Egon Erwin Kisch
Abenteuer in fünf Kontinenten
Egon Erwin Kisch

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Briefwechsel mit Adolf Hitler
(1933)

Lieber Kollege Meldegänger!

Besten Dank für die prompte Antwort. Sicherlich hast Du nur deshalb, weil ich mich als Dein engerer Fachkollege aus dem Krieg legitimierte, so rasch geantwortet, noch dazu aus Bayern, wohin Du doch eigentlich zur Erholung gefahren bist.

Oder antwortest Du deshalb so schnell, weil Stellen aus dem Schreiben, das ich vor einigen Tagen verfaßte, in der englischen Presse abgedruckt wurden? Ich hatte Dich auf Grund der Tatsache, daß auch ich im Krieg zeitweise ein schlichter Meldegänger war, daran erinnert, welch ein Kleber, Streber und Beber man sein mußte, um sich jahrelang in den hinteren Befehlsstellen halten zu können, ohne jemals zur Auffüllung einer dezimierten Schützengrabenbesatzung herangezogen zu werden. Mir gelang es nicht, mich so lange hinten herumzudrücken. Du, lieber Adolf, hast durchgehalten, alle Achtung!

Wie aber ist es mit dem Kreuz an Deiner Linken? Nur wenn ein ganz dumpfer Pferdeknecht ein Heldenstück beging, so hat er seine Auszeichnung gekriegt, ohne befördert zu werden. Hat man Dich, nachmaligen Kommandeur des Dritten Reiches, für einen solchen Tölpel gehalten? Adolf, erzähl doch nicht solche Sachen! Es ist ganz unmöglich, daß ein Gefreiter, des E. K. I. würdig befunden, vier Jahre lang für unfähig erachtet wird, eine Korporalschaft zu führen. Im Krieg braucht man nun einmal Unteroffiziere. Selbst wenn Du zwischen 1914 und 1918 ebenso hartnäckig gebettelt hättest, man 90 möge Dich nicht zum Unteroffizier ernennen, wie Du von 1931 bis 1933 gebettelt hast, daß man Dich zum Kanzler ernennen soll, – als Ritter des Eisernen Kreuzes hätte Dir solches Betteln im Krieg gar nichts genützt.

Du weißt das so gut wie ich und behauptest in Deinem Buch »Mein Kampf« auch nicht, daß Dir das E. K. I. verliehen worden wäre. Deine heutigen Meldegänger könnten versuchen, das als Bescheidenheit oder Vergeßlichkeit anzusehen, wenn . . . wenn nur Dein Memoirenbuch sonst an irgendeiner Stelle Spuren von Bescheidenheit oder Vergeßlichkeit aufwiese. Aber Du registrierst ja jede Kleinigkeit im Felde, Du brüstest Dich jeder Heldentat, die Du während der bayrischen Räteregierung oder beim Putsch vor der Feldherrnhalle vollführt haben willst, und nur auf die Heldentat, die Dir das stolze Kriegsandenken an Deinem Rock verschafft hat, deutest Du mit keinem Wörtchen hin, gibst weder Wortlaut noch Inhalt des Verleihungsvorschlages an, ja nicht einmal die Daten von Antrag und Ernennung, von Anheftung und Verlautbarung. Du hast einfach in Deinen Militärpaß hineingekritzelt, daß Dir das Kreuz am 4. August 1918 verliehen worden sei. Ich habe nichts dagegen, im Gegenteil, ich finde, es paßt glänzend zu Dir.

Nun antwortest Du. Natürlich schreibst Du mir ebensowenig per Post, wie ich Dir per Post geschrieben habe, – die heutigen Verhältnisse in Deutschland gestatten es leider zwei alten Landsleuten und Meldegängern nicht mehr, brieflich miteinander zu verkehren. Wir müssen es durch Zeitungen und Zeitschriften tun. Du tust es durch die »DAZ«. Die erscheint in Berlin, aber die Antwort kommt aus Bayern, wo Du jetzt auf Erholungsurlaub weilst. Sie ist vom 2. August datiert und in der Nummer vom 3. August erschienen. »Wie Hitler das E. K. I. erwarb.« Daß Du eine historische Abhandlung telegraphieren läßt, zeigt, wie eilig es Dir ist. Herzlichen Dank, Adolf, ich hätte auch ein paar Tage gewartet, ich weiß, daß Du jetzt viel zu tun hast mit den Marxisten. 91

Der deutsche Schriftsteller Egon Erwin Kisch, der derzeit im Ausland weilt, hat über die Verleihung des Eisernen Kreuzes I. Klasse an Adolf Hitler einige Zweifel ausgesprochen, die auch von der Weltpresse übernommen wurden. Der Herr Reichskanzler stellt dazu fest, daß . . .

Nein, mit einer solchen Wendung beginnst Du natürlich nicht. Du leitest Deine Antwort damit ein, daß ein Jubiläum bevorstehe; bald werden es auf den Tag fünfzehn Jahre her sein, daß der damalige Gefreite Hitler das Eiserne Kreuz I. Klasse erhielt. Aber Dein Meldegänger von der »DAZ« läßt einen Wermutstropfen, ein einschränkendes »freilich« in das Telegramm fallen, – ein »freilich«, für das ich das Blatt wieder verbieten würde, wenn ich Du wäre. So steht's zu lesen: »Für diese Verleihung wurde freilich eine besonders tapfere Tat, die fast drei Jahre lang zurücklag, angeführt.«

Adolf, Adolf! Dadurch wird die Sache freilich noch schlimmer. Seit wann bleibt ein Auszeichnungsantrag drei Jahre lang liegen? Es wäre freilich möglich, daß ein höheres Kommando einen Auszeichnungsantrag als unzureichend an das antragstellende Kommando zurückleitet, wodurch sich die Verleihung freilich verzögert. Es wäre sogar möglich, daß dieser Konflikt drei Jahre dauerte, – aber daß Du, Adolf, jede Belanglosigkeit aus Deinem Soldatenleben vermerkst, und nur diesen Kompetenzkonflikt nicht, Dich nicht darüber beklagst, wenn Deine Großtat drei Kriegsjahre lang keine Belohnung fand, das glaubt Dir freilich niemand. Noch weniger wird Dir geglaubt, daß man Dich, einen solch anerkannten, wenn auch noch nicht dekorierten Helden, drei Jahre lang mit Gefreitenknöpfen herumlaufen ließ.

Nee, Adolf, das E. K. I. hast Du also nicht. Aber Du erzählst mir, für welche Tat Du es bekommen haben willst. Leg mal los, alter Meldegänger, ich höre zu:

»Im Herbst 1915, in der Herbstschlacht bei Arras und La Bassée, machte Adolf Hitler mit dem 92 Meldegänger Weiß bei Fromelles eine freiwillige Patrouille, da Zweifel bestand, ob vor dem Regimentsabschnitt noch eigene Truppen lagen oder ob die Franzosen schon bis in den vorliegenden Ort vorgedrungen waren. Hitler und Weiß arbeiteten sich vorsichtig bis an die Ortschaft, die menschenleer schien. Plötzlich hörten sie aus dem Kellereingang eines zusammengeschossenen Hauses französische Stimmen. Kein Zweifel, es mußte sich um die Mannschaft eines französischen Vorpostens handeln, der im Augenblick noch nicht aufgezogen war. Mit kühnem Entschluß riß Hitler die Kellertür auf und erklärte in gebrochenem Französisch die Insassen des Kellers für gefangen. Eine deutsche Kompanie stehe hinter ihm. Um seine Worte glaubhaft zu machen, gab er deutsche Kommandos an die nicht vorhandene deutsche Kompanie und forderte dann die Franzosen auf, einzeln, ohne Waffen und mit erhobenen Händen den Keller zu verlassen, andernfalls würden sie erschossen. Als die Franzosen die Gewehrläufe der beiden Meldegänger auf sich gerichtet sahen, dachten sie nicht mehr an Widerstand, sondern ließen sich durch die verwegenen Angaben Hitlers überrumpeln. Auf diese Weise nahmen die beiden Meldegänger einen Leutnant und 20 Mann gefangen und brachten sie unter ungeheurem Jubel ihrer Kameraden zum bayrischen Kommando. Für diesen tollkühnen Handstreich erhielt Hitler dann am 4. August 1918 das Eiserne Kreuz I. Klasse.«

Fein, Adolf! Du merktest gleich, was los ist. Es konnte nur die Mannschaft eines französischen Vorpostens sein, was da im Kellereingang eines zusammengeschossenen Hauses saß. Wer sitzt denn sonst im Kellereingang? Wo soll denn ein französischer Vorposten sitzen, der im Augenblick noch nicht aufgezogen ist? Die Kellertür war nicht zerschossen, sondern geschlossen, und wartete bloß darauf, daß Du hinkommst, Adolf, um sie mit kühnem Entschluß aufzureißen. 93

Haha, diese Schafsköpfe von Franzosen. Jetzt stehen sie draußen, ein Leutnant und 20 Mann, und sehen, daß sie übertölpelt sind! Ja, wenn es deutsche Soldaten gewesen wären! Die hätten sich, da zwei Gewehrläufe nicht auf einundzwanzig Mann gerichtet sein können, sofort auf Dich und Weiß gestürzt, aber Franzosen . . . haha.

Übrigens: Weiß. Wer ist dieser Weiß, der doch auch seinen Anteil an dieser in alle Lesebücher des Dritten Reichs aufzunehmenden Geschichte hat? Warum gibst Du nicht einmal seinen Vornamen an? Ich will nicht hoffen, daß er Bernhard hieß und Isidor genannt wurde? Welchen Orden hat er für diese Tat bekommen? Und vor allem wann?

Nun soll der 4. August, so dekretierst Du in Deiner Antwort mir zum Trotz, für immer sein »ein stiller Gedenktag an das Frontsoldatentum, an die Tapferkeit und Opferfreudigkeit des Kanzlers während des Weltkriegs, ein Tag, an dem das ganze deutsche Volk inneren Anteil nimmt«. Der Tag der Verleihung Deines Dir niemals verliehenen Ordens steht fest. Nur die Angaben über den Tag Deiner niemals begangenen Heldentat schwanken ein wenig, sie schwanken nämlich um einige Jahre. In dem Buch »Adolf Hitler im Felde, 1914–1918«, das sozusagen den militärischen Ergänzungsband zu Deinem Buch »Mein Kampf« bildet, schreibt Hans Mend, Meldereiter bei dem 16. bayr. Res.-Inf.-Regt. »List«, Du habest Deine große Tat erst 1918, nach Deiner »Erblindung« getan. Dort wird die Sache so dargestellt:

»Zu seinem großen Glück hatte er das Augenlicht wieder zurückerhalten und war von neuem dem Regiment ›List‹ zugeteilt, wo er wieder als Gefechtsordonnanz funktionierte. Das Regiment war schon stark dezimiert. Während des schweren Kampfes um den Brückenkopf Mondidier hatte Adolf Hitler eine wichtige Meldung zu überbringen. Als er mit dieser im Graben anlangte, stand er plötzlich einem Trupp Franzosen 94 gegenüber. Er verlor aber die Geistesgegenwart nicht, legte das Gewehr an und forderte die Franzosen in ihrer Muttersprache auf, sich sofort zu ergeben, denn es läge eine Kompanie hinter ihm und sie hätten keine Aussichten mehr, zu entkommen. Die Franzosen warfen sofort ihre Waffen weg und ergaben sich Hitler als Gefangene. Zwölf an der Zahl führte er dem Regimentskommandeur Freiherrn von Tubœuf vor. Mancher hätte in dieser Situation den Mut verloren. Wegen dieser seltenen Tat wurde Adolf Hitler am 4. August 1918 mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse ausgezeichnet.«

Da hätten wir also die andere Fassung! Welche soll nun Hanns Johst dramatisieren, welche Hanns Heinz Ewers für seinen nächsten Roman benützen? Adolf, mach's Deinen Leuten nicht so schwer.

Wie meinst Du? Was, es gehe auch so? Es genüge eine eiserne Stirn, um den eisernen Kanzler zu spielen, – das Eiserne Kreuz brauche man sich nur im nächsten Laden zu kaufen?

Mag sein. Aber es gibt auch Leute, die wissen, was es mit dem Kriegsheldentum auf sich hat, die wissen, daß man auch mit einem wirklich verliehenen E. K. I. oder mit dem Pour-le-mérite ein Feigling sein kann, ein erbärmlicher Feigling, der Mordwut entfesselt und sie nicht einzudämmen wagt, der jämmerlichste Feigling, nämlich einer, der seinen Mut gegen Wehrlose betätigt.

Schreib mir bald wieder, Adolf, ich werde Dir die Antwort nicht schuldig bleiben.

Mit unveränderten Gefühlen

Egon Erwin Kisch. 95

 


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