Rudyard Kipling und Wolcott Balestier
Naulahka, das Staatsglück
Rudyard Kipling und Wolcott Balestier

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Siebzehntes Kapitel.

In der Wüste sind die Nächte im Sommer noch heißer als die Tage, denn wenn die Sonne verschwunden ist, strahlen Mauern, Marmor, Sand und Erde die aufgespeicherte Hitze aus, und tiefhängendes Gewölk, das immer Regen verspricht und nie bringt, wehrt ihr jeglichen Ausweg.

Tarvin lag auf der Veranda des Rasthauses, rauchte eine Cigarre und fragte sich, ob sein Einschreiten die Lage des Maharadscha Kunwar wohl verbessert oder verschlimmert haben werde. Er konnte ganz ungestört seinen Gedanken nachhängen, denn auch die letzten Geschäftsreisenden waren, bis zum letzten Moment murrend, nach Kalkutta oder Bombay zurückgekehrt, und der Dâk Bungalow stand jetzt zu seiner alleinigen Verfügung. Seinen Herrschersitz überblickend, dachte Tarvin, Rauchringe blasend, über die verzweifelte und keine Aussicht auf Besserung gewährende Lage nach. Im Grund waren die Dinge jetzt gerade auf dem Punkt angelangt, wo sie ihm am besten gefielen. War der Karren einmal so gründlich verfahren, so brauchte man einen Nikolas Tarvin, um ihn wieder flott zu machen! Käte war halsstarrig, das Naulahka entschlüpfte ihm, der Maharadscha war drauf und dran, ihn aus dem Land zu jagen. Sitabhai hatte mit angehört, daß er sie eines Mordversuchs bezichtigte, sein Leben konnte also in jedem Augenblick ein geheimnisvolles Ende nehmen, wobei ihm nicht einmal der Trost blieb, daß Heckler und die andern Jungen von Topaz ihn rächen würden. Kam es nicht dazu, so sah es doch ganz danach aus, als ob er dieses Leben ohne Käte werde weiterleben müssen, Topaz nicht mit einer neuen Aera würde beschenken können – mit andern Worten, daß es gar nicht der Mühe wert sein würde, überhaupt zu leben.

Das Mondlicht, das die hochgelegene Stadt jenseits des Sandmeers beschien, warf phantastische Schatten auf Tempelkuppeln und Wachtthürme. Ein Nahrung suchender Hund beschnüffelte Tarvins Stuhl, zog sich dann zurück und heulte ihn aus einiger Entfernung an. Es war merkwürdig melancholisch, dieses Hundegeheul. Tarvin rauchte weiter, bis der Mond unterging und die undurchdringliche Finsternis indischer Nächte angebrochen war. Kaum hatte sie ihn ganz eingehüllt, als er sich bewußt ward, daß etwas noch undurchdringlicher Schwarzes zwischen ihm und dem Horizont auftauchte.

»Sind Sie es, Tarvin Sahib?« fragte eine Stimme in gebrochenem Englisch.

Tarvin sprang auf, ohne eine Antwort zu geben. Er fing an, plötzliche Erscheinungen mit einem gewissen Mißtrauen zu betrachten, und seine Hand zuckte nach dem Revolver. In einem Land, das nach dem Muster einer »Feeerie« eingerichtet war, konnte seiner Meinung nach so ziemlich alles passieren!

»Nein, fürchten Sie nichts,« fuhr die Stimme fort. »Ich bin's – Juggut Singh.«

Tarvin saugte nachdenklich an seiner Cigarre.

»Singh heißt in Gokral Sitarun jeder dritte Mensch – was für ein Singh?«

»Juggut Singh vom Haushalt der Maharadscha,«

»Hm . . . will der König mich sprechen?«

Die Gestalt trat lautlos näher.

»Nein, Sahib, die Königin.«

»Welche?« fragte Tarvin abermals.

Jetzt war die Gestalt auf der Veranda selbst dicht an seiner Seite.

»Es gibt nur eine, die den Mut hat, den Palast zu verlassen,« raunte sie ihm zu, »die Zigeunerin!«

Tarvin schnalzte leise mit den Fingern und mit der Zunge; diese Sache ließ sich ja ganz nach seinem Geschmack an!

»Angenehme Empfangsstunden beliebt die Dame,« bemerkte er in triumphierendem Ton.

»Das ist nicht der Ort, darüber zu reden, Sahib. Ich soll sagen: ›Komm zu mir, falls du Dunkelheit nicht fürchtest.‹«

»Wahrhaftig? Nun, sehen Sie, Juggut Singh, über den Punkt müssen wir uns doch ein wenig aussprechen. Ich freue mich wirklich, Frau Sitabhais Bekanntschaft zu machen; aber wo steckt sie denn? Wohin soll ich gehen?«

»Ich sollte sagen: ›Komm zu mir‹ . . . Fürchten Sie sich?«

Dies letztere sagte Juggut Singh aus eigenem Antrieb.

»Ich kann mich auch fürchten, wenn's drauf ankommt, aber jetzt ist davon nicht die Rede,« sagte Tarvin, dicken Rauch aus seiner Cigarre blasend.

»Es sind Pferde da, rasche Pferde. Die Königin will's, folgen Sie mir.«

Tarvin rauchte ruhig weiter – Eile hatte er offenbar nicht. Dann erhob er sich aus dem Schaukelstuhl, als ob er jeden Muskel einzeln in Bewegung setzten müßte. Jetzt zog er den Revolver aus der Tasche, untersuchte dicht unter Juggut Singhs wachsamen Augen die einzelnen Kammern und steckte ihn, dem Begleiter zunickend, wieder in die Tasche.

»So, jetzt kann's losgehen,« sagte er.

Sie gingen um die Veranda herum, an die Rückseite des Hauses, wo zwei Pferde angepflockt standen, die Köpfe mit leinenen Tüchern umhüllt, um sie am Wiehern zu verhindern. Der Mann bestieg das eine, Tarvin das andere, nicht ohne sich vorher überzeugt zu haben, daß der Sattelgurt dieses Mal richtig geschnallt war. Schweigend ritten sie im Schritt davon, von der Straße zur Stadt bald in einen Feldweg einbiegend, der in der Richtung der Hügel führte.

»So,« sagte Juggut Singh, nachdem sie eine Viertelmeile entfernt und in tiefster Einsamkeit unter dem Sternenhimmel waren, »jetzt können wir zureiten!«

Aus den Steigbügeln schlüpfend, legte er sich platt vor auf den Hals des Pferds und begann das Tier rasend anzutreiben. Nur unmittelbare Todesfurcht konnte den verzärtelten Palast-Eunuchen zu einem solchen Tempo bewegen; Tarvin beobachtete, wie die feiste Gestalt auf dem Sattel hin und her rollte, kicherte ein wenig und folgte.

»Als Cowboy würden Sie sich nicht sehr auszeichnen, Juggut,« bemerkte er. »Was meinen Sie?«

»Vorwärts!« rief Juggut Singh keuchend. »Auf die Kluft zwischen den zwei Anhöhen zu halten . . . nur schnell!«

Der trockene Sand stäubte hoch auf unter den Pferdehufen, die heiße Luft pfiff um die Ohren von Mann und Roß, als sie die leichte Steigung nach dem Hügel drei Meilen von der Stadt hinauf jagten. In früheren Jahren, vor der Einführung des Telegraphen in Indien, hatten sich die Opiumhändler der Wüste von niederen Wachtürmen auf den Hügeln aus durch Feuerzeichen über Sinken oder Steigen der Preise verständigt, und eine dieser in den Ruhestand versetzten Meldestationen war das Ziel, dem Juggut Singh zustrebte. Die Pferde fielen in Schritt, sobald die Steigung fühlbarer wurde und die Umrisse des kumpfigen Turmes sich deutlich vom nächtlichen Himmel ablösten. Ein paar Minuten später traten die Pferde statt auf Sand auf festen Marmorboden, und Tarvin sah jetzt, daß sie längs eines bis zum Rand gefüllten großen Sammelbeckens hin ritten.

Ein paar Lichter, die in östlicher Richtung zwinkerten, zeigten ihm, wo Rhatore lag und versetzten Tarvin ganz in die Nacht zurück, wo er von der hinteren Plattform eines Pullman-Wagens aus Topaz lebewohl gesagt hatte. Nachtvögel ließen aus dem Röhricht am gegenüberliegenden Rand des Weihers ihre Stimmen erschallen, und ein großer Fisch schnappte im Wasser nach dem Spiegelbild eines Sterns.

»Der Wachturm ist am andern Ende der Umfassungsmauer,« belehrte ihn Juggut Singh, »und dort ist die Zigeunerin.«

»Wird dieser Name nie in Vergessenheit kommen?« fragte eine Stimme von unvergleichlich schmeichelndem Wohllaut aus der Dunkelheit heraus. »Es ist gut, daß ich sanftmütig bin, sonst würden dich die Fische kennen lernen, Juggut Singh.«

Tarvin riß sein Pferd ungestüm zurück, denn fast unter seinem Zaum stand eine Gestalt, vom Kopf bis zu den Füßen in einen Nebel von hellgelber Seidengaze gehüllt. Sie war seitwärts hinter dem roten Grabstein hervorgetreten, der die Ruhestätte eines einst gefeierten radschputischen Edeln, des Erbauers dieses Sammelbeckens, bezeichnete. Man glaubte im ganzen Land, daß sein Geist nächtlicher Weile hoch zu Roß sein Bauwesen bewache, und das war einer von den Gründen, weshalb der »Dungar Talao« von Sonnenuntergang an gemieden wurde.

»Steigen Sie ab, Tarvin Sahib,« sagte die süße Stimme mit spöttischer Betonung. »Ich bin wenigstens kein grauer Affe. Juggut Singh, du hütest die Pferde unter dem Wachturm!«

»Und schlafen Sie dabei nicht ein, Juggut,« fügte Tarvin hinzu. »Wir könnten Ihrer bedürfen.«

Er sprang vom Pferde und stand vor Sitabhais verschleierter Gestalt.

»Ich wußte, daß Sie kommen würden, Sahib,« sagte sie nach einer Weile, ihm eine Hand hinstreckend, die noch kleiner war als die Kätes. »Ich wußte, daß Sie keine Angst haben.«

Sie hielt seine Hand bei diesen Worten mit leisem zärtlichem Druck fest, und Tarvin griff nun fester zu, vergrub die schlanken Finger ganz in seiner mächtigen Tatze und schüttelte sie, daß der Königin unwillkürlich ein leiser Wehruf entfuhr.

»Bei Indur, der Mann kann zufassen,« murmelte sie vor sich hin, während er laut und herzhaft versicherte, daß er sehr erfreut sei, endlich ihre Bekanntschaft zu machen.

»Ich freue mich auch, Sie zu sehen,« erwiderte sie.

Die Stimme war wirklich berückend – wie nur das verschleierte Gesicht aussehen mochte, fragte sich Tarvin.

Gelassen ließ die Königin sich auf der Steinplatte des Grabmals nieder und winkte ihm, sich an ihre Seite zu setzen.

»Weiße Männer lieben offene Rede,« begann sie, langsam die Worte suchend und in einigem Kampf mit der Aussprache des Englischen. »Sagen Sie mir, Tarvin Sahib, wieviel Sie wirklich wissen?«

Sie zog bei diesen Worten den Schleier weg und wandte ihm ihr Gesicht zu. Bei Gott – schön war sie. Diese Wahrnehmung drängte sich unmerklich zwischen Tarvins vorgefaßte Meinungen.

»Sie werden doch nicht verlangen, daß ich mich selbst aufgebe, Königin?«

»Ich verstehe nicht, was Sie damit meinen, aber ich weiß, daß Sie anders sprechen als andre weiße Männer,« versetzte sie in ihren süßesten Tönen.

»Nun, mit andern Worten, Sie werden doch nicht erwarten, daß ich Ihnen die Wahrheit sage?«

»Nein, sonst würden Sie mir sagen, weshalb Sie hier sind. Aber warum machen Sie mir so viel Mühe?«

»Thue ich das, Königin?«

Sitabhai lachte, wobei sie den Kopf zurückwarf und die Hände im Nacken verschränkte. Talvin beobachtete sie neugierig beim Licht der Sterne. Mit allen Sinnen war er hell wach und auf seiner Hut; von Zeit zu Zeit spähte er scharf aus nach allen Seiten, aber nichts war wahrzunehmen als der schwache Glanz des Wassers, das leise gegen die Marmorstufen plätscherte, nur Eulenrufe unterbrachen die tiefe Stille.

»O Tarvin Sahib!« sagte sie. »Als ob Sie's nicht wüßten! Aber nach dem ersten Mal that mir's leid.«

»Bitte, wann war denn das erste Mal?«

»Als der Sattel sich drehte, natürlich. Als dann der Balken vom Gerüst fiel, glaubte ich wenigstens Ihr Pferd getroffen zu haben – war es nicht verletzt?«

»Nein,« sagte Tarvin, den diese unverblümte Offenheit denn doch verblüffte.

»Das wußten Sie ja doch,« bemerkte sie beinah vorwurfsvoll.

Tarvin schüttelte den Kopf.

»Nein, meine verehrte Königin, nein,« gestand er langsam und nachdrücklich, »zu meiner Schande sei's gesagt, ich vermutete Sitabhai nicht dahinter. Jetzt dämmert mir so manches . . . der kleine Scherz am Damm war wohl auch Ihre Erfindung, und die Notbrücke mit den Löchern und die Büffelkarren, die an der Böschung herunter rutschten? Und das alles habe ich der Nachlässigkeit dieses Volks in die Schuhe geschoben! Da soll doch . . .«

Er stieß einen Pfiff aus, der sofort in dem heiseren Gekrächz einer Weihe Antwort fand.

Aufspringend griff Sitabhai in ihr Gewand.

»Ein Signal!« entfuhr es ihr, aber gleich darauf ließ sie sich wieder beruhigt neben Tarvin nieder. »Nein, Sie haben ja niemand mitbringen können und Sie fürchteten sich auch nicht, allein zu gehen, das weiß ich ja.«

»Fällt mir gar nicht ein, daß ich den Versuch machte, Sie umzubringen, meine Schönste, thäte mir leid um Ihre erfinderische systematische Teufelei, die ich höchlich bewundere! Also Ihnen danke ich all die netten Abenteuer! Das mit dem Triebsand war besonders hübsch. Führen Sie das öfter aus?«

»Ach, Sie meinen beim Damm?« fragte die Königin leichthin. »Nein, ich gab damals nur den Befehl, daß die Leute ihr Möglichstes thun sollen, aber viel Scharfsinn haben sie eben nicht – was kann man auch von Kulis erwarten! Ich war sehr ärgerlich, als mir gemeldet wurde, wie sie's angestellt hatten.«

»Den Boten haben Sie wohl umgebracht?«

»Nein, weshalb denn?«

»Wenn man einmal nach dem Warum fragt, möchte ich wohl wissen, weshalb Sie so darauf erpicht sind, mich umzubringen,« fragte Tarvin trocken.

»Weil ich nicht will, daß weiße Männer sich hier aufhalten, und von Ihnen wußte ich gleich, daß Sie bleiben wollen. Ueberdies hat der Maharadscha einen Affen an Ihnen gefressen und einen weißen Mann hatte ich noch nie getötet. Zudem gefallen Sie mir!«

»Oho!« rief Tarvin.

»Bei Malang Shah, es ist so, und Sie haben es nie gemerkt.«

Sie schwur bei ihrem eigenen Gott, dem Gott der fahrenden Leute.

»Verschwören Sie lieber nichts,« versetzte Tarvin.

»Und meinen Lieblingsaffen haben Sie mir erschossen,« fuhr sie fort. »Er hat jeden Morgen so hübsch vor mir gesalaamt, genau wie Luchman Rao, der Staatsminister. Tarvin Sahib, ich habe viele Engländer gekannt. Ich habe auf dem losen Seil getanzt vor den Kasinozelten der Offiziere, wenn die Regimenter auf dem Marsch begriffen waren, und meine kleine Bettelbüchse dem großen bärtigen Obersten hingehalten, als ich ihm noch nicht bis ans Knie reichte. Und als ich älter geworden war, glaubte ich das Herz der Männer zu kennen durch und durch, aber bei Malang Shah, Tarvin Sahib, einen Mann wie Sie hatte ich nie gesehen! O sagen Sie nicht,« setzte sie beinahe flehend hinzu, »Sie hätten's nicht gewußt! In meiner Sprache gibt's ein Liebeslied, das heißt: ›Von Mond zu Mond nicht schlief ich deinetwegen‹, und das paßt genau auf mich. Manchmal ist mir's, als ob ich doch nicht so ernstlich gewünscht hätte, Sie sterben zu sehen, aber besser wär's ja freilich, viel besser, Sie wären tot. Ich und ich allein herrsche in diesem Staat. Und nun, nachdem Sie dem König gesagt haben . . .«

»Das haben Sie mit angehört, ja?«

Sie nickte flüchtig.

»Nachdem Sie das gesagt haben, sehe ich eigentlich keine andre Möglichkeit mehr, außer Sie gingen fort.«

»Ich gehe nicht.«

»Das ist gut,« sagte die Königin auflachend. »Da werde ich also Ihren Anblick nicht entbehren, soll Sie Tag für Tag im Hof stehen sehen! Heute dachte ich, die Sonne müßte Sie töten, als Sie so lang auf den Maharadscha warteten! Sie sind mir auch noch Dank schuldig, Tarvin Sahib, denn ich habe den Maharadscha hinausgeschickt zu Ihnen. Anstatt dessen spielten Sie mir einen schlimmen Streich!«

»Meine liebe junge Dame,« sagte Tarvin mit großem Ernst, »wenn Sie Ihre boshaften kleinen Krallen einziehen wollten, würde kein Mensch Ihnen etwas zu leide thun. Aber des Maharadscha Kunwar wegen kann ich Ihnen nicht weichen. Ich bin hier, um den Knaben am Leben zu erhalten. Bleiben Sie aus dem Gras, und ich geb's auf.«

»Das verstehe ich wiederum nicht,« versetzte Sitabhai betroffen. »Was kann Ihnen, dem Fremden, das Leben eines kleinen Kindes bedeuten?«

»Was es mir bedeutet? Was es allen anständigen Menschen bedeuten würde, das Leben eines schuldlosen Kindes. Braucht's da besondere Gründe? Ist Ihnen denn gar nichts heilig?«

»Ich habe auch einen Sohn, und mein Kind ist kräftig,« sagte die Königin mit Nachdruck. »Tarvin Sahib der Knabe war kränklich von Geburt an. Wie soll er über Männer herrschen? Mein Sohn wird ein echter Radschpute werden und in künftigen Zeiten . . . doch was kümmert das einen Fremden, einen weißen Mann! Lassen Sie den Kleinen heimgehen zu seinen Göttern, Tarvin Sahib!«

»Nicht, wenn ich's hindern kann!« entgegnete Tarvin bestimmt.

»Wenn er nicht stirbt,« sprudelte die Königin weiter, »kann er neunzig Jahre lang elend dahinsiechen. Ich kenne die entartete, unreine Rasse, aus der er stammt. Ja, an den Thoren des Palastes habe ich gesungen, als wir beide Kinder waren, seine Mutter und ich – ich stand im Staub der Landstraße, sie saß in ihrer Hochzeitssänfte. Heute liegt sie im Staub. Tarvin Sahib,« – die Stimme schmolz in süßem Flehen – »mein Schoß wird keinen zweiten Sohn tragen, aber von meinem Platz hinterm Vorhang könnte ich wenigstens diesen Staat modeln, wie es viele Königinnen vor mir gethan haben. Ich bin keine Palastpflanze. Die da drinnen« – sie deutete verächtlich auf die zwinkernden Lichter der Stadt – »haben nie ein Kornfeld wogen gesehen, nie den Wind pfeifen gehört, sind nie im Sattel gesessen, sie haben nie auf offener Straße Aug' im Auge mit einem Mann gesprochen. Mich nennen sie die Zigeunerin, und wenn es mir einfällt, die Hand zum Bart des Maharadscha zu erheben, so verkriechen sie sich schaudernd in ihre Schleier wie fette Schnecken in ihr Haus. Ihre Barden singen von zwölfhundertjähriger Vergangenheit ihrer Vorfahren. Ja, ihr Adel ist alt! Aber bei Indur und Allah und bei dem Gott Ihrer Missionare, an Sitabhai sollen sich ihre Kinder und Kindeskinder und die englische Regierung zweimal zwölfhundert Jahre erinnern! Ahi, Tarvin Sahib, Sie wissen nicht, wie klug mein kleiner Sohn ist! Ich lasse ihn nicht zu den Missionaren gehen. Alles, was er später brauchen wird, und es gehört viel dazu, einen Staat wie diesen zu regieren, soll er von mir lernen, denn ich habe die Welt gesehen und das Leben und bin wissend geworden. Und bis Sie kamen, ging alles so glatt, so glatt, so schlankweg aufs Ziel zu. Der andre Knabe wäre gestorben – jawohl, dann wäre uns nichts mehr im Wege gestanden. Und keine Menschenseele im ganzen Palast, weder Mann noch Weib, würde je gewagt haben, dem König ins Ohr zu flüstern, was Sie laut im Licht der Sonne durch den Hof schreien! Nun wird der Argwohn nicht mehr einschlummern in des Königs Sinn und – ich weiß, ich weiß nicht . . .« sie beugte sich vor, um ihm recht in die Augen zu sehen, »Tarvin Sahib, wenn ich in dieser Nacht die Wahrheit geredet habe, so sagen Sie mir wenigstens, wie viel Sie wissen!«

Tarvin beharrte bei finsterem Schweigen; bittend legte sie ihm eine Hand aufs Knie.

»Und niemand würde Verdacht geschöpft haben! Als die Damen des Vizekönigs voriges Jahr hier waren, gab ich aus meinem eigenen Schatz fünfundzwanzigtausend Rupien für das Kinderspital, und die Dame Sahib küßte mich auf beide Wangen, und ich sprach englisch mit ihr und zeigte ihr, wie ich meine Zeit zubringe – mit Stricken! Ich, die ich Männerherzen zu bestricken und zu zerpflücken vermag!«

Dieses Mal pfiff Tarvin nicht; er lächelte nur und murmelte etwas Beifälliges. Der großartige, meisterliche Zug in ihrer Schlechtigkeit und die kühle Gelassenheit, womit sie ihr Uebelthun betrieb, verliehen ihr eine gewisse Vornehmheit. Vielleicht aber war es ihre vollendete Schönheit, die ihm noch mehr Achtung einflößte; für Frauenschönheit ist der Westamerikaner vor allem zugänglich. Sitabhai imponierte ihm. Es war richtig, ihre Anschläge gegen ihn waren ja mißlungen, aber daß sie ausgeführt worden waren, ohne daß er's gemerkt hatte, erfüllte ihn beinahe mit Verehrung.

»Jetzt werden Sie zu begreifen anfangen, daß hier etwas mehr auf dem Spiel steht als ein kränkliches Kind,« fuhr die Königin fort. »Wollen Sie wirklich dem Oberst Nolan die Geschichte zutragen, Tarvin Sahib?«

»Wenn Sie nicht gesonnen sind, Ihre Hand vom Maharadscha Kunwar zu lassen, allerdings,« erwiderte Tarvin, der seinen persönlichen Gefühlen in geschäftlichen Dingen nie Raum gab.

»Klug ist es nicht,« erklärte die Königin. »Der Oberst wird dem König viel Unlust und Scherereien bereiten, der König wird im Palast großen Wirrwarr anrichten und bis auf einige wenige werden alle meine Dienerinnen gegen mich zeugen, so daß der Verdacht vielleicht sehr stark werden wird. Sie denken dann vielleicht, Sie hätten mich ja gewarnt, aber, Tarvin Sahib, ewig können Sie doch nicht hier bleiben, meinen Tod können Sie nicht abwarten, und sobald Sie Rhatore den Rücken kehren . . .« sie schnalzte zur Ergänzung ihres Satzes mit den Fingern.

»Diese Möglichkeit soll Ihnen genommen werden,« versetzte Tarvin unerschüttert. »Lassen Sie das nur meine Sorge sein. Wofür halten Sie mich denn?«

Die Königin nagte in innerer Unschlüssigkeit am Rücken ihres Zeigefingers. Was dieser Mann, der heil und ganz aus allen ihren Anschlägen hervorgegangen war, noch ausrichten würde oder nicht, war nicht abzusehen. Hätte sie es mit einem aus ihrem Volke zu thun gehabt, sie würde Drohung gegen Drohung ausgespielt haben, aber diese vollständig kraftbewußte Gestalt, die in leichter, unbefangener Haltung neben ihr saß und doch jede ihrer Bewegungen beobachtete, immer sprungbereit auf der Lauer lag, einzig und allein sich selbst vertrauend, war eine unberechenbare Gewalt, die sie verblüffte und um ihre Sicherheit brachte.

Ein bescheidenes Hüsteln ließ sich hören, und Juggut Singh kam herbeigewatschelt, um unter demütigen Verbeugungen der Königin einige Worte ins Ohr zu flüstern. Sie lachte spöttisch und schickte ihn auf seinen Posten zurück.

»Er sagt, die Nacht gehe auf die Neige und es koste mein und sein Leben, wenn wir beim Morgengrauen außerhalb des Palastes wären.«

»Dann will ich Sie nicht aufhalten,« sagte Tarvin, indem er aufstand. »Ich glaube, daß wir einander verstanden haben,« – er beugte sich hinunter, um ihr in die Augen zu sehen, – »Hände weg! heißt die Losung.«

»Ich soll also nicht mehr thun dürfen, was mir gefällt? Sie wollen morgen zum Oberst gehen?«

»Je nachdem,« sagte Tarvin kurz.

Als er jetzt wieder auf sie niedersah, schob er die Hand in seine Brusttasche.

»Setzen Sie sich noch einen Augenblick, Tarvin Sahib,« sagte sie, einladend mit der Handfläche auf die Steinplatte klopfend.

Tarvin gehorchte.

»Wenn ich keine Balken mehr stürzen lasse und die grauen Affen an der Kette halte . . .«

»Und den Triebsand im Flußbett wegschaffe,« ergänzte Tarvin mit grimmigem Lächeln. »Ich verstehe! Mein lieber kleiner Feuerteufel, das können Sie nach Belieben halten! Ich möchte Sie Ihrer kleinen Freuden gewiß nicht berauben!«

»Das war dumm von mir – ich hätte ja wissen müssen, daß keine Gefahr Sie schreckt,« sagte sie, bedächtig zu ihm hinüber schielend, »und mich schreckt kein Mann außer Ihnen, Tarvin Sahib. Wenn Sie ein König wären und ich die Königin, wir beide würden Hindostan in unsern Händen halten.«

Bei diesen Worten umfaßte sie seine geschlossene Faust, und eingedenk des Griffes in ihr Gewand, den sie bei seinem Pfiff gethan hatte, legte Tarvin die andre Hand über die ihrigen und hielt sie fest.

»Gibt es gar keinen Preis, Tarvin Sahib, wofür ich mir die Freiheit erkaufen könnte? Was ist's, wonach Sie trachten? Um den Maharadscha Kunwar am Leben zu erhalten, sind Sie doch nicht nach Indien gekommen!«

»Woher wissen Sie, ob dem nicht so ist?«

»Sie sind sehr klug,« sagte sie mit silbernem Lachen, »aber man muß nicht noch klüger scheinen wollen, als man ist! Soll ich Ihnen sagen, weshalb Sie gekommen sind?«

»Nun, warum? Sprechen Sie.«

»Sie sind hierher gekommen, wie Sie in den Tempel des Isvara gingen, um etwas zu suchen, was Sie nie finden werden, außer« – sie lehnte sich an seine Schulter – »Sitabhai hilft Ihnen. War es sehr kalt im Kuhmaul, Tarvin Sahib?«

Tarvin steifte seinen Nacken und seine Stirn furchte sich, aber weiter verriet er sich nicht.

»Damals hatte ich Angst, die Schlangen könnten Sie gebissen haben . . .«

»Wahrhaftig?«

»Ja, gewiß,« sagte sie sanft. »Und neulich war ich in Sorge, Sie könnten nicht rasch genug zurücktreten von dem Wippstein im Tempel.«

»Wahrhaftig?«

»Jawohl. Ach, ich wußte genau, wonach Ihr Sinn stand, ich wußte es, noch eh' Sie dem König Ihre Bitte vorgetragen hatten – damals, als die Leibwache gegen Sie anritt.«

»Wirklich nett! Sie stehen in Ihren Mußestunden wohl einem Privatauskunftsbureau vor?«

Sie lachte.

»Im Palast singt man jetzt Lieder von Ihrer Tapferkeit, aber die kühnste Ihrer Thaten ist, daß Sie mit dem Maharadscha vom Naulahka gesprochen! Er hat mir genau erzählt, was Sie gesagt haben, aber daß Sie, daß ein ›Feringhi‹ nach seinem Besitz lüstern sein könnte, das hat auch er sich nicht träumen lassen! Und ich, ich war gut – ich hab's ihm nicht gesagt. Tarvin Sahib,« fuhr sie fort, indem sie ihre Hände aus seinem Griff befreite und ihm die eine zärtlich auf die Schulter legte, »Sie und ich, wir gehören zusammen, wir sind Eines Geistes Kinder! Leichter ist es, diesen Staat zu regieren, nein, leichter wäre es noch, von diesem Staat aus ganz Hindostan zu erobern und die weißen Hunde, die Engländer, hinauszutreiben, als das, was Sie zu vollbringen träumen. Aber ein starkes Herz macht alles möglich, alles leicht. Begehren Sie für sich selbst nach dem Naulahka, Tarvin Sahib, oder für einen andern, gerade wie ich Gokral Sitarun besitzen will für meinen Sohn? Kleinlich sind wir beide nicht. Ist es für einen andern, Tarvin Sahib?«

»Sagen Sie mir,« fragte Tarvin achtungsvoll, indem er ihre Hand von seiner Schulter löste und wieder fest umspannt hielt, »gibt es viele wie Sie in Indien?«

»Nur eine. Ich bin wie Sie einzig und – einsam.«

Ihr Kinn neigte sich gegen seine Schulter und die dunkeln Augen blickten von unten zu ihm auf, geheimnisvoll wie die Wasserfläche, an deren Rand sie saßen. Die brennenden Lippen und die beweglichen, zuckenden Nüstern waren so dicht in seiner Nähe, daß ihr duftender Atem seine Wangen streifte.

»Wollen Sie auch Staaten beherrschen wie ich, Tarvin Sahib? Nein, Ihr Dichten und Trachten gilt einem Weib. Ihre Regierung denkt für Sie, und Sie thun, was Ihnen befohlen wird. Ich habe den Kanal, den die Regierung durch meinen Orangengarten führen wollte, einen andern Weg gehen heißen, wie ich den König meinen Willen beugen und den Knaben töten und Gokral Sitarun beherrschen werde durch meinen Sohn! Aber Sie, Tarvin Sahib, Sie begehren nichts als ein Weib! Ist es nicht so? Ach, und sie ist zu klein und zu schmächtig, um die Last des Staatsglücks zu tragen. Sie wird ja bleicher und bleicher von Tag zu Tag.«

Sie fühlte, wie Tarvin zusammenzuckte, aber er sagte nichts. Aus dem Dickicht von Schilf und Buschwerk, das am jenseitigen Ufer des Teiches stand, ertönte ein heiseres, bellendes Husten, das von den Höhen widerhallte und den ganzen Umkreis mit Schrecken erfüllte, wie Wasser eine Schale füllt. Tarvin sprang auf: er hörte ihn zum erstenmal, den zornigen Klagelaut des Tigers, der ums Morgengrauen nach fruchtloser nächtlicher Jagd sein Lager aufsucht.

»Das hat nichts zu bedeuten,« sagte die Königin, ohne mit der Wimper zu zucken. »Es ist nur der Tiger, der beim Dungar Talao haust. Ich habe ihrer viele heulen hören, als ich noch eine Zigeunerin war, und wenn er auch hierher käme – Sie würden ihn niederschießen wie meinen Affen, nicht wahr?«

Sie drängte sich an ihn und zog ihn zu sich hernieder; unwillkürlich legte er den Arm um ihre Gestalt.

Der Schatten des Tieres glitt über eine offene Stelle im Röhricht, lautlos wie Distelwolle durch die Sommerluft gleitet, und Tarvins Hand schloß sich enger um den blühenden Leib – seine Hand ruhte plötzlich auf einem gebuckelten Gürtel, der sich durch all die Hüllen von Seidengaze kalt anfühlte.

»So klein und so schmächtig – wie sollte sie es tragen?« fuhr die Königin leise fort.

Sie machte eine leise Wendung in seinem Arm, und Tarvins Hand faßte ein zweites, ein drittes Glied der breiten Kette, alle wie das erste mit hohen Buckeln, und nun drückte sich sein Ellbogen gegen eine große viereckige Schnalle. Mit entfärbten Lippen, aber seine Bewegung meisternd, zog er Sitabhai noch näher an sich.

»Aber wir beide,« fuhr sie ganz leise fort, traumverloren zu ihm aufblickend, »wir könnten dieses Königreich zum Kampf aufhetzen wie die Wasserbüffel im Frühling. Möchten Sie mein Minister sein, Tarvin Sahib, und Staatsgeschäfte mit mir beraten durch den Vorhang?«

»Ich zweifle, ob ich Ihnen vertrauen könnte,« sagte Tarvin schroff.

»Und ich zweifle, ob ich mir trauen könnte,« versetzte die Königin. »Es könnte sein, daß ich zur Dienerin würde, ich, die ich allezeit Herrscherin war! Ich war nahe daran, mein Herz unter die Hufe Ihres Rosses zu werfen, nicht einmal, sondern oft . . .«

Sie schlang Ihre Arme um seinen Hals und verschränkte die Hände in seinem Nacken; sein Gesicht zu sich herunterziehend, blickte sie ihm tief in die Augen.

»Ist es so wenig,« girrte sie, »wenn ich Sie zu meinem König mache? In den alten Zeiten, ehe wir das indische Kaiserreich hatten, kamen Engländer herüber, Männer ohne Rang und Titel, sie wußten sich ins Herz einer Begum zu stehlen und führten ihre Soldaten ins Feld . . . sie waren Könige, nur nicht dem Namen nach. Wer weiß, ob die alten Zeiten nicht wiederkehren . . . dann könnten wir miteinander unsre Heere führen.«

»Das läßt sich hören! Halten Sie mir jedenfalls den Posten offen, vielleicht bewerbe ich mich darum, wenn ich daheim etliches erledigt habe.«

»Sie wollen fort? Sie wollen uns bald verlassen?«

»Sobald ich in Händen habe, was ich haben will, meine Liebe,« erwiderte er, sie fester an sich drückend.

Sie biß sich auf die Lippen, sagte aber sanft: »Ich hätte mir's denken können! Auch ich gebe nie auf, wonach mich einmal verlangt hat. Nun, was ist es denn?«

Ihr Kopf sank vollends auf seine Schulter, um die Mundwinkel zuckte es schmerzlich. Herunter blickend, entdeckte er den rubinenen Griff eines Dolchs zwischen den Falten des hängenden Gewandes.

Mit einer raschen Bewegung löste er sich aus den umschlingenden Armen und sprang auf. Sie sah hinreißend aus, wie sie in dem dämmernden Licht die Arme flehend nach ihm ausstreckte, aber Tarvin hatte jetzt andre Dinge zu bedenken. Wie er sie jetzt ansah, mußte sie die Blicke senken.

»Ich will, was Sie um den Leib tragen – darum bitte ich.«

»Der weiße Mann denkt nur an Geldeswert, das hätte ich wissen können,« rief sie verächtlich, löste eine silberne Kette von ihrem Gewand und warf sie ihm hin, daß sie klirrend auf die Marmorplatte schlug.

Tarvin würdigte das Ding keines Blicks.

»Sie kennen mich besser,« sagte er ruhig. »Kommen Sie, halten Sie die Hände auf – die Komödie ist zu Ende.«

»Ich verstehe nicht . . . soll ich Ihnen etwa ein paar Rupien geben?« höhnte sie. »Sputen Sie sich mit Ihren Wünschen, Juggut Singh bringt die Pferde.«

»Das soll schnell geschehen sein. Ich will das Naulahka haben.«

»Das Naulahka?«

»Jawohl. Ich habe wackelige Brücken und ungegürtete Pferde und schlecht gebaute Gerüste und trügerischen Flugsand satt. Ich will das Halsband haben.«

»Und Sie überlassen mir den Prinzen?«

»Nein, weder den Prinzen, noch das Halsband.«

»Und werden Sie morgen früh zum Oberst gehen?«

»Der Morgen ist schon da. Entscheiden Sie sich rasch.«

»Werden Sie zum Oberst gehen?« wiederholte sie, dicht vor ihn hintretend.

»Gewiß, falls Sie mir das Halsband nicht geben.«

»Und wenn ich's Ihnen gebe?«

»So gehe ich nicht hin. Soll der Handel gelten?«

Genau dasselbe hatte Tarvin zu Frau Mutrie gesagt.

Die Königin sah verzweifelt zu dem Morgenstern empor, der am östlichen Himmel zu verblassen begann. Wenn der Tag sie außerhalb des Palastes fand, konnte selbst des Königs Wille sie nicht vor dem Tod bewahren.

Und dieser Mann sprach, als ob er ihr Leben in Händen hielte, und dem war auch so, sie wußte es wohl. Wenn er Beweise hatte, würde er sie ohne Bedenken dem Maharadscha vorlegen, und wenn der Maharadscha zu begreifen, zu zweifeln anfing – Sitabhai war's, als ob sie den kalten Stahl schon an ihrem schlanken Hals fühle. Dann würde sie sicher nicht als Begründerin einer Dynastie gefeiert werden, eine Namenlose mehr, die im Palast verschwand, das war ihr Schicksal. Des Königs Begriffsvermögen war ja barmherzigerweise zu umnebelt gewesen, um Tarvins Verdächtigungen in ihrer ganzen Tragweite zu erfassen, aber jetzt war sie wehrlos allem preisgegeben, was dieser rücksichtslos entschlossene Fremde gegen sie unternehmen wollte. Mindestens konnte er den ungreifbaren Argwohn eines indischen Hofstaates gegen sie entfesseln, konnte durch Oberst Nolans Vermittlung den Maharadscha Kunwar vollständig ihrer Macht entziehen, und schlimmstenfalls – sie mochte den Gedanken nicht weiter verfolgen.

In ihrem innersten Herzen fluchte sie der erbärmlichen Neigung, die sie für den Mann empfand und die sie gehindert hatte, ihn zu töten vorhin, als ihre Arme ihn umfangen hielten. Ihn zu töten, war ihr fester Entschluß gewesen, als sie herkam, dann hatte es sie gereizt sich mit ihm zu messen, und schließlich hatte sie mit dem berückenden Gefühl, sich von einem stärkeren Willen beherrscht zu fühlen, zu lange ihr Spiel getrieben. Aber noch war es ja Zeit . . .

»Und wenn ich Ihnen das Naulahka nicht gebe?«

»So wissen Sie wohl am besten, was die Folge sein wird.«

Ihr Blick schweifte über die weite Ebene und sie merkte, daß die Sterne nur noch schwache Leuchtkraft hatten. Die tiefschwarze Wasserfläche wurde heller, sie schimmerte jetzt grau und im Röhricht erwachten die wilden Vögel. Die Morgendämmerung war ihr auf den Fersen, erbarmungslos gleich diesem Mann. Juggut Singh führte die Pferde vor; mit verzweifelten Gebärden drängte er zum Aufbruch. Der Himmel war gegen sie und auf Erden keine Hilfe.

Sie legte die Hände auf den Rücken. Tarvin hörte ein scharfes Knacken, und wie eine Feuerschlange lag das Halsband zu ihren Füßen.

Ohne ihm oder dem Schmuck den Blick zuzukehren, schritt sie auf die Pferde zu. Tarvin bückte sich rasch und riß den Schatz an sich. Während er das Halsband in seine Brusttasche zwängte, faßte er mit der andern Hand nach dem Zügel des Pferdes, das Juggut Singh losgelassen hatte.

Wieder überzeugte er sich, ob der Sattelgurt in Ordnung sei. Sitabhai, die hinter ihr Pferd getreten war, zögerte aufzusteigen.

»Leben Sie wohl, Tarvin Sahib! Vergessen Sie die Zigeunerin nicht,« sagte sie, den einen Arm über den Hals des Pferdes ausstreckend. »Hehi!«

Tarvin sah einen Lichtblitz aufzucken und im nächsten Augenblick den rubinfunkelnden Dolchgriff in die Satteldecke fahren, nur einen Zoll über seiner rechten Schulter. Mit einem Schmerzenslaut rannte sein Pferd auf den Hengst der Königin zu.

»Töte ihn, Juggut Singh!« rief sie, auf Tarvin deutend, dem feisten Eunuchen zu, der sich eben schwerfällig in den Sattel hob. »Töte ihn!«

Tarvins Hand umfaßte ihr zartes Handgelenk wie eine eiserne Klammer.

»Nur sachte, Teuerste! Sachte!«

Sie sah ihn betroffen an.

»Ich will Sie aufs Pferd heben,« sagte Tarvin.

Er umschlang sie mit beiden Armen und schwang sie in den Sattel.

»Jetzt noch einen Kuß,« sagte er, zu ihr aufblickend.

Sie beugte sich herunter.

»Nein, nicht Sie,« sagte er, ihre beiden Hände gefangen nehmend und sie herzhaft auf den Mund küssend.

Dann versetzte er dem Pferde einen schallenden Schlag auf die Flanken, daß das Tier den Abhang hinunterstolperte und über die Ebene jagte.

Nachdem Tarvin der Wolke von Staub und fliegenden Steinen, worin Sitabhai und ihr Begleiter verschwanden, eine Weile nachgesehen hatte, that er einen tiefen Atemzug der Erleichterung und wandte sich dem Teich zu. Auf der Steinplatte des Grabmals zog er das Naulahka hervor, breitete es zärtlich auf seinen Händen aus und weidete seine Augen daran.

Die Steine funkelten im Morgenrot und machten die wechselnden Farben der Hügel zuschanden. Wie sie am Hals des kleinen Prinzen den Fackelschein überstrahlt hatten, so nahmen sie jetzt den Wettkampf auf mit der roten Glut, die plötzlich hinter dem Röhricht aufschoß, und bezwangen auch diese. Das zarte, frische Grün der Binsen, das tiefe starke Blau des ruhenden Wassers, den Perlmutterschimmer der blitzschnell dahinschießenden Fische und auch die ersten blendenden Sonnenstrahlen, die über den Spiegel des Wassers hinschossen und leise Kreise zogen, als ob ein Flug Rebhühner ihn mit den Flügeln gestreift hätte – das Halsband überstrahlte alles. Nur der schwarze Diamant fühlte sie nicht mit, die Freudigkeit des werdenden Tages, er ruhte unter den funkensprühenden Genossen finster und rotherzig wie die bange Nacht, der Tarvin ihn entrissen hatte.

Tarvin ließ die Steine einen nach dem andern durch die Hand gleiten. Es waren ihrer fünfundvierzig, einer wie der andre tadellos, von reinstem Wasser. Damit von ihrer Schönheit nichts verloren gehe, waren sie nur in fadendünne Goldreifchen gefaßt und bewegten sich frei auf dem mattgoldenen Band, das sie aneinander reihte. Jeder einzelne davon hätte eines Königs Lösegeld bilden können, wog den guten Namen einer Königin auf.

Das war eine gute Viertelstunde für Tarvin, der Brennpunkt seines Lebens. Die Zukunft von Topaz war gesichert.

Die Wildenten strichen hin und her auf dem Teich, die Kraniche riefen einander zu und stolzierten durch das Röhricht, das über ihren scharlachroten Köpfen zusammenschlug. Aus irgend einem Tempel, der in einer Ritze des zerklüfteten Hügellandes stecken mochte, erklang das Morgenlied, das der Priester bei seinem Frühopfer anstimmt, und von der Stadt trug ein leichter Wind die Klänge des Trommelwirbels herüber, womit den Bewohnern angezeigt wurde, daß die Thore offen stehen und der Tag erschienen ist.

Tarvin blickte auf von seinem Schatz. Vor seinen Füßen lag Sitabhais funkelnder Dolch; er griff nach der zierlichen Waffe und warf sie in den Teich.

»Und nun geht's an Käte,« sagte er sich.


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