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Das Liedel von der Frau Not

 

 

[Einleitung]

Ich hätte gelernt und hab nicht dürfen,
ich hungerte nach alles Wissens Licht,
aus allen Bechern wollt ich Weisheit schlürfen,
ach, für ein armes Mädchen ist das nicht!

Da sprach der Schmerz: Ich will dich lehren
das Tiefste, das nicht Jedem offen liegt,
die Lieder will ich alle dir verklären, –
halt mir nur still, dein Wissen siegt!

Das Leben kicherte: In meiner Schule
sei du und sitze horchend mir zu Füßen,
Freund Schmerz, so hör ich, ist dein treuer Buhle,
sollst dich für unser Werk nicht schämen müssen!

 

Gefäss der Ewigkeit

Ich bin nicht ich allein.
Das Erbe tausender Geschlechter
ist in mir.
Die Stimmen aus Urwelttagen,
die stammelnden,
die Leid und Jubelschreie
Emporwachsender,
hörst du sie,
tief und dunkel, wie ich?

An allem hatt ich einmal Teil,
wie du,
wie Alle.
Könige waren wir
und Bettler,
Helden und Duldende.

Die Spuren sind verweht
der Ahnen;
aber das Tiefe in dir
hat sie aufbewahrt.
In seltnen Stunden
tauchen sie empor,
aus denen du geworden, –
tausende Geschlechter!

In dir, Ewigkeitsgefäß: Mensch!

 

Sonntagskind

Ich bin ein Sonntagskind, bin ein Sonntagskind,
im Lenz und Glockenklang bin ich geboren! – –
wo hab ich nur mein großes Glück,
mein Sonnenglück, wo hab ich es verloren?

Zu keinem Zauber kam mein müder Fuß,
zu keinen Wundern, die da lockend rufen
und zog ich nach den Tempeln aus –
da wiesen sie mich von den goldnen Stufen …

Nur Eines ward vor Andern mir
verliehn: Ich hör die Lastbedrückten weinen,
fühl ihre Tränen all in mir,
im Lärm des Tags, beim Sterne-Scheinen! – –

Bin ein Sonntagskind, bin doch ein Sonntagskind,
als Lenz und Glockenklang bin ich geboren
Allen, die in Welt und Weh und Wind
die Frühlingsglocken verloren! …

 

Das Liedel von der Frau Not

Frau Not ist eine strenge Frau
aber sicher ist sie weise –
sie jagt mich auf vor Tag und Tau
und faßt nicht zart und leise.

Sie sitzt bei mir die ganze Nacht
und gibt auf meinen Schlummer acht –
daß ich vom Glück nicht träume
und so die Zeit versäume.

Und wenn der neue Morgen blaut,
erweckt mich ihre Stimme laut:
Auf! Spanne deine Kräfte
und ordne die Geschäfte!

Auf! Um das Höchste kämpfe du,
ich laß dir nimmer süße Ruh –
hörst du die Peitsche singen?
Du mußt den Preis erringen!

Was siehst du mich so grimmig an,
ich habe Gutes dir getan!
Wer hat dich so gespornt, als ich?
Und was du bist, du bists durch mich!

Auf, Liebling, vorwärts, spute dich!!

 

Kind des Volkes

Ich bin ein Kind des Volkes,
mein Erbteil ist die Not!
Die goldne Hoffnungsflamme
war bald und müd verloht.

Ich bin ein Kind des Volkes,
wir ziehn in banger Hast
den schwerbeladnen Karren,
die ungeheure Last!

Ich bin ein Kind des Volkes,
das allen Jammer trägt –
sie haben ihr Schluchzen und Weinen
in meine Seele gelegt!

 

Kohlenbergwerk

Hau ein, spitze Haue, in Jahrmillionen hau!

 

Mit Pflöcken gestützt ist der letzte Schacht –
der Block kracht
und wankt.
Gedankt
sei Gott! Die Hände beben
sind wundgeschunden.
O schweißgetränktes Leben
in Nacht gebunden
und Todgefahren.

O göttliches Licht,
du sonnige Welt
da oben!
Sollt sie loben!
Euer Weg ist erhellt.
Hier unten lacht
kein Lichtstrahl herein,
mit Jahrmillionen allein
in Enge und Nacht.

Hau ein, spitze Haue, hau ein!

Oben ängstet das Weib
und die hungrigen Kinder
um Vaters Verbleib –
geschwinder!
Hau, spitze Haue, hau ein!
Die tausend Tonnen.
– sind bald gewonnen –
fassen leicht Bergmanns Leben mit ein!

 

Zu Abend

Sie läuten zu Abend;
sie gehen heim
mit bleichen, müden Gesichtern.
Sie sehen stumpf
die prunkende Welt
in sonneblendenden Lichtern …

Sie läuten zu Abend.
Die Straße stäubt,
es ist ein Lärmen und Klingen …
In den Ecken daheim,
gell stimmt sich die Not,
ihr Liedel zum Willkomm zu singen!

 

Feindliches Luftschiff über See

Mit Drachenschwingen saust es durch die Nacht
und rattert wie ein Ungeheuer
vorüber an der milden Sterne Pracht –
geheimes Feuer
in unheilvollen Schlünden bergend.

Aus Höhen wird es furchtbar sich ergießen,
geschleudert wie von eines Gottes Zorneshand
wird es, Tod speiend, auf das Fahrzeug schießen,
das krachend sinkt, aufloht im Brand
der Hölzer und der Menschenleiber …

Und dazu von Jahrtausenden
des Geistes Schwingen
im blutigen Ringen,
dazu, o Mensch?

 

Feldmesse

Ein simpler Tisch, ein weißes Tuch,
der schwelenden Kerzen Brandgeruch –
der Priester zum Sakrament geneigt:
die Krieger beten und alles schweigt.

Die Kappe an die Brust gedrückt,
die Hände verkrampft, den Blick verzückt,
sieht mancher heim, sieht Dorf und Fluren –
sie hausten fröhlich, ehe sie schwuren.

Daheim lebt das Weib, das lockige Kind,
die alte Mutter, halb taub und blind,
sie soll nur immerzu seufzen und klagen
und nach dem bedrohten Sohne fragen –

Das Glöcklein schwingt ein schöner Soldat,
wie die Heimat viele glutaugige hat,
ist für manch Einen das Grabgeläute – –
der Tod grinst und freut sich der Beute.

 

Der Knabe

Bärtige Krieger, spitalentnommen,
sollen zurück zur Truppe kommen.
Heidi! Lachen und Klarinette
lassen vergessen das Schmerzensbette,
lassen vergessen, daß wieder zur Schlacht
sie der dämmernde Morgen gebracht –

Einer nur, ein Bürschlein, ein bleiches,
bartlos noch, ein Antlitz, ein weiches,
Augen, auflohnde, man siehts ihnen an,
daß sie Begeistrung durchglühen kann,
abseits steht es mit zuckendem Munde,
wartend auf neuen Schicksals Stunde.

Greuel hat es schreckhafte gesehen,
Menschen, blutgierge sah es erstehen,
Morden und Pest, das Knabengemüt,
dem noch ein Träumen im Herzen geblüht …
Jugend riß sich nach Taten vom Haus,
Lippen zucken: So sieht das aus?

 

Marienbild zu Sankt Stefan

Das Marienbild zu Sankt Stefan
hat eine goldene Kron,
desgleichen mit funkelnden Steinen
der kleine Gottessohn.

Hat Augen wundersame
das alte Marienbild,
tiefbraune, gütiggroße,
unsagbar schön und mild.

Viel fromme Beter haben
ihr Wünschen hingekniet,
dieweil ein Orgelsingen
den hohen Raum durchzieht …

Und haben vertraut dem Bilde
all ihr heißes Begehr,
daheim ein Krankes in Schmerzen –
Sorgen und Kummer und mehr.

Ein heimliches junges Lieben:
Maria, nimm mir die Pein!
Mit Bergstock und Rucksack ein Wandrer
Laß mich behütet sein! …

Auf alle sieht hernieder
das liebe Mariengesicht – –
sie gehen still und warten
des Wunders voll Zuversicht!

 

Ein Traum vom lieben Mütterlein

Es war in einem seltsam schönen Garten,
darin ich wandelnd auf und niederging,
als hätt ich ein Geheimes zu erwarten,
das mich mit ahnungsvollem Hauch umfing –

So seltsam stille wars auf allen Wegen,
unschlüssig ging ich einen nun hinan –
da kam die liebe Mutter mir entgegen
und sah mich lang und sah mich fragend an.

Ich stürze hin, aufschreiend, ihr zu Füßen:
Du, Mutter! – – Lange, lange kamst du nicht!
Wir haben dich so schwer entbehren müssen!
und küß ihr Hände und Gesicht.

Und weißt du denn von deiner Kinder Kämpfen?
bin Josefs Frau geworden! Gibst dus zu?
Laß mich ganz nah, ich muß die Stimme dämpfen:
Ich soll nun Mutter werden, so wie du! – –

Ich will mit dir zur Erde niedersteigen,
so spricht die Gute, lächelt vor sich hin,
dir soll die Mutter sich im Troste neigen,
ich seh, wie nötig ich noch unten bin!

Schon will ich jubelnd an der Hand sie fassen –
schlaff sinkt mein Arm und zögernd steh ich still:
Wo soll ich nur die Mutter wohnen lassen?
Es ist kein Platz und sinn ich, wie ich will.

Nur eine Stube können wir erschwingen
und enge ists und ärmlich noch darin –
wie solls der Gatte auch für alle zwingen?
Wo leg ich nur die liebe Mutter hin?

Und stocke: Ja – was wird der Vater sagen
und reiß ich dich ins Ungewisse nicht mit mir?
du lebst hier gut in ungezählten Tagen –
so weh mirs tut: du bleibst doch besser hier!

Da ist sie plötzlich mir entschwunden
und alles löst in fließend Dämmer sich –
ich fühle mich ans Irdische gebunden
und wache auf – und weine bitterlich!

 

Drei Dichter

Der erste war voll Glut, voll Gewalt,
sein Wort war Plastik, jede Gestalt
herausgehauen; Aufruhr und Krieg
besang er; jauchzenden Lebens Sieg!

Der zweite nahm die tiefe Legende
der alten Bibel, ewig jung,
und gab viel Schönheit, gab Worten Schwung
und hatte blasse, schlanke Hände.

Der dritte sprach wie tiefe Glocken
was Notgebeugtes gramvoll litt
und manchem wollte der Atem stocken –
er riß die Herzen Aller mit!

 

Ball im Versorgungshaus

Im Saal der alten Frauen
auf Nummer einhundertundzehn
ist heute Seltsames zu schauen,
ist Wunderbares zu sehn –

Man ließ sie allein die Alten
im Saale einhundertundzehn
nach Gutdünken ließ man sie schalten
vor dem Zubettegehn.

Die Eine hat die Bibel
die nächste den Strumpf zur Hand,
die dritte vom Enkel die Fibel
und Andre flicken Gewand. –

Da klingt von Verwalters oben
ein Wiener Walzer herab,
sie tanzen heute droben,
das schleift im Takt auf und ab –

Aufhorchen die alten Leute
und Eine erhebt sich am Stock:
Faschingsonntag, Kinder, ist heute! –
und faßt sich zierlich am Rock –

Schon halten sich Andre umfangen
vom Rausch des Walzers gepackt –
und tanzen mit glühenden Wangen
graziös im Dreivierteltakt.

Und sehn sich in Jugend und Jubel,
dem Erwählten angeschmiegt –
vom Glanz und seligem Trubel
berauscht und eingewiegt –

Der Walzer ist oben verklungen,
noch Lachen und Stimmengewirr;
hintaumeln mit jagenden Lungen
die Alten und lächeln irr –

Und haben auf welken Wangen
die wieder fahl sind, das Rot,
das letzte Glückverlangen,
hinsinkend, für immer verloht –

 

Erster Geiger

Wie eine Geliebte preßt er sie
an sich in tiefster Glut –

so eine Geige hört ich nie,
die ist wie Fleisch und Blut!

Verwachsen scheint sie ihm zu sein –
er haucht ihr seine Seele ein …

Und sie beginnt zu klagen
von tiefdurchlittnen Tagen.

Ein Massenhaus, wie viele sind,
drin träumt ein gottbegnadet Kind.

Das Elend aber will es nicht,
verlöscht das letzte Stümpfchen Licht.

Er kämpft im Dunkeln, kämpft allein
mit Hunger und Not – die Geige ist sein! – –

Viel schöne Augen glühn im Licht,
er streicht die Geige – sieht es nicht.

Die Lider hält er geschlossen,
vom Glanz der Lichter umflossen.

Aufjubelnd wird Begeistrung kund, –
kein Lächeln erhellt den herben Mund.

Und wollten sie ihn auf den Knieen bitten –
er wird nie vergessen, was er gelitten!


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