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6.
Hochzeit

Mittlerweile war's Februar geworden.

Ein ganz unkalendermäßiger, vorzeitiger Frühling lockte die Knospen an Baum und Strauch hervor, küßte die Blauveigelein und kleinen Anemonen wach.

Die Jugend jauchzte: »Frühling, der Frühling ist da!«

Die alten seufzten: »Was will das werden? Die Sonne lockt alles hervor und der Frost, der Frost kommt sicher nach. Was dann?«

Vorläufig aber schien die Sonne golden und warm.

Sylvia saß im Erker, durch dessen geöffnete Fenster die Lichtflut hereinströmte.

Alf-Bübchen spielte drunten im Garten, die dahin führende Tür war weit geöffnet.

Auf Sylvias braunem Scheitel lag die Lichtflut und vergoldete die kleinen Ringellöckchen über der Stirn. In Sylvias braunen klaren Augen schien sich ein goldener Strahl verfangen zu haben.

Vor Sylvia lagen Briefe, in denen sie eben noch gelesen hatte, Briefe der fernen Lieben, die nur Gutes meldeten.

Gerhard war sehr fleißig, wie er sagte, und genoß mit Freund Wolf, der nun gerade vor seinem letzten Examen stand, diese »goldenen« Tage, wie er sie nannte, sehr.

Auch Achim und Dieter schrieben sehr befriedigt. Der Beruf, den sie gewählt hatten, wurde ihnen täglich lieber.

Was hätte Sylvia mehr wünschen können! All ihre Lieben waren gesund, zufrieden und wohlgeborgen. Dazu die goldene Sonne! Das Leben war doch zu schön.

Da streckte Trude den Kopf zur Tür herein.

In ihren Augen glühte und leuchtete, flimmerte und strahlte es, und ihre Stimme hatte einen eigen jubilierenden Klang.

»Gratuliere mir, Sylvia, gratuliere mir. Ahnst du, wozu?«

Fragend hob Sylvia den Kopf, doch ehe sie Worte finden konnte, jubilierte Trude weiter.

»Ich bin Braut, Sylvia, denke dir, ich bin Braut. Sylvia, Sylvia, kann denn ein Mensch so glücklich sein?«

Stürmisch warf sie sich an Sylvias Brust.

»Rate, wer mich haben will, rate!«

Sylvia öffnete die Lippen, doch Trude schnitt ihr wiederum das Wort ab.

»Du mußt's ja an Silvester schon gemerkt haben, Sylvia, was? Vorgestern schrieb er, gestern ging mein Jawort ab, und eben telegraphiert er, daß er kommt. Sylvia, Sylvia, ich kann's noch gar nicht fassen. Sylvia, so sag doch nur ein Wort!«

»Gott segne dich, Trude,« flüsterte Sylvia. Der Gedanke an Gerhard machte sie traurig.

Trude war wie immer zu sehr mit sich selber beschäftigt, um Sylvias gedrücktes Wesen zu bemerken.

»Ich bin so glücklich, Sylvia, so unaussprechlich glücklich,« jubelte sie wieder.

Und wie der Wind war sie unten im Garten, hatte Alf-Bübchen gepackt und wirbelte mit dem Kleinen im Kreise.

Der wehrte sich, ganz erschreckt ob dem Ungestüm.

»Alf-Bübsen wollen nix tanzen, Alf-Bübsen wollen allein spielen.«

»Ich bin ja Braut, Alf-Bübchen, ich bin Braut!«

Trude jauchzte es, als solle alle Welt es hören und an ihrem Jubel teilnehmen.

Jörg und Heinz, die hinten im Garten, abseits von Späheraugen, ihr Wesen oder vielmehr Unwesen trieben, hatten es denn auch gehört.

Sie kamen angestürzt.

»Wer ist Braut? He, wer ist Braut?«

»Ich, Jungens,« sagte Trude stolz.

»Herrje, und wer flickt die Socken?«

»Trude, du? Na, dein Mann kann sich gratulieren!«

»Jungens,« mahnte Sylvia erschrocken, »seid doch nicht solche Flegel!«

Trude aber war zu selig und in zu gehobener Stimmung, um irgend etwas übelzunehmen.

»Der gratuliert sich auch, Jörg,« sagte sie lachend, »und Socken flicken lerne ich noch, Heinz; sei nicht bange.«

Da waren die beiden entwaffnet, und etwas beschämt brachten sie nun stotternd ihren Glückwunsch an.

Sie sahen aus wie die Räuber. Jetzt erst fiel Sylvia das auf.

»Um's Himmels willen, was treibt ihr, Jungen?« rief sie erschrocken.

»Kanal bauen,« klang's schon aus der Tiefe des Gartens.

Sylvia seufzte und konnte nur noch Alf-Bübchen rettend haschen, der den beiden nachlaufen wollte. Erst schlug der kleine Mann um sich, wie er es Jörg und Heinz bei Gelegenheit tun sah, dann besann er sich und legte, bitterlich aufschluchzend, die Ärmchen um der Schwester Hals.

»Alf-Bübsen wollen auch Nal bauen, Sylve-Mütterchen, Alf-Bübsen sein auch droße Jung.«

»Sicherlich, Alf-Bübchen. Aber nun komm erst noch zu Altchen. Trude soll der auch noch die große Neuigkeit erzählen.«

Da war Alf-Bübchen getröstet.

Trude hatte auch oben bei Altchen ihre Glückwünsche eingeheimst, hatte sich von Lene und Anna die Hand schütteln lassen und war dann glückstrahlend abgezogen.

Sylvia saß noch bei Altchen, den Kopf an deren Knie gelehnt. Alf-Bübchen spielte still-geschäftig in seinem Winkel.

Altchens Hand strich leise über Sylvias Köpfchen.

»Was sinnst du, Kind?

Sylvia hob das träumende Auge.

»Ich denke an Trude und denke daran, wie weise der liebe Gott uns allen unsere Wege weist. Wer's nur sehen will, in welcher Richtung seine Pflicht liegt, der kann nicht irre gehen, was, Altchen? Mir zum Beispiel sagt er genau: Du gehörst zu den Deinen unlöslich, für immer.«

Ein heiliges Feuer glühte in Sylvias Augen.

Altchen zog den Kopf der Enkelin an sich.

»Kind, die Wege des Herrn sind wunderbar.«

Beide schwiegen lange, lange.

Vater war am Abend bei seiner Heimkehr sehr erstaunt über die große Neuigkeit.

Sylvia hatte sie ihm beim Abendessen mitgeteilt.

Jörg und Heinz ergingen sich wieder in derbster Kritik, was ihnen eine ernste Rüge vom Vater eintrug.

»Erstens reden Jungen in eurem Alter nicht so über Erwachsene, und dann ist es sehr klug und ratsam, sich von frühester Jugend an an eine milde Beurteilung des Nächsten zu gewöhnen. Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet.«

Mit hängenden Köpfen, leise maulend, waren die beiden abgezogen.

Vater und Tochter saßen allein am großen Familientisch im Schein der Hängelampe.

»Und unser Gerhard, Grasmückchen? Es ist dir doch nicht verborgen geblieben?«

»Nein, ich habe es wohl gemerkt, daß er ernstlich daran gedacht hat, aus der Jugendfreundin könne einst eine Gefährtin fürs Leben werden. Aber Gerhard ist ein Mann, Vaterherz.«

»Wohl, Grasmückchen, aber auch ein Mann trägt zuweilen recht schwer an dergleichen.«

Sylvia ließ den Kopf hängen.

»Kopf hoch, Grasmückchen! Du und ich, wir können unseren Kindern nicht alles ersparen. Im Feuer nur wird Eisen geschmiedet. Mut, Grasmückchen, Mut; du hast recht, unser Gerhard ist aus echtem Stoff.«

»Er ist ja dein Sohn, Vaterherz.«

»Schmeichelkatze!« rief lachend Doktor Eriksen, aber in seinen Augen glänzte etwas Feuchtes. – – –

Alf-Bübchen hatte einen bösen Husten und Fieber dabei. Alf-Bübchen war eben doch sehr zart. Doktor Eriksen sah seinen Jüngsten manchmal mit Besorgnis an, die er aber nie vor Sylvia laut werden ließ.

Sylvia war nicht von Alf-Bübchens Bett gewichen und war selber drum ganz blaß und schmal geworden.

Dazu hatte Altchen gekränkelt, das Kränkeln alter Leute. Hier ein Schmerzlein und dort eins, eine Kette kleiner Leiden, die in ihrer Gesamtheit dennoch sehr quälend und peinigend werden können. Es war eine angstvolle, böse Zeit für Sylvia gewesen, und von dem Brautglück der Freundin und den festlichen Gelegenheiten, die jedes solche Ereignis zur Folge hat, hatte sie kaum etwas mitgenießen können.

Da sich aber ihre beiden »Sorgenkinder«, wie sie Altchen und Alf-Bübchen nannte, zusehends erholten, so konnte Sylvia aufatmen und sich beruhigen.

So war der März gegangen und der April herangekommen.

Ostern fiel diesmal Ende des Monats, und an Ostern sollte Trudes Hochzeit sein.

Gerhard hatte geschrieben, daß er nicht komme, er habe allerlei Sonderstudien, zu viel zu tun.

Weder Vater noch Schwester redeten ihm zu.

Und so war Ostern herangekommen.

Am Ostermontag sollte Trude getraut werden.

Sylvia sollte als Brautführerin die Freundin zum Altar geleiten.

Der beste Freund des Bräutigams, auch ein junger Professor aus Göttingen, Professor Dalton, war ihr als Partner beigegeben. Altchen hatte darauf bestanden, daß sich Sylvia ein neues Kleid zu dieser Gelegenheit anschaffe.

Altchen hatte es sich nicht nehmen lassen, selbst den Stoff zu wählen, und der duftige weiße Krepp über dem seidenen Unterkleid sah wirklich sehr jugendlich und hübsch aus.

Lene und Anna hatten an dem wichtigen Morgen ihre Dienste als Kammerzofen angeboten, und Sylvia hatte sie nicht abweisen wollen.

Lene in all ihrer Fülle hatte sich gebückt und gedreht wie ein Kreisel, es war ordentlich rührend. Mit den dicken Fingern klaubte sie an den feinen Schuhchen herum und zog die Strümpfe stramm.

»Des Sylvche soll auch emal bedient werrn wie e Prinzeß,« hatte sie gesagt, und sie hatte Wort gehalten.

Wohlgefällig betrachteten Anna und sie das Werk ihrer Hände, als das Ankleiden beendet war.

»Wie e Beppche,« sagte Lene anerkennend.

»Wie eine weiße Rose,« sagte Anna, die poetisch angehaucht war.

Lachend betrachtete sich Sylvia im Spiegel.

Sie nickte ganz zufrieden.

»Recht passabel,« meinte sie. »Wenigstens mache ich Väterchen keine Schande.«

Da schellte es unten im Flur.

»No, was kimmt denn do?«

Lene streckte den Kopf zur Tür hinaus.

»De Scharnstefeer! Muß der schwarz Kerl awer ach grad jetz komme.«

Sie verschwand sehr geärgert.

Sylvia ging zu Altchen.

Altchen saß am Fenster und erwartete die Enkelin. Alf-Bübchen saß auf ihrem Schoße. Sie hatte dem Kleinen eben ein Märchen erzählt, um ihn von der großen Schwester fern zu halten.

»Jetzt laß mal sehen, Kind!«

Sylvia drehte sich im Kreise.

»Nun, wie gefall' ich dir?«

»Sachte, Kind, sachte! Mir wirbelt der Kopf. So, hübsch langsam. Also, das ist unser Hausunkchen, unser Heimchen? Wie 'n Schmetterling, der aus der Puppe geschlüpft ist, was, Alf-Bübchen?«

»Sylve-Mütterchen sein wie Engelein ohne Flüsel.«

»Sieh mal da, der kleine Mann wird ja förmlich galant,« lachte Altchen. »Halt, zerknittere den Staat nicht, Alf-Bübchen.«

Doch Alf-Bübchen war nicht zu halten. Er warf die Ärmchen um der Schwester Hals, die sich eben zu Altchen niederbeugte. Und Sylvia zog ihn fest an sich.

»Was liegt dran, Altchen,« sagte sie lustig, »wenn ich dann heute die zerknitterte Rüsche sehe, muß ich immer an Alf-Bübchen denken. Wenn's nicht Trude wäre, viel lieber bliebe ich hier bei euch.«

»Geh, Kind, und sei froh mit den Frohen. Die Jugend muß ihr Recht haben. Weißt du, was Mirza-Schaffy sagt? Jung sich enthaltsam pressen –«

Weiter kam Altchen nicht.

Draußen entstand ein entsetzliches Hallo.

Wie die wilde Jagd kam's unter Hilferufen und Zetergeheul, unter Gekrach und Gepolter die Treppe herunter.

»Jörg – Heinz –«

Sylvia stand draußen wie hingeweht.

»Sylve-Mütterchen, Hilfe, Hilfe, er haut uns!«

»Sylve-Mütterchen, rette uns, er will uns den Hals umdrehen.«

Sie umklammerten die Schwester in Todesangst. Sie zitterten wirklich, die beiden Missetäter.

»Wer, was – um's Himmels willen – wo –«

»Dort, dort, da kommt er, hu!«

Die Treppe herunter kam keuchend und pustend und schnaubend ein ziemlich beleibter, kohlschwarzer Schornsteinfeger.

»Da soll doch gleich – wo sin die Bengel? Ich massakrier se, ich häng se uf, ich – Entschuldige Se, Freilein, aber ich bin ganz desperat. Die Racker hawe mer mei Kugel un mein Besen in de Kamin enein geschmisse, un –«

»Gefallen sind sie –«

»Aus der Hand sind sie uns gefallen. Sylve-Mütterchen wir sind unschuldig, wir –«

.

»Schee unschuldig, ihr verflixte Racker. Un wie se des Freileinche zurichte, ei, es is ja e Schann un e Spott, wollt 'r wohl!«

Der Mann versuchte, die Jungen von Sylvia fortzuziehen, die aber umklammerten sie nur umso fester.

Da erschien Lene.

Mit raschem Blick überflog sie die Sachlage.

»Herr du mein – jetzt bin ich der awer ganz geschlage. Ihr Deiwelsplanze, ei, wie habter dann des Kind zugericht. Un so 'n Unverstand, Kind, no nemm mer's nit iwel, awer do hätt' ich dich doch vor verninftiger gehalte. Des Kleidche, des sche Kleidche, des is ruiniert, einfach ruiniert. Wollt 'r wohl ihr Deiwelsplanze! So was, ach, so was. Ei, das Kind kann jetzt nor derheim bleiwe, ach du lieber Himmel –«

Lene heulte im tiefsten Mitgefühl auf, Jörg und Heinz stimmten ohrenzerreißend ein.

Sylvia sah an sich hinunter.

In der Tat, so konnte sie nicht zur Hochzeitsfeier gehen.

Was vorher schneeweiße, bauschende Wolken von Duft gewesen waren, hing jetzt in traurig zerknüllten, rußgefärbten Falten um sie her.

Ratlos starrte sie drauf nieder.

»Ach du lieber Himmel,« heulte Lene von neuem auf »des Kind, des arm Kind!«

Der Schornsteinfeger trat an Sylvia heran, er triefte förmlich vor Mitgefühl.

»Freileinche, wann ich des hätt' wisse könne, daß Sie jetz de Schade dervon hawe, do hätt' ich die Racker lafe losse. Ich hab mich awer so infam geärgert. Unsereiner schindt sich ab. Allweil haw ich heim wolle zum Esse, und do muß ich jetzt erscht noch gucke, wie ich mer des, was se enein geschmisse hawe, aus dem Kamin wider eraus lang. Ich will nor hoffe, daß es nit irgendwo stecke gebliewe is. Do könnt mer des Haus abreiße –« er blinzelte Sylvia zu und rollte dann wütend die Augen nach Jörg und Heinz hin – »no, mer wolle sehe, was sich dun läßt. No, nix fir ungut, Freileinche.«

Er ging, nachdem er noch einmal mit der Faust gegen Jörg und Heinz gedroht hatte.

»Was nun?«

Noch immer wie betäubt sah Sylvia an sich nieder.

Jörg und Heinz heulten noch lauter auf.

Da erklang Altchens Stimme.

»Sylvia, Kind, komm zu mir.«

Sie drängten alle hinter Sylvia zu Altchen.

Altchen schlug die Hände zusammen, als sie Sylvia sah.

»Wir können nichts dafür!«

»Gewiß und wahrhaftig, wir können nichts dafür.«

»Die Sachen lagen oben –«

»Der Mann war nicht da –«

»Und da –«

»Und da wollten wir Schornsteinfeger spielen.«

»Und da ist uns –«

»Ist uns –«

»Alles aus der Hand –«

»Aus der Hand gefallen –«

»Weil der Mann –«

»Weil er so schrie und –«

»Und –«

»Ja, wir können nichts dafür!«

»Gewiß und wahrhaftig, wir können nichts dafür, Altchen!«

So schluchzten und heulten Jörg und Heinz abwechselnd.

»Dafür muß eure Schwester nun büßen und kann nicht zur Hochzeit ihrer Freundin gehen.«

Herzzerreißend schluchzten Jörg und Heinz.

»Arme Sylve-Mütterchen sein swarze Engelein worden.«

Alf-Bübchen umfaßte Sylvias Kniee.

Sylvia, der das Weinen sehr nahe stand – Sylvia war eben doch auch nur ein junges Menschenkind, das recht gerne etwas Hübsches trug und sich mit den Frohen freute, wo es einmal auf ihr Teil fiel – Sylvia fühlte ein menschliches Rühren gegen die Sünder.

»Laß sie, Altchen. Solche Folgen ihrer Tollheit haben sie nicht voraus gesehen. Ich bleibe nun eben daheim, – aber Trude –«

Sylvias Stimme zitterte doch ein wenig.

»Trudes halber mußt du gehen, Kind, wenn irgend möglich.«

Lene hatte bis jetzt an sich gehalten, weil sie der »Frau Rat« das Strafgericht überlassen wollte. Da dieses so milde ausfiel, riß ihr die Geduld.

»Dresche sollt mer eich, ihr Deiwelsplanze. Dem arme Kind, des nie nix hot, ach noch so mutwillig die Freid zu verderwe. Enaus, nix wie enaus, sag ich, und trollt eich in eier Zimmer, und laßt mich in de erste paar Stunn nix von euch here, ich kennt sonst unangenehm wern. Enaus, allons marsch!«

Der elementaren Gewalt dieses Ausbruchs war nicht zu widerstehen. Altchen und Sylvia blieben stumm.

Jörg und Heinz aber trollten wortlos mit hängenden, zwischen die Schultern gezogenen Köpfen ab.

»Was aber nun?«

Altchen und Sylvia sahen sich ratlos an.

Lene zupfte und strich mit ihren dicken Fingern an Sylvias Kleid herum. Seufzend schüttelte sie den Kopf.

»Nix zu mache. Reineweg verdorwe. Werf's in die Lumpe, Sylphche, herst de. So Bengel! Die wern emal noch gekepft, gerädert und gehenkt, wann des so weiter geht!«

»Lene!«

Altchens Stimme klang sehr ernst und sehr verweisend.

»Nix for ungut, Frau Rat, alle schuldige Respekt in obacht, aber bei so was leift eim die Laus iwer die Lewer.«

Sylvia streichelte ihr beruhigend über das heiße Gesicht.

»Lene, hilf mir lieber was auszudenken, daß ich doch noch zur Hochzeit kann. In einer halben Stunde müßte ich dort sein. Hilf überlegen, Lene!«

Da streckte Anna ihr gutes Gesicht zur Tür herein.

Man hatte sie nur zu Anfang des Trubels draußen gesehen, und dann war sie verschwunden gewesen.

»Ich dachte, wenn Fräuleinchen das Musselinkleid anzögen. Es lag vom vorigen Jahr noch gestärkt da. Nun habe ich es rasch eingespritzt, und der Stahl liegt auch schon im Feuer. Gebügelt will ich es rasch haben.«

»Bravo, Anna, der Gedanke ist unbezahlbar,« jubelte Sylvia.

»Aber, Sylvia, Kind, das alte Kleid –« Altchen schüttelte bedenklich den Kopf.

»Was liegt dran, Altchen, wenn ich nur Trude nicht im Stich zu lassen brauche.«

»Fräuleinchen werden schon niedlich aussehen,« tröstete Anna. »Jungem Blut stehn Lumpen gut!«

Anna war Norddeutsche und drückte sich im Gegensatz zu der derben Lene seht gewählt aus. Auch hatte sie darauf bestanden, die erwachsenen Kinder des Hauses nach der Konfirmation mit Sie anzureden.

»No, das muß ich sage, die Anna hot doch immer de Kopp uf'm rechte Platz. Unsereins verliert en gleich oder er dampt wie e Lokomotiv, un was eraus kimmt, is nit viel wert. Nix for ungut, Frau Rat, das nächste Mal will ich's besser mache! Jetzt gehe ich un heiz mei Öfche, daß es platzt und die Stähl nur so glihe.«

Eilig watschelte Lene zur Tür; man hörte alsbald von unten ihr geräuschvolles Hantieren.

Der Wagen, der Sylvia zur Kirche holen sollte, hatte kaum zehn Minuten zu warten.

Dann erschien Sylvia, niedlich und frisch wie ein Rosenknöspchen, in dem alten Musselin über dem rosa Unterkleid.

Sie strahlte vor Glück, nun doch noch alle die schlimmen Fährlichkeiten überwunden zu haben.

Lene und Anna standen unter der Tür, ihr nachzusehen.

Alf-Bübchens Stimmchen krähte von innen: »Viel Verdnüsen, Sylve-Mütterchen, viel Verdnüsen. Alf-Bübsen auch was mitbringen!«

»Sylve-Mütterchen!«

»Mütterchen Sylvia!« schallte es von oben.

Sylvia hob den Kopf.

Dort hingen Jörg und Heinz halben Leibs zum Fenster heraus, ja, eben schwang Jörg sich auf das Gesimse, nur um noch besser sehen, noch besser rufen zu können.

Entsetzt wehrte Sylvia.

»Zurück, Jörg, Heinz, zurück!«

Da schob sie der Kutscher fast mit Gewalt in den Wagen.

»Es ist die allerhöchste Zeit, Fräulein, ich kann nit länger warte.«

Bald darauf hielt auch schon der Wagen vor der Kirche.

Das Brautpaar war schon da, stand vor der großen Eingangstür bereit, den feierlichen Einzug zu halten.

Fünf weitere jugendliche Paare wollten das Geleite geben. Ein sechster Herr wartete noch auf seine Dame – Sylvia.

»Sylvia, Gott sei Dank, daß du da bist. Wo steckst du denn, wo bleibst du?«

»Sei nicht böse, Trude, Jörg, Heinz –«

»Natürlich!«

Trude wandte etwas geärgert das Köpfchen.

Trude war eine sehr hübsche Braut.

Duftig bauschte sich der Schleier über dem rotgoldenen Haar. In feinen Falten gebettet lag der Kranz, und anmutig senkte sich das feine Köpfchen. Matte, weiße Seide umschloß die schlanke Gestalt – kurz, Trude war eine Braut, wie sie im Buche steht. Und am hübschesten an ihr war der zufrieden glückliche Ausdruck, den ihr Gesicht zuvor nur selten gezeigt hatte.

Jetzt tönte Orgelklang von innen, die Türen flogen auf, der Brautzug ordnete sich.

Voran schritten Kinder, die Blumen streuten.

Jetzt trat das Brautpaar ein, gefolgt von dem jugendlichen Geleite.

Der Geistliche am Altar hatte Trude einst getauft. Mit herzlichem Interesse sah er der jungen Braut entgegen.

Und dann kam die Rede – die Trauformel – der Ringwechsel – brausend setzte die Orgel ein – Trude war Frau Professorin.

Träumend schritt Sylvia an der Seite ihres Herrn hinter dem Brautpaar her.

»So in Gedanken, gnädiges Fräulein?

Sylvias Partner fragte es. Jetzt erst sah Sylvia mit Bewußtsein in ein sehr angenehmes kluges Gesicht. Vorhin bei ihrer überhasteten Ankunft und während der Trauung hatte sie dazu nicht Zeit gehabt – Sie lächelte und sagte verlegen: »Trude ist mir eine sehr liebe Freundin und –« Aber weiter kam sie nicht, der Wagen fuhr vor, und Sylvia wurde mit zweien der anderen Brautjungfern hineingepackt, um nach dem Gasthaus gefahren zu werden.

Der Kreis der Hochzeitsgäste war zu zahlreich, als daß man die Feier im eigenen Hause hätte begehen können.

So war der Saal im Gasthaus festlich geschmückt und zur Feier bestimmt worden.

Dort waren nun alle Gäste versammelt.

Jede und jeder hatte dem Brautpaar die herzlichsten Wünsche gesagt, und nun stand man in Gruppen herum und plauderte.

Eine große blonde Hünengestalt schob sich durch die verschiedenen Gruppen zum Brautpaar hin. Doktor Eriksen war von Berufs wegen abgehalten gewesen, der Trauung beizuwohnen.

»Hallo, Frau Professor Trude,« rief er lächelnd. »Da komm' ich also zu spät. Hab' nämlich Einsprache tun wollen eigentlich und hab' nun den richtigen Augenblick versäumt. Gegen diese vollendete Tatsache komme ich nun nicht mehr auf. Da kann ich nur wie die andern tun, die Hände schütteln, Glück wünschen und im übrigen gute Miene zum bösen Spiel machen.«

Er schüttelte dem Brautpaar kräftig die Hände.

»Glück zu, Professorin Trude. Wirst uns sehr abgehen, sehr. Das Grasmückchen – aber wo ist denn das Kind?« Suchend flog sein Blick durch den Saal.

»Dort steht Ihr Fräulein Tochter bei meinem Freunde.«

Der Bräutigam, vielmehr der junge Ehemann sagte dies.

Mit ein paar Schritten stand der Vater vor seinem Kinde.

»Grasmü– Hallo, du solltest doch weiß sein, wenn ich nicht irre, und nun bist du rötlich angelaufen. Sag' mal, Grasmückchen, das Kleid kommt mir so bekannt vor. Sagte nicht Altchen etwas von einem neuen Kleid und nun –«

»Ganz richtig, Vaterherz, aber das – das –«

»Na, das –?«

»Das ist schwarz geworden.«

»Schwarz geworden?«

»Ja. Darf ich dich mit Herrn Professor Dalton bekannt machen, Väterchen?«

»Freut mich sehr, Herr Professor. Gleich stehe ich zur Verfügung, muß nur erst mal hier ein bissel weiter fragen. Die Sache scheint mir irgendwie faul. Also, Grasmückchen, beichte.«

Belustigt horchte Professor Dalton auf.

Sylvia errötete.

»Jörg – Heinz –« stotterte sie.

»Dacht ich's doch! Nu mal raus mit der Sprache.«

Da kam nun das Kaminfegerabenteuer stoßweise zum Vorschein. Zuletzt packte Sylvia der Humor der Sache, und lachend schloß sie: »Die festliche Sylvia hängt also übel zugericht daheim im Schranke. Die sich hier eingeschmuggelt hat, ist eigentlich ein ganz unberechtigtes Aschenbrödel. Das richtige Hochzeitsgewand ist ja schon eine Forderung der Bibel! Ich muß mich wahrhaftig bei Trude entschuldigen, die denkt sonst, ich habe ihrem Ehrentag nicht die gebührende Ehre erweisen wollen.«

Lachend lief sie davon und auf Trude zu.

»Nicht viele junge Damen würden eine solche Sache so humoristisch aufgefaßt haben,« meinte Professor Dalton zu Doktor Eriksen gewendet.

Er lachte noch über Sylvias Schilderung des allgemeinen Entsetzens, auch Doktor Eriksen stimmte ein.

»Ja, das Grasmückchen ist eben anders als die anderen,« sagte er dann, und seine Stimme war so weich, und es lag ein solch warmer Ausdruck dabei in seinem Gesicht, daß der andere ihn ganz erstaunt ansah.

Jetzt wurde zu Tisch gerufen.

Professor Dalton holte sich seine Dame, die plaudernd und lachend bei der Braut stand.

Dann saß man um die lange Tafel.

Die war hufeisenförmig gedeckt, und die Jugend umgab den einen Flügel.

Sylvia war unter den Frohen der Frohsten und Heitersten eine.

Ihr weiches, zwitscherndes Lachen – es lag stets etwas von einem Vogellaut in ihrem Lachen, riß die anderen unwiderstehlich mit sich fort.

»Jörg und Heinz sind wohl zweie von den sechsen?« fragte nun Professor Dalton und hob seiner Dame sein Glas zu. »Auf deren Wohl, gnädiges Fräulein!«

»Da tu' ich gerne Bescheid, Herr Professor, obgleich's zu viel Ehre für die beiden Bengel ist.«

»Was stellen sie nun heute nachmittag an?«

»Weiß ich's?« kicherte Sylvia. »Die sind erfindungsreich.«

»Und die anderen, mein gnädiges Fräulein?«

»Meine anderen Jungen? Ja, sehen Sie, dreie davon sind schon flügge draußen in der Welt. Drei blonde Riesen, die dem kleinen Mütterchen längst über den Kopf gewachsen sind. Dann kommen die beiden, die Sie kennen, und dann, dann ist noch mein Alf-Bübchen da, mein Nesthäkchen.«

»Starb Ihre Frau Mutter frühe, mein gnädiges Fräulein?«

»Ich war nicht ganz vierzehn. Drei und ein halbes Jahr ist sie nun schon tot.«

»Und seitdem sind Sie ›Mütterchen Sylvia‹ gewesen?«

Es lag ein merkwürdig weicher Klang in der Stimme, ein eigenes Leuchten in den Augen des Professors.

Wie träumend nickte Sylvia vor sich hin.

»Seitdem bin ich Mütterchen Sylvia gewesen!«

Pause.

Sie hob den Kopf, und ein lachender Blick streifte ihn.

»Woher übrigens wissen Sie das, Herr Professor?«

»Mein Freund orientierte mich. Und die Jungen, gnädiges Fräulein? Wissen die Mütterchen Sylvia zu schätzen?«

»Über Gebühr, wahrhaftig über Gebühr!«

Sylvia war ganz eifrig.

»Scheint so, nach der Probe von heute morgen,« sagte er trocken.

Sylvia wurde rot.

»Ach, die armen Kerlchen,« sagte sie bedauernd, »die haben sich danach mehr entsetzt, als die Sache wert war. Was liegt an dem Kleid! Trude nimmt dies Gewand hier nicht übel, und mir ist's wahrhaftig einerlei, worin ich stecke. Da, Vater Holle redet!«

Professor Holle stand da und hielt seinem Kind eine Abschiedsrede, wobei viele Tränen flossen.

Alles umdrängte das Brautpaar. Trude ging aus einem Arm in den andern.

Sylvia kam mit geröteten Augen an ihren Platz zurück.

»Ein Glück, daß Väterchen solches einmal erspart sein wird. Vater Holle ist dem kaum gewachsen, sehen Sie doch nur, Herr Professor.«

»Wieso, erspart sein wird?«

Professor Dalton hatte offenbar nur den ersten Satz von dem, was Sylvia sagte, gehört.

»Ich heirate nicht,« sagte Sylvia schlicht. »Wie wäre ich zu entbehren daheim. Pst, der Bräutigam redet!«

Professor Geibelt dankte allen, die geholfen hatten zu seinem Glück. Die Eltern, die ihm das Kind anvertrauten, den Freunden, die seinen Ehrentag festlich mit begingen.

Er war sehr erregt, sehr ergriffen und suchte dessen durch ein paar humoristische Wendungen zum Schluß Herr zu werden.

Da setzte der Klavierspieler mit Tusch ein, der alsbald in einen Marsch überging.

Trude hatte sich eine richtige Tanzhochzeit ausgebeten gehabt, und die Eltern hatten dem Töchterlein den Wunsch nicht versagen wollen.

Im Nu standen alle paarweise geordnet, und das Brautpaar führte die Polonäse an.

Im Walzer darauf wirbelten die Paare durcheinander.

Sylvia mußte ein paar Minuten Atem schöpfen.

Voll Erstaunen sah sie ihren Vater mit Mutter Holle sich im Kreise drehen.

»Väterchen tanzt!«

Maßloses Erstaunen lag in Sylvias Ausruf.

»Wie sollte der Herr Doktor nicht? Solch ein stattlicher Herr! Er tanzt wie ein Junger.«

»Er ist ja auch mein siebenter Junge, wissen Sie das noch nicht?« fragte Sylvia mit frischem Lachen.

»Wollen Sie mich als achten haben?«

»Unbescheiden muß der Mensch nicht sein. Ich begnüge mich mit dem mir Gewährten.«

»Also abgeblitzt,« lachte Professor Dalton, komisch betreten. – Beim nächsten Tanz, einer Polka, stand Doktor Eriksen vor seinem Kind.

»Grasmückchen! Ist dir der Vater nicht zu alt?«

»Welch eine Frage, Vaterherz. Du bist ja der reine Springinsfeld. Frag nur den Herrn Professor, was er vorhin sagte.«

»Sie werden doch hier nicht unterminieren wollen, Herr!«

In komischem Zorn furchte Doktor Eriksen die Stirn und blitzte den anderen mit seinen großen blauen Augen an.

Der lachte.

»Möchte wohl. Aber keine Furcht, da ist Felsgrund!«

Doktor Eriksen hatte den Arm um sein Kind geschlungen.

»Ja, ja, das Grasmückchen!«

Und da war er schon am anderen Ende des Saales.

Der Brautkranz sollte verteilt werden.

Die Brautjungfern hatten einen Kreis um die Braut gebildet, die mit verbundenen Augen inmitten dieses lebenden Kranzes lieblicher Menschenknospen stand.

Man hatte ein kleines Zweiglein aus dem Myrtenkranz genommen. Welcher von allen die Braut es reichte, die sollte die nächste Braut sein.

Mit erwartungsvoll klopfendem Herzen und gezwungen gleichgültigen Mienen umstanden sie alle die Braut.

Sylvias unbekümmertes lachendes Gesichtchen war wohl das einzig wirklich aufrichtige im Kreis.

Die jungen Damen faßten sich an den Händen und drehten sich. Regungslos stand das Orakel inmitten.

Eben lachte Sylvia dem Vater zu, da fühlte sie sich gefaßt und fest gehalten.

Trudes Hände nestelten an ihrem Kleide.

Und da stak auch schon das Zweiglein fest, die Binde um Trudes Augen fiel, und alle umdrängten die lachende, errötende Sylvia, die gar nicht wußte, wie ihr geschah.

» Vivat sequens! Vivat die nächste Braut!« jubelten die Herren.

»Ja aber – ja – das ist doch ein Irrtum – ich – ich heirate ja gar nicht. Väterchen, sag's ihnen doch, daß du mich brauchst. Da – da ist das Zweiglein. Gib's 'ner anderen, Trudelchen.«

Sylvia war fast verlegen und bemühte sich, den kleinen Zweig wieder von ihrem Kleid zu entfernen.

»Behüte!«

»Das Orakel hat gesprochen!«

»Dagegen gibt's kein Sträuben!«

»Gnädiges Fräulein müssen nachgeben!«

»Grasmückchen, laß man sein!«

Ganz verblüfft starrte Sylvia dem Vater ins lachende Gesicht.

»Ja, aber Vaterherz –«

»Laß gut sein, Grasmückchen. Was kommen soll, das kommt. Daran macht das kleine grüne Zweiglein da keinen Unterschied.«

Sylvia lachte.

»Ach, so meinst du's?« Sie sah das Zweiglein komisch bedauernd an. »Schade ist's aber drum!«

Inzwischen hatte der Bräutigam unter den jungen Herren dasselbe Orakel gespielt.

Lachend trat Professor Dalton zu Sylvia heran.

»Nicht dekoriert worden?« lachte die.

»Leider nein. So geht's im Leben. Der eine wünscht sich's und kriegt's nicht, und der andere will's nicht und hat's!«

»Was ist das?« lachte Sylvia. »Lautet gerade wie ein Rätsel!«

»Ist auch eins!« sagte er leise.

»Bum! Bum! Bum! Gsch–sch–sch–sch–sch!« kam's von der Tür her. Und wieder »Gsch–sch–sch–sch Bum! Bum!«

Ein Rufen entstand und ein Hasten und Drängen. Dazwischen zischte etwas auf, sprühte ein kleiner Funkenregen. Es zischte, es prasselte hier, dort und dort und wieder hier. Unberechenbar mit weiten Sätzen, hierhin, dorthin!

Die Damen rafften die Kleider zusammen, quiekten und flüchteten.

Hier sprang eine auf den Stuhl und dort wieder eine.

Eine allgemeine Panik entstand.

Dicht am Schleier der Braut zischte es auf, ein kleines Flämmlein züngelte. Mit energischem Druck erstickte es der Bräutigam.

Und noch immer kam's durch die offene Tür: »Bum! Bum! Bum! Gsch-sch-sch-sch!«

Die Verwirrung stieg.

Die Herren stürzten nach der Tür.

Allen voran, von düsterer Ahnung gepackt, Doktor Eriksen.

»Schlingel, wartet, ihr Schlingel!«

»Hoch das Brautpaar!«

»Hoch! Hoch!«

Zwei Knabenstimmen riefen's von außen.

Und noch einmal prasselte und zischte es, erneut und verstärkt.

Erneutes Quieken und Flüchten.

Draußen hörte man Stimmengewirr, dann Doktor Eriksens Stimme; »Jungen, seid ihr toll?«

»Jörg, Heinz!«

Sylvia sank vor Schreck auf den nächsten Stuhl.

»Aha!« sagte Professor Dalton lachend. »Da bin ich aber gespannt!«

Unter der Tür erschien Professor Holle, an jeder Hand einen Knaben führend.

Mit den etwas beschmutzten Hosen, den verschobenen Blusen, dem zerzausten, wirren Blondhaar und den fragwürdig sauberen Händen sahen sie wenig hochzeitlich aus.

Jörg und Heinz!

Keineswegs geknickt, triumphierend mit blitzenden Augen sahen sie sich um.

Die Überraschung war gelungen!

Solch eine Feier hatte die Trude wohl nicht erwartet.

Da erspähten sie Sylvia.

Sich losreißen und auf die zustürzen war eins.

»Sylve-Mütterchen, war's nicht herrlich?«

»War's nicht wundervoll?«

Wie die Augen blitzten, die Wangen glühten! Welche Wonne in den Stimmen zitterte! Welcher Triumph darin lag!

Sylvia konnte es nicht über sich gewinnen, sie mit hartem Wort aus ihren Himmeln zu schleudern.

Sie blieb also still und nickte nur matt.

»Viel Geld hat's gekostet, Sylve-Mütterchen!«

»Gelt, du zahlst was dran? Es war zu wundervoll.«

»Kriegen wir wohl 'n Stück Torte?«

»Du, was wird die Trude sagen?«

»Herrje, sieht die nobel aus!«

Professor Dalton krümmte sich fast vor Lachen. Sylvia warf ihm einen langen vorwurfsvollen Blick zu.

»Jungen, ihr seid wohl des Kuckucks?«

Doktor Eriksen, der sich noch mit Entschuldigungen nach allen Seiten hin aufgehalten hatte, trat heran.

»Papa, war's denn nicht wundervoll gelungen?«

»Papa, wir wollten doch die Trude recht ehren!«

»Na na, und hättet sie beinahe angebrannt!«

Die beiden starrten ihn sprachlos an.

»Wißt ihr denn nicht, daß Feuerwerk im Zimmer loszulassen gefährlich ist?«

»Es waren doch nur Frösche, Papa.«

»Nur ein Dutzend kleine Frösche, keine Schwärmer oder Raketen!«

»Das fehlte noch!« Doktor Eriksen mußte bei allem Ärger lachen. Dieser harmlosen Naivität war nicht beizukommen.

»Geht wenigstens hin und entschuldigt euch bei Trude und gratuliert ihr, und dann trollt euch, hört ihr. In zehn Minuten will ich euch nicht mehr hier sehen.«

»Aber, Papa!«

Heinz schielte bezeichnend nach einer Torte.

»Marsch!«

Der Ton war unverkennbar.

Jörg zog Heinz mit sich fort.

»Vaterherz!«

»Grasmückchen?«

»Sie meinten's nicht böse.«

»Weiß ich, aber sie hätten Böses anstellen können. Und sie gehören nicht hierher. Noch dazu in dem Aufzug! Ich will sehen, wie ich sie schleunigst an die Luft setze.«

Sylvia seufzte.

Professor Dalton, der Zeuge der Szene gewesen war, lachte noch immer.

»Strafe muß sein, mein gnädiges Fräulein. Sind übrigens prächtige Bengel.«

Sylvia sah ihn ganz dankbar an.

»Und so gut und so brav, wenn sie nicht eben Streiche machen. Und schlechte Streiche sind's nie, nur immer unbedachte und tolle. Wenn einmal der Verstand –«

Da standen Jörg und Heinz schon wieder grinsend vor ihr.

Sie hielten jeder einen mit allerlei Süßigkeiten vollgehäuften Teller in Händen und machten Miene, sich behaglich niederzulassen und in Ruhe das mühsam Errungene zu verspeisen.

»Uff,« sagte Jörg und wischte sich mit der fragwürdigen Hand über das unbestimmt gefärbte Gesicht, »uff, mir ist warm geworden, und Hunger hab' ich auch. Eigentlich mache ich mir ja nicht viel aus Süßigkeiten, aber –«

»Na du, tu nur nicht so!« Heinz lachte. »Weshalb muß ich dir dann immer die Hälfte abgeben, wenn mir der Konditor an der Ecke 'mal was schenkt, he?«

»Quatsch!«

Jörg tat sehr verächtlich.

»Nee, Wahrheit!«

Heinz fuhr auf wie ein Puterhahn.

Sylvia wollte sich ins Mittel legen.

»Jungen –«

»Lassen Sie doch die jungen Herren, gnädiges Fräulein,« lachte Professor Dalton, »man hat doch seinen Meinungsaustausch.«

Jörg und Heinz sahen ihn etwas mißtrauisch an. Sie saßen plötzlich sehr stramm, fuhren sich mechanisch glättend übers Haar und zupften an ihrem Anzug herum.

Rücksichtsvoll wollte sie Professor Dalton eben wieder den eroberten Genüssen überlassen, da trat Doktor Eriksen herzu.

Er war von einem Herrn im Gespräch aufgehalten worden.

Mit Staunen sah er die beiden Sünder in vollster, angenehmster Tätigkeit.

»Da seid ihr ja noch!«

»Ja, Papa!«

Strahlend wiesen Jörg und Heinz auf den gehäuften Kuchenberg vor sich.

Eine weitere Erklärung schien ihnen nicht vonnöten.

»Was habe ich gesagt? In zehn Minuten will ich euch nicht mehr sehen. Die sind vorbei!«

»Aber, Papa –«

»Papa, wir –«

»Marsch!«

Doktor Eriksens Augen blitzten.

Die beiden fuhren stramm in die Höhe, dunkelrot, mit zusammengebissenen Lippen.

Wie mechanisch wollte Heinz nach einem Stück Torte greifen, um es in der Tasche zu bergen.

Jörg schlug ihm derb auf die Finger. Dann nahm er den jüngeren Bruder bei der Hand.

Hoch aufgerichtet, im Bewußtsein verkannter Unschuld – sie hatten es sich doch was kosten lassen, Trude zu ehren – so schritt Jörg der Tür zu. Heinz schlich hinterdrein, etwas mehr Zögern und Bedauern markierend.

Professor Holle wollte die beiden aufhalten. Stumm schoben sie an ihm vorbei.

Jetzt waren sie draußen.

Doktor Eriksen sah Sylvia an.

In ihren Augen standen helle Tränen.

»Hättest du sie den Kuchen doch wenigstens mitnehmen lassen, Väterchen.«

»I wo, Grasmückchen, Strafe muß sein. Und der verdorbene Magen, der solcher Fütterung« – sein Auge streifte bezeichnend die beiden Kuchenteller – »notwendig hätte folgen müssen, wäre eine weit größere Strafe gewesen. Du siehst, wie nachsichtig ich bin.«

Lachend wandte er sich an Professor Dalton.

»Forsche Bengel, Herr Doktor,« lachte der zurück, »alle Achtung! Wie der Große abzog. Jeder Zoll ein in seiner Würde verletzter König. Der Kleinere –«

»Da spricht der Magen noch zu laut,« wandte Doktor Eriksen lachend ein. »Sonst gibt er seinem Bruder nichts nach, was, Grasmückchen?«

»Armer, kleiner Heinz!« war alles, was Sylvia sagte. In der Gesellschaft entstand eine gewisse Unruhe.

Das Brautpaar war leise und unbemerkt gegangen.

Sylvia huschte hinaus. Vielleicht gelang es ihr doch, die Braut noch einmal zu sehen.

Richtig!

Im Nebenzimmer stand Trude allein am Fenster.

Sie wartete auf den Wagen, der sie zum Umziehen heimbringen sollte.

»Trude!«

»Sylvia!«

»Meine Trude, Gott schenke dir alles Glück!«

»Erhalte es mir, willst du sagen. Ich bin so glücklich. Womit habe ich das verdient? Ich war immer so selbstsüchtig, Sylvia, du –«

»Pst, sag' kein Wort, Trudelchen. Sieh, nun fängt ja ein neues Leben an!«

»Ein neues! Dazu helfe mir Gott!«

Es klang wie ein Schwur.

»Sylvia, nimm dich meiner Mutter an. Sie wird mich sehr vermissen.«

»Das will ich, Trude!«

»Und, Sylvia, grüß mir noch alle die Deinen, auch – Gerhard.«

Trude war rot bis unter die blonden Haarwurzeln.

Sylvia schwieg, sie nickte nur und preßte Trudes Hand.

Schweigend hielten sie sich umfaßt.

Da kam Mutter Holle.

»Der Wagen wartet, Kind!«

Noch eine letzte, schweigende Umarmung, und Trude war gegangen, von ihrer Mutter gefolgt.

Drinnen begann eben ein neuer Tanz.

Sylvia wurde mit Vorwürfen von Professor Dalton empfangen.

»Wo steckten gnädiges Fräulein? Ich habe mich fast blind geschaut nach Ihnen.«

Sylvia lachte, aber in ihren Augen glänzte es noch feucht. – »Ich habe Abschied genommen!«

»Stets 'ne mißliche Sache!«

Er nickte vor sich hin.

»Ja, ja. Der eine verliert, daß der andere gewinnt. Freund Geibelt ist fein heraus! Wem's doch auch so wäre. Darf ich bitten?«

Er legte den Arm um Sylvia und sie flogen durch den Saal. – Noch drei, vier frohe Tänze, dann brach die Gesellschaft allmählich auf.

Doktor Eriksen trat zu Sylvia heran.

»Grasmückchen, ich muß heim. August ruft mich. Die alte Meyern –«

»Ich komme mit, Vaterherz. Natürlich komme ich mit!«

Professor Dalton wollte sie noch zurückhalten, der Vater redete zu, aber Sylvia blieb fest.

»Sie brauchen mich jetzt daheim, das weiß ich.«

Dabei beharrte sie.

»Gegen solche Einbildung ist nicht aufzukommen, was, Herr Professor?« sagte Doktor Eriksen lachend.

»Das gnädige Fräulein wird wohl im Rechte sein, ich kann es mir wenigstens lebhaft vorstellen. Mein gnädiges Fräulein, das war ein schöner Tag heute. Darf ich um freundliches Gedenken bitten?«

Sylvia neigte das braune Köpfchen.

»Mir sind die Festtage nicht so häufig zugezählt,« sagte sie unbefangen. »Keine Sorge, den heutigen Tag werd' ich schon rot im Kalender anstreichen!«

»Und meinen Namen bitte doppelt anzumerken,« lachte Professor Geibelt, und doch lag ein eigener Ernst in seinen Augen, »ich wenigstens werde es mit dem Ihren tun.«

»Danke sehr,« lachte Sylvia und reichte ihm freundlich harmlos die Hand. »Beruht also ganz auf Gegenseitigkeit.« Sie nickte noch einmal fröhlich wie ein Kind. Dann hing sie sich in Vaters Arm, und die beiden gingen.

So endete Trudes Hochzeit.


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