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Der Kavalier auf den Knien und andere Liebesgeschichten...
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Der graue Zelter

Tief in einsamer Waldung der Champagne lebte auf seiner Burg einst ein wackerer Ritter, der Wilhelm hieß und an guten Eigenschaften reich, an Besitztum aber so arm war, daß ihn fast nur die Tapferkeit seines Armes aus dem Stegreif erhielt. In Wilhelms grüner Nachbarschaft lag ein großes, festes Schloß, und darin hauste ein vornehmer alter Herr als Witwer mit einer sehr schönen Tochter.

Es verstand sich von selbst, daß die reiche Erbin Nina viel Bewerber fand. Daß aber gerade des armen Wilhelm Sorgfalt, ihr bei häufigen Besuchen durch Ritter- und Minnedienste zu gefallen, gute Erfolge nach sich zog, mißbilligte der gestrenge Vater so ungemein, daß er seiner Tochter mit dem Ritter zu reden verbot, ihn selbst aber fortan so kalt behandelte, daß er sich gar nicht wiederzukommen erdreistete. Es hörte sonach alle Gemeinschaft zwischen den Liebenden um so mehr auf, da Ninas Vater vor Alter nur mit Beschwerden zu Pferde stieg und die Jungfrau selten oder niemals in seinem Schlosse unbewacht verließ. Der alte Fuchs hatte in seiner Jugend selbst Liebeshändel gehabt und war mit den Schlichen der Liebe aus eigener Erfahrung so vertraut, daß er sich wohl hütete und den jungen Ritter auch des einzigen Trostes beraubt hielt, seine Geliebte zu sehen. Eines Tages, als Wilhelm traurig um die Burg des Alten schlich, nahm er in der hohen Mauer eine abgelegene, nicht mehr gebrauchte Pforte wahr, durch die es ihm möglich schien, sich mit Nina zu besprechen. Er fand Mittel, das Fräulein von dieser Entdeckung zu benachrichtigen, und sie benutzte sie. Was ihn selbst anlangte, so kannte er die geheimen Fußpfade durch das Dickicht des Waldes und das die Burg beschützende, undurchdringliche Dorngebüsch gut genug, um ohne Gefahren stets an den Ort des Stelldicheins zu gelangen. Diese kleine Entschädigung war anfänglich der Liebenden Glück, und mit Entzücken genossen sie es einige Zeit. Aber was ist's am Ende, sich zu sprechen, ohne sich zu sehen? Muß man es sich nicht beweisen, daß man sich zärtlich liebt? Nicht eine Umarmung, nicht ein Kuß! Und immer in der Furcht, verraten und auf ewig getrennt zu werden! Wilhelm ertrug es auf die Dauer nicht, beschloß, auf die eine oder andere Art eine Entscheidung herbeizuführen, und ging auf das Schloß, in der festen Absicht, den alten Ritter zu einer entscheidenden Antwort zu nötigen. Ich habe Euch um eine Gunst zu ersuchen, Herr, sagte er zu ihm, hört mich einen Augenblick geduldig an. Ich liebe Eure Tochter, mein ganzes Glück beruht auf ihrem Besitz, und ich wage es, Euch um ihre Hand zu bitten. Meine Geburt und meinen Namen kennt Ihr. Ich glaube, auf Eure Achtung mir ein Recht erworben zu haben und Ninas nicht unwert zu sein. Gebt also Eure Antwort, die mir Leben oder Tod verleihen kann. – Ich begreife sehr wohl, daß man meine Tochter liebt, erwiderte der Greis, sie ist jung, schön, klug, von hoher Geburt und meine einzige reiche Erbin, wenn sie sich meiner Liebe würdig zeigt. Unter solchen Umständen, meine ich, wäre sie jedem Prinzen in Frankreich recht. Schon mehr als ein mächtiger Edelmann hat um sie angehalten, aber ich beeile mich nicht und warte einen Ehemann für sie ab, der mir behagt. Ein Ritter aber, der, wie seine Falken, nur vom Raube lebt, behagt mir nun und nimmermehr. – Der betroffene Wilhelm hatte die Kraft nicht, etwas zu erwidern. Er stürzte fort, verbarg sich im einsamsten Walde und vergoß Tränen, bis die einbrechende Dunkelheit ihm erlaubte, an die kleine Pforte zu gehen. Nina erwartete ihn dort, und nun erneuerte das Schluchzen und die Qual des einen den Schmerz des anderen. Empfange mein letztes Lebewohl, sagte der Ritter, es ist um mich geschehen. Für mich gibt es in diesem Lande kein Glück mehr; ich muß ihm entfliehen, weil ich dich nicht besitzen kann. Verwünscht auf ewig die Schätze, die mich von dem trennen, was mir teuer ist. – Ach! klagte die zärtliche Nina, ich wünschte mir zu ihrem Besitze Glück, weil ich wähnte, sie dir anbieten zu können. Ist es denn des Schicksals Wille, daß auch ich sie nun verwünschen muß? Aber laß uns noch nicht verzweifeln, mein liebster Wilhelm, es bleibt uns eine Hilfe, auf die meine Zärtlichkeit für dich schon seit langem rechnet. Es lebt unweit von hier, in Medot, dein alter Oheim, meines Vaters Jugendfreund. Wenn er dich, wie ich nicht bezweifle, liebt, so gehe zu ihm, vertrau ihm das Geheimnis unserer Liebe. Er hat in seiner Jugend sicher auch geliebt und wird uns bemitleiden. Sage ihm, daß er mein und dein Glück machen kann, bewege ihn, sich deiner anzunehmen, der du ja doch sein natürlicher, nächster Erbe bist, dir, wenn auch auf wenige Tage nur, das schriftliche Versprechen zu geben, seine Burg gehöre nach seinem Tode dir. Allein Vater bewilligt sie gewiß, legt er eine Bitte für dich ein. Und sind wir erst vereinigt, so stellen wir ihm die Schrift, mit der er uns eine so große Wohltat erzeigte, gleich zurück, ja, danken ihm zeitlebens für den frommen Betrug. Ach! süßer Freund, bedarf ich denn seines Gutes, um dich zu lieben? – Ich war zu sterben bereit, sagte Wilhelm freudig, und du, Holde, gibst mir durch deiner Liebe Erfindungskraft das Leben wieder. – Er eilte alsbald auf seines Oheims Schloß und flehte den Alten an, seiner Liebe beizustehen, ohne ihm jedoch zu vertrauen, wie weit er mit dem Fräulein einverstanden war. Der Oheim erwiderte: Deine Wahl ist aller Ehren wert, mein Kind, ich kenne das Mädchen und finde sie allerliebst. Beruhige dich, ich verspreche dir, sie von ihrem Vater zu erlangen, und gehe deswegen augenblicklich selbst zu ihm.

Der Alte stieg allerdings gleich zu Pferde, aber mit Absichten, gar nicht den Wünschen des Jünglings gemäß. Denn da er eben noch nicht geradezu hinfällig und dabei lebenslustig war, so hatte er zum öfteren Ninas Vater besucht und sehr wohl die Schönheit und Reize des Mädchens bemerkt, die sich überdies ihm, als dem Oheim und der Stütze ihres Wilhelm, besonders freundlich erwies. Waren nun seine Augen einerseits noch hell genug, daß sie am weiblichen Reiz sich werdeten, so zeigten sie sich doch insofern verblendet, als sie das Gefühl mißdeuteten, das sich in Ninas Augen gegen ihn äußerte. Diese Betörung seiner selbst, verbunden mit dem Verdruß, fremde Erben auf seinen Tod warten zu sehen, dem vielleicht auch Wilhelm, gegen den er nie gütig gewesen war, durch Unvorsichtigkeiten zuweilen Nahrung verlieh, wenn seine verzweifelnde Liebe sich auch an den Gedanken, in einer späteren Heirat wohl noch selbst Erben zu gewinnen, und Wilhelms vertrauliche Mitteilung zeitigte jetzt plötzlich den Gedanken zum Entschluß.

Während also der Jüngling, freudetrunken über des Oheims zweideutiges Wort, sich entfernte, um nach Galardon auf ein zweitägiges Turnier zu gehen, und unterwegs nur von dem Glück träumte, dessen Genuß er als eine reife Frucht sich schon in den Schoß fallen sah, ward von dem Vater seiner vermeintlichen Braut seinem Oheime der gewöhnliche gute Empfang zuteil. Die beiden Alten zechten und schmausten bei Tische und plauderten von ihrer Jugend Heldentaten und Liebesglück.

Nach Mittag aber allein mit seinem Freunde, hub der Herr von Medot an: Hört einmal, Alter, ich bin Junggeselle, und die Zeit wird mir nachgerade in meiner Einsamkeit lang. Ihr verheiratet bald Eure Tochter, und dann geht's Euch ebenso. Nehmt den Vorschlag an, den ich Euch tue, und gebt mir Eure Nina. Ich verschreibe ihr mein ganzes Vermögen, ziehe hierher zu Euch und bleibe bei Euch bis an Euren Tod.

Ninas Vater nahm diesen Vorschlag mit Freuden an, umarmte seinen alten Schwiegersohn und ließ auf der Stelle seine Tochter rufen, der er das fürchterliche Übereinkommen eröffnete. Es läßt sich denken, wie die Jungfrau erschrak. Sie ging in ihr Zimmer, um sich auszuweinen, verwünschte den verräterischen Alten und seine Treulosigkeit tausend Male und rief im stillen sehnsuchtsvoll ihren Geliebten zu Hilfe, der sich einstweilen in Galardon Ruhm zu ernten beschäftigte und sich von der Absicht seines Oheims, ihn zu enterben und seiner Geliebten zu berauben, nichts träumen ließ.

Nina eilte am Abend an die Pforte, denn sie wußte nicht, daß Wilhelm auf dem Turniere war; nachdem sie aber lange vergebens gewartet hatte, glaubte sie, auch von ihm verlassen zu sein, und sandte ihre Seufzer in die stille Nacht.

Den zweiten Tag nach diesem verhängnisvollen Ereignis hatten die Alten zur Vollziehung ihres Eigenwillens anberaumt; und weil der Bräutigam durchaus Trauung und Hochzeit in Medot feiern wollte, so beschloß man, die Braut mit dem ersten Grauen des Tages abzusenden, damit sie bei guter Zeit mit ihrer Begleitung an Ort und Stelle sei. Inzwischen schickten Schwiegervater und Eidam in der Nachbarschaft herum, luden ihre Freunde, das heißt alle, die so alt wie sie und noch nicht tot waren, ein, und als des andern Morgens nach und nach die alten gebrechlichen, runzligen zitternden Kahlköpfe herbeihumpelten, hätte man glauben mögen, sie kämen zueinander und sagten sich das letzte Lebewohl, um aus dieser Welt zu scheiden. Man konnte schwerlich komischere Hochzeitsgäste sehen.

Der Tag verstrich unter festlichen Zubereitungen und unter Anfertigung des Putzes der betrübten Braut, die ihre Tränen notgedrungen barg und ruhig schien, ob sie gleich vor innerlichem Schmerz vergehen wollte. Von Zeit zu Zeit kam ihr Vater hinzu und sah, wie die Arbeit gedieh. Und indem er so für alles in Haus und Hof Sorge trug, fragte ihn ein Knappe, ob denn für so viele Menschen nicht Pferde zum Ritt nach Medot mangelten? – Die Ritter haben die ihrigen, auf denen sie gekommen find, erwiderte der Herr, und für die andern reichen meine Ställe aus. Damit es aber in keinem Falle zu knapp hergehe, mag einer welche von meinem Nachbarn leihen. Dem Knechte, der mit diesem Auftrag abgefertigt ward, fiel es unterwegs ein, daß Ritter Wilhelm ein prächtiges, in der ganzen Landschaft als das schönste gekanntes, graues Pferd besaß. Der Tölpel meinte, es müsse seiner jungen Herrin jedenfalls eine Freude sein, verschaffe er ihr zu so feierlichem Ritte ein solches Tier, und begab sich zu dem Ritter, ihn darum anzugehen.

Nachdem Wilhelm auf dem Turniere den ersten Preis errungen hatte, war er in der Hoffnung eine günstige Antwort zu holen, zu seinem Oheim geritten und, da er ihn nicht zu Hause angetroffen hatte, der Meinung, Ninas Vater habe Schwierigkeiten erhoben, in seine Burg zurückgekehrt; übrigens so vollkommen beruhigt über diese Angelegenheit, so voll Vertrauen in die Zusage seines Vermittlers, daß er, sowie er nach Hause kam, einen Spielmann rufen ließ, um sich mit Liedern der Minne zu erlustigen.

Auf einmal sieht er einen Fremden vor sich stehen. Es ist jener Knappe, der ihm einen Gruß seines Herrn hinterbringt und ihn in des Greises Namen zum andern Morgen um seinen grauen Zelter ersucht. O! von Herzen gern, erwiderte Wilhelm, und für längere Zeit, wenn er ihn haben will. Wozu gebraucht er denn das Tier? – Um unser Fräulein Nina nach Medot zu bringen, Herr. – Seine Tochter? Ei! was hat das Fräulein in Medot zu tun? – Nun, sie heiratet dahin. Wißt Ihr denn nicht, daß Euer eigener Oheim bei unserm gnädigen Herrn um sie gefreit hat und das Fräulein in Medot morgen, sowie der Tag graut, heiraten wird? – Bei diesen Worten scheint Wilhelm versteinert zu sein. Er glaubt an so schwarzen Verrat kaum und läßt ihn zum zweiten Male sich bestätigen. Unglücklicherweise ist es ihm nicht erlaubt, Rache an dem Schuldigen zu nehmen. Er schreitet eine Weile mit niedergeschlagenen Augen und wütenden Gebärden stillschweigend auf und ab. Plötzlich hält er inne, ruft seinen Stallmeister, läßt den Grauschimmel satteln und übergibt ihn dem Knechte. Sie wird ihn besteigen, sagt er zu sich selbst, und indem sie dies tut, denkt sie vielleicht noch einmal an mich. Bin ich nicht überglücklich, daß ich zu ihrem Vergnügen beitragen darf? Aber nein, ich klage sie mit Unrecht an; sie gibt ihre Hand nur gezwungen hin und ist um so beklagenswerter. Ich besitze ihr Herz und so lange ich lebe, gehört ihr das meinige. – Jetzt ruft der Ritter alle seine Leute zusammen, verteilt sein weniges Geld unter sie und erlaubt ihnen, von diesem Augenblick an aus seinen Diensten zu gehen. Die betroffenen Menschen fragen, womit sie so unglücklich gewesen sind, ihm zu mißfallen? – Ich weiß nur Lobes von euch, antwortet er, und ich wünschte imstande zu sein, euch besser zu belohnen. Aber das Leben ist mir zur Last geworden, laßt mich sterben und geht. – Die Unglücklichen werfen sich weinend ihm zu Füßen, beschwören ihn, zu leben und sie bei sich zu behalten, damit sie seine Leiden ihm erleichterten. Er verläßt sie ohne Antwort und schließt sich ein.

Während dies vorging, war in der Burg bei Ninas Vater bereits alles in Schlaf versenkt. Um mit dem frühesten Morgen abreisen zu können, hatte man sich zeitig niedergelegt und dem Turmwart das Geheiß erteilt, das ganze Schloß mit der großen Glocke wachzuläuten, sowie der Tag aufdämmere. Wer keine Ruhe fand, war Nina allein. Der Augenblick ihres unwiderruflichen Unglücks nahte, und sie sah keine Ausflucht mehr. Zwanzig Male des Tages hatte das arme Mädchen Gelegenheit zu entfliehen gesucht.

Wäre es ihr möglich geworden, sie hätte sich ohne Furcht entfernt aber es waren zuviel Augen zu hintergehen, und als einziger Trost blieben ihr die Tränen dieser Nacht. – Gegen Mitternacht ging der Mond auf. Der Turmwächter, der am Abend ein wenig zuviel getrunken hatte und eingeschlafen war, fährt plötzlich aus seinem Taumel empor, glaubt, wie er die große Helle sieht, es müsse später sein, und fängt geschäftig an, seine Glocke zu ziehen. Augenblicklich springt im Schlosse alles vom Lager auf, und die Knechte satteln die Pferde im Stall. Der graue Zelter, als das schönste, wird der Braut bestimmt. Nina gebietet bei des Tieres Anblick nun ihren Schmerzen nicht länger und bricht in Tränen aus, die niemand beachtet, weil man sie der Wehmut beimißt, zum ersten Male das väterliche Haus zu verlassen; so weigert sich, als davon die Rede ist, das Pferd zu besteigen, das arme Mädchen so hartnäckig, daß es mit Gewalt daraufgehoben wird. – Man tritt die Reise an. Zuerst kommt die Dienerschaft, Männer und Frauen, dann die Hochzeitsgäste und endlich die Braut die, nicht eben sehnsüchtig nach dem Bräutigam, den Zug beschloß. Man hatte sie einem alten Ritter anvertraut, der, als bekannter Ehrenmann, zum Zeugen der Trauung bestimmt war und unmittelbar hinter ihr ritt.

Der Weg bis Medot war drei Stunden lang, blieb immer im Walde und so schmal, daß er nicht zwei Pferden nebeneinander Raum gestattete. Deshalb schritt eines hinter dem andern. Wahrend der ersten halben Stunde ward geplaudert und ein wenig gescherzt; aber die alten Herren, die nicht ausgeschlafen hatten, überwältigte bald der Schlaf. Es sah lächerlich aus, wie die Kahl- und Grauköpfe bald nach dieser, bald nach jener Seite wackelten oder vorn über den Hals des Pferdes fielen. Die Jungfrau folgte, viel zu sehr mit sich beschäftigt, um auf sie zu achten; den Verbrechern ähnlich, die man zum Richtplatz führt, und die, um einige Augenblicke länger zu leben, so langsam als möglich gehen, hielt sie den Schritt ihres Pferdes an. Man hatte noch keine Stunde Weges zurückgelegt, so hatte sie, ohne es zu wollen, den Zug verloren. Ihr alter Führer versah sich dessen ebensowenig, weil er, wie die übrigen, schlief; und obschon seine Augen sich dann und wann öffneten, schlossen sie sich jedesmal wieder, wie sie den Grauschimmel vor sich erblickten. Die Pferde bedurften übrigens keines Führers, denn sie konnten auf einem solchen Wege nicht irre gehen. Dennoch gab es eine Stelle, wo sich der Meg teilte und einer nach Wilhelms Burg abging, schmaler als der, der weiter nach Medot führte. Alle Reiter waren natürlich diesem gefolgt, und das Roß des alten Mannes trat in die Fußtapfen der anderen; was aber den grauen Zelter betraf, so war er seit der Zeit, da sein Herr ihn nach dem Stelldichein an der Pforte ritt, so sehr an den schmaleren Pfad gewöhnt, daß er ihn auch diesmal einschlug.

Man mußte, um auf Wilhelms Burg zu gelangen, durch eines kleinen Flusses Furt. Über das Geräusch, das das Pferd machte, als es mit dem Fuß ins Wasser trat, erwachte Nina aus ihrer schwermütigen Träumerei. Sie wendet sich um, indem sie ihren Führer zum Beistand aufrufen will, und wird niemand gewahr. Allein und zu solcher Tageszeit verlassen im Walde, ist ein Schauder das erste Gefühl, was sie durchzuckt. Aber der Gedanke, dem ihr drohenden Unheil entfliehen zu können, steigt auf, erstickt alle Furcht, und sie treibt entschlossen ihr Pferd durch das Wasser an, eher zu sterben, als zur Vollziehung der verhaßten Ehe bereit. Es hatte keine Gefahr; das Pferd watete, seiner Gewohnheit nach, sicher durch die Flut und gelangte bald zu dem Schlosse seines Herrn.

Sobald der Turmwart die Reiterin halten sah, stieß er in sein Horn, um ihre Ankunft zu verkünden, und fragte sie durch die kleine Pforte der Zugbrücke nach ihrem Begehr. Öffnet schnell, ich bin ein von Räubern verfolgtes Mädchen, das euch um Hilfe fleht, rief ihm die Jungfrau zu.

Der Vogt schaut durch das Pförtchen und sieht ein wunderschönes junges Weib, mit einem Scharlachmantel angetan. Der festliche Schmuck, die Schönheit des Mädchens im Glänze des frühesten Morgenrots und des nächtlichen Taus in der Grüne, der Grauschimmel, der sie trägt und der ihm doch seines Herrn Zelter scheint, verwundern ihn in dem Maße, daß er irgendeine vom Mitleiden zum Troste seines Herrn herbeigeführte wohltätige Fee zu erblicken meint. Er läuft also mit seiner Neuigkeit stracks zu dem Ritter.

Wilhelm hatte die Nacht in Tränen zugebracht. Seine Leute, wahrhaft betrübt, weil sie ihn liebten, hatten so wenig wie er selbst geruht und schlichen von Zeit zu Zeit lauschend an seine Türe, ob sich nicht sein Schmerz erleichtere. Aber wenn sie ihn immerfort schluchzen und stöhnen hörten, kehrten sie wieder um und weinten zusammen über ihn. Wie nun Wilhelm vernahm, daß eine Dame vor seinem Tore um Einlaß heische, ging er aus Höflichkeit ihr entgegen und befahl, die Zugbrücke herabzuziehen. – O unerhoffte Freude! O Glück! Er sieht die Geliebte vor sich. Sie wirft sich in seine Arme mit dem Ausruf: Errette mich! drückt ihn mit aller Inbrunst und Kraft an sich und schaut mit Entsetzen zurück, als wären die Verfolger schon hinter ihr. – Komm zu dir, Geliebte, ruft er, fasse dich, ich halte dich in meinen Armen, und keine Gewalt auf Erden entreißt dich mir wieder.

Er rief seine Leute herbei, erteilte ihnen die nötigen Befehle und ließ die Zugbrücke aufziehen. Nicht genug; um vollkommen glücklich zu heißen, muß er Ninas Gatte sein. Er führte sie also in seine Kapelle, schickte nach seinem Kaplan und befahl ihm, ihn mit ihr zu trauen, und nun erst kehrte die Freude wieder in seine Burg. Herr und Diener insgesamt schienen von Vergnügen berauscht zu sein, und niemals folgte in der Welt auf solchen Kummer so schnell solche Fröhlichkeit.

Nicht also war dem in Medot. Der ganze Zug war mit Ausnahme der Jungfrau und ihres Führers angelangt. Man hatte aber gut fragen, was aus diesen geworden sei; kein Mensch wußte es. Endlich kam der alte Ritter, immer noch schlafend, auf seinem Rosse nach, sehr erstaunt, als er über den Lärm in der Burg erwachte und die Braut nicht vor sich sah. Man geriet auf die Vermutung, sie habe sich im Walde verirrt, und schickte berittene Knechte nach ihr aus. Doch ehe die wiederkehrten, wußte man, was bei der Ankunft eines von Wilhelm abgesandten Knappen zu denken war, der hinterbrachte, das Fräulein sei wohlbehalten bei seinem Herrn.

Drängten sich nun alsbald Hochzeitsgäste und Bräutigam eilig nach dessen Burg, so zog ihnen der Ritter, an der Hand die schöne Nina, entgegen und stellte die Jungfrau der Gesellschaft als seine Gattin vor. Anfänglich erregte er damit allerdings ein großes Geraune und Gemurr. Doch wie sich Wilhelm das Wort erbat und die Geschichte seiner Liebe bis zu dem Ereignis mit dem Grauschimmel erzählte, gewann die Sache ein anderes Aussehen. Die Alten, ergraut in den Grundsätzen der Ehre und Billigkeit, bezeigten ihre Entrüstung, sich zu Mitschuldigen der Verräterei gemacht zu sehen, und vereinigten sich insgesamt mit Bitten bei dem Vater der Braut, dem geschlossenen Bunde der Liebenden seinen Segen zu verleihen. Der Greis vermochte nicht ewig zu widerstehen, und so feierte man dann die Hochzeit in Wilhelms Schloß.

Der Oheim starb noch in diesem Jahre, und der Ritter Wilhelm erbte von ihm Medot. Und wie kurz darauf auch der Schwiegervater verschieden war, lebte er als einer der reichsten Herren der Champagne nach Verdiensten gesegnet und beglückt.


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