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Der Kavalier auf den Knien und andere Liebesgeschichten...
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Die Vergiftung

In der Romagna lebte vor Zeiten ein reicher Edelmann, der sich nach dem Tode seiner Frau, die ihm einen Sohn geboren hatte, zum zweiten Male verheiratete und durch diese zweite Ehe Vater eines zweiten Sohnes ward, der zwölf Jahre zählte, als der ältere dreiundzwanzig alt war.

Da ließ sich die mit Reizen mehr als mit guten Sitten ausgestattete Stiefmutter von der Schönheit ihres tugendsamen Stiefsohnes so arg verblenden, daß sie die Augen einer leidenschaftlichen Liebe auf ihn warf, die zwar anfänglich ihre edleren Kräfte nicht überstieg, in der Folge aber ihr innerstes Mark so tief mit verzehrendem Feuer durchdrang, daß sie sich, zur Verleugnung ihrer Herzenswunde, das Ansehen geben mußte, von einem geheimen Fieber ergriffen zu sein.

Unfähig, ihre frechen Wünsche länger in sich zurückzudrängen, ließ sie ihren Stiefsohn durch eine Magd zu sich in ihre Schlafkammer entbieten, wo dieser sie mit freundlichen Worten um ihre Leiden befragte, und redete ihn, dadurch verwegener geworden, folgenderweise an, indem sie ihr Antlitz aus Scham in die Linnen ihres Bettes verbarg und einen Strom von heißen Tränen aus ihren Augen weinte:

Der Grund und der Ursprung meines schmerzenvollen Leidens, mein Heil und meine Rettung aber auch bist du allein. Diese deine glühenden Augen haben ihre Strahlen durch die meinen in mein Herz gesenkt und in meiner armen Brust verderbliche Flammen entzündet. Habe Mitleid mit mir, die um deinetwillen stirbt und laß dich von dem väterlichen Verwandschaftsbande nicht abhalten, mir zu helfen, denn du erhälst mich also meinem Gemahle, dessen Ebenbild mir die Liebe in dir zu erkennen gibt. Wir sind beide hier allein und unbewacht, und was ohne gesehen zu werden geschieht, ist so gut wie ungeschehen.

Der fromme Jüngling empörte sich innerlichst über diese Zumutung, und obschon er eine so ungeheure Sünde so tief verabscheute, daß er aus den Augen seiner Stiefmutter hätte entweichen mögen, ohne sie einer Antwort zu würdigen, schien es ihm doch bei reiferem Bedacht nicht ratsam, sie durch eine entschiedene Zurechtweisung aufs äußerste zu reizen, und er nahm sich vor, sie eine Zeitlang hinzuhalten, damit sie sich womöglich ihres schmählichen und seltsamen Gedenkens entäußere. Er antwortete ihr darum, sie möge sich nur ihrer Genesung befleißigen und getrosten Mutes werden, er verheiße ihrer Liebe den verdienten Lohn; mit welchem Zuspruch er sie für den Augenblick beschwichtigte.

Da nun der Jüngling bei sich erwog, daß einer so außerordentlichen Not auch nur auf eine ungemeine Weise abzuhelfen sei, so erachtete er es für angemessen, die ganze Sache einem verständigen Greise zu vertrauen, der ihm in seiner Kindheit ein getreuer Lehrer gewesen war und ihn auch gegenwärtig noch durch die Fährnisse der Jugendjahre leitete. Der weise Meister wußte, was ein lustbesessenes Weib vermag, und riet seinem Zöglinge, mit beflügelter Eile dem Verderben zu entfliehen, das das finstere Schicksal über seinem Haupte zusammenzog. Doch ehe noch der junge Mann diese wohlmeinende Warnung beachten konnte, hatte schon das jeden Tag der Verzögerung ihres schändlichen Genusses für ein Jahr ansehende Weib ihrem Gatten die Einsicht beigebracht, einige seiner auswärtigen Besitzungen bedürften seiner Gegenwart, und ihn solchergestalt auf ungewisse Zeit von sich entfernt, indem sie ihren Stiefsohn mit allstündlichen Mahnungen an seine Zusage belästigte.

Der Jüngling suchte sich zwar bald auf diese, bald auf jene Art und Weise bei ihr zu entschuldigen und hätte sie gern so lange mit Worten hingehalten, bis ihn eine von ihm beabsichtigte Reise vor ihr sichere. Indessen versah sich das durch ihre lang umsonst genährten Hoffnungen über die Maßen ungeduldig gewordene Weib der Nichtigkeit der Gründe, womit er ihr unablässig die Erfüllung dessen verzögerte, was er ihr immer wiederholt versprach, und ihre Entrüstung darüber verwandelte ihre ruchlose Liebe zu ihm in einen noch viel ruchloseren Haß, demzufolge sie mit einem vertrauten Sklaven Mittel und Wege der Rache beriet und den Unglücklichen durch Gift zu töten beschloß.

Der bübische Sklave litt keinen Aufschub dieser grausamen Tat, sondern ging alsbald aus dem Hause und kehrte am späten Abende mit einem in einen Becher gefüllten Tranke zurück, den er in dem Zimmer seiner Gebieterin mit Wein vermischte und in einen Schrank zu anderen Lebensmitteln stellte, um ihn dem Jüngling nächsten Tages zum Mittagsmahle zu reichen.

Wie es nun aber das Schicksal ganz anders wenden mochte, so fühlte der zwölfjährige Sohn des gottvergessenen Weibes, nachdem er am folgenden Morgen aus der Schule gekommen war und ein kleines Frühstück verzehrt hatte, so starken Durst, daß er dem aus Fahrlässigkeit des Sklaven unverschlossen gebliebenen Schranke den Becher mit dem vergifteten Weine entnahm und bis auf den Boden leerte. Er sank in kurzem wie tot zur Erde nieder, und es entstand ein großer Lärm im Hause, als das Unglück zu allgemeiner Kenntnis gedieh. Der Glaube an Vergiftung ward ausgesprochen, und die herbeigerufene Mutter zog den Sklaven, der das Gift eingekauft hatte, beiseite und verabredete mit ihm, ihren Stiefsohn der erschrecklichen Tat des Zufalls zu beschuldigen.

So trat der feile Knecht öffentlich mit der Erklärung auf: er wisse gewiß, daß der älteste Sohn des Hauses der Urheber des Verbrechens sei, weil der ihm vor wenigen Tagen fünfzig Scudi geboten habe, wenn er die Ermordung des Knaben befördere; auf seine Weigerung ihn hingegen mit der Androhung des Todes habe einschüchtern wollen, damit er von diesem an ihn ergangenen strafbaren Antrage nimmermehr das mindeste verlauten lasse. Die böse Stiefmutter schickte eilig nach den Häschern aus, ließ den unschuldigen Jüngling auf diese Anklage hin in den Kerker führen und unterrichtete ihren Gatten von dem, was geschehen sei, durch einen Boten.

Wer beschreibt den Schmerz des beklagenswerten Vaters, als er bei seiner Rückkehr zuerst das von dem Sklaven ihm wiederholte Zeugnis und sodann die Aussage seiner Frau vernahm: der Jüngling habe das Verbrechen begangen, weil sie seinen tödlichen Drohungen Trotz geboten und sich fortwährend geweigert habe, sein uukeusches Verlangen nach ihr zu befriedigen. Er sah seinen jüngsten Sohn tot vor sich hingestreckt liegen und den ältesten um dieses Brudermordes willen dem Tode verfallen. Das heuchlerische Jammergeschrei des Weibes erhöhte die Gewalt seines Zornes gegen den Unschuldigen. Und so war das Begräbnis des Knaben kaum beendigt, als der alte Mann mit seinem in Tränen gebadeten Antlitz unmittelbar von der Gruft nach dem Rathause ging und laut und dringend das Todesurteil dessen erflehte, den er der Blutschande, um des dem väterlichen Ehebette zugedachten Schimpfes willen, des vollbrachten Brudermordes und des angedrohten Muttermordes zieh. Er hatte mit seinem Klagen und Stöhnen die Gemüter des Volkes zu so stürmischem Mitgefühl aufgeregt, daß es mit lautem Geschrei verlangte, den unmenschlichen Verbrecher, ohne weiteren Zeitverlust mit Anklage und Verteidigung, auf öffentlichem Markte zu steinigen. Die Richter waren freilich der gerechten Meinung, den Spruch nicht anders als dem allen Brauche gemäß zu fällen, nachdem die Sache vollständig abgehört und reiflich erwogen worden sei, und ließen durchaus nicht zu, daß ein so grausames Urteil auf bloße Erbitterung hin, ohne Ueberführung und Rechtskräftigkeit an einen Menschen ergehe. Sie beschieden Kläger und Beklagten förmlich vor Gericht, der Vater wiederholte in Gegenwart des Sohnes seine Beschuldigung, und der Jüngling leugnete. Eine so ernste Sache war nicht mit Mutmaßungen und unbegründetem Verdachte, wohl aber nur mit überzeugenden Beweisen der Wahrheit zu beendigen. Darum ward auch der Sklave vorgeführt, der sein richterliches Verhör mit kaltem Mute bestand und sein Zeugnis noch durch das freiwillige Anerbieten, mit dem Jünglinge zugleich die Folter zu erdulden, bekräftigte. Es war unter den Richtern kein einziger dem Beklagten günstig genug gesinnt, um nicht dem einstimmigen Erkenntnisse beizupflichten, die Marter des Strickes zuerst ihm selbst und nur auf sein beharrliches Leugnen sodann dem Sklaven zuzuerkennen.

Demnächst erhob sich aber aus der Mitte des unbeteiligten anwesenden Volkes ein höchst unbescholtener und in großem Ansehen stehender Arzt dieser Stadt und brach in folgende Worte aus: Ich vermag es nicht zu dulden, daß dieser Jüngling ungerechterweise von euch gefoltert und getötet werde. Ich zeuge zwar für seine Unschuld nur als ein Einzelner gegen einen Einzelnen; aber ihr erkennt mich alle für den rechtschaffenen Mann, der ich bin, und meine Gegenpart für einen feilen Knecht, der nicht einen, sondern tausend Galgen verdient. Ich stütze mich auf die Kraft meines guten Gewissens und erzähle euch die Sache, wie sie sich in der Tat verhält. Der Schurke da kam zu mir und forderte mir ein schnell wirkendes Gift ab, wofür er mir einen Preis von fünfzig Golddukaten bot, indem er vorgab, desselben für einen Kranken bedürftig zu sein, der Tag und Nacht von einer unheilbaren Wassersucht geplagt werde und mit äußerster Sehnsucht nach dem Tode und der Erlösung von seinen zahllosen Leiden verlangte. Da ich sah, wie verlegen der elende Sklave um Worte war, seinen faulen Antrag zu beschönigen, so fing ich an zu argwöhnen, er möge darunter einen schlechten Streich im Sinne hegen, und stand im Begriff, ihn abzuweisen. Indem drängte sich mir aber der Gedanke auf, wofern ich dies täte, würde er zu einem anderen gehen, der vielleicht, weniger vorsichtig als ich, in sein Verlangen willigte. Ich fand also für angemessen, ihm zwar einen Trank zu geben, von dessen Natur ihr späterhin hören sollt, seine mir angebotene Bezahlung aber nicht unbedingt dafür anzunehmen, weil ich in der gewissen Überzeugung stand, daß diese Sache mit der Zeit einmal in Untersuchung kommen werde. Ich sagte also zu ihm: Da unter deinem Gelde wohl einige falsche oder leichte Dukaten befindlich sein könnten, mein Freund, so tue mir doch den Gefallen und zahle sie hier in diesen Sack, den du mit deinem Ringe versiegeln magst. Wenn du späterhin wieder einmal zu mir kommst, so haben wir beide wohl mehr als heute Zeit, damit an eine Bank zu gehen, um sie prüfen zu lassen. Der Sklave siegelte nach meinem Willen den Sack mit seinem Siegel zu, und hier nehmt ihn selbst in Augenschein, mein Bruder brachte ihn für euch herbei. Der Schelm verleugne mir sein Siegel, wenn er es imstande ist, und sehe zu, wie er den guten Jüngling noch länger des Mordes mit Gift beschuldige, das er selbst von mir empfangen hat.

Mittlerweile der Ehrenmann diese Worte sprach, ward der schmutzige Sklave wie eine Leiche anzusehen. Seine Knie schlotterten, Fieberschauer durchzuckten ihn, einzelne Tropfen eiskalten Schweißes traten ihm auf die Stirn, und er warf den Kopf krampfhaft bald da-, bald dorthin empor, indem er anhub mit kleinlautem Munde einige unverständliche Worte abzukauen, deren sich selbst widersprechende Verworrenheit das offenbarste Zeugnis von seiner Schuld ablegte. Nichtsdestoweniger bekämpfte der ausgelernte Bösewicht seine Furcht so erfolgreich, daß er, seine vorige Besonnenheit sofort wieder gewinnend, den Arzt der Lüge zieh und alles kurzweg leugnete.

Aber auch der ehrsame Alte, dessen eigener guter Name jetzt mit auf dem Spiele stand, verabsäumte nicht, in seinen Gedanken alle Mittel zu Rate zu ziehen, den Schuldigen zu entlarven und die Wahrheit an den Tag zu bringen. Er forderte also einen der Diener der Gerechtigkeit auf, dem Sklaven seinen Ring vom Finger zu ziehen und mit dem Siegel zu vergleichen. Es geschah: Ring und Siegel wurden als übereinstimmend gefunden, und die Richter hielten sich nun für berechtigt, den Verbrecher auf die Folter bringen zu lassen, die ihm anfänglich allerdings kein Geständnis seiner Tat entriß.

Der Arzt redete hierauf die Richter solchergestalt nochmals an: So wisset denn, daß, als mich dieser Schelm bewegen wollte, ihn mit Gift zu versehen, es mir als einem guten Arzte nicht wohl anzustehen schien, durch meine Wissenschaft einen Menschen um das Leben zu bringen, insofern der Herr uns armen Sündern die Kunde zu heilen zu unserem Nutzen und nicht zu unserem Schaden verliehen hat, und daß ich ihm eben deswegen, weil ich, wie gesagt, besorgte, er möge, wo ich ihn abwiese, von einem anderen durch die Liebe zum Golde das erlangen, was er fordere, nicht Gift, sondern einen Trank von Alraunwurzel gab, der die Eigenschaft besitzt, solange seine Wirkung dauert, an so tiefen Schlaf zu fesseln, daß der, welcher ihn zu sich genommen hat, wie tot erscheint. Wofern also jener Knabe den ihm von mir bereiteten Trunk genossen hat, so lebt er, ruht und schlummert und wird seine Augen wieder nach dem schönen Sonnenlichte aufschlagen, sobald die Kraft seiner Natur den dichten Nebel dieses Schlafes durchbrochen hat. Ist er hingegen wirklich tot, so suchet anderwärts den Grund dazu. – Nachdem der Arzt diese Worte gesprochen hatte, schien es allen das Wichtigste, unverzüglich nach der Gruft des Knaben zu gehen, um sich über den seltenen Fall Licht zu verschaffen. Der Sklave und der ältere Sohn wurden inzwischen in sicherer Haft gehalten, und der Vater wälzte mit eigenen Händen den Denkstein von dem Grabmale ab. – Da erwies es sich denn, daß die Hilfe nicht länger hätte anstehen dürfen. Der Vater umarmte seinen noch lebenden Sohn mit leicht zu erachtender Zärtlichkeit, und da es seiner Freude an allen Worten gebrach, so trug er ihn stillschweigend aus der Gruft und stellte ihn dem Richter vor.

Weil der Sklave den Knaben am Leben sah und Verzeihung für seine Tat zu erlangen hoffte, die keinen Mord nach sich gezogen habe, nicht weniger aber auch um der ferneren Tortur zu entgehen, gestand er alles ein.

Man schleppte in Folge seiner Aussage die böse Stiefmutter in den Kerker, und sie bekannte nach einem kurzen Verhör und nach wenigen angewandten Martern auch ihrerseits alles.

Das richterliche Urteil sprach dem Knechte für seinen beabsichtigten Mord den Tod am Galgen zu und würde auch gegen die Sünden der Stiefmutter streng ausgefallen sein, hätten ihr nicht die Bitten des Vaters und Sohnes das Leben errettet. Sie wurde für immer aus der Stadt verbannt, dem Arzte ließ man nach allgemeiner Übereinkunft das von ihm für den Trunk bereis in Gewahrsam gehaltene Gold, und der glückliche Vater oder unglückliche Gatte tauschte also für sein treuloses Weib zwei ihm schon verlorengegangene Kinder ein.


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