Egon Erwin Kisch
Abenteuer in fünf Kontinenten
Egon Erwin Kisch

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Drei Wochen als Hopfenpflücker
(1910)

In Saaz vor dem Bahnhof scharten sich fragwürdige Gestalten zu einer Gruppe. Ihr Gepäck war auf dem Platz hoch aufgeschichtet; eine Frau sprach mit dem Verwalter der Saazer Stellenvermittlungsanstalt, Burschen, Frauen, Männer, Mädchen umstanden sie. Daß es Hopfenpflücker waren, war klar. Ich machte mich an einen Jüngling heran.

»Menschenskind, kann ich mich zu eurer Partie hinzuaddieren?« fragte ich in der blumigen Redeweise der Vorstädte Prags.

»Da mußt du die Frau Mracek fragen, die dort mit dem blauen Kopftüchel, das ist unsere Pantafirka.«

Frau Mracek hatte eben ihr Gespräch mit dem Verwalter beendet und machte die Lohnbedingungen bekannt: zwanzig Heller für den Viertelhektoliter gepflückten Hopfens, außerdem für die Erwachsenen täglich einen halben Liter Milch und einen Liter Kartoffeln; von der Löhnung werde allabendlich ein Vorschuß von sechzehn Heller für jeden gepflückten Viertelhektoliter gewährt. Die ersten Tage würden wir Feldarbeit leisten müssen, gegen einen Lohn von zwei Kronen für jeden Mann und eine Krone vierzig Heller für jede Frau; außerdem das erwähnte Quantum von Milch und Kartoffeln.

Die Verkündigung war zu Ende. Ich trat auf Frau Mracek zu, bot mich an und wurde – da ohnedies bloß achtzig statt vierundachtzig bestellter Leute gekommen waren – engagiert. Sie nahm mir meinen Heimatschein ab, auf dem mein Beruf, der eines 22 Handlungsdieners, bestätigt war. Ich solle nur einsteigen, sobald der Leiterwagen komme.

Die Gesellschaft war ziemlich gemischt. Man bemerkte unter den Anwesenden: Strolche aus Wrschowitz, einen Handelsmann aus Žižkow, einen Herrn mit schwarzgerändertem Zwicker, einem wenn auch schmutzigen Stehkragen und hochtrabender Ausdrucksweise, in der er jedem erzählte, daß er Medizin studiert habe, dann Beamter des Böhmischen Fremdenverkehrsverbandes und zuletzt provisorischer Beamter einer Bank gewesen sei; weiter: zwei amerikanisch gekleidete Handlungsgehilfen, die sich Geld für eine Fahrt nach Dresden verdienen wollten, Fabrikmädel aus der »gelben Republik« auf der Holleschowitzer Heide, einen sozialdemokratischen Geschäftsdiener mit Frau und Kind, einen Schuhmacher, der am 1. August delogiert und dessen Möbel in den Gemeindehof gebracht worden waren, einen Reitknecht, dem die Mütze während der Fahrt aus dem Kupeefenster geflogen war und der nun mit dem bunten, um den Kopf gebundenen Tuch komisch aussah; einen lahmen Hausierer, der in Gasthäusern auf seinem Bauchladen Zwiebeln, Heringe und Rollmöpse feilbietet, und eine bekannte Trinkerin mit schwermütig-schmutzigen Gesichtszügen. Die Mehrzahl der fröhlichen Hopfenbrüderschaft waren Ehepaare, insbesondere die Holleschowitzer Burschen und Mädel waren verheiratet. Sehr viele Kinder liefen umher.

Endlich kam ein Steirerwagerl, auf das das Gepäck geschichtet wurde, bald darauf auch ein Leiterwagen und ein Fuhrwerk für die Neuangekommenen. Dreißig Personen finden Platz, die Riesenhengste können kaum von der Stelle. Windschief stehen, balancieren und hängen die Pflücker im Wagen, die Gliedmaßen sind verfitzt, kreuz und quer schwirren Zurufe und Gespräche, gelangen an falsche Adressen, werden mißverständlich aufgefaßt und an unrichtige Absender zurückgegeben, Witze und Späße durchzucken den Lärm, Gelächter, 23 ironische Beifallsbezeigungen, aufreizende Anfeuerungen hervorrufend.

»Achtung auf Gusta, der macht seine Hochzeitsreise!« – »Natürlich«, lacht Gusta, »wir werden doch nicht zu Hause bleiben, wo unser Dienstmädchen zuschaut, wenn wir uns umarmen.«

»Der Franz sitzt bequem, no ja, der ist halt gewohnt, im Fiaker zu fahren.«

»Na, nicht so wie du«, erwidert Franz, »du fährst immer in der grünen Equipage und hast vorn und hinten einen Lakaien in Uniform mit Federbusch.«

Über die Egerbrücke geht es, über den Spittelplatz, wo man Gurken kauft, durch die Lastenstraße weiter. Überall mustern uns Blicke. Eine Saazer Bürgerfrau ruft uns zu: »Geht's e weng runner vun Wog'n, es kummt e Berg, die Pfer' kennen's net derziehe.«

So unverständlich den Passagieren die Worte des Saazer Dialekts sind, sie verstehen doch gut, was die Frau will. Der Lärm, der nun losgeht! Die ganze Blütenlese des Argots von Podskal und Frantischek wird gegen sie losgelassen, kein Schimpfwort, kein Fluch, keine duftende Phrase, womit die Tierfreundin nicht bedacht würde, die zu ihrem Glück von dem gegen sie gerichteten Kreuzfeuer kein Sterbenswörtchen versteht.

Der Lärm im Leiterwagen dauert fort. Bekanntschaften werden angeknüpft. Keiner will um des Geldes willen hinausgefahren sein, alle nur zum Jux: »Man muß doch ein bisserl in die Sommerfrische.«

»In der Zeltnergasse wohnt ein Herr, der hat vier Häuser und fährt jedes Jahr auf die Hopfenpflücke«, erzählt eine Frau.

»Na ja, das ist ganz begreiflich.« Alle bestätigen gern den Unsinn vom hopfenpflückenden Hausbesitzer.

Mir gegenüber lehnt an einem Sparren des Wagens ein Fabrikmädel, das gewaschen vielleicht noch häßlicher wäre. Sie hat mich gemustert und fragt dann ungeniert und mit eindeutigem Interesse: »Hast du ein Mädel mit?« Nein, ich habe keines mit. Mehr 24 erwidere ich nicht, obwohl der gute Ton die Antwort erheischen würde: »Ich werde mit dir Bekanntschaft machen.« Sie läßt sich durch das Ausbleiben dieses Angebots nicht irremachen und wird noch deutlicher: »Ich habe auch keinen Burschen mit.« – »So, so.« – »Wie heißt du?« fragt sie weiter. »Eman.« Weniger um meinen wirklichen Namen zu verheimlichen, als um nicht durch dessen Ungewöhnlichkeit Verdacht zu erregen, wähle ich ein Pseudonym.

»Ich heiße Wiltscha«, erfahre ich von ihr, und dann, daß sie in Holleschowitz in der Hutfabrik arbeite, daß sie großartig tanze, und daß die Burschen »auf sie ganz hrr sind«. Ich bin aber gar nicht »hrr« auf sie.

Endlich hält der Wagen. Wir werden in ein einstöckiges Gesindehaus gewiesen, das am Rand eines schmutzigen Ententeichs liegt. Es besteht aus vier quadratischen Zimmerchen zu ebener Erde und aus vier quadratischen Zimmerchen im ersten Stock, zu dem eine Hühnersteige führt. Zwei von den Räumen sind schon von Bauernfamilien, die zur Pflücke kamen, belegt. Die Wände sind kahl und weiß, der Fußboden spärlich mit Stroh bedeckt. Kein Einrichtungsstück, nur in einigen Räumen sind Öfen. Hier werden Familien einquartiert, die verheirateten Leute – aber nach dem Trauschein wird nicht gefragt. Auch die ganz ledigen Mädchen finden in diesen Zimmern Unterkunft. Die mädchenlosen Burschen, achtzehn an der Zahl, werden in einem Zimmerchen von je zweieinhalb Meter Länge und Breite untergebracht, acht liegen auf jeder Seite und in der Mitte beim Fenster gegenüber der Tür auch zwei. Jeder hat einen Schlafplatz von kaum einunddreißig Zentimeter Breite zur Verfügung. Nägel werden aus den Taschen gezogen, mit Stöcken in die Wand und in die Deckenbalken geschlagen, und Ranzen, Mäntel und Stöcke darangehängt.

»Ein eleganter Kleiderrechen ist zu vergeben, fünf Kronen zum ersten, zum zweiten – gibt niemand mehr? – und zum drittenmal!«

»Hier hängt mein Mantel! Anton, wenn du mit 25 ihm Brüderschaft trinken wolltest, so zieh ich dir die Haut herunter und lasse mir daraus einen englischen Raglan nähen.«

Einer tut so, als hätte er auf dem Fußboden Ungeziefer erspäht: »Hallo, da kriecht eine.« Er schlägt mit der Mütze auf das imaginäre Ziel. Der Schneidergehilfe, der neben mir liegt, ruft erschrocken: »Wirklich, eine Wanze?« Die meisten aber brummen gleichmütig: »Meinetwegen.«

Zwei zanken sich wegen des Platzes an der Wand, zwei wegen der Strohunterlage. Auch in den anderen Zimmern gibt es Wohnungsstreitigkeiten, man hört Gekreisch von Weibern; Frau Mracek, die Partieführerin, hat die Einteilung vorgenommen und sucht zu vermitteln, so gut das eben geht.

In unseren Junggesellensalon kommt sie immer, um mit witzelnden Bemerkungen die Mädel hinauszudrängen. Auch Wiltscha ist da. Sie kränkt sich sichtlich, daß ich unter die ledigen Leut gezogen bin.

Es ist drei Uhr nachmittag, also nicht mehr daran zu denken, an diesem Tage noch mit der Arbeit anzufangen.

Als Frau Mracek am Bahnhof die Lohnbedingungen verkündet hatte, waren alle einverstanden gewesen. Jetzt, da sich die Leute in dem Ort zu Gruppen zusammenschlossen, kommt es zu Erörterungen, zu Erwägungen, zu Befürchtungen, zu Vorschlägen. Besonders jene, die im Leiterwagen nicht genug hatten beteuern können, daß sie nur spaßeshalber hinausfahren, sind für die Erhöhung des Lohns um zwei Heller. Einer spricht die Besorgnis aus, daß die vier Hopfengärten des Guts schon binnen drei Wochen abgepflückt sein könnten, während in anderen Hopfenplantagen mindestens vier Wochen lang gearbeitet wird; man werde in der letzten Woche keine Arbeit mehr finden können.

Der Exmediziner mit Zwicker und Stehkragen hat das Bedürfnis, mit seiner Bildung zu protzen, und richtet von Zeit zu Zeit mit erhobener Stimme Phrasen an die 26 Versammelten: »Wir werden klug erwägen, wie die Verhältnisse liegen, und werden uns danach richten.«

Bravo, bravo! Man beschließt, zur Gutsverwaltung zu ziehen und dort Forderungen vorzubringen. Alle müssen mit. Die Dörflerfamilien werden herbeigeholt, auch Frau Mracek wird gerufen. Sie ist nichts weniger als erfreut von der Bewegung, die da entstanden ist. Sie bekommt für jeden Hopfenpflücker, den sie brachte, und für jeden Tag, an dem ihre Partie arbeitet, von der Gutsverwaltung eine beträchtliche Vermittlungsgebühr. In geschlossenem Zug geht es zum Verwaltungsgebäude, die umhertollenden Kinder eröffnen, die friedlichen Dörfler beschließen den Zug.

»Der Johann soll unterhandeln«, wollen die Leute. Aber der Handlungsdiener lehnt diese Mission ab. »Warum soll ich mir den Mund verbrennen? Soll nur Frau Mracek hineingehn, sie ist Pantafirka, sie weiß, was wir wollen, und soll unsere Wünsche vortragen. Wir werden sehen, was sie ausrichtet, und werden dann beschließen!«

Bravo, bravo, Frau Mracek soll hineingehen! Wir warteten draußen. Als sie wiederkam, teilte sie das Resultat ihrer Intervention mit: Lohn und Kartoffelquantum bleiben so wie sie waren. Aber das Milchdeputat werde von einem halben Liter auf einen Liter erhöht. Man könne ziemlich lange Stengel an den Dolden lassen, auch werde beim Messen nur locker aufgeschüttet und nicht gepreßt. Arbeit sei ausreichend vorhanden, für mehr als vier Wochen, sollte aber die Hopfenflur schon vor Ablauf dieser Zeit abgepflückt sein, bekomme man für den Rest der Zeit eine andere Arbeit zugewiesen.

»Das kennen wir! Man wird uns einfach fortschicken.« Solche und ähnliche Einwendungen wurden laut. Schließlich aber gab man sich zufrieden, die Menge zerstreute sich.

Auf dem Platz vor dem Brunnen kam man bald wieder zusammen und führte friedliche Gespräche. Wie gerne wäre man in den Dorfkrug eingekehrt, wie 27 gerne hätte man im Kaufmannsladen ein Gläschen Kornschnaps getrunken! Aber niemand hatte Geld. Einer steckte sich eine halbe »Ungarische« in den Mund und bat seinen Nachbarn um ein Zündholz. Mit der rhetorischen Frage »Stehl ich?« wies ihn dieser ab.

Um sechs Uhr ist Milchfassung im Stall. Der Wirtschaftsadjunkt notiert die Namen eines jeden, der sein Quantum bekommen hat. Die Kartoffeln für die Ledigen holt Frau Mracek und kocht davon gegen Bezahlung von sechs Heller Suppe.

Mit den Milchtöpfen setzen wir uns vor das Wohngebäude. Drei Männer haben Mundharmonikas mit und konzertieren. Paare beginnen sich in schlürfenden Tänzen zu drehen. Zwei Burschen veranstalten einen Wettlauf auf den Händen.

Gegen acht Uhr sind wir im Quartier. Aber ans Schlafen ist nicht zu denken. Man liegt in Kleidern und Stiefeln. Die Enge des Raums bedingt, daß sich einer an den andern quetscht. Das Stroh sticht und raschelt, Flöhe springen umher, die Luft ist zum Schneiden dick, und gegen das Öffnen der Fenster wehren sich die meisten.

Auch das Rauchen erweckt Debatten. Die, die aus Gründen der Feuersgefahr dagegen sind, behalten die Oberhand. Wenn einer aufsteht, tritt er im Dunkel dem andern auf Waden und Schenkel. Flüche und Drohungen von Unsichtbaren an Unsichtbare sausen durch die Finsternis. Von draußen hört man werbendes Flüstern . . . Nach und nach macht man sich notgedrungen mit dem Gedanken vertraut, daß von Schlaf keine Rede sein könne.

Man unterhält sich also. Geschichten und Abenteuer werden erzählt, nur Eindeutigkeiten. Um fünf Uhr früh steht man auf. Niemand wechselt die Wäsche, niemand wäscht sich, nur die Burschen frisieren sich mit Pomadestangen. In dem grauen Ententeich werden einige Kinder gebadet und Windeln gespült.

Mit jeder Nacht wird es im Massenquartier schlimmer. 28 Schon am zweiten Abend kam der Arbeiter Veverka spät nach Hause, und seine Frau, schwarzgescheitelt, trotz Magerkeit gütig aussehend und zwischen ihren beiden Kindern liegend, einem Buben von drei und einem Mädel von zwei Jahren, macht ihm eine Szene, er versaufe alles. Würden wir nicht gebieterisch Ruhe verlangen, der Krawall fände kein Ende. Am nächsten Tag kommt Veverka noch später.

»Wenn du nicht kuschst, gehe ich gleich ins Gasthaus zurück«, droht er der Frau. Aber die keift weiter. Er geht entschlossen zur Tür, will ihr, will uns zeigen, daß er der Herr ist, die Drohung ernst war. Sie brüllt ihm nach: »Wenn du weggehst, rufe ich gleich einen Burschen zu mir und mach dir Schande, öffentlich mach ich dir Schande!«

Alle kichern. Veverka schlägt die Tür von außen zu. »Havleno, komm her«, schreit die Frau hysterisch auf. Ein Bursch – man hat ihn schon beim Hopfenpflücken tagsüber neben den Veverkas sitzen gesehen – tappt über unsere Beine. Er geht zu ihr. Witze, Bemerkungen, zustimmende Kritik, Kichern, Wünsche quirlen in dem Zimmer . . .

Tags darauf geriet ich auf der Landstraße mit zwei Hünen ins Gespräch. Sie kamen eben von der Flußregulierung bei Pilsen und waren schon seit Jahren auf der Walz. Gepäck hatten sie nicht, nur ein Spiel Karten. Ihren Stiefeln fehlten die Spitzen, dementsprechend sahen die Kleider aus. Die beiden waren einen Tag vor der »Parta Mracek« auf dem Gut eingetroffen. Sie forderten mich auf, bei ihnen zu schlafen, sie hätten vor dem Dorf draußen ein Gesindezimmer mit viel Stroh für sich allein. So übersiedelte ich nun und lag ziemlich bequem. Als jedoch die beiden Riesen am Abend vollgetrunken und wortlos die Tür verriegelten, wurde mir unheimlich zumute. Ich entkleidete mich und legte die Hose unter meinen Kopf, den Rock knöpfte ich über meine Füße, um nicht zu frieren, das Portemonnaie band ich am Hals fest. Mein Mißtrauen war begründet gewesen: als ich am nächsten 29 Abend von der Arbeit nach Hause kam, war mein Felleisen leer. Socken und Hemden und Taschentücher und Handtuch waren fort, auch mein Knotenstock fehlte. Auf dem Stroh lagen die zerfetzten Hemden der beiden Vagabunden. Nur die Seife hatten sie mir gelassen, die brauchten sie nicht. Sie waren mittag fortgewandert, der eine mit meinem Stecken in der Hand.

Im Hof des Bauernguts versammelten wir uns um halb sechs Uhr früh. Der Schaffer zählte zwölf Burschen und acht Mädchen ab, hieß sie Mistgabeln holen, da wir Schober zusammenstellen sollten. Ich war unter den zwölf Burschen, und Wiltscha tauschte mit einem der acht Mädel, um mit mir in einer Gruppe zu sein.

Einige Partien arbeiteten in den Scheuern, die unsrige wurde zur Feldarbeit beordert. Am ersten Tag standen wir auf dem Schober und reichten Garben zur Dampfdreschmaschine hinüber, auf deren ratterndem, knatterndem und zuckendem Dach sich die Arbeiterinnen bewegten wie Besucher des Narrenpalasts im Lunapark. In den nächsten Tagen war uns das Wenden der Schwaden auf den Feldern zugewiesen, oder wir hatten riesige Schober zu bauen. Die Bündel wurden gesammelt und zu einem hohen Bau aufgeschichtet, an den dann wieder die Dreschmaschine heranfuhr. Arbeitseifer hatte alle erfaßt, und wenn auch einige hundert Garben im Scherz als Wurfgeschosse gegen den oder jenen Arbeitsgenossen verwendet wurden und dieser unter dem Hagel der von allen Seiten auf ihn niederprasselnden Ährenbündel verschüttet auf dem Schober niedersank, – die Wagen füllten sich doch zusehends.

Nicht so bewegungsreich und abwechslungsvoll war das Hopfenpflücken, das wenige Tage später begann. Bereits am Vorabend des ersten Pflücktages war Fett und Schnaps eingekauft worden, denn nun gab es keine Mittagspause mehr, in der man hätte ins Dorf gehn können. Jetzt wäre es ja auf Kosten jedes einzelnen 30 gegangen, – Zeit ist Lohn, wenn man Akkordarbeit leistet.

Schon gegen fünf Uhr morgen standen wir im Meierhof und wurden zu einem Schuppen geführt, aus dem wir die Schemel holen sollten. Die Tür des Schuppens war schmal, die ersten, die hineinhuschen konnten, waren die Kinder, und als sich dann auch die Erwachsenen hineingedrängt hatten, waren die meisten der aus drei Brettern ungelenk gezimmerten Stühle vergriffen. Die wenigen, die noch so glücklich gewesen waren, einen zu erhaschen, taten sich groß mit ihrem Besitz: »Ich hab einen polierten Sessel bekommen.« – »Und ich einen Fauteuil.« Aber die anderen fluchten, sie würden nicht vier Wochen lang auf der Erde hocken, während die Kinder die Stühle hätten. Ein Leiterwagen fuhr heran, mit Körben beladen.

Der Wagen hat haltgemacht und die Körbe werden ausgeteilt. Wer keine Sitzgelegenheit hat, benutzt den umgestülpten Korb oder drei zusammengebundene Pflöcke, die durch Auflegen von Hopfenlaub zu einem Gartensessel umgestaltet werden. Am Rand des Hopfenfeldes bauen die Knechte ein Zelt für den Hopfenweiner, der die gepflückten Fruchtzapfen entgegennimmt, ihr Quantum mißt und sie in die Leinwandsäcke (Jutesäcke sind im Hopfenhandel verpönt) schüttet.

Es ist ein Hopfengarten mit Drahtbau, in dem wir pflücken. Die Stangenanlagen kommen später daran. An jeder Pflanzenreihe – die Intervalle betragen anderthalb Meter – nimmt ein Hopfenpflücker Platz, die Kinder arbeiten mit Vater oder Mutter in der gleichen Reihe. In der Zeile neben mir sitzt Wiltscha, sie ist noch nicht sauberer geworden.

Durch einen starken Ruck werden die von Hopfenlaub umschlungenen, etwa sieben Meter langen Drähte herabgerissen, der Pflücker zieht den unteren Teil der Ranke an sich und beginnt nun die teils traubenförmig, teils einzeln an dem Stengel stehenden, zapfenartigen Kätzchen mit der Hand abzupflücken. Die Fruchtzapfen, die Dolden, sind etwa zweieinhalb Zentimeter 31 lang, eiförmig, von gelblichgrüner Farbe; sie enthalten goldgelben Staub an den Blättchen: das Hopfenmehl (Lupulin), den wertvollsten Bestandteil.

Wiltscha nimmt schon zum zweitenmal an der Hopfenpflücke teil und ist bemüht, mich in die Geheimnisse der Technik einzuweihen. Sie zeigt mir, wie man zuerst alle Blättchen abpflücken und dann mit den Fingernägeln die Stengel entlangfahren muß, so daß die Dolden von selbst in den Korb fallen. Sie zeigt mir, wie man sitzen und wohin man den Korb stellen muß, damit der Wind die abgerissenen Blätter nicht in den Korb weht. Findet der Hopfenweiner unter den Trollen ein Blättchen, nimmt er den Korb nicht an.

Der kleine Mracek, der Dauphin der »Parta«, kommt zu seiner Mutter gelaufen: »Schau, was ich gefunden hab! Schau, wie das funkelt!« Frau Mracek betrachtet die Schmetterlingspuppe mit sachverständigem Blick: »Das bringt Gold, das Hopfenmannerl hat goldene Knöpfe.« Und da sich die Leute herandrängen, das gute Omen anzuschauen, erklärt sie jedem, daß die drei goldenen Knöpfe auf der Bauchseite der Puppe Gold bedeuten und ein günstiges Jahr. Voriges Jahr habe man nur Mannerln mit silbernen Pünktchen gefunden, und das sei das ganze Unglück gewesen. Aber 1908, da blitzten die Ranken geradezu von goldenen Punkten, und wirklich war damals Vollernte, – eine Viertelmillion Zentner zu fünfzig Kilogramm habe man vor zwei Jahren im Saazer Landl geerntet!

Man steckt nun in Erinnerungen. Frau Mracek erzählt von den Späßen, die es beim Hopfenkranz, dem Winzerfest der Hopfenpflücker, in früheren Jahren gab. Wie man den Leiterwagen, mit Hopfenlaub und Girlanden und Fähnchen geschmückt, in das Dorf gefahren und getrunken und getanzt habe. Einer habe den ganzen Erlös seiner vierwöchigen Arbeit versoffen. Nur bei den Bauern gebe es noch solche Schlußfeste, hier, auf dem Großgut, nicht mehr. Schade.

Ein tschechisches Lied wird angestimmt, dann Gassenhauer und Volkslieder von schwermütiger Erotik. 32

Nach und nach verstummen Gespräche und Gesang. Die Pflückenden kommen auseinander, die Erfahrenen sind den Rekruten weit voraus, besonders jene, denen die Kinder behilflich sind, haben schon viel Drähte losreißen und abpflücken und ihre Sitzplätze vorwärtsschieben können. Ein Wettrennen hat begonnen; die Anfänger bleiben um Pferdelängen zurück, und man muß schreien, will man einen Freund oder eine Freundin mit einer geistvollen Bemerkung erfreuen. Nur Wiltscha sitzt noch an meiner Seite. Sie ist mir zwar schon um sechs Drähte voraus, aber sie rückt nicht vor, sondern läßt ihren Schemel in einer Reihe mit meinem stehen und trägt die Ranken immer zu diesem Platz zurück, nicht darauf achtend, daß man sie für eine langsame Anfängerin halten könnte.

Der Wirtschaftsadjunkt geht von Mann zu Mann. Er schärft jedem ein: nicht mehr als drei Dolden dürfen an einem Stiel haften, der Stengel darf nicht zu lang sein, aber auch nicht ganz abgerissen werden, da sonst die Dolden auseinanderfallen. Wie wichtig die gute Durchführung der Pflücke ist, geht aus einem Aufruf des Saazer Hopfenbauverbandes hervor, der überall angeschlagen ist:

»Mit Rücksicht auf die beginnende Hopfenpflücke wird an alle Herren Hopfenproduzenten die wohlgemeinte und dringende Bitte gerichtet, besonders heuer bei dem zu erwartenden großen Erntequantum, einer tadellosen Pflücke und Trocknung des Produktes die größte Aufmerksamkeit zuzuwenden. Nur dadurch wird der begründete Weltruf unseres edlen Saazer Hopfens bei der starken Konkurrenz am Weltmarkt erhalten bleiben, denn außer der Qualität ist auch die Pflücke und Trocknung mit maßgebend. Schlecht gepflückte Ware muß der Händler erst mit großen Kosten und unter Aufsicht der Halle nachpflücken lassen, um sie versandfähig herzustellen, während dies bei den Produzenten sofort bei der ersten Pflücke mit wenig Mühe 33 und fast gar keinen Kosten verbunden ist. Hat man wirklich schlechte Pflücker, stelle man gleich ein bis zwei Personen zur Nachpflücke ein, wie dies einige Herrschaften und größere Produzenten schon seit einigen Jahren mit bestem Erfolge pflegen. Gerade heuer wird ein schlecht gepflücktes und überdarrtes Produkt schwerer und nur zu viel niedrigerem Tagespreise verkäuflich sein.«

Klein sind die Dolden, groß sind die Körbe, es dauert fast eine Stunde, bevor einer gefüllt ist. Die erste Pflückerin, die ihren Korb zum Hopfenweiner trägt, bedeutet eine Sensation, und neidvolle Zurufe grüßen sie: »Seht mal an, die Jindra geht schon schütten, die hat halt vier Hände. Die ist das Abknüpfen gewohnt.«

Schneller bewegen sich die Hände, man will nicht allzusehr nachstehen. Bald ist das Zelt dicht umstellt von Pflückern, die abliefern. Ein hölzernes Maß, das »Viertel«, da es einen Viertelhektoliter faßt, steht in einem großen Schaff. Der Hopfenweiner preßt die Dolden tüchtig in das Maß, damit es möglichst viel fasse. Was dennoch über den Rand ins Schaff fällt, kann sich der Pflücker wieder als Vorrat mitnehmen. Für jedes abgelieferte Viertel bekommt man eine runde Blechmarke: zwanzig Heller.

»Ich werde deinen Korb schütten gehn«, schlägt mir Wiltscha vor. – »Warum?« – »Weißt du, ich hab mit dem Hopfenweiner voriges Jahr ein Verhältnis gehabt, da hab ich Protektion. Mir preßt er die Dolden nie zusammen, auch wenn ich sie noch so locker in das Viertel schütte. Fast die Hälfte läßt er mich wieder zurücktragen.« Und Wiltscha geht nun für mich abliefern . . .

Tag für Tag wird so gepflückt ohne Mittagspause bis sechs Uhr abends und darüber hinaus. Die Finger sind von den rauhen, mit Klimmhaaren besäten Stengeln ganz schwarz und zerschnitten. Der Hopfengarten hat sich gelichtet, viele Drähte sind gefallen, und schon scheint es, als würde er bald abgepflückt sein. 34

Inzwischen ist jedoch Unzufriedenheit eingezogen, Gerüchte von fabelhaften Löhnen auf anderen Fluren sind in unsere Reihen gedrungen, und viele sprechen davon, den Dienst zu verlassen. Da kommt ein Regentag. Heute ist keine Pflücke.

Die Frauen beschließen, in den Wald zu gehen, um Schwämme zu suchen; die Männer rotten sich auf dem Dorfplatz zusammen. Der Plan, nach Saaz zu ziehen und dort zu sondieren, wie es mit den Arbeitsbedingungen auf anderen Fluren beschaffen sei, taucht auf. So sieht die Landstraße ein Heer zerlumpter Figuren, Falstaffs Freunden gleich, durch Kotlachen und Regenströme ziehen. Anfangs will man den Informationsgang im Regen vor sich selbst motivieren, indem man auf die bisherigen Lohn- und Arbeitsverhältnisse schimpft. Allmählich aber redet man sich in Wut, und mit einem Mal ist die allgemeine Ansicht die, daß es ganz unmöglich sei, auf dem Posten zu verbleiben. An dem Obelisk vorbei, der zum Andenken an die Aufhebung der Robot in Saaz errichtet wurde, geht's auf den Marktplatz. Dort wird man um ein Beträchtliches kleinlauter. Vor der Arbeitsvermittlung drängen sich Hunderte von misérables mit verzweifelten Gesichtern. Nicht alle Familien, nicht alle Angehörigen eines Dorfes können gemeinsam Arbeit finden, und ängstlich und vorsichtig wird erwogen, in welcher Weise die Trennung vorgenommen werden soll. Unser Wortführer ist der Herr mit dem Zwicker, aber der Verwalter der Stellenvermittlung lehnt es ab, uns anderswo unterzubringen. Wir hätten unsere Stellung, er könne uns keine andere zuweisen.

Unschlüssig stehen wir auf dem Markt. Ein Bauernknecht kommt auf uns zu. Was wir suchen? Ob wir Arbeit brauchen? Ja. Nun beginnt er einen Panegyrikus auf ein Gut anzustimmen, das nur fünfviertel Stunden von Saaz entfernt sei, tausend Hopfenpflücker sechs Wochen lang beschäftigen wolle und einen Lohn von zweiundzwanzig Heller pro Viertel, und außer Milch und Kartoffeln auch ein Kilogramm Brot täglich 35 gewähre. Einigen scheint der Weg für Frauen und Kinder mit dem Gepäck zu weit, aber der Knecht verspricht, mit Leiterwagen zu unserem bisherigen Arbeitsplatz zu kommen.

So ziehen wir heim, den Zurückgebliebenen den Beschluß unseres Exodus zu verkünden. Nicht alle sind bereit auszuwandern. Einige Frauen, die sich schon häuslich eingerichtet haben und den Sprung ins Ungewisse fürchten, veranlassen ihre Männer zu bleiben. Frau Mracek ist zu einer Amazone geworden. Sie zittert um den Entgang ihrer Vermittlungsgebühr, sie hat vielen Leuten Geld für die Reise geborgt, einige haben umsonst in ihrer Wohnung geschlafen, – und nun soll sie um alles kommen. Sie kämpft und droht und schimpft nach allen Seiten.

Ein Mädel läßt sich von drei Burschen überreden mitzuziehen. Die Tante aber will's nicht leiden: »Die Jindra muß dableiben, ihre Mutter hat mir aufgetragen, auf sie zu achten.« Es hilft nichts. Jindra geht mit den Auswanderern.

Wirklich kommt der Leiterwagen; die Ausbeutungsmöglichkeit und Rechtlosigkeit dieses unorganisierten Lumpenproletariats sind so groß, daß ihm gegenüber sogar der Kapitalismus seine Solidarität außer acht läßt, eine Gutsverwaltung der anderen Arbeitskräfte mit Leiterwagen entführt. Ich fahre mit in das neue Land. Wiltscha setzt sich neben mich.

Vom neuen Tätigkeitsgebiet sind die Sezessionisten nichts weniger als entzückt. Drüben aus dem Wagenschuppen schauen braune, langhaarige und schmutzige Gestalten auf die Ankömmlinge, Zigeuner sind es. Entsetzt packen die Mütter ihre Kinder und halten sie fest. In einem riesigen Schafstall müssen wir schlafen, alle zusammen. Es gibt keine Öfen, man wird auf Ziegelsteinen kochen müssen. Ich werfe mein Felleisen aufs Stroh, Wiltscha legt ihr Bündel daneben. Da hebe ich meinen Ranzen wieder auf: »Ich will den Heimatschein abgeben, halt mir Platz.« – »Warum läßt du dein Packerl nicht hier?« – »Damit mir noch der Rest gestohlen wird, nicht?« 36

Und schon bin ich auf dem Weg nach Saaz, die Freundin in sehnsüchtigem Harren zurücklassend. In Saaz kehre ich in ein kleines Gasthaus ein und lasse mir – habe ich doch durch meiner Hände Arbeit Geld verdient und lange kein Fleisch mehr gesehen – ein Gulasch geben. Der Kellner bringt es, und ich setze schon die Gabel an. Da heißt es: »Gleich zahlen, bitte.« Das Mißtrauen ist begründet, mein Anzug ist zerlumpt, Straßendreck hängt an den Hosen und Stiefeln, und Strohhalme an meinem Rock. 37

 


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