Egon Erwin Kisch
Abenteuer in fünf Kontinenten
Egon Erwin Kisch

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Rettungsgürtel
an einer kleinen Brücke

(1924)

Über die Brüstung der Liechtensteinbrücke, einer kleinen Brücke, die vom Hintereingang des Zoologischen Gartens zum Tiergarten führt, ist ein Rettungsring gehängt. Ein Seil, das sich nicht verfitzen kann, ermöglicht es, den tragfähigen Gürtel weithin in den Landwehrkanal zu schleudern. Die Gegend ist, man kann es nicht anders sagen, idyllisch.

Der Kandelaber, der den Rettungsring darbietet, hält gleichzeitig eine Papptafel mit illustrierten Anweisungen zur Wiederbelebung Ertrinkender. Ferner verkündet ein Schild, daß sich die nächste Rettungsstelle im Hause Nr. 9 der Budapester Straße befinde.

Bedenkt man, daß die Lebensmüden sich für einen ernst gemeinten Selbstmord eine Stunde aussuchen, da niemand in der Nähe ist, und daß sie selten um Hilfe rufen, bedenkt man, daß die Aussicht, hier unversehens ins Wasser zu fallen, selbst für einen Bezechten gering ist, bedenkt man ferner, daß nächtlicherweile in Berlin, in der Tiergartengegend, die freiwilligen Samariter besonders dünn gesät sind, auch im Falle einer Hilfsbereitschaft sich kaum jemand des Rettungsgürtels erinnert, und daß der Ertrinkende während der Loslösungs- und Wurfvorbereitungen bereits entkräftet ist und einen in seine Nähe geschleuderten Gegenstand nicht mehr zu erreichen vermag – bedenkt man also all das, so wird man annehmen können, daß der Gürtel am stillen Brücklein noch keinen vom Tode gerettet hat. 67

Aber der Rettungsgürtel ist hier nicht unangebracht angebracht. Da ja immerhin die Möglichkeit besteht, daß jemand im Kanal umkommt (ein Füsilier, der 1904 bei einer Rettungstat ertrank, hat hier ein Denkmal aus Bronze, Stein, Efeu und Baum), so besteht auch die Möglichkeit, daß einmal in Jahrzehnten der Korkring einen Menschen dem Wasser entreißen könnte, der Wiederbelebungsversuch laut Anweisungen auf dem Pappkarton Erfolg hätte, die Rettungsstelle Budapester Straße Nr. 9 rechtzeitig benachrichtigt und ihre Abgesandten rechtzeitig an Ort und Stelle sein könnten.

Ein Menschenleben kann nicht hoch genug bewertet werden.
 

Von dem Rettungsgürtel auf Wurfweite entfernt ist die Stelle, wo uniformierte Männer einen Frauenkörper ins Wasser warfen.

Irgendwelche Bürger von der Einwohnerwehr hatten sich Rosa LuxemburgsLuxemburg Rosa, geb. 5. 3. 1870, ermordet 15. 1. 1919. Deutsche Kommunistin, förderte die Verbreitung der marxistischen Theorien, kämpfte gegen die den Krieg unterstützende Politik der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) zusammen mit Karl Liebknecht, mit dem sie auch den Spartakus-Bund gründete, aus dem später die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) hervorging. Mehrfach verhaftet, auch auf Befehl Noskes. 1919 von der Reichswehr grausam ermordet. in dem Haus bemächtigt, in dem sie wohnte, und aus irgendwelchen Gründen gerade ins Eden-Hotel gebracht, wo der Stab der Gardekavallerie-Schützendivision hauste, forsche Herren, monokelnd und näselnd, die nun kurzerhand übereinkamen, die »Galizierin« um die Ecke zu bringen.

Um die Ecke zu bringen, – sie machten die Phrase wahr, die sprachliche Wendung zu einer wirklichen Wendung.

Das Haus muß rein bleiben, das ist der Grundsatz jedes biederen Ehemannes, etwas anderes ist das, was man außerhalb des Hauses tut. Das Haus muß rein bleiben, und erst in der Sekunde, da Rosa Luxemburg, 68 vom herbeigeholten Mordkommando begleitet, den Fuß aus dem Hotelportal setzte, zertrümmerten die Helden mit Gewehrkolben von hinten ihr Schädeldach und legten sie ins Auto. Herr Leutnant Vogel fuhr mit, er saß verkehrt neben dem Führersitz, preßte seines Revolvers Mündung auf die Stirn der halbtoten Rosa Luxemburg und drückte ab. Der Schuß ging nicht los, denn die Waffe war nicht entsichert; nun, so entsicherte er sie eben, preßte von neuem seines Revolvers Mündung auf die Stirn der halbtoten Rosa Luxemburg und drückte von neuem ab.

Das Auto fuhr inzwischen die Straße geradeaus, die damals noch Alter Kurfürstendamm hieß und jetzt Budapester Straße heißt, während statt dessen die Budapester Straße nach Friedrich EbertEbert Friedrich, geb. 1871, gest. 1925, war in seiner Jugend Sattler, dann sozialdemokratischer Schriftsteller und Reichstagsabgeordneter, später erster Reichspräsident der Weimarer Republik. Er hatte dieses Amt von 1919 bis zu seinem Tode inne. genannt wird, so daß sowohl Horthys Budapest wie Deutschlands Ebert eine ihrer würdige Ehrung haben. Aber das Auto fuhr nicht geradeaus über die Corneliusbrücke, sondern bog links ein, – man hatte ja Rosa Luxemburg um die Ecke zu bringen.

Um die Ecke zu bringen, – an der ersten Ecke, links vom Alten Kurfürstendamm, ist die Gegend finster. Auf der einen Seite die Wirtschaftsgebäude vom Zoo, auf der andern Seite der Landwehrkanal. Nahe der Liechtensteinbrücke wächst sogar noch Gebüsch zwischen Weg und Wasser, hier hält das Auto. Kein Mensch kommt zu so später Stunde hierher, es ist auch heute keiner da, wohl aber Gardeoffiziere mit Maschinengewehren; sie bewachen die Brücke, an der der Rettungsgürtel hängt. »Halt, wer da?« – »Um Gottes willen, nicht schießen!«

Oberleutnant Vogel (zum herankommenden Offizier): »Bitte, veranlassen Sie nichts! Ich habe die Leiche der Luxemburg.« Der Offizier: »Gott sei Dank!« 69

Dann wurde Rosa Luxemburg ins Wasser geworfen. Da der Körper, tot oder halbtot, auf der Oberfläche schwamm, soll er (gewiß weiß man es nicht; denn die des Meuchelmordes angeklagte Garde-Division stellte selbst den Gerichtshof) wieder herausgefischt worden sein, mit Draht umwickelt und mit Steinen beschwert. Woher nahm man so eilig den Draht? Wahrscheinlich vom Rettungsgürtel.

Vorsitzender: »Erinnern Sie sich nicht, daß Leutnant Röpke, die Hand an die Mütze legend, Ihnen gemeldet hat: ›Die Leiche Rosa Luxemburgs ist soeben ins Wasser geworfen worden, wenn Herr Hauptmann sie sehen will, dort schwimmt sie.‹«

Hauptmann Weller: »Als ich auf der Brücke stand, sah ich einen dunklen Gegenstand im Wasser treiben. Da kann vielleicht jemand gesagt haben: ›Da schwimmt sie.‹«

Dieser dunkle Gegenstand ist Rosa Luxemburg.

Dort schwimmt sie, ein dunkler Gegenstand. Die lichten Helden, die sie um die Ecke gebracht haben, fahren um die Ecke zurück, rühmen (zueinander) ihre Tat, zahlen Belohnungen aus, lassen Wein auffahren, sich als Gruppe photographieren: der Jäger Runge, der den ersten Kolbenhieb drosch, darf mit den Herren Offizieren auf das Bild. Großer Sieg.

Ein Menschenleben kann nicht hoch genug bewertet werden.
 

Auf der einen Seite der kleinen Brücke, an der fürsorglich der Rettungsgürtel hängt, ist das Liechtensteinportal des Zoologischen Gartens. Auf der anderen Seite beginnt der Neue See; dort haben zwölf Minuten früher die Kameraden des Leutnants Vogel den Kameraden von Rosa Luxemburg um die Ecke gebracht.

Um die nächste Ecke, erst im Tiergarten, wo vor hundert Jahren die hohen Herren das Wild zu erlegen geruhten. An der ersten Stelle, die dunkel war, ein Seitenweg zweigte ab, zerrte man den beim Ausgang 70 des Eden-Hotels gleichfalls halb erschlagenen Karl LiebknechtLiebknecht Karl, geb. 13. 8. 1871, ermordet 15. 1. 1919. Sohn des Sozialistenführers Wilhelm Liebknecht, kämpfte gegen die kriegsfördernde Politik der SPD; Führer des Spartakus-Bundes und der KPD. Von der durch Noske aufgerüsteten Gegenrevolution grausam ermordet. aus dem Auto und forderte ihn auf, zu Fuß zu gehen. Nach links, obwohl man angeblich nach Moabit wollte, also schnurstracks geradeaus. Aber man mußte ihn doch um die Ecke bringen.

Sechs Offiziere, Kapitänleutnant Horst von Pflugk-Hartung, Leutnant Stiege, Leutnant von Ritgen, Leutnant z. S. Schulze, Hauptmann Heinz von Pflugk-Hartung und der Leutnant d. R. Liepmann, cand. phil., Sohn eines Charlottenburger Justizrats, ein Jude, der sich von keinem Gardeoffizier einen Mangel an schneidiger Bestialität nachsagen lassen wollte, sowie der Jäger zu Pferd Clemens Friedrich führten oder schleppten Karl Liebknecht.

Kapitänleutnant Horst von Pflugk-Hartung feuerte von hinten den ersten Schuß ab, Signal zu dem Bombardement auf Liebknecht. Als dieser tot zusammenbrach, todsicher tot, konnte er auf die Unfallstation gebracht werden, deren Adresse neben dem Rettungsgürtel an der kleinen Brücke angegeben ist.

Es sei ein »unbekannter Spartakist«, sagten sie, wollten zunächst beide Meuchelmorde verheimlichen, gaben dann eine Erklärung heraus, Herr Dr. Liebknecht sei von der vor dem Hotel angesammelten Menschenmenge schwer verletzt worden, habe im Tiergarten flüchten wollen, auf mehrfaches Anrufen nicht haltgemacht und einem Verfolger einen Messerstich versetzt, worauf man ihm nachschoß. Wo Frau Dr. Luxemburg sei, wisse man nicht, verlautbarten ihre Mörder endlich; eine spartakistische Menge habe sie mit dem Ruf »Das ist die Rosa« an der Corneliusbrücke (also nicht um die Ecke, versteht ihr!) vom Wagen geholt und sei mit ihr in der Dunkelheit verschwunden.

All diese Behauptungen wurden selbst vor dem 71 Kameradschaftsgerichtshof nicht aufrechterhalten; sie hatten sich längst als Lügen herausgestellt; vor dem Hotel waren weder Zivilisten, die Karl Liebknecht aus antispartakistischen Gründen tödlich verwundet hatten, noch Zivilisten, die aus spartakistischen Gründen Rosa Luxemburg bei der Corneliusbrücke in die Dunkelheit retteten. Kein Zivilist wußte von der Festnahme und gar vom Abtransport der beiden, kein Zivilist war dem Auto begegnet, als es um die Ecke bog.

Obwohl die Gardekavallerie-Schützendivision aus dem Eden-Hotel das Divisionsgericht stellte, also keinem der Herren Mörder etwas passieren konnte, muß anerkannt werden: alle verleugneten tapfer ihre Mannespflicht, drückten sich, verlangten keinerlei öffentliche Anerkennung von ihrem Chef NoskeNoske Gustav, geb. 1868, gest. November 1946. Deutscher Sozialdemokrat, unterstützte vor und während des ersten Weltkrieges die Rüstungs- und Kolonialmethoden der Wilhelminischen Regierung. Nach dem Kieler Matrosenaufstand wurde er zum Gouverneur von Kiel ernannt und von der Ebert-Scbeidemann-Regierung zum Befehlshaber der Berliner Reichswehrtruppen bestimmt, wo er sofort den Kontakt mit rechtsradikalen Offizieren aufnahm und die Spartakusbewegung blutig niederschlug, wobei es zur Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg kam. Er unternahm nichts gegen die ersten faschistischen Putschversuche und wurde von Göring mit allen Ehren pensioniert. Erst nach dem 20. Juli 1944 vorübergehend ins KZ gebracht, starb er Ende November 1946. und ihrem Oberchef Ebert dafür, daß sie, sieben Mann, Liebknecht überwältigt hatten, und verzichteten auf Orden und Ehren, damit im Interesse von Staat und Gesellschaft die Wahrheit über seinen Tod verschwiegen werde.

Ein Menschenleben kann nicht hoch genug bewertet werden.
 

Das alles fällt einem so ein, wenn man auf dem idyllischen Brücklein steht, an dem fürsorglich ein Rettungsgürtel hängt. 72

 


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