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Der Kavalier auf den Knien und andere Liebesgeschichten...
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Der Selbstbetrüger

Ein Kaufmann von London wurde alt und reich und zog sich, um des Genusses der freien Luft willen, aufs Land zurück, wohin er seine Tochter mit sich nahm. Ob er nun gleich den Handel aufgegeben hatte, so riefen ihn doch seine Geschäfte mit einem anderen Kaufmann in der City regelmäßig dreimal in der Woche dahin.

Ein Angestellter dieses Korrespondenten des alten Gentleman trug eine große und wahrhafte Liebe zu dessen Tochter, deren Schönheit allein, ohne die Ermunterung eines großen Besitztums, das ihr ihr Vater mitzugeben gedachte, ein zureichender Grund für jedes Mannes Liebe zu ihr sein konnte. Des jungen Kaufmanns Glück war so groß, daß das Mädchen mehr als gewöhnliche Zuneigung zu ihm empfand. Ihr beiderseitiges Unglück aber ließ geschehen, daß der Vater sich ihrer Liebe versah, und daß er, um sie durch fernere Zusammenkünfte nicht weiter anzufachen, seine Tochter der sorgsamen Aufsicht ihrer Tante übergab und anempfahl, die sein Vertrauen so gewissenhaft in Obacht nehmen zu müssen glaubte, daß sie das junge Mädchen nicht mehr anders als in ihrer Gegenwart ausgehen oder mit irgendeinem Menschen sprechen ließ. Wie unzugänglich sie aber auch dadurch ihre hübsche Nichte dem schmachtenden und verzweifelten Liebhaber machte, so wendete derselbe doch fortwährend jedes Mittel, den Gegenstand seiner Liebe wo nicht zu sprechen, doch zu sehen an, und umging, wiewohl erfolglos, wie ein aus seiner Ruhe gestörter Geist jederzeit das Haus, worin sie unter Schloß und Riegel gehalten ward.

Zuletzt erbarmte sich das Schicksal dennoch der Leiden der beiden getreuen Liebenden und gab dem Köpfchen der jungen Dame einen Anschlag ein, dem zufolge sie einen wechselseitigen ununterbrochenen brieflichen Verkehr mit ihrem Geliebten haben könne. Sie unterrichtete ihn von dem, was sie ersonnen hatte, in den folgenden Zeilen, die sie gelegentlich einmal zum Fenster hinausfallen ließ.

Teuerster Freund meines Lebens!

Die Sittsamkeit verhindert mich, dir den Kummer und die Unruhe zu schildern, die es mir erregt, also alles Umganges mit dir, deiner Unterhaltung und deiner Gesellschaft beraubt zu sein. Mein Leidwesen darüber ist um so größer, als ich dich so oft sehe, ohne daß ich doch zu dir kommen kann. Inzwischen hat mir meine Erfindungskraft jüngst einen kleinen Trost gegönnt, indem sie mich einen Weg ausfindig machen ließ, auf dem wir uns unsere Gemüter durch Briefe gegeneinander aufschließen mögen. Dies verhält sich mit kurzen Worten so. Du mußt wissen, daß ich den Kragen von meines Vaters mit Samt gefüttertem Mantel ein wenig aufgeschlitzt und einen Brief dahinein gesteckt habe. Sei also dienstfertig gegen ihn, sobald er wieder zu deinem Herrn kommt, und hilf ihm seinen Mantel abnehmen, den er von sich zu legen pflegt, wenn er zu Tische geht. Du findest in dem Kragen meine Seele enthalten, und ich erwarte, daß du an ihrer Statt die deine an mich zurücksenden wirst, die da nicht länger lebt als liebt. –

Das Vergnügen, das der junge Kaufmann über diese Zeilen empfand, war unaussprechlich und stand nur seiner Freude über den so wohl ersonnenen Anschlag nach, dem gemäß er jede Woche zweimal von dem Troste seines Lebens und von der Bewahrerin seiner Glückseligkeit Nachrichten zu erhalten hoffen konnte.

Das verliebte Paar unterhielt durch diese List den lebhaftesten Briefwechsel eine geraume Zeit, bis ihre Sehnsucht nach einer Zusammenkunft beinah alles verdorben hätte. Der Liebhaber gab nämlich der Geliebten einen Ort an, wo er sie treffen wollte, und sie stahl sich, wie er es wünschte, nur freilich nicht unbemerkt, aus dem Hause. Ihre Tante hatte sie wohl bewacht, folgte ihr nach dem Orte der Zusammenkunft und fand daselbst den jungen Mann bei ihr, den sie kannte und den sie für seine Kühnheit, ihre Nichte verführen zu wollen und einem Glücke nachzustreben, das viel zu erhaben für einen so niedrigen Erdwurm sei wie er, mit einem Strome von Vorwürfen übergoß, indem sie ihm erklärte, sie wolle ihren Bruder von seinen betrüglichen Absichten in Kenntnis setzen, der sich schon vor ihm zu schützen wissen werde, und indem sie ihn mit ihren andern Drohungen aller Art so daniedergeschlagen hatte, daß er mehr zu bemitleiden war, als man sich denken konnte, entfernte sie sich mit ihrer Verwandten.

Sofort als der alte Herr am Abende nach Hause kam, ward er von seiner Schwester auch wirklich mit dem bekannt gemacht, was in seiner Abwesenheit trotz ihrer Vorsorge und Wachsamkeit mit seiner Tochter vorgegangen sei. Nahe daran, über diese Mitteilungen verrückt zu werden, würde er auch gewiß von jedermann für unsinnig gehalten worden sein, der da seine Äußerungen und Reden vernommen hätte, deren jede ein unableugbares Zeichen der Tollheit in sich trug. Er legte seiner Tochter Hunderte von Schimpfnamen bei, durch deren gelindesten schon er ihr eine empfindliche Kränkung bereitete, schalt sie eine liederliche, leichtfertige Dirne, ein ungeratenes Kind, schwur ihr auf das Teuerste zu, daß sie sich ebenso schmeicheln könne, ihn jemals in diese Heirat willigen zu sehen, als er etwa geneigt werden möge, ihr eigener Kuppler zu sein, so lange ihm keine Zauberei seine gesunden Sinne verblendete, und machte ihren Zustand dadurch wahrhaft unerträglich, daß er ihr nicht ein einziges Wort zu ihrer Selbstverteidigung vorzubringen gestattete, sondern zur Türe hinausstürmte und sie stehen ließ, als sie es dennoch eben versuchen wollte, ihn mit guten Worten zu beschwichtigen.

In einer Art war es dem Mädchen allerdings lieb, daß sie einige Frist in ihrer Bedrängnis gewann; denn sie begab sich alsbald, nachdem ihr Vater von ihr gegangen war, in ihr Zimmer, schloß sich ein und schrieb ihrem Geliebten einen Brief, den sie, wie schon gesagt, in den Mantelkragen schob, und worin sie ihm ihres Vaters Betragen gegen sie schilderte, ja sogar die Schimpfnamen, die er ihr gegeben hatte, und die andern Ausbrüche seines Zornes auf das genaueste verzeichnete.

Der alte Mann stand am nächsten Tage mit dem frühesten Morgen in heftiger Leidenschaft auf und trabte London zu; weil er keine wichtigeren Geschäfte hatte, als dem Kaufmann, seinem Freunde, zu wissen zu tun, wie er von dem verwegenen jungen Mann gemißbraucht werde, und als seine Galle und Bosheit deswegen an dem Unglückseligen auszulassen.

Der junge Mann war eben nicht zu Hause, als er kam, und der Handelsherr hatte also das volle Maß der ersten Wutausbrüche des alten Gentleman auszustehen, den er inzwischen schon ein wenig besänftigt hatte, als sein Angestellter zurückkehrte, indem es ihm gelungen war, denselben in dem Lichte eines durchaus nicht so verächtlichen Schwiegersohnes erscheinen zu lassen, als es den Anschein haben dürfe, denn er besitze so und so viel an jährlichem Einkommen in Ländereien, überdies ein gutes Stück Geld, mit dem schon ein Anfang zu versuchen sei, und würde von ihm selbst, sobald er frei wäre, mit eintausend Pfund Kredit bereitwillig aufgeholfen werden, weil er das größte Vertrauen rechtfertige.

So lange dies Gespräch dauerte, schritten die beiden Freunde eine große Halle auf und ab und hing der Mantel des alten Herrn vom Lande im Sprechzimmer, wo zu Mittag gegessen ward. Dieser Umstand gab dem Liebhaber bei seiner Ankunft die Gelegenheit, zuvörderst nach den gewöhnlichen Mitteilungen seines Mädchens unter dem Kragen zu sehen. Es läßt sich wohl denken, wie sehr es ihn schmerzen und wie sehr es ihn betrüben mußte, daraus abzunehmen, welche Behandlung ihr um seinetwillen von ihrem Vater widerfahren war. Er konnte das Geschehene freilich nicht ändern, und so entschloß er sich, soviel Nutzen wie möglich aus den empfangenen Nachrichten zu ziehen.

Er hatte seinen Brief eben vollständig überlesen, als die beiden alten Herren in das Sprechzimmer zu ihm eintraten, wo der vom Lande alsbald gegen ihn zu toben und ihn auf eine fast unerträgliche Weise zu schelten anhub, indem er ihn einen Bettler, Dieb, Taugenichts und Betrüger nannte und ihm seine unverschämte Dreistigkeit vorhielt, ihn seiner einzigen Tochter, der dereinstigen Erbin von mehr als vierzigtausend Pfunden, zu berauben.

Der junge Mann hörte mit vieler Geduld alle Schmähungen bis zu Ende an und erwiderte dem Vater seiner Geliebten sodann bescheiden: Sie verdienen gewiß großen Tadel, lieber Herr, mich so heftig zu schelten und zu erniedrigen, das es ihnen doch wohl bekannt sein muß, daß ich ebenfalls ein Gentleman und überdies ein geborener Grundbesitzer bin. Es ist aber kein Wunder, Sir, fügte er hinzu, daß Sie mich mit so unschicklichen Ausdrücken beleidigen, da Sie ja selbst Ihre eigene sittsame und tugendhafte Tochter nicht schonen, ihr die gemeinsten Schimpfnamen beilegen und sie ein ungeratenes Kind, eine liederliche, leichtfertige Dirne so unverdienterweise nennen, daß Ihnen keine Rücksicht gegen sie heilig ist, und daß Sie sich unnötigerweise so hoch und teuer gegen unsere Verbindung verschwören, als würden Sie ebensowenig darein willigen, wie etwa in eigener Person unser Kuppler zu sein oder Ihre gesunden Sinne durch Zauberei verblenden zu lassen. – Ei, Gott bewahre mich vor Hexenmeistern und Zauberern! rief der alte Herr. Ein anderer Mensch als ein Teufelskünstler hätte die Namen nicht gehört. Ich habe freilich meine Tochter so genannt, ich gebe es zu. Doch es ist schon gut, mein Herr. Ich weiß nun, wie ich mir einen solchen Schelm vom Halse schaffen kann. Ich freue mich darüber sehr. Ich werde Sie als einen Schwarzkünstler vor Gericht ziehen und anklagen und hoffe Sie wegen Ihrer Teufelskünste alsbaldigst brennen und braten zu sehen.

Der verständige Kaufmann veranlaßte aus Wohlwollen seinen Diener fortzugehen, wie er die Leidenschaft und das kindische Toben seines alten Freundes sah, und verlieh jenem dadurch die gehörige Zeit, an seine Geliebte zu schreiben, derweil er diesem eine bessere Meinung von dem jungen Manne einzuflößen trachtete. Nach Tische begab sich der Kaufmann mit dem alten Herrn abermals in den großen Saal, und der Liebhaber benutzte ihre Entfernung dazu, seinen Brief mit dem abgestatteten Berichte gewohnterweise unter den Kragen des Mantels zu bergen.

Ein redlicher Bote war der alte Herr gewiß, der da die Liebesbriefe seiner Tochter meilenweit, ohne einen Pfennig Lohn zu fordern, hin und wider trug! Noch an diesem Tage nach seiner Behausung zurückgekehrt, hing er seinen Mantel an dem Nagel auf, wie es seine Weise war, führte seine Schwester in den Garten beiseit und besprach sich da mit ihr, indem er ihr alles erzählte, was zwischen ihm und seinem Freunde und dessen Diener vorgegangen sei. Mittlerweile suchte aber seine Tochter in dem Mantel nach, fand, was sie erwartete, und unterrichtete sich daraus von dem gewaltigen Aufstande, den ihr Vater auch gegen ihren Geliebten erhoben hatte, der ihr Wort für Wort dessen beleidigende, gegen ihn angewendete Sprache wiederholte und ihr schließlich, um dies alles zu versüßen, scherzhafterweise erzählte, wie er von ihm gar im vollen Ernste für einen Hexenmeister gehalten worden sei, weil er ihm seine gegen sie gebrauchten unbilligen Ausdrücke vorgehalten habe.

Sobald der alte Mann mit seiner Schwester aus dem Garten zurückkehrte, fiel er scheltend und schimpfend abermals heftig über seine Tochter her. Sie sagte aber zu ihm: Lieber Vater, tun Sie mit mir, wie Sie wollen, behandeln Sie mich, nennen Sie mich nach Ihrem Wohlgefallen. Obschon ich Ihren Zorn und Ihre unfreundlichen Reden nicht verdiene, so will ich doch alles geduldig ertragen. Behandeln Sie nur nicht jenen rechtschaffenen jungen Mann so schlecht; halten Sie sich versichert, daß er kein Bettler, kein Taugenichts, kein Dieb und Betrüger, noch weniger aber ein Zauberer und Hexenmeister ist, der als Schwarzkünstler angeklagt und verbrannt zu werden verdient. – Gott sei bei mir und bewahre mich! rief der alte Mann entsetzt von neuem aus. Muß ich meine eigene Tochter zur Hexe werden sehen! Nun gut, nun gut! Wenn es denn so ist, so gebe ich meine Einwilligung, daß ihr zusammen an einem Pfahl verbunden und vermählt werden mögt, und daß sie euch an eurem Hochzeitstage ein Freudenfeuer anzünden, wie es lange Zeit keinem Brautpaar so leicht geleuchtet haben wird.

Eben diese Worte schrieb das Mädchen ihrem Liebhaber und sendete sie ihm in ihres Vaters Kragen nächsten Tages zu. Der junge Mann fand sie richtig vor, las sie und erwartete den alten Papa, der mit seinem Herrn zusammen war, um sich von demselben genaue Auskunft über des Dieners Vermögen und Aufführung erteilen zu lassen, und der danächst so vieles Gute und Löbliche über ihn im allgemeinen und über seinen Fleiß und seine Betriebsamkeit in den Geschäften von dem braven Mann vernahm, daß er von alle Dingen höchlich zufriedengestellt ward und allmählich anfing, zu einer Unterredung mit seinem wohl oder übel ihm aufgedrungenen Schwiegersohne willig zu werden. Wie er nun nach einer kleinen Weile diesem gegenüberstand und eben den Mund auftun wollte, um ihn mit etwas weniger Ärger und Erbitterung, nach seinem Sinne sehr gemäßigt, anzureden, fiel ihm der Jüngling in das Wort und sagte zu ihm: Lassen Sie Ihre Grausamkeit mit einemmal fahren, Sir, ich bin bereit zu der Heirat am Pfahle, die Sie gestern abend Ihrer Tochter vorschlugen, und wofern ich nur mit meiner Geliebten leben kann, werde ich auch froh und zufrieden sein, mit ihr in den Tod zu gehen. – Der alte Herr war ein Staunen und eine Verwunderung, daß er sich mußte auswärts wiederholen hören, was er in seinem eigenen Hause im Schoße seiner Familie erst vor so wenigen Stunden gesprochen hatte. Sobald er sich ein wenig hatte sammeln und seinen Groll in sich zurückdrängen können, sagte er zu dem Jünglinge: Da ich nun wohl einsehe, daß sich alles für diese Heirat gegen mich verschworen hat, und daß die Gestirne sogar wider mich zu Felde ziehen, so sollen Sie meine Tochter unter der einzigen Bedingung haben, daß Sie mir zu wissen tun, wie Sie zu dieser höchst wunderbaren Wissenschaft, ob mit des Teufels oder mit des Schutzengels Hilfe, gekommen sind. – Der junge Mann entgegnete: Weder ich noch Ihre Tochter kommen zu der gegenseitigen Kenntnis dessen, was Sie in der Entfernung gesagt haben, auf eine andere geheime Weise als auf eine solche, wozu uns menschliche Mittel und Wege befähigen. Soll ich sie Ihnen verraten, so müssen Sie mir vorher das Versprechen geben, demjenigen zu verzeihen, der uns dabei behilflich ist. – Nun und nimmermehr, rief der alte Herr vor Wut außer sich, nein, nein! – Ich will den Schurken eher im Hospital verfaulen oder in Tyburn hängen oder ewig verdammt sehen als das tun. – Nicht doch, Sir, sagte der Jüngling, Sie tun unrecht, so unerbittlich grausam – gegen sich selbst zu sein; eben durch Sie, durch Sie ganz allein wurden wir von Ihrem Tun und Lassen in Kenntnis gesetzt. Sie waren unser Briefträger und Liebesbote, der unsere Liebesbriefe hin und wider trug. – Himmel! Was! Wie kann das sein! schrie der Alte und ließ vor Verwunderung seinen Mund offen stehen. – Um Sie zu überzeugen, daß ich die Wahrheit rede, sprach der andere, will ich Ihnen gleich auf der Stelle einen Brief in dem Kragen Ihres Mantels zeigen, der diesen Abend durch Ihre gütige Vermittlung Ihrer Tochter zugestellt wird. –

Bei diesen Worten nahm er den Mantel in die Hand und zeigte seinem künftigen Schwiegervater den Schlitz, der schon so viele Briefe des einen Liebenden an den anderen geborgen hatte.

Um nicht weitläufig zu werden, bleibt nur so viel zu sagen übrig, daß der listige Anschlag dem alten Herrn am Ende selbst großes Vergnügen machte. Er gewann in kurzer Zeit den rechtschaffenen Jüngling lieber, als er ihn vorher gehaßt hatte, gab am Hochzeitstage seiner Tochter eine große Summe Geldes mit und hinterließ ihr und ihrem Gatten alles, was er hatte, als er noch vor dem Verlaufe von zwölf Monaten das Zeitliche gesegnet.


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