Klabund
Der Kavalier auf den Knien und andere Liebesgeschichten...
Klabund

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die alte Törin

Die verwitwete Frau von Kupferberg hatte schon zum sechzigsten Male ihren Geburtstag gefeiert und wollte doch noch Anspruch auf Schönheit und Anmut machen. Nichts war komischer anzusehen, als die kleine, ungestaltete Frau, gestützt auf eine mit Gold beschlagene Krücke, geputzt mit modischen Stoffen wie ein junges Mädchen von sechzehn Jahren. Ihre Gestalt stand in dem auffallendsten Gegensätze zu dem Flitter, womit sie sich behängt hatte. Falsches Haar bedeckt das natürliche, das zu sehr ihr Alter verraten haben würde. Die Tour ist mit einem kleinen Kopfputz nach der neuesten Mode übersetzt, das runzlige Gesicht mit dicker Schminke belegt, und hier und da sind einige Schönpflästerchen angeheftet. Sie will mit ihren unstet blinzelnden Augen lachen und verdreht sie nur, indem sie durch diese Anstrengung tropfenweise ein klares Wasser daraus ablöst, das in den Augenwinkeln alter Leute oft als ein Zeichen ihres abnehmenden Gesichtes steht und vertrocknet. Sie läßt gern einen langen knöchernen Hals, oder einen kleinen, vor einem Vierteljahrhundert vielleicht reizend gewesenen Fuß sehen, und glaubt ungeachtet der Zahl ihrer Jahre noch immer die Herzen der jungen Männer zu bezaubern, indes ihr Spiegel ihr Tag für Tag deutlich und zu ihrem größten Verdrusse sagt, daß ihr ganzes Wesen ihnen ein Spott oder ein Greuel sein muß. Da Frau von Kupferberg nun überhaupt auf mancherlei Art von der traurigen Wahrheit überzeugt ward, daß sie wenigstens nicht mehr die nämliche sei, die sie vormals war, und da sie wohl oder übel bemerken mußte, wie nach und nach ihre jungen und zuletzt auch ihre alternden Anbeter verschwanden, so faßte sie den Entschluß, mittels der Toiletten ihren verfallenen Körper in eine bessere Form zu bringen. In ihrem zusammengekniffenen welken Munde wurden künstliche Zähne in die entstandenen Lücken gesetzt, und durch ein Treibwerk bekam ihr Busen eine Elastizität, wie bei den jüngsten Mädchen. Geld, Mühe und Schmerzen wurden nicht geschont, wenn sie dadurch ein frischeres, jugendlicheres Ansehen erlangen konnte. Sie schmeichelte sich, hinter die Schliche der Natur gekommen zu sein und ihren Taufschein Lügen strafen zu können. Ihre Eigenliebe machte ihr weis, einem jeden zu gefallen, der sie sah. Alle, die mit ihr ein paar Worte sprachen, waren ihrer Meinung nach schon ihre Liebhaber, und so fand sie immer und überall Beweggründe zu Trost und Beruhigung über etwaige Kränkungen.

Die Frau von Kupferberg hatte eine einzige Tochter. Anstatt daß sie diese wie eine zärtliche Mutter hätte lieben sollen, hatte sie vielmehr einen tödlichen Haß auf sie geworfen. Der Grund dieses Hasses ist leicht einzusehen. Die Gegenwart dieser Tochter mußte ihr immer höchst unangenehm sein, weil man von deren Alter ungefähr auf das Alter der Mutter schließen konnte. Die arme Sophie sollte deshalb fast mit Gewalt aus dem mütterlichen Hause entfernt werden. Man rühmte ihr oft das Angenehme, Reizende der Stille und Einsamkeit eines Klosters, ohne daß man sie jedoch bewegen konnte, sich wirklich darein vergraben zu lassen. Frau von Kupferberg hätte ihrer Tochter gern die Hälfte ihres Vermögens überlassen, wenn sie nur niemals in ihrer Gesellschaft erschienen wäre. Das beste Mittel, sie so bald als möglich loszuwerden, wäre freilich gewesen, sie zu verheiraten; allein das war nicht tunlich, weil die Alte fürchtete, bald darnach Großmutter genannt zu werden.

Sophie ertrug alles mit Geduld. Ihr Charakter war ebenso liebenswürdig wie ihre Person. Sie verdiente in der Tat ein besseres Schicksal, und Frau von Kupferberg war einer solchen Tochter nicht wert. Der Graf von Limbach, ein so wie wenige seines Standes und Alters verständig zu preisender junger Edelmann, ward von den Vorzügen und Vollkommenheiten des Fräuleins gerührt. Seine vornehme Geburt und sein großer Reichtum, machten ihn vornehmlich bei den Frauen angesehen und beliebt. Junge und alte empfindsame Weiber und Kokotten bemühten sich um die Wette, ihn in ihre Netze zu locken. Er fand einmal Gelegenheit, das Fräulein Sophie in einem Hause zu sehen, wo er vielen Zutritt hatte. Sie liebten sich einander beide von dem ersten Augenblick an, da sie sich sahen. Der Graf sagte ihr seine Empfindungen, seine Wünsche, bat um Erhörung. Sophie errötete, stellte sich anfänglich, gleichgültig zu sein, gestand ihm aber am Ende eben ihre wahre Gesinnung: daß sie nur allein für ihn leben würde, daß er aber vor allen Dingen die Einwilligung ihrer Mutter haben müßte. Der Graf wollte sich augenblicklich zu den Füßen derjenigen stürzen, von der sein ganzes Glück abhing, ihr seine Verhältnisse schildern und sie bitten, seinem Liebesbunde mit ihrer Tochter ihren mütterlichen Segen zu verleihen. Sophie hielt ihn indessen auf. Eine Übereilung, sagte sie zu ihm, kann hier leicht alles verderben, lieber Graf. Ich fürchte, meine Mutter willigt nie in unsere Verbindung ein. – Tränen rannen bei diesen Worten von Sophiens blühenden Wangen herab. Der Graf beschwor sie, sich ihm näher zu erklären. Sie schilderte ihm mit töchterlicher Schonung ihre Mutter, wie sie war. Der Graf sann auf eine Rettung aus dieser Verlegenheit hin und her und wollte fast vor Schmerz vergehen, da sich ihm gar kein Ausweg zeigte. Endlich gab die Liebe Sophien ein Hilfsmittel an die Hand. Wir können uns alle Tage sehen, sagte sie zu dem Grafen, allein Sie müssen sich entschließen, meiner Mutter den Hof zu machen. Ein wenig Verstellung und Verleugnung Ihrer wahren Empfindungen, ein wenig zärtlichere Aufmerksamkeit gegen sie, als Sie ihr ohnedies als meiner Mutter erweisen würden, öffnet Ihnen unser Haus und setzt uns beide in den Stand, in fortwährendem gegenseitigen geheimen Verkehr Mut und Ausdauer zu finden, einen zukünftigeren Augenblick zur Erfüllung unserer Wünsche abzuwarten. – Entschlossen, wie der junge Graf wohl gewesen wäre, seiner Liebe alle, auch die schwersten Opfer zu bringen, ging er bereitwillig auf diesen Plan der Geliebten ein und traf mit ihr bei dieser nämlichen Zusammenkunft auch noch die näheren desfallsigen Verabredungen. Er fand bald Gelegenheit, sich in den Häusern Eingang zu verschaffen, welche Frau von Kupferberg am meisten zu besuchen pflegte. Er überhäufte die eitle Alte mit Artigkeiten und zuvorkommender Gefälligkeit. Seine Blicke schienen sie überall zu suchen, sobald er von ihr gesehen zu werden vermutete. Er sprang vor ihr her, unterhielt sie mit empfindsamen Gesprächen, seufzte ihr etwas vor, drückte ihr die Fingerspitzen und küßte ihre Hände. Die gute Dame glaubte ihn sehr bald bis zum Närrischwerden in ihre Reize verliebt. Er sah sie mit der Lorgnette von oben bis unten an, ließ sich absichtlich auf kleine Zänkereien mit ihr ein, um eine Versöhnung anstellen zu können, kurz, er spielte die Rolle des Verliebten so gut als der beste Schauspieler unserer Zeit. Einmal bot ihr der Graf seine Dienste an, um sie nach ihrem Wagen zu führen. Sie sind ein kleiner Spitzbube, sagte sie zu ihm ganz leise mit ihrer den komischen Eindruck ihrer Eigentümlichkeit unendlich erhöhenden tiefen baßartigen Altstimme: Wenn Sie nichts Besseres zu tun haben, so nehmen Sie heute mit einem schlechten Abendessen bei mir vorlieb. – Man kann sich leicht vorstellen, mit welchem Ausdruck der Freude der Graf dies annahm. Die Alte war von ihrem Wahne, der Gegenstand seiner Entzückungen zu sein, beseligt und merkte im geringsten nicht auf die Blicke, die sich der Graf und Sophie zuwarfen. Sie bat ihren vermeinten Anbeter, sie oft mit seinen Besuchen zu beehren. Auf diese Art ward der Graf bei der Mutter seiner Gebieterin eingeführt und hatte immer erneute Gelegenheit, sie zu sehen.

Das Benehmen der Frau von Kupferberg gegen den Grafen würde jedem anderen als ihm lautes Lachen abgenötigt haben. Zuweilen hörte sie ernsthaft seine Unterhaltungen an, dann erkünstelte sie ein gewisses flüchtiges Wesen und bestrebte sich, den jungen Mädchen nachzuahmen; oft antwortete sie bloß mit Seufzern und schmachtenden Blicken. Sie biß sich in die Lippen, preßte sich die künstliche Brust empor, sang dem Grafen wohl auch in einem Tone, der sich nicht beschreiben läßt, um ihn noch mehr zu bezaubern, ein neues Liedchen vor. Kurz, die Lächerlichkeiten der alten Frau überstiegen fast das Glaubliche und flößten jedem rechtlichen Manne, besonders auch dem Gegenstand ihrer Bemühungen, wahres Mitleiden ein, den noch überdies die lästige und unedle Verstellung schwer betrübte, mit der er sich den Anblick und jedes Lächeln seiner Geliebten erkaufen mußte. Er erwartete ängstlich den Augenblick, wo er mit Sophie allein sein konnte, um sich wegen des traurigen Zwanges schadlos zu halten, der ihm auferlegt ward. Einmal, als sie vermuteten, daß Frau von Kupferberg ausgegangen sei, unterhielten sich die jungen Leute miteinander von ihrer Liebe. Der Graf beklagte sich über die lange Dauer seiner Rolle; Sophie sprach ihm Mut zu, sie fortzuspielen, und fügte hinzu, wie sie nichts sehnlicher wünsche, als so bald als möglich sein Glück zu machen. Der Graf warf sich ihr ganz hingerissen zu Füßen, ergriff eine von ihren Händen, bedeckte sie mit Küssen und Tränen, und in dem nämlichen Augenblick trat die Mutter ins Zimmer.

Wenn es ja möglich ist, sich die Bestürzung und Wut der betrogenen Alten vorzustellen, so muß man sich die heftigsten Leidenschaften vereinigt denken, um sich einen Begriff von ihrer Lage zu machen. Die beiden Liebenden standen unbeweglich, wie vom Blitz getroffen da. Mit feurigen Augen, aus denen der höchste Grad des Zornes hervorstrahlte, betrachtete sie lange die Unglücklichen. Ihr betrügt mich also! rief sie endlich aus. Treuloser Graf, dem ich leider nur zu günstig gesinnt war, Sie können eine andere mir vorziehen? Gehen Sie, Ihr schlechter Geschmack rächt mich hinlänglich an Ihnen. – Ich bete Ihre Tochter an, sagte der Graf, und stürzte vor ihr auf die Knie, vergeben Sie mir, was ich verbrochen habe. Meine innigste Achtung gehört Ihnen an, aber die reizende Sophie hat meine ganze Liebe und Zärtlichkeit gefesselt. – Frau von Kupferberg wollte den Grafen nicht weiter anhören, sie benahm ihm alle Hoffnung, daß er jemals ihre Einwilligung in die Verbindung mit Sophie erlangen könne, und befahl ihm zugleich, sie und ihr Haus zu verlassen. Er sah sich genötigt, zu gehorchen, und entfernte sich verzweiflungsvoll von Sophien. Sobald er fort war, ließ die aufgebrachte Alte anspannen und vorfahren. Sie stieg in den Wagen, und ihre Tochter mußte bei ihr Platz nehmen. Weder Bitten noch Tränen des armen jungen Mädchens rührten die eifersüchtige Mutter, sie brachte sie wirklich in ein Kloster, das zehn Meilen von Wien lag.

Der Verdruß und die mancherlei Kränkungen, welche die verliebte Alte in dieser Angelegenheit ausgestanden hatte, griffen sie nicht eben empfindlich an, und sie vergaß bald alles wieder. Der Graf war jetzt in ihren Augen ein junger Geck ohne Verstand und Geschmack. Sie glaubte, es würde sich bald genug ein anderer Liebhaber, ein besserer Kenner als der erste finden, der ihre Verdienste und Reize zu bemerken und zu schätzen verstehen würde. Die Entfernung ihrer Tochter hielt sie für die beste Vorbereitung dazu. Um den glücklichen Sterblichen, der aus ihr einen Abgott machen würde, desto eher anzutreffen, wendete sie noch mehr Kunst und Fleiß auf ihren Anzug und verdoppelte ihre Bemühung, ihr Gesicht so jugendlich zu machen, als Farbe, Kreide und Wasser es nur machen wollten. Sie ward dadurch zehnmal lächerlicher als vorher. Ihr Bestreben, mit Gewalt zu gefallen, fiel jedermann auf. Man sah auf der Straße, in der Kirche, in allen Gesellschaften, wo sie sich einfand, allein auf sie, und keines wußte, ob es seinen Sinnen trauen könnte, eine Frau in ihrem Alter noch als Närrin zu sehen. Am Ende machte man sich auf ihre Kosten lustig, selbst die Straßenjungen folgten ihr in langen Zügen, um den geputzten Affen in der Nähe anzuschauen. Anstatt daß sie die Verachtung hätte merken sollen, die ihre wunderliche, würdelose Erscheinung zuwege brachte, glaubte sie in der Tat ernstlich, daß man sie bewundere. Wenn jemand sie auslachte, wo sie vorbeiging, hielt sie es für ein liebreiches Lächeln. Wenn man in ihrer Gegenwart heimlich sprach, bildete sie sich in ihrer Eigenliebe ein, daß man sich ihr Lob zulispelte. Wenn ein lautes Gemurmel entstand, so oft sie sich im Schauspiel oder auf einem Spaziergang erblicken ließ, konnte nur das Erstaunen über ihre Reize der Grund desselben sein.

Indessen lebte Sophie im Kloster, ohne weder von ihrer Mutter etwas zu hören, die sie vergessen hatte, noch von ihrem Liebhaber, der sich vergebens alle mögliche Mühe gab, zu erfahren, wo sie hingekommen sei. Sie würde vor Betrübnis gestorben sein, wenn nicht eine würdige Klosterfrau alle Pflege und Sorge für sie getragen hätte. Dies schätzbare Frauenzimmer tröstete sie und führte ihr in Gedanken eine bessere Zukunft vor. Wenn ein Unglücklicher beklagt wird, wenn er sieht, daß die Erzählung seiner Leiden einen andern rührt, dann bekommt er einen gewissen Mut, seine Seele erheitert und erweitert sich, und er vergißt schon halb seinen Kummer. Die betrübte Sophie erfuhr eben diese Wirkung von der Teilnahme ihrer Trösterin.

Die Mutter Angelika, so hieß die würdige Klosterfrau, welche die schöne Einsiedlerin so lieb gewonnen hatte, war alt und grau. Sie hatte Frau von Kupferberg sehr genau gekannt, beide waren in der Jugend miteinander aufgewachsen und hatten damals unter sich eine genaue Freundschaft errichtet. Gewisse Familienunglücksfälle nötigten Angelika, den Schleier zu nehmen, mit Betrübnis trennte sie sich von ihrer Freundin. Frau von Kupferberg, an die Welt gefesselt, vergaß sehr bald die Nonne Angelika, ja sogar den Namen des Klosters, wo sie sich aufhielt. Wenn sie gewußt hätte, daß sie ihre Tochter in solche Nähe ihrer Jugendfreundin brächte, so würde sie nach aller Wahrscheinlichkeit lieber ein anderes Kloster für sie gewählt haben, weil es ihr höchst unangenehm sein mußte, eine alte Freundschaft zu erneuern, die beweisen konnte, wie lange sie schon gelebt hatte.

Die Torheiten und Ausschweifungen der Frau von Kupferberg nahmen immer mehr zu als ab. Täglich erdachte sie neue Weisen, sich zu kleiden. Die auffallendsten Moden waren ihr die erwünschtesten, und sie trug sie gewöhnlich schon, wenn sie noch kein Mensch in Stadt und Land kannte. Ein armer Edelmann, namens Lenau, bemerkte mittlerweile schon längst mit Vergnügen die Schwäche dieser sechzigjährigen Schönheit und faßte den Entschluß, von ihr seinen Vorteil zu ziehen. Der Ritter Lenau lebte bloß von dem, was ihm seine Industrie einbrachte. Er war einer der zahllosen Menschen, welche die Kunst verstehen, alle zu betrügen, mit denen sie zu tun haben. Seinen eigentlichen wahren Charakter verbarg er vor jedermann und widersprach sich nicht. Man sah ihn mit den größten Spielern spielen, denen er öfters große Summen abgewann, um, wie er sagte, einen anderwärts gehabten Verlust wieder zu ersetzen. Er war ein Freigeist in Worten und Taten mit Wüstlingen, die ihm sehr teuer die Vergnügungen bezahlen mußten, die sie in seiner Gesellschaft genossen. Er war Pietist, Herrnhuter und Frömmling, wenn er es mit Schwärmern zu tun hatte, die stets die Liebe Gottes im Munde führen und von der Liebe der Menschen nichts wissen; allein seine heuchlerische Miene täuschte sie, und er wußte ihre Börse manchmal zu schröpfen. Überdies hatte dieser irrende Ritter ein festes und gewisses Einkommen von Frauen, die ungeachtet ihres Alters törichterweise noch für schön und jung gehalten werden wollen und sich freuen, wenn noch einmal einer kommt und ihnen die Ehre antut, sie zu lieben oder sich wenigstens in sie verliebt zu stellen. Solche Frauen sehen das Opfer ein, das ihnen die Männer bringen, und sind auf Erkenntlichkeit bedacht; alle Bedürfnisse, die nötigen und überflüssigen, befriedigen sie ihren Anbetern gern, und wenn ja eine durch Zufall diese Sitte nicht wissen sollte oder aus Geiz sich stellte, sie nicht zu wissen, so kann ein kluger Mensch ihr ganz unbemerkt seine Wünsche beibringen; es wird ihm ein Leichtes sein, selbst die Geizigste zur Verschwenderin zu machen und ihrem Geldbeutel so oft zuzusprechen, als er will. Der Ritter Lenau war kein Neuling in diesem Geschäft und machte sich auf die alte Dame große Rechnungen.

Er ließ sich bei ihr einführen, war liebenswürdig, galant und wußte der Frau von Kupferberg so viele Süßigkeiten vorzuschmeicheln, daß er in kurzer Zeit bei ihr die Stelle eines Hausfreundes bekleidete. Die Fortschritte, wozu sie ihm selbst Gelegenheit gab, die zärtlichen Blicke, die sie ihm zuwarf, machten ihm Mut, ihr seine Liebe zu entdecken. Die Alte ward zum Schein rot, zwang sich eine kleine Weile zu widerstehen, gestand ihm aber bald nachher seinen Sieg. Der Ritter war schon zu weit gegangen, als daß er, wenn er auch gewollt, hätte zurücktreten können, und so mußte er mit erheucheltem Entzücken alle Liebkosungen eines Gegenstandes dulden, den er abscheulich fand. Der bequemen Weite seines Gewissens wurden die wenigen Vorwürfe eben nicht sehr fühlbar, die er sich dann und wann vielleicht über die ehrlose Rolle machte, die er unternommen hatte durchzuführen. Frau von Kupferberg glaubte infolge dieser glänzenden Eroberung steif und fest an die Gewalt ihrer Reize und ließ sich nicht einfallen, daß Lenau bloß aus Eigennutz für sie seufze. Die Zerstörungen, welche die Zeit bei ihr angerichtet hatte, hatten den Geschmack am Vergnügen noch keineswegs bei ihr ausgelöscht. Sie wünschte zu genießen und nötigte alsbald den Ritter, die Pflichten eines zärtlichen Liebhabers gegen sie zu erfüllen. Sie war ihm für die Dienste, die er ihr als solcher leistete, nichts weniger als undankbar. Sie überhäufte ihn mit Geschenken, die der Ritter alle mit einer Miene empfing, die ihr sagte, wie beschämt er über ihre Großmut und die Unfähigkeit, einer so teuren Hand etwas abzuschlagen, sei. Er beteuerte, weiter nichts von ihr annehmen zu können; allein so oft sie ihm etwas gab, sagte er dasselbe, indem er alles nahm. Als er gewahrte, daß ihre Freigebigkeit etwas nachließ, verstand er die Kunst, sie wieder in Gang zu bringen, und wendete tausend Listen, tausend Betrügereien mit so gutem Erfolge gegen sie an, daß er fast der unumschränkte Herr ihres Vermögens ward.

Wenn die Alte ihre Schwachheiten verborgen gehalten hätte, so würde sie damit nicht aller Welt ein Gespött und Ärgernis geworden sein. Sie verlangte aber, daß der Ritter ihr immer zur Seite ginge, sie nahm ihn, um eben Aufsehen zu machen, mit sich ins Schauspiel, auf die Spaziergänge. Sie stellte sich, als wenn sie an öffentlichen Orten ihm etwas ins Ohr sagte, lachte laut auf, wenn er ihr etwas sagte, stützte sich vertraulich auf seinen Arm und trieb mit ihm die seltsamsten Possen aller Art. Einmal mußte sie eine gewaltige Demütigung ausstehen, ein Schalk fragte sie nämlich, ob dieser junge Mensch, den sie so zärtlich zu lieben scheine, ihr Sohn sei.

Es ist schon gesagt worden, daß der Graf von Limbach vergeblich nachgeforscht hatte, den Namen des Klosters zu erfahren, in dem seine geliebte Sophie verborgen worden war. Die Kenntnis ihres Aufenthaltsortes an sich allein konnte ihm freilich auch nicht viel helfen, wenn er nicht Hoffnung hatte, ihre Mutter auf andere Gedanken zu bringen. Er hatte die Frau von Kupferberg in verschiedenen Häusern angeredet; sie wollte jedoch weder unmittelbar von ihm selbst, noch mittelbar von denjenigen, welche ein gutes Wort für ihn einzulegen gesonnen waren, irgend etwas von ihm und seinen Absichten hören. Der arme Graf wußte sonach gar nicht, was er anfangen sollte, verwünschte sein unglückliches Schicksal und nahm endlich Postpferde, um auf eines seiner Güter zu fahren und sich in ländlicher Stille seiner Betrübnis zu überlassen. Indem er durch eine Landstadt fuhr, stieg er zufälligerweise vor einem Nonnenkloster ab. Eine glückliche Vorempfindung oder vielmehr die Liebe, die diesmal seine Führerin war, erregte in ihm das Verlangen, in die Kirche zu gehen. Man sang eben die Vesper. Eine gewisse Stimme schien ihm so bekannt zu sein. Zitternd näherte er sich dem Gitter des Chores. Wie groß waren seine Bestürzung und Freude: er erblickte unter mehreren anderen Pensionärinnen seine ewig teure Sophie!

Die Vesper deuchte ihn unendlich lang zu sein. Kaum war sie aus, so flog er nach dem Sprechzimmer und verlangte das Fräulein von Kupferberg zu sprechen. Sie erschien, ohne an das Vergnügen zu denken, das ihrer wartete. Sie schrie laut auf, als sie ihren Geliebten erkannte, und die Überraschung und plötzliche Freude hätten ihr bald eine Ohnmacht zugezogen. Nachdem sie sich einander alles Zärtliche gesagt hatten, was solche Liebenden notwendigerweise auf dem Herzen haben mußten, eilte Sophie zu der Mutter Angelika, damit auch ihre Freundin sich mit ihr freuen und einen Mann kennenlernen möge, von dem sie ihr so oft gesprochen hatte. Der alten Nonne gefiel der Graf ausnehmend wohl. Sie versprach, ihr möglichstes zu tun, um Frau von Kupferberg zur Einwilligung in die Verbindung ihrer Tochter mit demselben zu stimmen.

Der Graf, der nunmehr das Ziel seiner nächsten Wünsche erreicht hatte, gab natürlich gleich den Plan, auf seine Güter zu reisen, auf. Er blieb in dem Landstädtchen und besuchte täglich seine Sophie. Beide Liebenden erwarteten mit Schmerzen die Frucht von Angelikas Bemühungen. Die Nonne schrieb verschiedene Briefe, aber jedesmal ohne den gewünschten Erfolg. Die Frau von Kupferberg beharrte in ihren immer kälter und kürzer werdenden Antworten dabei, daß es ihr leid täte, ihr in dieser Sache keinen Beweis ihrer Freundschaft geben zu können, da sie ihren unabänderlichen Entschluß einmal gefaßt hätte und um keinen Preis jemals wieder aufgeben könnte. Zwei Monate verflossen, indessen über den Liebeshandel der beiden jungen Leute unablässig verhandelt worden war. Der Graf äußerte seinen Schmerz durch Klagen. Sophie sagte kein Wort und war im Grunde noch übler daran als der Graf. Die Mutter Angelika ermahnte beide zur Geduld und stellte ihnen vor, daß sie sich ganz in den Willen des Höchsten ergeben müßten.

Frau von Kupferberg beunruhigte sich wenig über den Kummer ihrer Tochter und über die Leiden des Grafen, so oft auch Angelika Gelegenheit nahm, ihr wegen ihrer Weigerung die bittersten Vorwürfe zu machen. Der Ritter Lenau erfuhr alles, er war ihr Gebieter, ihr Abgott. Je mehr er ihr kostete, je liebenswürdiger erschien er in ihren Augen. Der ehrbare Gegenstand ihrer närrischen Liebe, der Urheber ihrer Verirrungen und Ausschweifungen erwartete nächstens den Zeitpunkt, sie völlig zugrunde gerichtet zu haben, um sie alsbald zu verlassen und ihre Torheit zu verlachen. Sein Mißgeschick verriet seinen Plan noch vor der Ausführung. Er ließ im Zimmer seiner alten Geliebten unversehens ein Papier aus der Tasche fallen, als er abends nach Hause ging. Sie nahm es in der Absicht auf, es ihm wiederzugeben. Es war ein Brief von einem Freunde des Ritters. Aus Neugierde wollte sie doch den Inhalt wissen. Sie las folgendes:

»Du meldest mir, mein Bester, daß du auf alle mögliche Art die arme Kupferberg ausziehst und alles anwendest, um sie je eher je lieber aufs Trockene zu setzen und dich dann gänzlich von ihr loszumachen. Ich bitte dich, tue ja alles, was du kannst. Man sagte sich schon allerlei ins Ohr, warum du mit diesem Schattenbilde so lange umgegangen bist. Deine Freunde haben wirklich Mühe, dich gegen alle Beschuldigungen zu verteidigen. Eigentlich müßtest du schon längst die Alte an den Bettelstab gebracht und ihr die letzte Feder ausgerupft haben, sonst verdient wenigstens so ein altes Geschöpf einen so jungen, liebenswürdigen Menschen, wie du bist, nicht.«

Frau von Kupferberg knirschte mit den Zähnen und gedachte vor Ingrimm zu sterben. Sie machte dem Ritter die kränkendsten Vorwürfe, zeigte ihm den unglücklichen Brief, zerriß ihn und warf ihm die Stücke ins Gesicht. Der Ritter stand versteinert da, wußte anfänglich nicht, was er sagen sollte; endlich kam er wieder zu sich selbst, sah die Frau von Kupferberg von Kopf bis zu Füßen an, lachte ihr mit der größten Kälte ins Gesicht und ging.

Die bedauernswerte alte Dame hatte sich noch nicht völlig von ihrem Zorn wieder erholt, als sie einen Brief bekam, der ihr Gelegenheit zum Nachdenken verschaffte. Er war von der Klosterfrau Angelika. Die gute Nonne, die sich der Sache ihrer Kinder, so pflegte sie sie zu nennen, von Herzen annahm, war nicht wenig betreten, beinahe alle Hoffnungen aufgeben zu müssen, Sophiens Mutter auf günstigere Gedanken zu bringen. Noch ein Mittel wollte sie versuchen, da die vorigen fehlgeschlagen waren. Dies ist in der Kürze der Inhalt des wichtigen Schreibens:

»Sie verfehlen die Hälfte Ihres Alters, ich weiß nicht eigentlich warum; allein Sie müssen doch Gründe dazu haben. Ich kenne Sie von Ihrer Kindheit an, es hängt bloß von mir ab, deutlich zu beweisen, daß Sie schon lange über den Frühling Ihrer Jahre hinaus sind. Ich melde Ihnen also hiermit, daß, wenn Sie nicht je eher je lieber in die Heirat Ihrer Tochter mit dem Grafen von Limbach willigen, ich überall öffentlich bekanntmachen werde, daß Sie älter als sechzig Jahre sind. Sie sind 1724 geboren, haben sich 1756 verheiratet, und jetzt schreiben wir 1790; die Berechnung Ihres Alters hält danach nicht schwer. Ich bin leicht imstande, Beweise meiner Behauptungen beizubringen. Glauben Sie mir, es liegen zu dem Ende schon Briefe an diejenigen meiner Freundinnen in Bereitschaft, die die ärgsten Schwätzerinnen sind. Wenn ich binnen drei Tagen keine befriedigende Antwort habe, so weiß in der nächstfolgenden Woche ganz Wien vielleicht besser als Sie selbst, wie alt Sie sind. Stellen Sie sich vor, welcher Schimpf dies für Sie sein würde!

Die Klosterfrau Angelika.«

Sobald die Alte diesen Brief gelesen hatte, war ihr Entschluß auf der Stelle gefaßt. Sie ließ anspannen und fuhr nach dem Landstädtchen, in dem das Kloster lag. Ich willige in Ihr Verlangen, rief sie der Mutter Angelika zu, als sie dieselbe sah. Ihr Rat scheint mir so annehmbar zu sein, daß ich die Absicht hege, meinethalb noch heute meine Tochter mit dem Grafen zu vereinigen. – Der Graf trat jetzt ins Zimmer, und Angelika kündigte ihm zu ihrer größten Freude sein Glück an. Er fiel seiner Schwiegermutter zu Füßen und sagte ihr tausend Dank für den kostbaren Schatz, den sie ihm anvertrauen wolle. Sophie verließ das Kloster, die Hochzeit ward vollzogen, und das liebende Paar schwamm in Seligkeit. Frau von Kupferberg unterstand sich nicht, ihre alte Freundin zu bitten, verschwiegen zu sein. Die Klosterfrau merkte, was in ihrem Herzen vorging, und gab ihr beim Abschiede die Versicherung, daß sie sich noch immer in der Welt für eine Frau von dreißig Jahren ausgeben könne, ohne befürchten zu dürfen, ihr Geheimnis verraten zu sehen.


 << zurück weiter >>