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Erstes Kapitel

Sie nannten ihn das »eine Auge der Gerechtigkeit«. Es war nicht schön von den Leuten; aber man weiß ja, daß die Spottlust der Menschen auch vor den höchsten Autoritäten nicht Halt macht, weder vor Päpsten, noch vor Königen, weder vor Schwiegermüttern, noch vor der Polizei. Wahrhaftig, sogar diese beste Freundin aller gesitteten Staatsbürger ist nicht sicher vor schlechten Witzen. Und so war auch der Herr Oberregierungsrat Bornträger, vielgefürchteter Chef der Sicherheitspolizei, mit einem Spottnamen bedacht worden. Auf das Monocle, das er trug, besaß er als Reserveoffizier der Kavallerie ein wohlbegründetes Anrecht, und seine Schuld war es doch sicher nicht, wenn die Nase in seinem runden Gesichte so kurz geraten war, daß er die sonderbarsten Manöver machen mußte, um jenes zweckloseste aller Marterinstrumente vor seinem rechten Auge notdürftig festzuhalten. Daß er dazu dies Auge selbst vollkommen zukneifen mußte, wäre an sich nicht so schlimm gewesen; denn durch ein Monocle hat wohl noch niemals irgend ein Mensch irgend etwas gesehen. Aber diese freiwillige Einäugigkeit war auch der Anlaß zu dem häßlichen Spitznamen, den der Herr Oberregierungsrat nun durchs Leben schleppte und womit nebenbei seinen vielen Untergebenen bitteres Unrecht geschah. Denn es gab nicht nur dies eine, sondern Hunderte von Augen der Gerechtigkeit, die mit Selbstverleugnung wachten, suchten und spähten.

In dieser Frühlingsdämmerstunde, die so hell war, als wenn die Sonne sich freute, jetzt nicht mehr so zeitig wie ein Kind ins Bett geschickt zu werden, war das bewußte eine Auge außer Dienst und erfreute die heimischen Räume in der königlichen Polizeidirektion mit seinem Leuchten. Es war ein großer, heller, modern möblierter Salon ohne jeglichen polizeilichen Beigeschmack, wo der Herr Polizeichef eins der Abendblätter las. Außer ihm waren noch drei lebende Wesen im Zimmer: ein Papagei und zwei Damen. Der graue Papagei saß auf einer hohen Stange, die jüngere der Damen – sie mochte die Dreißig eben erreicht haben – in einem dunkelroten Klubsessel, die ältere der beiden in einem häufig knarrenden Rohrstuhl, den ein sogenannter Thron in der einen Fensternische trug. Das war Tante Aurelie, die Schwester von der verstorbenen Mutter des hochwohlgeborenen Herrn Bornträger, nahezu zwanzig Jahre älter als er, klein, dicklich, in sich zusammengesunken und so stocktaub, daß nur bei besonders günstigem Winde – sie behauptete, Südwest wäre der beste – ein Wort aus Menschenmund an ihr Ohr drang. In dieser notgedrungenen Einsamkeit schuf sie sich ihre besonderen Freuden, unter denen es die größte war, dort am Fenster zu sitzen und in einem jener Spiegelapparate, die man Spione heißt, jeden Vorgang aus der Straße mit Eifer zu verfolgen. Sie kannte die ganze Nachbarschaft mit all' ihren Eigenheiten und Schwächen, und ihre Beobachtungsgabe oder ihre Phantasie war so stark, daß es manchmal schien, als wenn sie mit Hilfe ihrer Spiegel durch die Mauern hindurch in das Innere der Häuser hineinschaute. Wenn aber irgend etwas ihr besonders Interessantes vorkam, dann teilte sie sich der Außenwelt in einer Bemerkung von kurzem und geheimnisvollem Telegrammstil mit, und jetzt eben waren kaum fünf Minuten vergangen, seit sie ihre Angehörigen durch die Mitteilung über irgend einen geheimnisvollen Nachbarn erfreut hatte: Jetzt brennt er doch wieder Briketts.

Nach Erklärungen ihrer Offenbarungen forschte niemand mehr, der sie kannte; die Wahrscheinlichkeit einer Verständigung war gar zu gering. Auch diesmal hatte die Schwester des Oberregierungsrats in ihrem Klubsessel nur ein wenig gelacht und war gleich wieder in ihr nichtstuerisches Träumen zurückverfallen. Sie war merkwürdig hübsch, wenigstens sehr pikant, sehr rassig. Was die Nase ihres Bruders an Ausdehnung zu wenig bekommen hatte, schien der ihrigen zugelegt worden zu sein, die scharf und energisch vorsprang. Das braune, schwere Haar hatte sie sich à la Cléo de Mérode glatt über die Ohren gelegt, doch hatte dies Mittel nicht genügt, ihrem Gesichte den unschuldsengelhaften Ausdruck zu geben, den die schmuckreiche Tänzerin sich so erfolgreich irgendwoher verschrieben hat. Hier war eine Täuschung höchstens solange möglich, als die Augenlider gesenkt blieben. Hoben sie sich, dann sah man sofort allerlei kleine Teufelchen der Lustigkeit und der Bosheit in den entschleierten Höhlen tanzen.

Sie lag mehr im Stuhl, als sie saß, und schaute durch ein gegenübergelegenes Erkerfenster in den gelbgefärbten Abendhimmel hinein. Dort hinten leuchtete der Frühling, und ihre Blicke sagten, daß er eine sehr angenehme Erfindung sei. Zum Sprechen aber hatte sie offenbar keine Lust, und so schwiegen die drei Personen eine ganze Weile.

Der Papagei war der erste, dem die stumme Unterhaltung langweilig wurde. Laut aufkreischend schlug er mit den Flügeln und sagte dann vernehmlich: Du Scheu–, du Greu–! Irgendein Lehrmeister hatte sich offenbar Mühe gegeben, ihm die schönen Worte Scheusal und Greuel beizubringen, doch war der Vogel in der Mitte der Lektion stecken geblieben und über Scheu– und Greu– nicht hinausgekommen. Nur das noch weniger parlamentarische Wort Luder sprach er zur Schande seines Lehrmeisters ohne Stocken mit Wohlbehagen aus, und zuweilen in besonders günstigen Momenten überraschte er seine Mitwelt durch ein paar längere, schwierige Sätze.

Das abscheuliche Vieh! sagte der Herr des Hauses, halb von seiner Zeitung emporblickend. In seinem Tone war immer eine Mischung von künstlicher Würde und natürlicher Nervosität.

Laß ihn doch, entgegnete seine Schwester, ohne ihre Stellung zu verändern. Er ist ja so nett.

Nett?

Ja, er ist lustig. Und das ist schon ein großes Verdienst in dem Hause hier, wo die heilige Justitia mit der heiligen Langeweile tagtäglich Polonaise durch alle Zimmer tanzt. Außerdem habe ich ihn gern um seines Gebers willen.

Was hast du denn mit dem unglücklichen Seekadetten vor?

Mit dem kleinen Dittfurth? Nichts. Er gefällt mir nur. Er ist ein wunderhübsches Kerlchen geworden, seit ich ihn nicht gesehen hatte. Schade, daß er schon wieder fort ist.

Ich aber sage: Gottlob! Mir genügt es vollauf, daß er uns dies schreiende Ungetüm ins Haus gebracht hat. Eine ganze Menagerie hat er, glaube ich, mit sich geschleppt und seine Bekanntschaft und Verwandtschaft damit unglücklich gemacht. Das hätte gerade noch gefehlt, daß du mit dem grünen Jungen angebändelt hättest.

Jugend schändet nicht. Er war kräftig und groß für sein Alter. So ein paar Jahre auf See machen viel. Frische Farben, Helle Augen –

Sei still, Marion; vergiß nicht, wer und was ich bin. Ich mag diese frivolen Reden nicht, du weißt es.

Und du weißt auch, daß ich nicht mehr Marion genannt werden möchte.

Bitte, darauf lasse ich mich nicht ein. Du hast die Marotte gehabt, deinen guten deutschen Namen Marie in Marion umzuändern, und ich habe dir den Gefallen getan, mich daran zu gewöhnen. Dabei bleibts nun aber. Alle vierzehn Tage einen neuen Namen, das gibt's nicht. Sonst könnte ich mich darauf gefaßt machen, dich Mary zu nennen, sobald irgend ein spleeniger Engländer dir gefiele, und Marietta, wenn ein schwarzäugiger Italiener Gnade vor dir fände. Denn das habe ich doch nun ganz zweifellos eruiert, daß du dich nur deshalb Marion hast nennen lassen, weil du bis über die Ohren in diesen Menschen, diesen Delaroche, verschossen warst.

Und wenn –

Bitte, laß mich ausreden. Ich liebe es nicht, unterbrochen zu werden. Als Nachkomme einer Emigrantenfamilie trägt er seinen französischen Namen, und da meintest du, Marion Delaroche würde vortrefflich klingen. Dein plötzlicher, lebhafter Verkehr mit Dittfurths ist auch nur seinetwegen von dir inszeniert worden, weil du ihm vom Garten dort in die Fenster sehen konntest.

Er hat mir auch gefallen. Sie sah ein wenig geärgert aus, aber sie versuchte zu lachen.

Welcher Mann gefiele dir nicht? sagte der Polizeichef mit einem schweren Seufzer, um dann hinzuzufügen: Bei diesem hast du dich aber doch geschnitten. Man sagt mir ganz bestimmt, er habe sich verlobt.

Verlobt? Sie war aufgesprungen und vor ihren Bruder hingetreten. Ein anderer hätte sich wohl gefreut an ihrer schlanken und hohen Gestalt, die von einem dunkelgrünen Sammetkleid eng umschlossen wurde, doch sind bekanntlich Brüder für die Vorzüge ihrer Schwestern meist einigermaßen kurzsichtig. Auch der Herr Oberregierungsrat machte sich nicht die Mühe, sie anzuschauen; seine Blicke spazierten in den Spalten der Zeitung hin und her, während er sagte: Der Mensch hat ja wirklich eine neue Stellung hier gefunden, – ist Journalist geworden. Journalist! Eine hübsche Karriere! Zuerst Infanterieleutnant – um die Ecke gegangen. Dann bei uns untergekrochen als Polizeikommissär – vor vier Wochen entlassen –.

Marion fiel ihm rasch ins Wort. Bitte sehr! »Entlassen« ist nicht der richtige Ausdruck. Hinausgeärgert habt ihr ihn. Weil er vornehmer, eleganter und vor allen Dingen klüger war als die übrige hohe Polizei, habt ihr ihn gedrangsalt, bis er freiwillig gegangen ist.

Du nimmst ja noch sehr lebhaft für ihn Partei.

Durchaus nicht. Ich bemühe mich nur, gerecht zu sein. Also Journalist ist er geworden, sagst du?

Zeitungsschreiber, jawohl. Hier bei dem nationalmiserablen Blatte, über das ich mich täglich ärgern muß, hat er eine Stelle gefunden. Als Theaterkritiker noch dazu! Hier steht seine erste sogenannte Kritik. Es wäre zum Lachen, wenn es nicht so läppisch wäre.

Gib mir die Zeitung.

Was willst du damit?

Seine Kritik lesen.

Spar dir die Mühe.

Gib sie mir her.

Achselzuckend gab er ihr das Blatt hinüber, und sie trat damit ans Fenster, um beim letzten Tagesscheine die erste Kritik des Herrn Leutnants und Polizeikommissärs a. D. Paul Delaroche zu lesen. Wider willen lachte sie ein paarmal auf mit zornigem Gesicht.

Talentvoll ist er, sagte sie dann, als sie zu Ende war. Das Ding ist gut geschrieben, schneidig, witzig und –

Frech, weiter nichts, warf Bornträger ein.

O nein, die Frechheit allein tut es nicht. Es ist etwas anderes drin, – seine Persönlichkeit. Man meint ihn zu sehen mit seinen lustigen, malitiösen, so verteufelt hübschen Augen. Sie schwieg einen Augenblick, ihr Busen hob sich, von einem verhaltenen Seufzer geschwellt. Dann aber warf sie den Kopf zurück und schlug mit der Hand durch die Luft. Na, ein ander' Bild. Nur keine Kopfhängerei. Lustig gelebt und selig gestorben. Franz, wie wär's heute abend mit dem Zirkus?

Was willst du denn dort schon wieder? Wir waren ja doch erst vor drei Tagen drin.

Ja, das macht nichts. Ich interessiere mich für die Pferde.

Er wandte den Kopf zu ihr um und runzelte die von keinem Haar mehr beschattete Stirn; dabei fiel ihm, wie jedesmal bei dieser Prozedur, das Monocle aus dem Auge. Leider weiß ich, daß die Pferde, für die du dich interessierst, nur zwei Beine haben. Die Geschichte mit dem Jockeyreiter vor zwei Jahren ist dir noch unvergessen, bei mir so gut wie in der Stadt. Einem solchen Menschen Briefe zu schreiben! Marion, Marion, denk an deinen Ruf, denk an meine Stellung!

Ein Brief ist doch nichts Böses. Ich will mich nicht zu Tode langweilen, und ein schöner Mann gefällt mir nun einmal.

Achselzuckend gab der Oberregierungsrat für den Augenblick die Debatte auf, und in die Pause hinein, die entstand, – sie hatte trotz ihrer Taubheit einen merkwürdig feinen Instinkt für Pausen – machte Tante Aurelie die überraschende Bemerkung: Die Hosen hat ihm wieder seine Frau gemacht.

Ohne sich um diese unbekannten Hosen zu kümmern, fragte Marion, die ein paarmal im Zimmer auf und ab gegangen war, nach einer Weile: Und verlobt ist er, sagst du? Mit wem denn?

Ach, mit dieser, – wie heißt sie doch gleich? Mit diesem Fräulein von Bühring von dem Verein für Frauenschutz. Dort macht sie ja die Sekretärin und hat es noch nicht einmal nötig, wie man sagt. Sie soll übrigens eine arrogante Person sein; Frau von Hergenrath hat sich neulich höchst abfällig über sie geäußert.

Frau von Hergenrath, – ach, dies liebliche Wesen!

Marion!

Was willst du?

Ich verbitte mir jede unehrerbietige Aeußerung über diese vortreffliche, geistig so außerordentlich hochstehende Dame.

Mag sie so hoch stehen, wie sie will. Ich habe nun einmal nichts übrig für dies Genre,

Das ernst und streng nach alter Sitte
Soeben in der Griechen Mitte
Am Wanderstabe schritt einher,
Als ob die Gottheit nahe wär.

Sprich keinen Unsinn.

Nein wirklich, Franz, mir imponiert eine Frau noch nicht, weil sie Vorsitzende vom Suppenverein ist.

Frau von Hergenrath ist überhaupt nicht im Suppenverein.

Nun, dann in einem Dutzend von anderen Vereinen. Auf diesem blühenden Wirkungsfelde begegnet ihr einander ja gerade. Was dort Mode wird, das macht ihr mit. Jetzt ist eben die Geschichte mit Babel und Bibel aufgekommen – schwupp, seid ihr beide Mitglieder vom archäologischen Verein und sitzt bis über die Ohren in Keilschrift. Ein Polizeichef und Keilschrift! Hat man so was jemals gehört? Bei ihr wundert's mich allerdings nicht, wenn sie sich für Ausgrabungen interessiert. Denn sie sieht selber aus, als wenn sie ausgegraben wäre.

Jetzt ist es genug! Ich verbitte mir ein für allemal –

Es blieb ihr verschwiegen, was er sich jetzt verbitten wollte. Denn in diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und ein Dienstmädchen brachte die neu eingelaufene Post für den Herrn Oberregierungsrat, ein Paket von Zeitungen und Briefen, so dick, wie die Würde seiner Stellung es erforderte. Mit Eifer griff er danach, warf aber die Briefe zunächst achtlos beiseite, nahm eine Drucksache hervor, zerriß das Kreuzband und vertiefte sich voll gespannter Aufmerksamkeit in die Lektüre des Blattes. »Im Reiche König Hammurabis«, stand auf dem Titel. Ebenso rasch jedoch, wie er es aufgegriffen hatte, durchflog er seinen Inhalt, faltete das Heft zusammen und barg es in seiner Brusttasche. Nun erst griff er nach den Briefen, überlas ein paar von ihnen und sagte dann: Es tut mir leid, Marion, ich kann heute abend nicht mit dir ausgehen. Dienstliche Pflichten verhindern mich.

Diese dienstlichen Pflichten sind wirklich deine zuverlässigsten Untergebenen. Immer kommen sie zu rechter Zeit, wenn du keine Lust hast, mit mir auszugehen, weißt du wohl, daß du mir den »Sherlock Holmes« auch schon seit ein paar Monaten versprochen hast? Alle Welt spricht von dem Stück, es wird nächstens zum hundertsten Male gegeben, und ich habe es noch immer nicht gesehen. Diese hochwohllöbliche Polizeidirektion ist wirklich schlimmer als ein Kloster!

Eine Polizeidirektion ist kein Vergnügungslokal.

Nein, das weiß der Himmel! Wenn ich mich hier zu Tode langweile oder auf Dummheiten komme, du hast mich auf der Seele, lieber Bruder.

Steif und streng erhob sich der Polizeichef von seinem Sitze: Dagegen gibt es ein einfaches Mittel, – seine Stimme war so streng wie sein Gesicht, – denke nicht immer nur an die Freuden des Lebens. Richte den Geist auf die ernsten Fragen, schaffe dir Pflichten. Ich gebe dir darin ein Beispiel. Meine dienstliche Tätigkeit wäre wirklich allein genügend, um meine Zeit auszufüllen, aber du hast eben selbst betont, welch ausgedehnter Vereinstätigkeit ich mich daneben noch widme; auch heute abend muß ich wieder in einen dieser Vereine. Oft bin ich zum Umsinken müde, wenn ich nach Hause komme, so müde, daß ich mein Vaterunser kaum zu Ende beten kann, aber ich lege mich nieder mit dem trostreichen Gefühl, der Wohltätigkeit, der Wissenschaft oder den kommunalen Interessen gedient zu haben.

Hochaufgerichtet stand er vor seiner Schwester, feierlich wie ein Prediger in der Wüste.

Du Luder, sagte der Papagei, die Tante aber lachte plötzlich laut auf, um dann den erhabenen Moment mit den unpassenden Worten zu stören: Ich dachte, es wäre eine Tortenschachtel, und nun ist es ein Klosettdeckel.

Merke dir meine Worte, fuhr der Oberregierungsrat in etwas weniger feierlichem Tone fort: Ich muß jetzt gehen. Ich weiß nicht genau, wann ich zurückkomme; ihr braucht mit dem Abendessen nicht auf mich zu warten. Ich werde vielleicht, – ja, was ist denn das?

Helles, rasches, heftiges Glockenklingen tönte von der Straße herauf, das Rollen eiliger Räder klang dumpf hinein. Es brennt! rief die Tante mit einem so vergnügten Ausdruck, als wenn sie zur Christbescherung einlüde. Es muß Großfeuer sein.

Fast im selben Augenblick fand ihre Aussage die amtliche Bestätigung. An der Tür wurde geklopft, und gleich darauf erschien ein Schutzmann in Uniform mit der Meldung: Herr Oberregierungsrat, soeben wird telephoniert: Großfeuer in der Augsburgerstraße.

Dem Polizeichef entfuhr ein sehr unsittlicher Fluch, und das Monocle fiel. Alle Teufel! wo brennt's denn?

Auf Nummer fünf, Herr Oberregierungsrat.

Wer wohnt da, wem gehört diese Nummer fünf?

Einer alten Frau namens Negenborn. Einer etwas anrüchigen Person, einer Kartenlegerin oder Wahrsagerin. Das Haus an sich ist nur eine alte Baracke –

Aber?

Aber unmittelbar gegenüber, auf der anderen Seite der Augsburgerstraße, liegt das große Gefangenhaus und in einer Flucht mit dem brennenden Gebäude, nur durch einen schmalen Weg von seinem Grundstück getrennt, befindet sich die Kartonagen- und Geschäftsbücherfabrik von Mayer & Rosenfeld.

Abscheulich! Der Oberregierungsrat murmelte das Wort halblaut zwischen den Zähnen, Marion war ein paar Schritte näher getreten und horchte gespannt auf die Worte des Schutzmanns. Nur die Tante blickte unentwegt in ihren Spion und mit seiner Hilfe auf die Straße hinunter, wo eben wieder eine Spritze vorüberdonnerte und -klingelte.

Melde ferner, fuhr der Schutzmann fort, der vor Eifer und Respekt förmlich dampfte, daß die Besitzerin des Hauses, die Frau Negenborn, bei dem Brande umgekommen sein soll; vor Schrecken soll sie der Schlag gerührt haben.

Die arme Frau! Marion rief es, doch ihr Bruder verwehrte ihr mit einer majestätischen Handbewegung die Einmischung in polizeiliche Angelegenheiten.

Es ist gut, Sie können gehen. Ich begebe mich sofort persönlich auf die Brandstelle.

Der Schutzmann machte kehrt und verschwand, sein Chef blieb trotz der abgegebenen Erklärung noch einen Augenblick überlegend stehen. Es war, als wenn er seine dienstliche Würde mit einiger Mühe zusammensuchen müsse.

Du willst selbst hinaus? fragte Marion rasch. Dann sei doch so gut und telephoniere mir, ob die arme Frau wirklich umgekommen ist.

Was geht dich dieses alte Weib denn an?

Ich interessiere mich dafür, ob sie auf so traurige Weise gestorben ist.

Marion, was hat diese neue Laune zu bedeuten? Ich will doch nicht hoffen –

Was denn?

Man sagt, daß viele Damen aus der Gesellschaft in der Abenddämmerung zu der Alten hinausgegangen sind, um sich die Zukunft verkündigen zu lassen oder ihre Dienste vielleicht auch für andere, noch dunklere Zwecke in Anspruch zu nehmen. Soll ich denken, daß auch du dich so weit vergessen hast –

Und wenn es so wäre?

Dann würde ich dir noch einmal sagen, wie schon so oft: bedenke deinen Ruf, bedenke meine Stellung! Sieh mich an. Meinst du, daß es mir Freude macht, da hinaus zu fahren und mich vielleicht von einem glühenden Balken erschlagen zu lassen? Aber die Pflicht ruft, und ich folge ihr. Ich hatte mich so sehr auf die Vereinssitzung heute abend gefreut –

Ach, dieser liebe Verein!

Was soll dieser spöttische Ton?

Ich meine nur, daß die Vereinssitzungen eine sehr angenehme Erfindung für die Herren der Schöpfung sind.

Wieso? Warum?

Weil sie so hübschen Vorwand abgeben, wenn man sich einmal ein wenig im geheimen amüsieren will.

Marion, du beleidigst mich. Fast kann ich sagen: du beleidigst mich in amtlicher Eigenschaft. Ich untersage dir das. Und wenn du fortfährst, mich so zu ärgern bei Tag und Nacht, dann sollst du deinen Bruder einmal kennen lernen!

Er war schon draußen, bevor sie die Bemerkung hatte machen können, daß ihr dieser Aerger nur doppelt verdächtig erscheine. Hinter sich hatte er die Tür mit ungewohnter Heftigkeit zugeschlagen, so daß die Wände dröhnten und ein leises Echo dieses zornigen Tones auch bis zu Tante Aurelie hinüberdrang. Sie wandte sich hastig um und sagte freundlich mahnend: Marion, ich glaube, es hat geklopft.


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