Klabund
Der Kavalier auf den Knien und andere Liebesgeschichten...
Klabund

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Kuß

In Moncalieri, einem nahe bei Turin gelegenen Flecken, lebte einst ein junges Weib von vierundzwanzig Jahren, namens Madonna Zilia Duca, deren Mann vor kurzem gestorben war, und die zwar für ziemlich schön erachtet wurde, aber ein unfreundliches und bäuerisches Wesen zur Schau trug. Sie hatte den Entschluß gefaßt, sich nicht wieder zu verheiraten, und widmete sich ausschließlich der Sorge für einen kleinen drei- bis vierjährigen Knaben, der ihrer Ehe entsprossen war. Ihre Haushaltung glich viel mehr der einer armen Frau als einer Edeldame ihres Standes, denn sie unterzog sich sogar der geringsten häuslichen Verrichtung selbst, um nur nicht mehrere Dienstboten halten zu müssen. Sie ließ sich selten öffentlich sehen und ging Feiertags am frühen Morgen in eine kleine, unfern gelegene Kirche in die Messe, aus der sie alsbald wieder nach Hause kam. Die allgemeine Sitte der Frauen dieses Landes, alle Gäste zu küssen, die sie in ihrem Hause besuchten und sich mit jedem vertraulich zu unterhalten, vermied sie, indem sie ohne allen Umgang einsam für sich blieb.

Da trug es sich zu, daß Herr Filiberto von Virle, ein Edelmann des Landes und sehr tapferer Krieger, einmal nach Moncalieri kam, wo er kurz zuvor, ehe er nach Virle zurückkehren wollte, in einer und derselben Kirche mit Madonna Zilia die Messe hörte, die junge Frau sah und so schön und reizend fand, daß er, in Liebe zu ihr entzündet, sich erkundigte, wer sie sei, und von seiner Neigung nicht ablassen konnte, wiewohl er von ihrem Denken und Tun nicht eben Günstiges hörte.

Herr Filiberto kehrte zwar noch an dem nämlichen Tage nach Virle zurück, beschloß aber, sobald er einige Geschäfte geordnet hatte, wieder nach dem nicht entfernten Moncalieri zu gehen, um dort solange als möglich zu verweilen und mit allem Fleiße die Gegenliebe der jungen Witwe zu erstreben. Er führte diesen Entschluß aus, indem er sich unter einem schicklichen Vorwande in Moncalieri niederließ und anfing, sich aller Gelegenheiten zu bedienen, um seine Geliebte zu sehen. Er gewann ihren Anblick freilich kaum Feiertags, und dann war sie so kurz angebunden, wenn er versuchte, sich mit ihr in ein Gespräch einzulassen, daß sie ihn schon beim zweiten Worte stehen ließ und nach Hause ging. Er führte deswegen ein sehr betrübtes Leben und wußte sich auf keine Weise von seiner Leidenschaft zu befreien. Er nahm seine Zuflucht auch zu anderen Frauen, um der Auserwählten mündliche und schriftliche Botschaften zugelangen zu lassen; aber es blieb alles vergebens, was er für seine Liebe tat, denn Frau Zilia erwies sich schroffer gegen ihn als eine Klippe im Meere und würdigte ihn niemals einer Antwort. Da sich nun der unglückliche Liebhaber solchergestalt gar nicht mehr zu trösten und zu raten wußte, so verlor er allen Schlaf und Eßlust und erkrankte gefährlich. Die Ärzte erkannten natürlich die Ursache seines Übels nicht, waren unfähig, ihm ein Mittel dagegen zu geben und ließen den armen Jüngling mit schnellen Schritten ohne Rettung dem Tode entgegengehen.

Während seiner Krankheit besuchte ihn ein anderer Kriegsmann aus Spoleto, der mit ihm eng verbrüdert war. Diesem erzählte Herr Filiberto die ganze Geschichte seiner Liebe, schilderte ihm die Härte und Grausamkeit seiner spröden Geliebten und versicherte ihm, daß, wenn sein Herz nicht bald erleichtert werde, es vor übergroßer Pein und Betrübnis gewiß brechen müsse. Als der Spoletiner somit den Grund der Krankheit seines Freundes erfuhr, dem er mit vieler Liebe zugetan war, antwortete er: Laß mich nur gewähren, Filiberto, ich mache dir sicherlich Mittel und Wege ausfindig, wie du sie nach deiner Bequemlichkeit sprechen kannst. – Ich verlange nichts mehr als dies, entgegnete der Kranke, um kühn genug zu sein, sie zum Mitleid mit mir zu bewegen. Wie willst du es aber anfangen? Ich habe schon so viele Mühe an sie verschwendet und noch nichts von ihr erlangt! – Sieh du nur zu, daß du gesund wirst, fuhr der Spoletiner fort, alles übrige laß meine Sorge sein. – Von dieser Zusage ward Herr Filiberto so zufriedengesellt, daß er gleich darauf eine wunderbare Stärkung fühlte und in wenigen Tagen imstande war, das Bett zu verlassen.

Die Spoletiner sind bekanntermaßen Schwätzer und unternehmende vielbewanderte Schlauköpfe, die zum Verwundern gut verstehen, anderen Menschen alles einzureden, was sie ihnen einzureden im Sinne haben. Auch der größte Teil derer, die darauf ausgehen, einfältige Menschen zu betrügen, indem sie Schlangen und Nattern im Lande herumtragen oder ein ähnliches Gewerbe treiben und an öffentlichen Orten singen, sind Spoletiner. Ein Landsmann von diesen Leuten war Filibertos Freund und hatte zu seiner Zeit vielleicht auch auf mehr als einem Markte Bohnenasche für Krätzensalbe verkauft. Er sah Herrn Filiberto nicht so bald wiederhergestellt, als er, seines ihm gegebenen Versprechens eingedenk, in die Herberge seiner Landsleute ging, die mit einem am Halse festgebundenen, unter dem linken Arme hängenden Korbe von Ort zu Ort ziehen, um seidene Bänder, Fingerhüte, Stecknadeln, Schnuren, Borten, Rosenkränze und anderen weiblichen Krimskrams zum Verkauf auszurufen und mit einem von ihnen das Abkommen traf, ihm seine Kleider und seinen Kram zu überlassen. Als Hausierer verkleidet, begab er sich dann in die Stadtgegend, wo Frau Zilia wohnte, und begann straßauf, straßab wandelnd seine Waren laut und öffentlich feilzubieten. Frau Zilia hörte seine Stimme und ließ ihn zu sich rufen, weil sie eben einiger Schleier benötigte. Von dem Gelingen seines Anschlags ermutigt, trat er keck in ihr Haus und begrüßte sie mit schmeichelnden, gefälligen Worten, als ob er ihr vieljähriger Bekannter wäre. Sie streckte, bald dies, bald jenes aufnehmend, die Hand in seinen Korb, und er breitete ihr dienstfertig bald Schleier aus, bald rollte er ihr Bänder auf. Wie sie nun eine gewisse Art Nesseltuch liegen sah, die ihr gefiel und von der sie eben einige Schleier zu haben wünschte, sagte sie: Guter Mann, wie verkauft Ihr die Elle von diesem Stück? Wenn Ihr es mir billig ablaßt, so nehme ich fünfunddreißig Ellen davon. – Madonna, erwiderte der Spoletiner, gesetzt, daß dies Schleiertuch Euch gefällt, so nehmt es hin und fragt nicht weiter, was es kostet, denn ich bin schon bezahlt; und nicht nur der Schleier allein, sondern auch alles, was Ihr hier vor Euch seht, ist unentgeltlich Euer, und Ihr braucht es Euch nur anzueignen. – O! sprach die Dame, ich mag nichts haben, was ich auf keine ehrbare Art gewinnen kann; ich danke Euch für Eure Anerbietungen. Sagt mir, was Ihr für das Nesseltuch fordert, und ich werde es Euch richtig bezahlen. Ein Mann, der sich seinen Unterhalt so mühsam erwerben muß wie Ihr, hat nicht so viel auf einmal zu verschenken, darum nennt mir den genauesten Preis. – Ich schenke Euch damit nichts, sondern gewinne auch meinerseits, wenn Ihr von diesen Sachen etwas annehmen wollt, versetzte der Spoletiner. Und wofern Ihr wirklich so freundlichen Sinnes seid, als Euer Ansehen verkündiget, so werdet Ihr diese Schleier und auch noch andere Dinge, die Euch Wohlgefallen, Euch schenken lassen, denn der, der sie Euch bietet, gäbe nicht bloß sein ganzes Hab und Gut, sondern selbst sein Leben gern für Euch hin.

Die Dame ward über diese Äußerung rot wie eine rote Rose, wenn sie beim Aufgang der Maisonne ihre jungen Blätter zu entfalten beginnt, sah dem Spoletiner fest ins Angesicht und sagte: Ihr setzt mich durch Eure Reden in höchliches Erstaunen, und ich möchte wohl wissen, wer Ihr seid und welche Absichten Ihr dabei haben könnt. Ihr irrt Euch übrigens ganz und gar in mir und haltet mich für ein Frauenzimmer, das ich auf keine Weise bin. – Der Spoletiner ließ sich nicht aus der Fassung bringen, sondern erzählte der Dame mit schicklichen Worten, wie sehr Filiberto ihr ergeben sei und aus Liebe zu ihr leide, wie sie doch niemand in der Welt habe, über dessen Person und Eigentum sie so verfügen könne wie über ihn und das seinige, und wie er nicht nur ein reicher und in Virle gewaltiger, sondern auch ein ganzer Ehrenmann sei. Kurz, er wußte ihr so vieles vorzureden und sie so gut umzustimmen, daß sie am Ende, Zeit und Ort nennend, ihrem Liebhaber ein geheimes Gehör zugestand. Herr Filiberto war, als er diese gute Nachricht hörte, von dem, was der Spoletiner für ihn getan hatte, völlig befriedigt. Er begab sich, der empfangenen Weisung gemäß, zur Zusammenkunft mit Frau Zilia in ein Zimmer ihres Hauses zu ebener Erde und traf dort die ihn in Gesellschaft einer Dienerin erwartende Dame an. Das Zimmer war groß genug, daß beide gemächlich miteinander sprechen konnten, ohne von der Magd gehört zu werden. Herr Filiberto fing also mit den gewähltesten Ausdrücken an, seiner Schönen die Liebesflamme seiner Leidenschaft zu offenbaren, und bat sie auf das zärtlichste, sich seiner zu erbarmen und ihn als ihren getreuesten Diener sich gefallen zu lassen. Er mochte indessen sagen, was er wollte, so konnte er doch keine andere Antwort von ihr erhalten, als daß sie eine Witwe sei, die für die Erziehung ihres Sohnes Sorge zu tragen habe, und der es nicht anstehe, auf solche Sachen wieder zurückzukommen; daß es ihm aber dagegen an der Wahl unter anderen viel schöneren Frauen, als sie sei, gewiß niemals fehlen werde. Wie nun der arme Liebhaber hieraus nach vielen Hin- und Widerreden ersah, daß er sich eine vergebliche Mühe gab, ihre Grausamkeit und unempfindliche Härte gegen ihn zu erweichen, so sprach er zu ihr mit tränenfeuchten Augen, vor Herzensweh fast vergehend: Da Ihr mir denn, meine gestrenge Gebieterin, auf alle Weise die Hoffnung abschneidet, Euch meine Liebesdienste widmen zu dürfen oder Euch sogar jemals wieder so ungehindert wie heute zu sehen und zu sprechen, so gewahrt mir wenigstens gegenwärtig bei unserem Scheiden für meine lebenslängliche Liebe zu Euch die Gunst eines einzigen Kusses, den ich mir, als ich hierherkam, nach unserer Landessitte nehmen wollte, den Ihr mir aber unbilligerweise verweigert, obwohl es Euch recht gut bekannt sein wird, daß ein bei einer Begegnung zwischen Männern und Frauen öffentlich gegebener Kuß keine Schande ist. – Die Witwe dachte ein wenig bei sich nach und sagte dann: Ich will doch sehen, Herr Filiberto, ob Eure Liebe wirklich so brünstig ist, als Ihr vorgebt. Ihr sollt jetzt den von mir verlangten Kuß haben, wenn Ihr mir etwas, das ich von Euch verlangen werde, zu vollbringen schwört und Euern Schwur so unverbrüchlich haltet, daß ich darin ein Zeugnis Eurer getreuen, echten Anhänglichkeit an mich erblicken kann. – Der unvorsichtige Liebhaber schwur, alles zu tun, was ihm irgend möglich sei und fügte hinzu, daß er ihrer an ihn zu stellenden Forderung gewärtige. Sie schlang darauf ihre Arme um seinen Hals, küßte ihn auf den Mund und sagte: Monsignore Filiberto, ich habe Euch den von mir erbetenen Kuß in der Hoffnung gegeben, daß Ihr auch Eurerseits tun werdet, was ich von Euch fordere: ich erkläre Euch also, daß ich erwarte, Ihr werdet, Eurem Versprechen gemäß, von dieser Stunde an bis nach Verlauf dreier Jahre mit keinem Menschen auf Erden, sei es, wer da wolle, weder mit einem Manne noch mit einem Weibe, auch nur ein einziges Wort reden und also diese ganze Zeit über stumm bleiben. – Herr Filiberto kam von seinem Erstaunen bald wieder zu sich, und wiewohl ihm dies Gebot unbillig, unvernünftig und höchst schwer zu halten schien, so winkte er doch mit der Hand, zum Zeichen, daß er es vollbringen wolle, beugte vor der Geliebten seine Knie und ging von ihr in seine Wohnung zurück. Daselbst über seine Lage und über den geleisteten verhängnisvollen Schwur nachdenkend, setzte er sich vor, der Verbindlichkeit, welche er in unbedachtem Leichtsinn auf sich geladen hatte, sich mit standhaftem Ernste und mit äußerster Gewissenhaftigkeit zu entledigen. Er stellte sich also an, die Sprache von ungefähr verloren zu haben, ging von Moncalieri wieder hinweg nach Virle und machte sich wie ein Stummer nur durch Zeichen oder schriftlich verständlich. Das Beileid, welches man ihm allgemein bezeigte, war groß, und jedermann hielt es für ein höchst wunderbares Ereignis, ihn ohne alle äußere Veranlassung oder bedingenden körperlichen Krankheitsfall mit einem Male des Gebrauchs der freien Rede beraubt zu sehen. Herr Filiberto brachte inzwischen schnellmöglichst seine Angelegenheiten in Ordnung, bestellte einen leiblichen Vetter zu seinem Anwälte, machte sich wohlberitten und reiste, nachdem er Sorge getragen hatte, daß ihm zu gewissen Zeiten Gelder nachgeschickt würden, durch Piemont nach Lyon in Frankreich ab, unterwegs durch seine körperliche Schönheit und Anmut bei jedermann Teilnahme erweckend, der ihn sah und von seiner traurigen Geschichte Kunde erhielt.

Es hatte in jener Zeit König Karl VII. von Frankreich einen grausamen Krieg mit den Engländern gehabt und entriß ihnen mit der Gewalt der Waffen fortwährend die Eroberungen wieder, die sie vor vielen Jahren seinen Vorfahren auf dem französischen Throne abgewonnen hatten. Indem er sie nun gegenwärtig aus der Gascogne und andern Gegenden vertrieb, war er auch dabei, die Normandie von ihnen zu reinigen, wohin sich Herr Filiberto, als er von diesen Verhältnissen benachrichtigt wurde, an den königlichen Hof begab. Bei seiner Ankunft fand er unter den anwesenden Baronen einige Freunde, die ihm einen sehr guten Empfang bereiteten und ihn von Herzen bemitleideten, als er ihnen zu verstehen gab, durch ein unglückliches rätselhaftes Mißgeschick die Sprache verloren zu haben. Über seine gegen sie geäußerte Absicht dieser Reise, in die Kriegsdienste des Königs zu treten, erwiesen sie sich sehr erfreut, da sie ihn als einen Mann von hohem Mute und großer Tapferkeit kannten, und so geschah es, daß unmittelbar nach seiner vollständigen Ausrüstung ein Angriff auf Rouen, die Hauptstadt der Normandie, unternommen ward. Herr Filiberto zeichnete sich bei diesem Sturme gleich den besten Rittern des Heeres aus und trug durch seine unter den Augen des Königs bewährte Tapferkeit und Erfahrung nicht wenig dazu bei, daß die Stadt bei einem zweiten Sturme fiel. Nach erfolgter Einnahme von Rouen ließ der König Herrn Filiberto vor sich rufen, um zu erfahren, wer er sei und ihm den verdienten Lohn seiner Taten zu geben. Als er darauf hörte, daß er einer der Herren von Virle in Piemont und vor kurzem ohne ersichtliche Veranlassung stumm geworden sei, behielt er ihn als seinen Kammerherrn mit Verleihung des üblichen Gehaltes bei sich, ließ ihm zweitausend Franken gleich bar auszahlen, indem er ihn ermahnte, ihm ferner so zu dienen, wie er bereits den Anfang gemacht habe und versprach, zu seiner Wiederherstellung alles mögliche zu tun. Herr Filiberto dankte dem Könige mit stummen Gebärden demütig für alle seine Gnade und erhob die Hand zum Zeichen, daß er nicht ermangeln werde, ihm getreulich zu dienen.

Eines Tages trug es sich zu, daß beim Übergang über eine Brücke ein heftiges Scharmützel zwischen den Franzosen und ihren Feinden und über das allgemeine Schlachtgeschrei ein solcher anwachsender Aufruhr in dem Heere des Königs entstand, daß er zur Ermutigung der Seinigen sich bewogen fand, selbst in den Kampf zu gehen und bald diesen, bald jenen tapferen Ritter, zuletzt auch namentlich Herrn Filiberto den weichenden Scharen zu Hilfe zu senden. Sowie nun der stumme Liebhaber des siegenden englischen Heerführers Talbot auf der Brücke ansichtig ward, sprengte er mit eingelegter Lanze auf ihn ein und wußte sein Ziel so geschickt zu treffen, daß er Roß und Reiter zu Boden warf. Er nahm dann einen starken und gewichtigen Streitkolben zur Hand, stürzte sich damit grausam wütend unter die Feinde und tat keinen Hieb umsonst, sondern tötete oder schmetterte mit jedem wenigstens einen der Engländer zu Boden, die er also mit ihrem mühsam auf ein Pferd gehobenen Feldherrn bald in wilder Flucht die Brücke zu verlassen zwang.

Dieser Sieg bewirkte, daß die ganze Normandie den Franzosen in die Hände fiel, deren König, in Anerkennung der ihm von Filiberto geleisteten Dienste, den Ritter in Gegenwart aller Großen seines Hofes belobte, ihm einige Schlösser schenkte, die Führung von hundert Kriegern übertrug und durch tägliche Begünstigungen seine Huld zu erkennen gab. Auch stellte er nach beendigtem Kriege in Rouen ein festliches Kampfspiel an, bei dem sich die Blüte der französischen Ritterschaft vereinigte und Herr Filiberto den ersten Preis gewann.

Wie nun Karls VII. Liebe zu diesem tapfern Manne immer mehr zunahm und in ihm den innigen Wunsch erregte, ihn von seinem Gebrechen gehellt zu sehen, so veranlaßte sie ihn zuletzt, öffentlich durch alle seine Länder bekanntzumachen: Er habe an seinem Hofe einen plötzlich über Nacht stumm gewordenen Edelmann und sage dem, der erbötig und imstande sei, ihn zu heilen, eine Belohnung von zehntausend Franken zu. Diese königliche Bekanntmachung verbreitete sich nicht nur durch ganz Frankreich, sondern auch durch Italien. Die Habsucht trieb in der Tat viele Ultramontanen und Franzosen an, einen Versuch zu wagen. Es blieb aber alles fruchtlos und vergebens, da kein ärztliches Bemühen dem Stummen die Sprache wiedergeben konnte. Wie nun der König sah, daß die Anzahl der herbeiströmenden Ärzte und Laien, die ihre Kunst und ihr Glück an seinem Günstling erprobten, sich von Tag zu Tag vergrößerte und dieser Umstand ihm am Ende den Gedanken eingab, ihre Geldgier möge viel eher als ihre Wissenschaft oder als ein vernünftiger Grund, die Heilung zu erhoffen, der Antrieb zu ihrem großen Eifer sein, so ließ er aufs neue verkünden: Daß, wer ferner die Heilung zu unternehmen willens sei, seine Bedingungen selbst festsetzen und, sobald er sie glücklich vollbracht habe, die zehntausend Franken nebst vielen anderen Geschenken erhalten solle; wogegen er, wenn sie ihm fehlschlage und er nicht selbst zehntausend Franken entrichten könne, seines Kopfes verlustig gehe. Nachdem dieser strenge Beschluß allgemein verbreitet worden war, verlor sich die Zahl der Ärzte mit einem Male, wiewohl noch einige sich von eitler Hoffnung verblenden ließen, die große Gefahr zu bestehen, und also teils die zehntausend Franken zu bezahlen oder das Haupt zu verlieren, teils zu lebenslänglicher Haft verurteilt wurden.

Auch nach Moncalieri war der Ruf von diesen Ereignissen und von Monsignore Filibertos da Virle großem Reichtum und ungewöhnlichem Ansehen bei dem Könige von Frankreich gedrungen. Als nun Madonna Zilia davon hörte, der die Ursache, aus der Filiberto seit zwei Jahren nicht gesprochen hatte, am besten bekannt war, nahm sie an, daß er vielmehr aus Liebe zu ihr als aus Ehrfurcht vor dem ihr geleisteten Schwure geschwiegen habe. Sie hegte überdies die Meinung, daß diese Liebe zu ihr noch in derselben Inbrunst, die er ihr in Moncalieri dargetan habe, fortbestehe und beschloß, nach Paris zu gehen, wo sich der König damals aufhielt und Herrn Filiberto die Zunge zu lösen, um die zehntausend Franken zu gewinnen. An die Möglichkeit, daß der auf ihr Verlangen Verstummte, wenn er sie sähe und von ihr gebeten würde, zu sprechen, etwa doch nicht sprechen wolle, dachte sie nicht. Ihre häuslichen Angelegenheiten also gehörig ordnend und über ihre Reise ungewisse Gerüchte in Umlauf bringend, trat sie den Weg nach Frankreich an. In Paris angelangt, begab sie sich sonder Verzug zu den königlichen Beamten, denen die Sorge für Filibertos Wiederherstellung aufgetragen war, und sagte zu ihnen: Ich bin hierhergekommen, werte Herren, um einige mir bekannte Geheimnisse der Heilkunst zur Lösung der Bande, die Monsignore Filibertos Zunge fesseln, anzuwenden, und gedenke mit Gottes und dieser Mittel Hilfe meine Aufgabe in vierzehn Tagen vollbracht zu haben. Stelle ich binnen dieser Zeit seine Gesundheit nicht vollkommen her, so will ich mein Haupt verlieren. Ich verlange aber, solange die Kur anhält, mit Herrn Filiberto in einem Zimmer allein gelassen zu werden, weil es mir nicht angenehm ist, meine Heilmittel zur Kenntnis anderer Menschen gelangen zu sehen, und weil ich auch ununterbrochen bei ihm verweilen muß, um ihm zu gewissen Stunden des Nachts Arzneien zu reichen.

Die königlichen Bevollmächtigten staunten nicht wenig, diese Edelfrau in einem so schwierigen Falle, der die gelehrtesten Männer und Ärzte Frankreichs und anderer Länder getäuscht hatte, so dreist und zuversichtlich sprechen zu hören. Sie berichteten Herrn Filiberto, daß eine Dame aus Piemont gekommen sei, um ihn zu heilen, und er erkannte sie auf der Stelle, als sie nach seinem Wunsche zu ihm geführt ward. Wie er nun aber nicht umhin konnte, dafür zu halten, daß sie nicht sowohl aus Liebe zu ihm als vielmehr aus Begierde, die zehntausend Franken zu gewinnen, sich die Beschwerden einer solchen Reise aufgebürdet habe, und wie er ferner ihre große, ihm erwiesene Härte und Grausamkeit und alle die Leiden, die sie ihm bereitet hatte, in Erwägung zog, so fühlte er, daß sich seine vordem so inbrünstige, doch schon erkaltete Liebe in den gerechten Durst nach Rache umwandelte. Er beschloß deswegen, sich mit der gestrengen Dame den Genuß zu verschaffen, welcher ihm von seinem guten Glück dargeboten ward, und sie mit verdienter Münze zu bezahlen. Sobald sich Frau Zilia mit ihm allein in seinem Zimmer befand, das hinter ihr verschlossen worden war, sprach sie zu ihm: Monsignore Filiberto, kennt Ihr mich nicht mehr? Seht Ihr nicht, daß ich Eure teure Geliebte bin, die Ihr einmal so innig zu lieben vorgabt? – Er nickte ihr bejahend zu, daß er sie wohl kenne, legte aber zum Zeichen, daß er nicht reden könne, den Finger an die Zunge, zuckte die Achseln und beharrte bei diesen stummen Gebärden, wiewohl sie ihm wiederholt versicherte, sie entbinde ihn gänzlich seines ihr verpfändeten Wortes und Schwures und sei nur in der Absicht nach Paris gekommen, um alles zu tun und zu dulden, was ihm zu Gebote stehe. Da sie nun am Ende zu ihrem größten Mißvergnügen sah, daß er sein Verhalten gegen sie nicht ändere, und daß alle ihre Bitten keinen Eindruck auf ihn machten, so begann sie ihn zärtlich zu küssen und mit allen möglichen Liebkosungen zu überschütten, bis er als ein junger kräftiger Mann, der doch auch in heißer glühender Liebe zu ihr entbrannt gewesen war, sich in den längst ersehnten vollen Besitz ihrer Reize und ungewöhnlichen Schönheit setzte.

So fuhr er denn auch zwar fort, im Laufe der ihr von dem König zu ihrer Kur gestundeten vierzehn Tage sein leidenschaftliches Verlangen viele Male zu befriedigen, löste jedoch die Bande seiner Zunge nimmermehr, weil es ihm bedankte, daß jener von ihm in Moncalieri so teuer erkaufte Kuß von der Schönen nur durch eine lange und schwere Strafe abzubüßen sei. Es würde nicht wohl möglich sein, alle die Vorstellungen zu berichten, die sie ihm machte, die inständigen Bitten und Tränen zu schildern, mit denen sie ihn zu reden beschwor. Es genügte, zu sagen, daß Frau Zilia nach abgelaufener Frist, da Filiberto noch immer keinen Laut von sich gab, endlich ihre große Einfalt und Verwegenheit sowie die Grausamkeit erkannte, die sie gegen ihren Liebhaber angewendet hatte, und ihr Leben für verloren gab. Es wurde ihr darauf angedeutet, sie möge die zehntausend Franken zahlen oder berichten, weil ihr sonst des anderen Tages unwiderruflich das Haupt werde abgeschlagen werden; ihr eigenes Vermögen reichte nicht zur Entrichtung der Buße hin, und so trennte man sie von Herrn Filiberto, indem man sie ins Gefängnis brachte, wo sie sich zum Tode vorbereitete.

Als diese Kunde zu Filibertos Ohr gedrungen war, hatte sich allmählich auch seine Rache abgekühlt, und er sah die spröde Dame für genügsam gezüchtigt an. Er ging zum König, verbeugte sich mit schuldiger Ehrfurcht vor ihm und hub zu des Königs und aller Anwesenden höchlichem Erstaunen zu reden und die Geschichte seines Verstummens von Anfang bis zu Ende zu erzählen an. Er bat darauf den König auf das demütigste, alle, die um seinetwillen in dem Kerker schmachteten, und also auch die Dame von Moncalieri zu begnadigen, was der König bereitwillig tat. Frau Zilia ward ihrer Haft entlassen und wollte tief beschämt nach Piemont zurückkehren. Herr Filiberto wünschte aber, daß sie mit ihrer Begleitung sich abermals in seine Behausung möge aufnehmen lassen, rief sie, als dies geschehen war, beiseite und sprach zu ihr: Ihr erinnert Euch, Madonna, daß ich Euch in Moncalieri viele Monate lang meine Dienste widmete, weil ich in Wahrheit in heftiger Liebe zu Euch entbrannt war. Ihr erinnert Euch auch noch, daß Ihr mir für einen Kuß die Buße auferlegtet, drei Jahre lang stumm zu bleiben. Und ich beschwöre Euch, hättet Ihr mich damals oder nachmals, als ich nach Virle gegangen war, meiner Verbindlichkeit enthoben, ich wurde Euch ewig und immerdar ein getreuer Liebhaber und Freund geworden sein. Eure unmenschliche Grausamkeit hat mich aber fast drei Jahre lang unstet in der Welt umtreiben lassen, und es war keineswegs Euer günstiger Wille, sondern die Gnade des Himmels, die mir auf dieser Irrfahrt Reichtum und Ansehen bei diesem meinem edlen Fürsten erwarb. Solchergestalt denke ich zwar vollkommen zu der an Euch genommenen Rache berechtigt gewesen zu sein, will aber auch nunmehr zuvorkommend und rücksichtsvoll genug gegen Euch handeln, Euch nicht etwa, wie es eben in meiner Gewalt stand, den Kopf abschlagen lassen, sondern Euch vielmehr die Kosten Eurer Reise hierher reichlich vergüten und die Bestreitung des Aufwandes Eurer Rückreise meine Sorge sein lassen. Lernt Ihr nur aus dieser Begebenheit, inskünftig mit mehr Klugheit zu Werke zu gehen und Edelleuten größere Achtung zu bezeigen; denn Ihr habt jetzt zu Eurem eigenen Schaden das alte Sprichwort bestätigt gefunden, daß, wer andern eine Grube gräbt, zuweilen selbst hineinfällt. – Hierauf ließ er sie freigebig beschenkt von dannen ziehen.

Der König wünschte Herrn Filiberto später vermählt zu sehen und gab ihm eine reiche junge Frau, die ihm mehrere Schlösser einbrachte. Filiberto entbot auch seinen Spoletiner Freund mit der Zeit nach Paris und behielt ihn bei sich, indem er ihm eine gemächliche Zukunft bereitete. Er selbst erhielt sich fortwährend in der Huld seines königlichen Herrn und Gebieters und wußte sich auch nach Karls VII. Ableben bei dessen Nachfolger Ludwig XI. beliebt zu machen.


 << zurück weiter >>