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Drittes Kapitel

Der dritte Akt folgte, die Spannung des Publikums erreichte den Gipfel. Die Mörder umlauerten den unbesiegbaren Detektiv und lauerten wiederum vergebens. Sherlock Holmes zerschlug die Petroleumlampe für zwei Mark fünfzig Pfennige und entwischte. Der Jubel kannte keine Grenzen mehr, Lorbeerkränze flogen mitten in die Mörderspelunke hinein.

Hans von Hildebrand hatte drüben in der Proszeniumsloge einen alten Jagdgenossen entdeckt und eilte hinüber, um ihn zu begrüßen. Paul Delaroche aber sagte zu seiner Braut: Wie wär' es, Kind? Ich hätte Durst aus einen Topf Bier. Kommst du mit in die Restauration?

Ich danke, Paul. Du weißt, ich trinke sehr wenig. Aber laß dich nicht abhalten; ich bin hier sicher aufgehoben, bis du zurückkommst.

Paul machte von dem erhaltenen Urlaub Gebrauch; denn sein Durst war groß. Er stieg zum Restaurant hinauf, das im Foyer des zweiten Ranges gelegen war, und ergötzte Auge und Zunge am braungefüllten, schaumgekrönten Glase. Bisher war er so geradeswegs auf sein Ziel hingesteuert, daß er die Gesichter der anderen Durstigen kaum beachtet hatte, jetzt aber ließ er den Blick über die verschiedenen Gruppen dahingehen. Was ihm dabei zuerst ausfiel, waren ein paar Augen, die rasch zur Seite schauten, als die seinen sie trafen. Ein leichtes, malitiöses Lächeln umzuckte seine Lippen, als er diese Wahrnehmung machte, und er hatte nichts eiligeres zu tun, als geradeswegs durch die sich drängende Menge auf den Inhaber dieser ausweichenden Augen zuzuschreiten. Mit behaglicher Vertraulichkeit gab er dann dem Manne einen Schlag auf die Schulter und sagte: Guten Abend, Herr Exkollege.

Der andere fuhr herum und bekam einen roten Kopf. Er war ein blonder, kräftiger, frischer Mensch von etwa vierzig Jahren, der für hübsch hätte gelten können, wenn ihm nicht eine alles beherrschende Eitelkeit das Aussehen eines aufgeblasenen Truthahnes gegeben hätte. In der Zivilkleidung trug er die straffe Haltung des früheren Feldwebels zur Schau, doch warf er den Kopf noch mehr in den Nacken, als es für einen Feldwebel nötig war. Und wenn er ging, – wozu er im Augenblick freilich keinen Platz hatte – gab er dem Körper bei jedem Schritt eine künstliche Erschütterung, daß ihm die Arme bebten, als wenn er eine Treppe hinunterginge. Jetzt machte sein rechter Arm für sich allein eine Bewegung, erst nach vorn, dann wieder zurück, und deutete durch diese Zeichensprache an, daß sein Besitzer im Zweifel sei, ob er dem früheren Kollegen die Hand reichen solle oder nicht. Der aber griff ohne Umstände danach und schüttelte sie herzhaft. Nun kam auch Leben in den also Begrüßten; erst räusperte er sich, um die Stimme frei zu bekommen und dann mit einer mühsamen, sauersüßen Höflichkeit zu sagen: Guten Abend, Herr – Redakteur muß man Sie jetzt ja wohl nennen?

Freilich, und so oft als möglich. Denn ich höre meinen neuen Titel unbeschreiblich gern. Darum bin ich auch eigentlich nur zu Ihnen heran gekommen, weil ich Ihnen noch einmal meinen allerverbindlichsten Dank zu Füßen legen wollte.

Ihren Dank?

Jawohl.

Wofür denn?

Weil Sie so wacker mitgeholfen haben, mir diesen neuen Posten zu verschaffen, der mir so brillant gefällt.

Mitgeholfen? Dabei? Daß ich nicht wüßte. Seine Manier, zu sprechen, war eigentümlich. Er zerhackte die Worte in ihre einzelnen Silben und stieß jede von ihnen mit besonderem Nachdruck hervor.

Doch, doch, nur keine falsche Bescheidenheit. Denn wir beide wissen es ja ganz gut, und niemand besser als Sie, verehrter Herr Kommissar, daß Sie mit edlem Feuereifer mitgearbeitet haben, mich bei der Polizei hinauszubeißen. Und wenn ich dort nicht wäre hinausgebissen worden, hätte ich mich nicht um meinen gegenwärtigen Posten beworben, wenn ich mich nicht um ihn beworben hätte, so hätte ich ihn nicht bekommen, und wenn ich ihn nicht bekommen hätte, dann wäre ich nicht den hundertsten Teil so vergnügt, wie ich es heute bin. Ergo – heißt »also« auf deutsch – habe ich Ihnen riesig dankbar zu sein, und ich spreche Ihnen diese Dankbarkeit aus das nachdrücklichste aus.

Das Gesicht des anderen war in diesem Augenblick nicht allzu klug. Aber Sie tun mir wirklich unrecht – begann er mit einiger Mühe, doch ließ ihn Delaroche nicht ausreden.

Ich bitte Sie, sprechen wir doch nicht weiter davon. Sie handelten ja vollkommen korrekt. Sie sind tugendhaft, und ich bin es nicht, Sie haben eine fromme Frau, und ich habe überhaupt noch keine. Also darum keine Feindschaft nicht. Und er streckte dem Kommissär noch einmal die Friedenshand entgegen.

Der hatte sich während der langen Rede nur immer steifer aufgerichtet, als wenn er das Gehörte in Form eines Ladestockes verschluckt hätte. Jetzt entgegnete er langsam und bedächtig: Sie tun mir allerdings unrecht mit Ihrer Beschuldigung, aber ich wünsche Ihnen Glück, wenn Sie sich wohl fühlen in Ihrer neuen Tätigkeit. Dabei legte er seine von verborgenem Aerger kalt gewordene Hand in die warme, freundliche des Journalisten.

Ich hoffe, wir werden in Zukunft noch viel bessere Freunde sein als bisher, sagte Delaroche. Wir stehen ja nun auch in einer gewissen Geschäftsverbindung. Sie liefern meinem Blatte den Polizeibericht, und wir zahlen Ihnen jährlich etliche hundert Märker, die doch immer den festesten Grundstein für eine Freundschaft bilden, nicht wahr?

Die Mienen des Kommissärs hellten sich auf. Ja, dieser kleine Nebenverdienst ist mir nicht unangenehm. Und wenn Sie vielleicht einmal in irgend einer Sache eins Auskunft wünschen, die ich geben darf, den Weg zu meiner Wohnung kennen Sie ja.

Natürlich. Und ich werde von Ihrem freundlichen Anerbieten gern und oft Gebrauch machen. Das Publikum brennt, wie Sie wissen, auf Kriminalgeschichten; über die kann eine Zeitung nicht ausführlich genug berichten. Gibt es denn augenblicklich gar nichts Interessantes?

Aber auch gar nichts. Ich hatte gehofft, aus der Sache Negenborn ließe sich etwas machen – Sie wissen doch, der Brand in der Augsburgerstraße, wobei ein altes Weib ums Leben kam?

Freilich, freilich.

In der Stadt war ja das Gerücht verbreitet, die Alte wäre zunächst ermordet worden, und der Mörder hätte dann das Haus in Brand gesteckt. Aber ich habe nicht die leiseste Spur für die Richtigkeit dieser Behauptung gefunden.

Ich auch nicht.

Sie?

Allerdings. Ich war draußen auf der Brandstätte im Auftrage meines Blattes und habe mir alles ganz genau angesehen. Aber es war nicht das geringste Außergewöhnliche zu finden.

Nicht das geringste. Die Alte ist einfach am Schlage gestorben, daran ist kein Zweifel. Und so muß man die Gaben, die man denn doch vielleicht hat, immer wieder an den alltäglichsten und uninteressantesten Fällen abnützen.

Delaroche machte ein ungewöhnlich teilnehmendes Gesicht. Ja, ja, es ist wirklich traurig für Sie. Ein Mann von so seltener Begabung, wahrhaftig, das habe ich stets aufs wärmste anerkannt, auch als Sie mein Gegner waren. Aber sie haben zu selten Gelegenheit, sich zu zeigen, Sie wären ja sonst schon längst ein ebenso berühmter Detektiv wie dieser Sherlock Holmes.

Der Kommissär schmunzelte und drehte seinen dicken blonden Schnurrbart in die Höhe. Nun, nun, Sie übertreiben da wohl ein wenig, Herr Redakteur. Aber das kann ich Ihnen sagen: ich habe die Geschichten von diesem Sherlock Holmes alle schon ein paarmal sorgfältig gelesen, und ich habe darin immer dieselbe Methode angewandt gefunden, die ich bisher für mein geistiges Eigentum gehalten hatte; die ich selbst in solchen Fällen immer angewandt habe, oder angewandt hätte, wenn derartige Fälle überhaupt an mich gekommen wären. Die Methode ist gut, ohne Frage. Ich habe auch meinen Kriminalschutzleuten die Sherlock Holmes-Geschichten zu lesen gegeben, damit sie daraus lernen sollen. Schutzmann Stilke ist auf meine Veranlassung heute gleichfalls hier im Theater. Aber die Fälle, die Fälle! Wenn sie nicht kommen, was hilft uns alle Methode und alle Geschicklichkeit?

Ja, ja, das Glück hat verschiedene Kleider an, sagte Delaroche mit scheinbar großem Ernst. Ihnen wäre sein Anblick am liebsten, wenn es in der blutroten Farbe eines hübschen, kleinen Mordes zu Ihnen käme. Nun, man muß immer das Beste hoffen. Vielleicht wird im Augenblick schon das Messer geschliffen, das Ihnen zu einem Bombenerfolg verhelfen und Sie mit einem Male berühmt machen soll.

Der Kommissär zuckte die Achseln und bewegte die Hand mit ablehnender Grandezza. Das will ich nicht hoffen, ich wünsche meinen Mitmenschen nichts Böses. Allerdings muß ich gestehen: wenn einmal solch ein trauriger Fall sich ereignen sollte, dann wünschte ich, daß er in meinem Bezirk passierte. Die Welt sollte sehen, daß auch ein deutscher Kriminalbeamter Schlußfolgerungen zu ziehen versteht, wie dieser Sherlock Holmes.

Und ich würde nicht verfehlen, Ihre Verdienste vor der Oeffentlichkeit ins rechte Licht zu setzen. Wissen Sie, es ist gar nicht unangenehm für Sie, durch mich zu einem Blatte in Beziehung zu stehen, das gegebenenfalls ein wenig in die Trompete stößt, um Ihren Ruhm zu verkünden, wir können einander gegenseitig nützlich sein, also begraben wir heute das Kriegsbeil für alle Zeiten. Prosit, Herr Kommissär, ich trinke diesen Rest auf zukünftige gute Freundschaft.

Prosit, Herr Redakteur, ich komme nach. Würdevoll ertönte die Antwort.

Sie leerten ihre Gläser, und in diesem Augenblick meldete das Glockenzeichen den Beginn des letzten Aktes. Eilig begaben sich beide auf ihre Plätze zurück. Nun gingen die Sensationen auf der Bühne rasch zu Ende. Noch ein wenig Verkleidung, ein wenig Mordversuch, ein wenig Taschenspielerei mit dem Revolver, und der Vorhang konnte fallen unter abermaligem Jubel.

Delaroche war etwas zerstreut gewesen während dieses letzten Aktes und hatte – wohl in Gedanken an seinen Exkollegen – ein paarmal still in sich hinein gelacht. Jetzt erhob er sich rasch und geleitete seine Braut aus der Loge hinaus zur Garderobe, wo das liebenswürdige Raufen um die Kleider begann, das der zivilisierte Mensch an dieser Stelle zu vollführen pflegt. Als die zwei nach einigem Warten die Hoffnung fassen durften, im Laufe dieses Abends ihre Mäntel auch noch wieder begrüßen zu dürfen, und ein wenig vordrängten zu der Stätte der Gabenverteilung, sahen sie sich plötzlich einem anderen Paare gegenüber, das bereits in den Straßenanzug gehüllt war. Ein Ausweichen war unmöglich. Delaroche machte darum seine höflichste Verbeugung und sagte: Herr Oberregierungsrat, gnädiges Fräulein, gestatten Sie, daß ich Ihnen meine Braut vorstelle: Fräulein Martha von Bühring.

Bornträger versuchte, freundlich auszusehen, was für sein Monocle wieder von den verhängnisvollsten Folgen begleitet war, und sagte: Meinen verbindlichsten Glückwunsch. Also verlobt haben Sie sich? Das wird Ihnen gut tun. Nur habe ich Ihre Verlobung noch nirgends angezeigt gesehen.

Nein, wir haben sie bisher noch nicht veröffentlicht.

Ah!

Diese eine Silbe wurde vom Oberregierungsrat in einem Tone gesprochen, der sie ungeheuer vielsagend machte, wer es verstanden hätte, diesen Ton zu übersetzen, der hätte jene Silbe leicht in folgende Rede verwandeln können: Das sieht dir ähnlich, daß du dich nicht binden willst. Ein Windhund bist du gewesen und ein Windhund wirst du bleiben. Deine Braut aber scheint von demselben leichten Kaliber zu sein wie du selbst. Sonst würde sie ja nun und nimmer mit dir allein ins Theater gegangen sein ohne die geringste Ehrendame. Bleibt ihr mir nur hübsch weit vom Leibe, wenn ich bitten darf. Das alles lag in dem einen Wörtchen »Ah« des Herrn Polizeichefs.

Eine kleine Pause folgte, und nun sprach Marion. Sie hatte während der letzten Sekunden die Braut Pauls mit jener feindlichen Aufmerksamkeit betrachtet, die sich aus der Situation ergab. Sie selbst hatte diesen Menschen gern gehabt, und als Besiegte stand sie nun vor der Siegerin. Dies Empfinden bohrte sich unangenehm tief in ihr gefühlvolles Herz und schärfte die Zunge für schneidende Worte. Auch ich sage Ihnen meinen Glückwunsch, Herr Delaroche, vorausgesetzt, daß wirklich Anlaß ist, Ihnen Glück zu wünschen.

Und ich sage Ihnen meinen Dank, vorausgesetzt, daß ich Anlaß zu danken habe. Mit blitzenden Augen sah er sie an; es war etwas wie eine Kriegserklärung in diesen Blicken. Dann zog er Martha, vor dem früheren Chef sich kurz verbeugend, mit sich fort.

Als sie glücklich in den Besitz ihrer Garderobe gekommen und auf die Straße gelangt waren, fragte Martha, die bis jetzt geschwiegen hatte: Du, Paul, was war denn das eben für eine Szene? Warum beleidigte mich die Dame? was hat sie gegen dich?

Sie hat nur das gegen mich, daß sie zu viel für mich gehabt hat.

Ach, deshalb! Ihr Gesicht heiterte sich auf. Da bin ich ihr nicht mehr böse. Hat sie dich auch lieb gehabt?

In ihrer Art vielleicht. Aber ihr Herz ist eine Kaserne, und ich liebe keine Kasernenwohnungen.

Sie lachte und war zufrieden. Glücklich ging sie an seinem Arm durch helle Straßen und halbdunkle Anlagen, wo ein leichtfertiger Frühlingswind den knospenden Bäumen und Sträuchen allerlei schöne Geschichten von kommenden Blüten und Früchten zuflüsterte.

Wie angenehm die reine Luft ist nach dem heißen Theater, sagte Martha, doch bekam sie keine Antwort. Auch später nicht, als sie noch einmal eine Unterhaltung zu beginnen versuchte. Nur ein undeutliches Gemurmel kam von den Lippen Pauls, das ihr sagte, daß er sie gehört hatte, zugleich aber auch, daß der Aerger noch in ihm arbeitete und brannte, bis er seine Braut zuletzt durch ein ganz merkwürdiges Betragen überraschte. Mitten auf der Straße, unter vielen fremden Menschen, blieb er plötzlich stehen, ließ ihren Arm los, lachte schallend auf, hob das rechte Bein, schlug sich laut auf den Schenkel und drehte sich auf dem linken einmal im Kreise herum. Damit war der Anfall vorüber. Martha hatte nicht heraushören können, ob Hohn, Grimm, Haß oder Freude in seinem Lachen gelegen hatte. Sie wollte fragen, doch kam in eben diesem Augenblick die Trambahn herbei, die sie nach Hause führen sollte, und so blieb es unerörtert, was Pauls Indianertanz hatte bedeuten sollen.


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