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Der Kavalier auf den Knien und andere Liebesgeschichten...
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Der Mönch von Maronia

Man muß wissen, daß zu den Zeiten des heiligen Kirchenvaters Hieronymus, wie er uns selbst erzählt hat, in Maronia, einem nicht weit von Antiochia gelegenen Dorfe, ein braver Mann von dem Ertrage eines kleinen Landgütchens lebte, das er selbst bestellte, und daß dieser Landmann von seinem Weibe einen einzigen wohlgearteten Sohn namens Malco hatte, der seinen Eltern fast nicht früher, als zu der Zeit, da er in das erwachsene Alter getreten war und von ihnen verheiratet werden sollte, zu sorgen gab. Seine Eltern riefen ihn sodann einmal vor sich, und sein Vater sprach liebreich zu ihm: Du bist nun ziemlich groß geworden, wie du siehst, mein lieber Sohn, und hast keine Brüder und Schwestern; wir aber sind sehr alt, und ich selbst trete gar schon in mein siebzigstes Lebensjahr. Da wir also bedacht haben, dir ein Weib zu geben, das uns ein Trost unseres Alters, dir ein Glück und eine Freude sei, indem es mit dir den Segen des Himmels durch Kinder in dein Haus bringen wird, so wünschen wir freilich, daß du nicht lange mehr zauderst, weil es dir, wie du leicht aus Urteilen und Beispielen anderer Menschen erkennen magst, bei vorgerücktem Alter ungleich schwerer fallen muß, eine lebenswierige Verbindung einzugehn.

Mit Aufmerksamkeit hatte Malco der freundlichen Rede seines Vaters zugehört und erwiderte ehrerbietig, aber kurz und bändig: er könne so gestaltete Wünsche nicht befriedigen, denn er habe ganz und gar der Welt zu entsagen und dem Diensie Gottes sich zu widmen angelobt. Die Eltern wurden über diese Worte schwer betrübt und stellten zu wiederholten Malen ihrem Sohne vor, wie er durch die Beharrlichkeit in solchem Entschlüsse seinen Stamm ausgehen lasse, dessen Erhaltung jedem Menschen am Herzen liege, er sei wer er immer sei, und wie er ihrem Besitztum also gar den rechtmäßigen Erben entziehe. Sie mochten ihn aber mit diesen und ähnlichen Gründen so liebreich bestürmen, wie sie wollten, er widerstand unerschütterlich. Er blieb bei ein und derselben Antwort, die da lautete: er habe sich entschlossen, nur auf das Heil seiner Seele ferner bedacht zu sein, und kümmere sich nicht um das Irdische. Ohne daß es dabei sein Bewenden hatte, erneuerten sich die elterlichen Bitten und Beschwörungen beinahe jeden Tag und wollten kein Ende nehmen. Ja, die alten Leute schritten in ihrer Bedrängnis zuletzt zu Drohungen, da sie sahen, daß keine guten Worte fruchteten. Und so nötigten sie leider ihren des unaufhörlichen Verdrusses müde gewordenen Sohn, sich vor ihnen Ruhe zu verschaffen und zu schnellerer Vollziehung seines heiligen Entschlusses zu entfliehen.

Von der Nähe Persiens abgehalten, nach dem Osten vorzugehen, da die große Feindschaft und die Kriege mit dem Volke der Perser sogar die römischen Grenzheer nötigten, auf ihrer Hut zu sein, schlich Malco verstohlen und allein den Einsamkeiten der steinigen Wüste zu und erreichte nicht ohne Beschwerden in ihr nach einigen Tagen ein von Heiligkeit und Mönchen erfülltes Kloster, dessen Regel er sich mit Herzensfreudigkeit unterwarf.

In seinem neu angenommenen Berufe kasteite er seine weltlichen Begierden und die Kraft und Frische seiner Jugend mit Fasten und Nachtwachen angelegentlichst und verdiente sich mit seiner Hände Arbeit Tag für Tag die spärlichen Bedürfnisse seines Lebens. Als er aber nach einigen in diesem Kloster zugebrachten Jahren von ungefähr den Tod seines Vaters erfuhr, ergriff ihn die Sehnsucht, zu seiner verlassenen Mutter zu gehen, um ihre Witwenschaft zu trösten. Er hatte nebenbei die Absicht, das ihm zugefallene Landgütchen und sein übriges Erbe zu Geld zu machen und teils den Armen des Herrn und seinem Kloster zu schenken, teils in Gewahrsam zu behalten, um damit nach seinem anderweitigen Gutdünken zu tun. Er ging zu seinem Abte, um nach Pflicht und Gewissen von ihm die Erlaubnis zu seiner Reise zu erbitten und sich bei ihm zu verabschieden. Der vor Alter wie vor Einsicht und Erfahrung ergraute heilige Abt machte aber einen großen Aufstand, indem er zu ihm sagte, daß dies eine Versuchung des Teufels, unseres alten Feindes, sei, der unter dem Deckmantel eines frommen ehrbaren Dinges seine Listen und Schlingen verborgen halte und auf diese Art schon viele weise und wackere Männer und Mönche genug betrogen habe. Er suchte dies durch mancherlei Geschichten und Beispiele zu veranschaulichen und gab sich eine vergebliche Mühe, seinen geistlichen Sohn von den beharrlich festgehaltenen Gedanken abzuziehen. Denn weder diese noch ähnliche abredende Worte, die vielleicht der heilige Geist selbst dem braven Mann auf die Zunge legte, erschütterten Malco. Da nun der Abt am Ende sah, daß Vernunftgründe und Vorstellungen nichts über den Jüngling vermochten, warf er sich vor ihm nieder und beschwor ihn, seine Knie fest umklammernd, bei dem einigen Gott, ihn und sein Kloster, das ihn so liebreich aufgenommen und so sorgsam erzogen habe, nicht zu verlassen und seine Seele und seinen Körper doch nicht der Gefahr gleichsam gewissen Verderbens auszusetzen, da der von Baria nach Edessa führende Weg, den er notwendig einschlagen müsse, noch unlängst wegen einiger Scharen Sarazenen, die durch ihre beständigen Räubereien jene Gegenden verwüstet hatten, unsicher gewesen sei. Er führte ihm auch das heilige Wort des Evangeliums an: Wer seine Hand an den Pflug legt und siehet zurück, der ist nicht geschickt zum Reiche Gottes, und bedeutete ihm, wie sein Tun im Grunde eben nichts anderes sei, als sich dem Hunde gleichzustellen, der immer zurückkehrt, um seinen eigenen Auswurf zu besehen, oder auch dem verirrten und verlassenen Schaf, das freiwillig in den Rachen des Wolfes läuft.

Trotz alledem beharrte Malco fest in seinem Entschluß, und so geleitete ihn der heilige Abt, indem er ihm die Gunst erwies, welche die menschliche Gerechtigkeit zum Tode Verurteilten noch zuletzt angedeihen läßt, bis hinaus vor das Klostertor, wo sich der Jüngling, aus Furcht vor den Räubern, anderen desselben Weges ziehenden Wandersleuten mit der Übereinkunft anschloß, sich in allen sie betreffenden Gefahren untereinander beizustehen. Die kleine Karawane von etwa siebzig Männern und Frauen jeden Standes und Alters hatte aber kaum eine Tagereise zurückgelegt, als eine starke Schar Ismaeliten sie aus einem Hinterhalte so plötzlich und unerwartet mit gezückten Schwertern und wildem Todesgeschrei überfiel und zerstreute, daß zwar ein jedes gleich durch die Flucht sich zu retten gesonnen war, doch keines der Gefangenschaft entging. Die Teilung der Beute gab Malco und ein junges Weib einem und demselben Herrn, der beide auf Kamele steigen ließ und nach einem langen beschwerlichen Wege, über einen Fluß hinüber, in eine tiefe Einsamkeit führte, wo dem Mönche die Obhut einer Herde anvertraut war und er fern von aller menschlichen Gemeinschaft insoweit zufrieden lebte, als er an diesem abgelegenen Aufenthalt seinen Beruf sogar besser als im Kloster zu erfüllen imstande zu sein glaubte. Er erwog überdies in seinen Gedanken, daß die heiligen Patriarchen des Alten Testamentes, wie er oftmals in seinem Kloster erzählen gehört und selbst gelesen hatte, an ein ebensolches Leben lange Zeit gewöhnt gewesen waren. Und so blieb ihm von seinen vorher ausgestandenen Gefahren allerdings die Erinnerung; er söhnte sich aber mit seinem dermaligen Zustande aus und lobte Gott mit vergnügter, getroster Seele, indem er die Psalmen, welche er auswendig kannte, zu seiner Erbauung absang. Nur gleichsam noch nicht befriedigt von dem über ihn verhängten Ungemach dachte ihm sein Schicksal inzwischen erneute Betrübnis zu. Einsam und in der Verborgenheit floß ihm sein stilles Leben hin, kein Mensch auf der weiten Welt kümmerte sich um ihn, und dennoch konnte er sich den Augen jener Feindin der irdischen Glückseligkeit nicht entziehen. Denn wie sich in dem Verlaufe der Zeit Malcos Herr der treuen und redlichen Dienste versah, die ihm dieser Christensklave leistete, wie er wahrnahm, daß seine Herde und der Gewinn, den er daraus löste, von Tag zu Tag wuchsen, ließ er ihn zugleich mit der mitgefangenen Magd vor sich kommen und sprach zu ihm: Ich bin mit deinem Dienste so wohl zufrieden, Malco, daß es mein Herz gerührt hat und daß ich beschlossen habe, dir einen Beweis meines Wohlwollens zu geben, der, wenn du seither schon eifrig genug für meinen Nutzen gesorgt haben magst, groß genug sein soll, dich in der Folge durch das Gefühl der Dankbarkeit zu bestimmen, mir durchaus ergeben zu sein. Nimm diese Christin hier zu deinem Weibe hin. Ich habe sie mit dir zugleich gefangen und als meine Magd gebraucht. Lebe mit ihr in Frieden und erfreue dich mit ihr, so wie du willst. Vielleicht daß sie dir ein Trost in der unglücklichen Lage wird, die dir dein böses Geschick bereitete.

Wie übermäßig auch bestürzt und traurig ob dieser Gunstbezeugung, entgegnete der Mönch doch voller Zuversicht, er wolle kein Wort von der Ehe hören; denn sein Gesetz verbiete ihm, ein Weib zu nehmen, das, gleich wie dieses, bereits eines anderen mit ihr gefangengenommenen und anderwärts entführten Mannes sei.

Vor Zorn und Wut knirschend riß der unbändige Herr sein Messer aus dem Gürtel, um Malco zu töten, und würde es unzweifelhaft getan haben, hätte dem Mönche nicht dasselbe Weib, welches er sich weigerte anzunehmen, augenblicklich Schutz verliehen, indem es sich mit Tränen im Angesicht vor ihn warf. Der Himmel wollte, daß der ungläubige Ismaelit Malcos Verstummen über den plötzlichen Schreck und des Weibes rührende Fürbitte für eine stillschweigende Einwilligung in sein Verlangen nahm und sich beruhigte, so daß der arme Mönch mit seiner neuen Gefährtin in die Grotte zurückgeschickt wurde, die ihm und seiner Herde Obdach und Wohnung lieh, und in der er sich bei einbrechender Nacht von der ihm früher nicht verhaßten Frau, die ihn mit nicht geringerem Unwillen als er sie betrachtete, so entfernt als möglich niederließ.

Wie er nun in Gedanken seine vergangene, daheim in seinem Kloster verlebte Glückseligkeit zusammenfaßte und mit der Härte seiner gegenwärtig ihm erst recht fühlbar werdenden Knechtschaft verglich, durch die er sich gar gezwungen sehen sollte, seine bisher bewahrte Keuschheit aufzugeben, so überkam ihn plötzlich der verzweifelte Entschluß, ohne Barmherzigkeit sein Leben zu beenden, und er zog ein Messer hervor und sagte, indem er es auf sich gezückt hielt, zu dem fremden Weibe: Bleibe du hier in Gottes Frieden, Unglückliche. Ich scheide aus dieser Welt; denn ich will mich eher meines Lebens als meines frommen Gelübdes entledigen. Die Frau hörte diese Worte und sah zugleich den erhobenen Stahl durch die Dunkelheit der Höhle leuchten. Sie stürzte auf ihren Leidensgenossen zu, griff ihm in den Arm, den sie mit ausdauernder Kraft abhielt, warf sich ihm weinend zu Füßen und beschwor ihn liebreich bei allem, was ihr in den Sinn kommen wollte, sich zu beruhigen. O Malco, sagte sie zu ihm, werde doch nicht dein eigener Mörder und stürze deine Seele nicht auf demselben Wege ins Verderben, auf dem du sie törichterweise zu erretten meinst! Bringt dich der Wunsch, das Gelübde deiner Keuschheit zu halten, zu einem so grausamen Vorsatze, so wisse, daß auch ich mich lieber will in Stücke zerhauen lassen, als mich gegen das heilige Gottesgesetz vergehen. Und ob ich gleich bis zu unserer Trennung meinem Gatten in allen Dingen treu und gehorsam gewesen bin, so ist es doch mein Vorsatz, mich der Gemeinschaft mit ihm zu entziehen, wofern er jemals wieder zu mir käme. Unserer gemeinsamen Not mögen wir wohl zu unserer beiderseitigen Zufriedenheit entgehen, so daß uns weder Vorwürfe in unserem Gewissen, noch Unbill und Mißhelligkeiten von unserem Gebieter daraus entstehen, der uns als Mann und Frau soll verbunden sehen, derweil wir wie Geschwister zusammen leben und uns zugetan sind.

Es geschah alles, wie es die junge Frau geraten und ersonnen hatte. Das fromme Paar ward von Tag zu Tage seinem Herrn werter und lieber, und er gestand ihm immer größere Freiheiten zu, seitdem er es durch die Ehe verbunden glaubte, weil er dafür hielt, es müsse ihm nun auch der leiseste Gedanke an Flucht benommen sein.

Nach einigen Jahren stand indes Malco, der diese lange Zeit her ein elendes Leben erduldet hatte, eines Tages schwermutvoll in der Wüste, die weit und breit umher seine Augen nichts als den Himmel und die nackte Erde ersehen ließ. Derweil seine Herde um ihn weidete und sein tiefsinnendes Haupt in seinen auf den Hirtenstab gestützten Händen ruhete, ging er in seinen Gedanken still und schweigend durch, wie viele und wie große Unfälle ihm sein vergangenes Leben schon geboten hatte und sein gegenwärtiges noch bot. Da machte sich in seiner Erinnerung auch die Gesellschaft der heiligen Mönche geltend, in der er auferzogen und erwachsen war. Vor allen anderen stellte sich aber seinen Augen das Bild seines ehrwürdigen Abtes dar, der ihn mit so erbarmender Liebe immer den Weg des Heiles geleitet hatte und bei seinem Scheiden so herzinnig über ihn betrübt gewesen war.

Indem er sich solcherlei gedankenschweren Vorstellungen tiefer als je ergab, nahm er von ungefähr einen Haufen Ameisen wahr, die nach ihrer Gewohnheit in einer langen Reihe geschäftig einen schmalen Pfad ab und zu liefen, bald verschiedene zu ihrem Unterhalt dienende, fest in den Mund genommene Dinge zusammenschleppten, bald aus den kleinen Höhlen die Erde herausräumten und dammartig zum Schütze gegen eindringendes Wasser anhäuften, bald mit ihren Zähnchen die Spitzen der Samenkörner benagten, damit sie während des Winters nicht in der Erde keimeten, bald die kleinen Leichen ihrer Gefährten mit großer Mühe hinwegtrugen, doch bei keiner dieser Beschäftigungen, trotz ihrer ungeheuren Menge, einander beschwerlich fielen, vielmehr immer zu gelegener Zeit denen, die sie allzu schweren Lasten erliegen sahen, ihre Schulter hilfreich unterstemmten und unbeschadet aller obwaltenden Ordnung und Gesetzlichkeit bei zufälligem Begegnen überdies verweilten und sich bekrochen, um sich ihre wechselweisen Absichten anzuvertrauen.

Die Betrachtung solcher Emsigkeit regte sein untätiges Gemüt mit einem Male auf, ließ ihn seine Knechtschaft unleidlicher als vorher empfinden, oder sich wohl mehr sein dumpfes Unbehagen endlich klar vergegenwärtigen, und flößte ihm wieder seine alte Sehnsucht nach den Übungen seines Klosterlebens ein, dessen getreues Abbild er in diesem Ameisenhaufen zu finden meinte.

Wie er nun in seine unwohnliche Behausung zurückkehrte und seine Gefährtin ihm entgegentrat und ihn fragte warum er so tief niedergeschlagen sei, schloß er ihr sein ganze Seele auf. Die gute Frau hatte ihn erst mitleidend angehört und getröstet, weil ihr die harte und einsame Lebensart auch schon verdrießlich geworden war. Sie ermahnte und bat ihn aber dann mit so vielen und großen Beweggründen so herzlich und rührend, sobald es ihm gelegen scheine, mit ihr von dannen zu fliehen und sich mit ihr dieser Gefangenschaft und diesen Gefahren zu entziehen, daß er sich entschloß und erbitten ließ, den Versuch zu wagen, nach welchem auch die Flamme seiner Sehnsucht schlug. Er wog und bedachte alles lange Zeit bei sich, und wie es ihm schien, die rechten Mittel und Wege gefunden zu haben, wandte er sich mit den Worten an das Weib: Beachte wohl, gute Frau, daß es dir nicht nur zukommt, geruhig die schickliche Zeit und Gelegenheit zur Ausführung unseres Vorhabens abzuwarten und dich mir gänzlich zu vertrauen, sondern daß du auch mein Vertrauen zu dir dadurch zu rechtfertigen hast, daß du dich wohl hütest, irgend etwas, das ich dir sage, anderen zu wissen zu tun. Ebenso mußt du unbedingt alle Furcht von dir werfen, damit du durch keine Unsicherheit oder Zweifel unsere Flucht hinderst oder zu unserem Verderben gar vereitelst. Er vertraute ihr dann das Geheimnis seines Planes an, traf die nötige Vorkehrung, schlachtete zwei der größten Böcke seiner Herde, denen er die Fälle zu Schläuchen abzog, und deren Fleisch er dergestalt zubereitete, daß es ihnen auf den langen und öden Wegen ausreichende Nahrung sei, und nahm den ersten günstigen Augenblick wahr, mit seiner Leidensgenossin bei einbrechender Nacht dem Ufer des nächsten Flusses zuzufliehen, wo sie nach einer beschwerlichen und nicht unbedeutenden Reise, die an zehn Meilen gerechnet werden konnte, kaum angekommen waren, als Malco die beiden mitgenommenen Schläuche, die er aufgeblasen hatte, in die Fluten warf, sich rittlings auf den einen setzte, seine Begleiterin ebenso auf dem andern sich einzurichten nötigte und sich mit ihr der Willkür der Wellen übergab, die sie die Strömung des Flusses entlang fortrissen. Beide Flüchtlinge strebten, so gut sie mit ihren Füßen konnten, dem jenseitigen Ufer an einer entfernten, weiter unten gelegenen Stelle zu, damit ihr sie gewiß verfolgender Herr nicht imstande sei, ihren frisch getretenen Spuren auch drüben nachzueilen. Während dieser unbehaglichen und gefahrvollen Schiffahrt büßten sie einen großen Teil ihrer Mundvorräte ein, und es blieb ihnen leider nur so viel übrig, als im äußersten Falle bis zum dritten Tage ausreichend war. An dem ersehnten Ufer endlich angetrieben, verwendeten sie zwar die möglichste Eile auf ihre Flucht, sahen sich aber bei jedem Schritte, aus Besorgnis verfolgt zu werden, um und setzten sowohl aus diesem Grunde als wegen der glühenden Sonne, die auf ihre Häupter brannte, und aus Furcht vor andern Räubern ihre fernere Reise nur bei Nachtzeit fort. Nach dem dritten Tage eines so beschwerlichen Weges, auf dem die Angst ihres Herzens sie zwang, bei jedem Atemzuge ihre Augen rückwärts in die öde endlose Ebene forschend zu richten, ersahen sie zwei Menschen, denen ihr eilender Schritt den Anschein Verfolgender gab. Eine Unglück verkündende Ahnung zeigte ihnen sogleich das Bild ihres ihnen auf die Spur gekommenen Herrn und erhöhte die Beklemmung ihrer Gemüter ins Unendliche. Der Gedanke der sie bedrohenden unvermeidlichen Todesgefahr nahm ihnen alle Besinnung und allen Mut hinweg, und keines von beiden wußte mehr, wo es war, noch wohin es wollte. Erst als sie die mit einem Male verlorene Fassung allmählich wiedergewannen, stieg auch der Wille, noch das Irgendmögliche für ihre Rettung zu tun, in ihnen auf. Sie sahen rechter Hand eine tiefe finstere Höhle vor sich liegen und drangen in Hast und Eile hinein. Ihre Schritte hatten sie aber noch nicht weit vor in den düsteren Schlund getragen, als eine weit stärkere Furcht, die anfängliche überwältigend, in ihnen rege war. Sie bedachten nämlich, daß wildes Raubgetier und giftiges Gewürm vor der übermäßigen Hitze und Sonnenglut jener Gegenden an solch schattigen Orten Zuflucht zu suchen pflegt, und bargen sich in einer Grube, die sie links neben sich offen sahen. Die beiden Verfolger aus der Ferne, Herr und Knecht, eilten den in Sand geprägten Fußtapfen nach, kamen zu dem Eingang der Höhle und stiegen von den Kamelen ab, auf denen sie ritten. Der Herr schickte zuerst den Knecht hinein, um die Flüchtigen herauszutreiben, und blieb mit entblößtem Schwerte und bösem Willen in ihrer Erwartung stehen.

Geblendet, wie man es unter solchen Umständen von dem grellen Sonnenlicht zu werden pflegt, schritt der Knecht tiefer und tiefer an dem verfolgten Paar, ohne es zu gewahren, vorbei in die Finsternis, blieb zuletzt unmutig und ungeduldig stehen und schrie mit starker Stimme, so laut es ihm möglich war, vor sich hin: Kommt heraus, ihr niederträchtigen, verruchten Sklaven, die ihr aufgeknüpft zu werden verdient. Euer Herr erwartet euch, um euch den wohlverdienten Lohn eurer schmählichen Flucht zu geben. Die unterirdische Höhle widerhallte von diesem ungeheuren, übermäßigen Gebrüll. Ehe sich der elende Knecht aber dessen versah, sprang eine grausame entsetzliche Löwin auf ihn zu, warf ihn in einem Augenblick zu Boden, packte ihn so fest an der Kehle, daß er umsonst versuchte, schwach um Hilfe zu rufen, und schleppte seinen fest mit den Zähnen in ihrem Rachen gehaltenen, von seinem eigenen Blute besudelten Körper dem unheimlichsten Schlupfwinkel zu. Der Herr erwartete seinen Diener geraume Zeit und wußte sich nicht zu sagen, was ein so langes Ausbleiben bedeute und verursache. Der Gedanke des vielleicht von zweien gegen einen versuchten Widerstandes erbitterte ihn zu solcher Wut, daß auch er blindlings und mit wütendem Geschrei in die Höhle stürzte, indem er nicht nur seinen Diener wegen allzu großer Säumigkeit schalt, sondern auch den unglücklichen Flüchtlingen die ärgsten Lästerungen sagte, die sich irgend ersinnen ließen. Er war aber noch nicht weit über die Grube hinausgedrungen, die das Weib und Malco barg, als dieselbe Löwin, die soeben den Diener zerfleischt hatte, wütender wie vorher auch ihm ihre Klauen in die Gurgel schlug und ihn auf der Stelle in Stücke riß, darauf aber aus Furcht, in ihrem Lager entdeckt und gefährdet zu sein, mit den Klauen ihre kleine Löwenbrut faßte und, unbekümmert um die von ihr zerrissenen Leichname, tiefer in die Höhle trug.

Ungesehen hatte Malco und seine Gefährtin dem Vorgegangenen zugesehen und es bestürmten mannigfaltige, sich widersprechende Gefühle zu ein und derselben Zeit ihre Herzen. Erst machte sie das in ihre Ohren dröhnende Geschrei und die wilden Drohungen des Knechtes, der Anblick des zu unerbittlicher Rache gegen sie bewaffneten Gebieters über alle Maßen bestürzt, dann entsetzte sie das furchtbare Aussehen des reißenden Tieres auf das äußerste. Jeden Augenblick gewärtig, dessen Grimm sich auf sie wenden zu sehen, sträubte sich ihnen jedes Haar des Kopfes, und war das schwache Weib, furchtsamer und unvorsichtiger als Malco, drauf und dran, einen lauten Schrei zu tun, hätte sich nicht die Vorstellung der ihr Leben bedräuenden Gefahren ihr mit so ernster Gewißheit vor Augen gestellt, daß sie kalkweiß und regungslos wie ein steinernes Bild des Ausgangs gewärtigte. Auf der andern Seite wollte es wieder beiden scheinen, der Himmel habe sich jetzt ihrer in der höchsten Not erbarmt und ihnen solche Hilfe verliehen, wie sie selbst hätten weder ersinnen, noch von ihm erflehen können. Doch glaubten sie nach dem Verschwinden der Löwin noch immer nicht vollkommen sicher zu sein und wagten sich erst unter dem Schutze des anbrechenden Abends aus ihrem Versteck hervor. Sowie sie die Höhle in ihrem Rücken hatten, bestiegen sie die beiden Kamele der Getöteten, stärkten und erneuerten mit dem reichlichen Vorrat an Lebensmitteln, den sie darauf fanden, ihre durch die ausgestandene Ermüdung und Todesangst erschöpften Kräfte, setzten dann mit neubelebten Hoffnungen, in ihren Herzen Gott dankend und lobpreisend, auf das schleunigste ihre Reise fort und beendeten dieselbe nach zehn Tagen glücklich in dem Lager der Römer, deren Tribun sie, nach Anhörung ihrer ungemeinen Schicksale, dem Prokonsul Mesopotamiens, Sabinus, zusendete.

Nicht lange hierauf erfuhr Malco das Hinscheiden seines heiligen Abtes aus dieser Welt und begab sich mit seiner getreuen Genossin so langer und schwerer Mißgeschicke nach Maronia, wo beide, unter stetigem Kirchenbesuche, dem alleinigen Dienste des Herrn geweiht, alle Eitelkeiten dieser Welt verschmähend, in geschwisterlicher Eintracht und gegenseitiger Liebe bis in ihr hinfälliges Alter mitsammen ein heiliges und geruhiges Leben führten, während dessen Dauer sie den Bewohnern dieser Gegenden und selbst dem heiligen Hieronymus, der sie niederschrieb, ihre Schicksale oft und wiederholt, nicht ohne ihren Zuhörern Tränen zu entlocken, erzählten und verkündeten.


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