossen, daß ihr eine Naht auf dem Rücken geplatzt war. Sie hatte sich nämlich vor ein paar Jahren, als die Mode aufkam, ein Reformkleid aus hübschem, buntem Waschkattun machen lassen, in dem sie sich anfangs außerordentlich gefallen hatte. Nach und nach war aber doch auch ihr die Erkenntnis aufgedämmert, daß in diesem engen Futteral die Aehnlichkeit ihrer Person mit einer zu vollgestopften Blutwurst gar zu groß war, um reines ästhetisches Behagen auszulösen, und so hatte sie dies Gewand nach und nach zu einem Haus- und Arbeitskleide degradiert, in dem sie eben heute große Wäsche halten wollte. Denn Hulda war eine tätige, sorgsame Hausfrau. Wenn der Zirkus einmal mehrere Monate in einer Stadt blieb, so mietete sie – nominell tat es Enrico, doch das war nur eine Form – ein paar möblierte Zimmer und kochte und wusch in eigener Person.

Heute war die kleine Küche von Wäschedüften, die zwar nach Fleiß, aber sonst nicht sehr angenehm rochen, schon dicht angefüllt, und Hulda hantierte mit der nassen Wäsche, wie sie früher mit Kanonenkugeln hantiert hatte. Sie war in vortrefflicher Laune und sang ein kleines Lied vor sich hin, das ehemals die Hörer mit Entzücken erfüllt hatte, wenn gleichzeitig beim Singen ein paar Zentner aus ihren roten Händen in die Lüfte geflogen waren. Es handelte von einem losen, kleinen Schmetterling, aber Hulda sang es diesmal mit ruhiger Heiterkeit, ohne störende Anzüglichkeit auf ihren schönen Gatten, die sich sonst mehrfach mit ihrer Kunstleistung verband. Heute war's ein Idyll; klitsche-klatsche gings in der Waschwanne, »Loser, kleiner Schmetterling« erklang es zugleich in den kräftigen Tönen eines Garde-Grenadiers.

Aber es war Montag – das Idyll mußte gestört werden. Und es geschah pünktlich durch die Person des Schutzmanns Stilke. Der Kommissär Kirchheim war ein etwas bequemer Mann, und so gaben die Lobeserhebungen seines Chefs über Stilkes Fähigkeiten ihm willkommenen Anlaß, diesem die Recherchen in der Sache Ruschebusch – denn so war sie jetzt getauft worden – hauptsächlich zu übertragen.

Stilkes heutige Recherchen galten den gefundenen Löwenhaaren. Der Herr Untersuchungsrichter war allerdings einigermaßen mißtrauisch gegen sie, weil der selbst verdächtigte Niemann sie eingeliefert hatte, doch mußte auch diese Spur in der dunklen Sache schließlich verfolgt werden. Zumal ein so einfacher logischer Schluß von den Haaren auf eine bestimmte Person leitete. Zur Zeit gab es nur sechs lebendige Löwen in der Stadt, diese Löwen gehörten Heinrich Müller, genannt Enrico der Große, – wenn irgend jemand um die Haare wußte, so mußte Heinrich Müller dieser Jemand sein. Wohl instruiert vom Untersuchungsrichter, mit der Weisung ausgerüstet, sich vorläufig einmal vorsichtig in der Wohnung des Löwenbändigers umzuhören, war Stilke zu seinem neuen Unternehmen ausgesandt worden. Er überlegte sich's auf dem ganzen Wege, wie diese Recherche wohl am vorsichtigsten und besten einzuleiten sei, war aber mit seiner Ueberlegung noch durchaus nicht fertig, als er die gesuchte Wohnung schon erreicht hatte. Das verminderte seine Sicherheit, und der unerwartete Anblick der von Seifenschaum triefenden, reformgekleideten Frau Hulda, die ziemlich ungnädig die Tür öffnete, vermochte sie nicht wiederherzustellen.

Stilke begann: Ach, entschuldigen Sie – ich dachte – ich meinte –, ist Herr Heinrich Müller nicht zuhause?

Ne, der is in'n Zirkus.

Und wann kommt er zurück?

In fünfundzwanzig Minuten, ick habe jrade uff der Uhr jesehen. Um elfe muß er da sint. Wenn er denn mich kömmt, denn hol' ick ihm.

Dürfte ich vielleicht hier auf ihn warten?

Hulda musterte den Besucher einen Augenblick; Stilkes gutes, rotes Gesicht schien Gnade vor ihren Augen zu finden. Ja, denn müssen Se aber schon bei mich in die Küche warten. In die Zimmer, da lass' ick keenen nich alleene 'rin.

Es wird mir eine besondere Ehre sein, in so liebenswürdiger Gesellschaft zu warten, sagte Stilke mit höflichem Anlauf, der bei Hulda ein zufriedenes Schmunzeln und den Ausruf: Ach, Sie kleener Schäker! zur Folge hatte.

Nachdem Stilke sich in respektvoller Entfernung von Hulda auf einen nassen Stuhl gesetzt hatte – heute war alles naß in dieser wäscheduftenden Küche –, konnte das Recherchieren beginnen. Hulda plantschte im Wasser herum, war einer Unterhaltung aber dabei nicht abgeneigt.

Mit so Löwen, begann Stilke seine vorgeschriebene, vorsichtige Sondierung, ist das doch wohl sehr interessant?

Na, wie man det nimmt.

Ich meine, es kommt doch wohl allerlei dabei vor?

Ach, wejen die Jeschichte mit'n Sultan, wo meinen Mann anjefallen hat? Ja, det hätte schlimm werden können. Aber diesen Abend tritt er schon wieder uff.

Das freut mich zu hören. Das freut mich wirklich. Aber ich meinte – zum Beispiel –, kommt es nicht auch mitunter vor, daß so 'nem Löwen heimlich Haare abgeschnitten werden?

Hulda blickte dem Schutzmann einen Augenblick stumm ins Gesicht, um sodann in ein so brüllendes Gelächter auszubrechen, daß es den Löwen ihres Mannes Ehre gemacht hätte, wenn diese überhaupt zum Lachen disponiert gewesen wären. Um ihrer maßlosen Belustigung weiter Luft zu machen, ergriff Hulda gleichzeitig eins ihrer Wäschestücke, das gerade von ihr ausgewrungen und dabei zu einer festen Wurst ineinander gedreht worden war, nahm es wie eine Keule und schlug damit auf den Rand ihrer Waschwanne, daß Wasser und Seife den von unten bereits angefeuchteten Schutzmann auch von oben ausgiebig überspritzten. Dem Ersticken vor Lachen dabei unheimlich nahe, schrie die Riesendame zugleich in abgerissenen Sätzen: Sie sind jut – Sie sind jut! – Haare abschneiden – 'n Löwen Haare abschneiden – heimlich Haare abschneiden – nee, so wat, so wat! Ja, wie denn, wo denn, womit denn?

Stilke war beleidigt über diesen ganz unerwarteten Effekt seiner fein ausgedachten Frage und suchte die verlorene Würde durch die Worte wiederherzustellen: Oh, bitte sehr. So etwas kommt in der Tat vor. Ich habe meine Beweise dafür.

Aber Hulda lachte nur noch immer toller, bis ihr Aussehen derart wurde, daß Stilke aufstand und ihr mit der flachen, Hand auf den Rücken klopfte. Das brachte sie ein wenig wieder zu sich, und sie beruhigte sich schließlich soweit, um ihren abgerissenen Ausrufen die Worte hinzuzufügen: Jetzt sagen Se man bloß noch, daß Se Frisör sind un 'n Sultan de Mähne brennen wollen. Denn is die Jeschichte fertig.

Wie ein abziehendes Gewitter sich mit langsam nachlassendem Donnergrollen verabschiedet, so erstarb auch nach und nach das Lachen in Huldas wogendem Busen. Stilke hüllte sich eine Weile in gekränktes und überlegendes Schweigen, um dann, als die Anfälle der Riesendame im Nachlassen waren, seine Forschungen von einem anderen Punkt aus wieder aufzunehmen.

Sie leben wohl sehr glücklich mit ihrem Manne, Frau Müller?

Ach ja, sehr jlicklich. Wenn Heinrichen man bloß nich so scheen wäre!

Aber das ist doch kein Fehler.

Det verstehen Se nich. Det kann nur 'ne Frau verstehen, wo so 'n scheenen Mann hat. Vor ihr selber is det ja sehr anjenehm, natierlich. Aber die andern, die andern!

Was ist denn mit den anderen?

Doll sind se, versessen sind se uff so 'n scheenen Kerl! Un ob se unter de sojenannten gebildeten jehören oder nich, det is janz ejal. Von oben runter bis unten hin, doll sind se alle.

Da haben Sie wohl vielleicht gar Grund zur Eifersucht?

Na, wenn's uff die Frauenzimmer alleene ankäme, denn wär's Essig. Aber ick halte mir meinen Mann, ick halte mir Heinrichen fest an die Strippe. Mit die Briefe natierlich, da kann ich nich jejen an, aber in die Hände kriegt er ihnen nich, davor bin ick da! Nich in die la main!

Dann kriegen also diese – diese Briefschreiberinnen niemals eine Antwort?

'n jeschriebene Antwort, nee. Vor's ville Schreiben bin ick nie jewesen. Aber wenn se so'ne Zusammenkunft proponieren, so mit jeheimen Abzeichen, mit 'ne Rose am Busam oder mit's Schnuppduch in die rechte Hand –

Also das kommt wirklich vor? Daß eine so mit 'nem Schnupftuch ein Zeichen gibt?

Na, un ob. Kucken Se man bloß mal her. Sie zog aus der qualmenden Wasserflut in der Waschwanne ein triefendes, rotumrändertes Taschentuch, das nach seinem bescheidenen Umfang offenbar einer Dame zuzusprechen war. Das da is eens von so 'ne Tücher, wo die Weibsbilder auf'n Schauplatze von 's Jefecht zurückjelassen haben.

Vom Gefecht? Ja, was wollen Sie damit sagen?

Fors Jefecht bin ick da! Weiter will ick nischt sagen. Sie reckte dabei die muskulösen Riesenarme, daß wiederum eine Naht in ihrem Reformgewande krachend platzte.

Stilke räusperte sich; er fand es ungemein schwierig, auf das umgebrachte Kind zu kommen. Auf einem Umweg suchte er sich ihm schließlich zu nähern. Sagen Sie, Frau Müller, meinen Sie nicht – halten Sie es nicht für möglich, daß Ihr Herr Gemahl doch hie und da kleine Seitensprünge macht?

Mit Hulda ging eine plötzliche Veränderung vor; die Sonne ihrer Heiterkeit verschwand hinter Gewitterwolken. Mißtrauisch fragte sie: Wat wollen Sie damit sagen? Ick jloobe jar, Sie wissen wat von Heinrichen.

Nein, nein, das nicht. Ich frage ja nur. Haben Sie niemals was gemerkt oder gehört oder gesehen – so von 'nem heimlichen Kinde zum Beispiel –?

'n Kind?

Ja, das kommt doch vor. Wenn einer sich einmal hinreißen läßt, und er fängt ein Verhältnis an hinter dem Rücken seiner Frau –

Hören Sie mal, wer sind Se denn ejentlich? Sie kommen daher un reden Stuß von Löwen, wo Sie heimlich die Haare abschneiden, un nu von heimliche Kinder, wo heimlich uff de Welt kommen. Ja, mit wen ha 'ck denn eejentlich die Ehre?

Hulda begleitete die höfliche Frage mit so drohendem Näherkommen und solchem schlachtmäßigen Aufstreifen ihrer ohnedies bereits hochgerückten Aermel, daß der erschrockene Stilke zur Sicherung seines ferneren Daseins den raschen Entschluß faßte, sich zu legitimieren. Er zog seine Karte hervor und enthüllte seine Eigenschaft als Angehöriger der Kriminalpolizei. Hulda hatte vor wenigen Dingen Respekt, aber die Polizei gehörte zu ihnen. Auf Stilkes Enthüllung hin fiel sie zunächst dem Schrecken, dann der Verzweiflung zur Beute. Sie stammelte: Po–polizei? Krimi–nalpolizei! Daß mich der Dalschlag trifft! So wat is ja noch jar nich dajewesen. Die Polizei in meine Wohnung! Ja, wat soll denn det bedeuten? Denn die Polizei kömmt doch nich umsonst. Wenn die kömmt, denn weeß se ooch, warum. Un wenn se von heimliche Kinder anfängt –

Regen Sie sich nur nicht auf. Die Sache hat ja gar nichts zu bedeuten. So ein kleines Kind mehr oder weniger –

'n Kind? 'n Kind? Nischt zu bedeuten? Wenn mein Heinrich – denn uff den wollen Sie doch hin mit Ihre kniffliche Reden. 'n Kind! Wissen Se ooch, daß ick mir selber seit zehn Jahren 'n Kind jewunschen habe un keens jekriegt? Wie oft ha 'ck zu Heinrichen jesagt – »Heinrich,« ha 'ck jesagt, »wenn wir man bloß 'n Kind hätten! Nich vor 's Verjnügen alleene, nee, ooch vor 's Jeschäft. Denn so 'n Kind, wo von mich die Kräfte hätte un von dich det Jeistige, det jäbe 'ne Nummer! Mit fünf Jahre wäre der Junge die höchste Attraktion vor die feinste Varietés.« Aber Heinrich hat nur mit de Schultern jezuckt und hat jesagt: »Da kann man nischt bei machen,« hat er jesagt. Un nu kommen Se her un sticheln un reden von'n Kind, ja Herr Kriminalbeamter, wo is denn det Kind, wovon Sie reden?

Stilke wurde siedeheiß bei der elementaren Gefühlsäußerung der gewaltigen Dame, die ihm geistig und körperlich immer näher auf den Leib rückte. Und das Mittel, das er in seiner Verlegenheit anwandte, um sie zu beruhigen, bewirkte leider das Gegenteil. Aber liebe Frau Müller, ich bitte Sie noch einmal, regen Sie sich nicht auf. Wenn das Kind überhaupt dagewesen ist, so ist es ja doch schon wieder tot.

Tot? Tot? Also dajewesen is es? Un Heinrich – mein Heinrich – zehn Jahre hat er mir warten lassen, un nu – aber det jeht 'm nich so hin, det nich. Nee, wat zu ville is, det is zu ville! Stantepeh jeh' ick jetzt in 'n Zirkus un stelle Heinrichen zur Rede, un Sie, Herr Kriminalbeamter, Sie kommen mit mich! Ooge in Ooge mit Heinrichen sollen Se wiederholen, wat Se jesagt haben. Langen tu ick 'n mir, un wenn ick 'n mitten aus die Viecher mir herausholen muß!

Sie hatte Stilke am Arm gepackt, und ihr Griff übertraf die Festigkeit der Schließketten, mit denen er verhaftete Verbrecher mitunter fesseln mußte. Widerstand war absolut ausgeschlossen. Auch blieb gar keine Zeit für etwaige Ueberredungsversuche. Denn wie sie ging und stand, noch vom Seifenschaum triefend, stürmte Hulda auf die Straße hinaus und zog den Schutzmann wie einen ungezogenen Schulbuben hinter sich her. Während er vergeblich mit seinen kurzen Beinen Schritt mit ihr zu halten suchte, protestierten seine Lippen unaufhörlich gegen diese Vergewaltigung, drohten mit Verhaftung, mit Strafen. Doch Hulda war taub gegen seine Worte, wie sie taub war gegen den Jubel der Straßenjugend, die dem sonderbaren Paare bald freiwillig das Geleit gab und sich an dem strampelnden Stilke ebenso ergötzte, wie an dem geplatzten Reformkleid der Riesendame.

Durch die Teilnahme der hoffnungsvollen Jugend aufmerksam geworden, schenkten auch Erwachsene der sonderbaren Prozession hie und da einen Blick und ein Lachen. Keiner von allen aber lachte so herzlich wie ein hübsches Paar auf der anderen Seite der Straße. Zuerst hatte der Herr zu lachen angefangen, hatte dann ein paar Worte zu der Dame an seiner Seite gesagt, und nun war ihre Heiterkeit gleich groß geworden. Sie blieben mitten im Menschengewühl stehen, schauten dem fortgezogenen Schutzmanne nach und brachen immer wieder in helles Lachen aus.

Es waren Paul Delaroche und seine Braut. Beide hatten sich heute für ein paar Vormittagsstunden frei gemacht, weil ihre Heirat nicht mehr fern war und weil sie einige Sachen für ihre zukünftige Wohnung hatten einkaufen wollen. Ihre Begegnung hatte jedoch mit einer Ueberraschung für Martha begonnen; denn Paul hatte nach der ersten Begrüßung zu ihr gesagt: Du, ich glaube, wir werden die Sachen gar nicht zu kaufen brauchen.

Warum nicht? Willst du mich sitzen lassen?

Ist nicht meine Absicht. Aber ich muß dich um etwas fragen.

Um was?

Wie denkst du über Amerika?

Ein sehr verwunderter Blick war ihre Antwort gewesen, er aber hatte fortgefahren: Im Ernst, ich muß wissen, wie du über Amerika denkst, würdest du mit mir kommen, wenn ich hinüberginge?

Was willst du denn drüben machen?

Dasselbe, was ich hier tue: eine Zeitung redigieren.

Paul, hast du einen Antrag nach drüben?

Erraten, Schatz. Einer von den großen Zeitungsmännern von drüben ist augenblicklich hier. Er hat einiges von mir gelesen, er war auf der Redaktion, er hat mit mir gesprochen, und das Ende vom Liede war, daß er mir vorgeschlagen hat, einen Posten an einer großen, deutschen Zeitung in seinem Besitz anzunehmen. Er will mich gut bezahlen, ausgezeichnet sogar, aber ich habe gesagt: »Lieber Herr, zuerst muß ich hören, was meine Braut von der Sache denkt.«

Ach, da hättest du gar nicht zu fragen brauchen. Aber das ist ja herrlich, Paul, das ist ja großartig! Natürlich komme ich mit. Und sieh nur zu, daß du dich hier möglichst bald frei machst, damit wir umso schneller hinüber kommen.

Du bist ja riesig begeistert von der Sache. Ganz über mein Erwarten. Möchtest du fort von hier?

Ja, Paul, das habe ich mir lange schon gewünscht. Weit, weit fort!

Aber du hast niemals etwas davon gesagt.

Es hatte ja doch keinen Zweck. Aber jetzt –

Jetzt liegt die Sache anders, das ist wahr. Also: ich nehme an. Auf nach Amerika!

Und bald, Paul, bald, ich bitte dich darum.

So war ihr Entschluß für die Fahrt in die neue Welt einmütig gefaßt worden, und wenn es nun auch überflüssig war, noch eine Wohnungseinrichtung in der alten zu kaufen, so benützten sie doch die freie Zeit, um lustig durch die Straßen zu schlendern und allerlei Luftschlösser zu entwerfen, die jenseits des großen Wassers gebaut werden sollten. Der Zwischenfall mit Stilke und seiner gewaltigen Begleiterin erhöhte ihre gute Laune nur noch mehr, und immer häufigeres, helles Lachen begleitete ihr glückliches Geplauder.

Aber – es war Montag. Auch an ihnen mußte der Unglückstag seine verderbliche Kraft bewähren. Und es dauerte keine fünf Minuten, bis es geschah.

Sie waren ein paar hundert Schritte weit gegangen, die Gruppe um Stilke war vor ihnen noch zu erblicken, Paul hatte eben den Vorschlag gemacht, ihren wichtigen Beschluß mit einer Flasche Sekt zu begießen, als Martha plötzlich stehen blieb und mit ihrer Hand Pauls Arm umklammerte, während ihre Blicke sich angstvoll geradeaus in die Ferne richteten.

Was hast du, Kind?

Laß uns umkehren, Paul.

Aber warum?

Ich bitte dich, laß uns umkehren. Rasch!

Gerne, wenn du willst, Aber sage mir –

Später, später, nicht jetzt. Ein andermal, wenn wir drüben sind in Amerika.

Das ist noch etwas lange. Ich möchte doch –

Frag mich nicht, ich bitte dich. Komm, laß uns hier in die Seitenstraße gehen, komm schnell!

Paul gehorchte, doch mit einem gewissen natürlichen Zögern, und er konnte sich nicht versagen, an der Ecke in die Hauptstraße, die sie verließen, zurückzuschauen. Aber in dem Gewimmel von Menschen war nichts zu erblicken, was die plötzliche Aufregung seiner Braut hätte erklären können.

Stumm, ein wenig verstimmt, ging er in der schmalen, ruhigeren Seitengasse eine Weile neben Martha dahin, um dann doch noch eine Frage zu versuchen.

Willst du mir's wirklich nicht sagen, was dir fehlt?

Sie drückte seinen Arm mit ihrer Hand, jetzt nicht mehr in Angst, sondern mit warmer Zärtlichkeit.

Paul, sei gut. weißt du nicht mehr, was du mir versprochen hast?

Was denn?

Mir zu vertrauen, rückhaltlos zu vertrauen, wenn ich einmal ein notwendiges Geheimnis vor dir haben sollte.

Das habe ich versprochen, das ist wahr. Aber –

Jetzt ist der Augenblick, wo ich dich um dein Vertrauen bitte.

Du hast ein Geheimnis?

Ja, Paul, ich habe ein Geheimnis.

Nun ja – gewiß – natürlich – versprochen ist versprochen. Ich vertraue dir ja auch, selbstverständlich. Aber ich, na ja, da laß es uns mit dem Vertrauen versuchen.

Er fragte nicht mehr. Martha war beruhigt, seit sie sich noch ein paarmal umgeschaut hatte, und ging an seiner Seite wie zuvor. Aber das fröhlich-harmlose Geplauder wollte nicht wieder in Gang kommen. Sie fragten, sie antworteten, sie lachten auch wohl einmal, doch die rechte Heiterkeit verweigerte den Gehorsam bei gar zu gewaltsamer Einladung zur Wiederkehr, und Paul Delaroche machte an diesem feindlichen Montag die Erfahrung, daß Vertrauen in der Theorie eine sehr viel leichtere Sache ist, als in der Praxis.


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