Rudyard Kipling und Wolcott Balestier
Naulahka, das Staatsglück
Rudyard Kipling und Wolcott Balestier

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Siebentes Kapitel.

Ein Rasthaus fürs allgemeine Beste in der Wüste leidet nicht am Ueberfluß von Möbeln und Teppichen. Ein Tisch, zwei Sessel, eine Bettstelle, ein Kleiderrechen, und unter Glas und Rahmen der Tarif, genügen als »Zimmereinrichtung«. Bettstücke und Wäsche führen die Reisenden mit sich. Tarvin studierte diesen Tarif mit großer Aufmerksamkeit, ehe ihm die Augen zufielen, und erfuhr dadurch, daß ein indischer »Dâk Bungalow« nur sehr entfernte Aehnlichkeit mit einem Gasthaus hat, und daß er stets der Gefahr ausgesetzt war, sein ungemütliches Zimmer verlassen zu müssen, wenn neue Reisende es in Anspruch nehmen sollten – nur vierundzwanzig Stunden dauerte der Rechtsanspruch darauf.

Ehe er zu Bett ging, ließ er sich Feder und Tinte geben und schrieb auf einem Briefbogen seiner »Land- und Boden-Verbesserungsgesellschaft« an Frau Mutrie. Am Kopf des Bögchens war eine Landkarte von Colorado aufgedruckt, die Topaz zuversichtlich als Mittelpunkt des ganzen westlichen Eisenbahnnetzes zeigte, und seitwärts davon prangte der selbstverliehene Titel: »N. Tarvin, Versicherungs- und Liegenschaftsagent«. Der Ton seines Briefes war aber noch zuversichtlicher als der Schmuck dieses Briefblatts.

In dieser Nacht träumte er, daß der Maharadscha ihm das Naulahka gegen Bauplätze in Topaz abtrete. Als der Handel schon dem Abschluß nahe war, wurde seine Majestät indessen störrisch und verlangte, Tarvin solle seine Lieblingsmine, die »Zögernde Ader« auch noch drangeben, um den Wert des Naulahka aufzuwiegen. Tarvin wollte auf diese Bedingungen nicht eingehen, da sagte aber der Radscha ganz schneidig: »Wie du willst, mein Sohn, dann kommt eben die C. C. C, nicht nach Topaz!« und Tarvin gab nach, hing Frau Mutrie das Naulahka um den Hals und hörte im selben Augenblick den Präsidenten des Parlaments von Colorado feierlich verkündigen, daß er Topaz, nachdem es Knotenpunkt der drei C. geworden sei, für die politische Hauptstadt des Westens erkläre. Mit einemmal merkte Tarvin, daß dieser Präsident kein andrer war als er selbst, was ihm einige Zweifel an der Richtigkeit seiner Erklärung einflößte, und mit einem bitteren Geschmack im Munde wachte er auf, um den Morgen über Rhatore dämmern zu sehen und den Forderungen der Wirklichkeit zu begegnen.

Diese traten zuerst an ihn heran in Gestalt eines graubärtigen, eingeborenen Soldaten in hohen Reiterstiefeln, der auf einem Kamel vor der Veranda hielt und ihm ein fettig glänzendes, braunes Büchlein mit der üblichen Aufschrift: »Bitte, schreiben Sie: Einsicht genommen«, von seinem hohen Sitz herab reichte.

Tarvin sah sich dieses neue Ereignis in der schon wieder erhitzten Landschaft mit Interesse, aber ohne jedes äußere Zeichen der Ueberraschung an – ein Geheimnis hatte ihm der Osten schon anvertraut, man durfte sich über nichts wundern! Er nahm das kleine Buch in Empfang und las auf der Seite, die ihm ein brauner Daumen bezeichnete: »Gottesdienst jeden Sonntag morgens 7 Uhr 30 im Wohnzimmer des Missionshauses. Fremde, die sich hier aufhalten, sind herzlich dazu eingeladen« (unterzeichnet) »L. R. Estes, presbyterisch-amerikanische Mission.«

»Hm! 7 Uhr 30 – die Leute stehen hier zeitig auf, werden wohl wissen warum,« brummte Tarvin vor sich hin. »Wann speisen sie dann wohl hier zu Lande?«

Das waren seine inneren Erwägungen, den Kamelreiter aber fragte er: »Was habe ich damit zu thun?«

Der Mann nahm ihm das Büchlein wieder ab und blickte ihn gleichgültig an. Auch das Kamel gönnte ihm eine kurze Besichtigung, dann setzten sich beide schweigend in Bewegung – was er zu thun hatte, ging doch sie nichts an!

Tarvin rief den entschwindenden Gestalten noch einen ziemlich verworrenen Auftrag nach, aber weder Reiter noch Kamel nahm Notiz davon. Das war offenbar kein Land, wo man rasch ans Ziel kam, und Tarvin sehnte sich jetzt schon ungeduldig nach dem Augenblick, wo er das Halsband in der Tasche und Käte am Arm würde heimwärts segeln können.

Jedenfalls war es praktisch, dem Missionar einen Besuch zu machen. Er war ein Amerikaner und konnte ihm wahrscheinlich die zuverlässigste Auskunft über das Naulahka geben – vielleicht auch über Käte, wie Tarvin etwas vermessen zu hoffen wagte.

Das Missionshaus, das unmittelbar vor dem Stadtthor lag, war ein einstöckiger roter Sandsteinbau, alles Pflanzenschmucks so bar und genau so öde wie der Bahnhof in Rawut. Aber er entdeckte alsbald, daß innen um so mehr Leben war und daß warme Herzen, die ihn freundlich willkommen hießen, hinter den roten Mauern schlugen. Frau Estes war eine jener echt mütterlichen gütigen Frauen mit dem angeborenen Häuslichkeitssinn, der einem eine Höhle zur Heimat machen würde. Sie hatte ein rundes, glattes Gesicht, eine zarte Haut und klare, glückliche Augen. Das noch nicht mit Grau gemischte braune Haar trug sie glatt aus der Stirn gestrichen; sie mochte etwa vierzig Jahre alt sein. Die ganze Persönlichkeit hatte etwas Gesetztes und Gefestigtes.

Der Besucher hatte bald erfahren, daß die Estes aus Bangor in Maine stammten, und da sein Vater auch im Staat Maine auf einer Farm in der Nähe von Portland geboren war, fühlte man sich einigermaßen verwandt. Nach zehn Minuten war er schon zum Frühstück eingeladen, denn Tarvins Gabe, mit andern zu fühlen, war unwiderstehlich. Er war nun einmal der Mann, dem Männer im beliebigen Rauchzimmer eines beliebigen Gasthofs ihre Herzensgeheimnisse anvertrauen, den sie in ihr innerstes Leben blicken lassen, er war ein Schrein, wo man Geschichten von Schuld und Sünde und Elend niederlegt; wenn's möglich war, leistete er Hilfe, Teilnahme und Verständnis hatte er immer. Noch ehe das Frühstück kam, hatten ihm die Estes ein vollständiges Bild ihrer Lage in Rhatore gegeben, hatten ihm ihre Schwierigkeiten mit dem Maharadscha und des Maharadscha Weibern, die hoffnungslose Unfruchtbarkeit ihrer Arbeit offen geschildert. Dann sprachen sie von ihren Kindern, die wie alle indischen Kinder vom Elternhaus verbannt waren. Freilich waren sie ja in Bangor bei einer Tante und gingen dort in die Schule.

»Fünf Jahre haben wir sie nicht mehr gesehen,« sagte Frau Estes, als man sich zum Frühstück setzte. »Fred war sechs, Laura acht, als wir sie hergeben mußten – jetzt sind sie elf und dreizehn Jahre alt! Nicht zu denken! Wir hoffen ja, daß sie uns nicht vergessen haben werden, aber wie sollen wir ihnen gegenwärtig bleiben? Es sind doch nur Kinder!«

Und dann erzählte sie ihm etliche haarsträubende Geschichten vom Wiedersehen zwischen indischen Eltern und in Amerika aufgewachsenen Kindern.

Das Frühstück rief ein leidenschaftliches Heimweh in Tarvin wach. Nach zwei Monaten auf See, zwei Tagen Eisenbahnfahrt zwischen Kalkutta und Rawut mit hastig verschlungenen Bahnhoferfrischungen und einer Nacht im Dâk Bungalow war eine Familienmahlzeit und die Ueppigkeit eines amerikanischen Frühstückstisch wirklich ein Fest für ihn. Man begann zwar mit einer Wassermelone, die keine Erinnerungen in ihm wecken konnte, denn Wassermelonen sind in Topaz eine beinah unbekannte Leckerei und erscheinen jedenfalls nicht schon im April am Schaufenster des Spezereihändlers. Die Hafergrütze aber versetzte ihn ganz in die Heimat, und als die Kalbsschnitzel und gerösteten Kartoffeln, der Kaffee und die braunen Maiskuchen mit dem verführerischen goldgelben Innern darauf folgten, war er fast zu Thränen gerührt. Frau Estes, die sich an seiner Freude erbaute, erklärte, daß ein Töpfchen mit Ahornzuckersirup, das ihr von Bangor geschickt worden sei, auch auf den Tisch kommen müsse, und schickte den weiß gekleideten, lautlos auftretenden Diener mit dem roten Turban danach, sobald er die Waffeln gebracht hatte. So saßen sie seelenvergnügt beisammen und sangen das Lob der amerikanischen Heimat, während der indische Punkah über ihren Köpfen rauschte.

Selbstverständlich hatte Tarvin eine Landkarte von Colorado in der Tasche, und als das Gespräch über die Vereinigten Staaten sich mehr und mehr vertiefte und westwärts zog, breitete er sie auf dem Frühstückstisch zwischen Waffeln und Schnitzeln aus, um den neuen Freunden die Lage von Topaz klar zu machen. Er machte dem Missionar begreiflich, was eine Eisenbahnlinie von Norden und Süden aus dem »Platz« machen würde, und mußte dann natürlich auch zärtlich beschreiben, was für eine wunderbare Stadt sein Topaz heute schon war, mußte alle Gebäude aufzählen, die im letzten Jahre aus der Erde gewachsen waren, und genau schildern, wie man sich nach dem großen Brand aufgerafft und gleich am andern Morgen neu zu bauen angefangen hatte. Das Feuer hatte die Versicherungssumme von baren hunderttausend Dollars in die Stadt gebracht. In unbewußter Abwehr gegen die Ungeheuerlichkeit der leeren Landschaft vor den Fenstern übertrieb er noch mehr als sonst – dieser ungeheure Osten durfte weder ihn, noch Topaz verschlingen!

»Wir erwarten eine junge Dame, und ich glaube, sie kommt aus ihrem Staat,« bemerkte Frau Estes, der bisher alle Städte des Westens gleich wesenlose Begriffe gewesen waren. »Hieß der Ort nicht Topaz, Lucien? Ich meine, das stand in dem Brief . . .«

Sie stand auf und kramte in ihrem Nähkörbchen, um sich Gewißheit zu holen.

»Jawohl, Topaz . . . ein Fräulein Sheriff. Sie wird uns von der Zenana-Mission zugeschickt – Sie kennen die junge Dame vielleicht?«

Tarvin steckte den Kopf in seine Landkarte, die er dann umständlich zusammenfaltete.

»Ja, ich kenne sie,« sagte er dann kurz. »Wann wird sie denn erwartet?«

»Sie kann jetzt täglich eintreffen,« erwiderte Frau Estes.

»Kommt mir traurig vor, ein junges Mädchen da herüber zu schicken,« bemerkte Tarvin, »so weit weg von den Ihrigen und allen Freunden . . . obwohl Sie ja gewiß freundlich gegen sie sein werden,« setzte er mit einem raschen Blick in Frau Estes' Augen hinzu.

»Wir werden uns alle Mühe geben, ihr das Heimweh fern zu halten,« versetzte die Missionarsfrau in ihrem mütterlichen Ton, »Wir brauchen ja nur an unsre eigenen Kinder zu denken – an Laura und Fred in Bangor.«

»Das ist sehr freundlich von Ihnen!« rief Tarvin mit Wärme – er nahm offenbar großen Anteil an der Zenana-Mission!

»Darf ich mir die Frage erlauben, was für Geschäfte Sie hierher führen?« fragte der Missionar, indem er seiner Frau die leere Kaffeetasse zum Füllen hinhielt.

Estes drückte sich ein wenig förmlich und steif aus und die Stimme drang dumpf aus der dichten Wildnis eines ungewöhnlich langen und dichten eisengrauen Barts hervor. Er hatte ein etwas bärbeißiges aber wohlwollendes Gesicht, eine stramme und dabei herzliche Art und einen guten treuherzigen Blick, dem Tarvin gern begegnete. Sein Urteil war klar und bestimmt und schien namentlich über die verschiedenen Rassen der Eingeborenen ganz fest zu stehen.

»Nun, ich beabsichtige zu schürfen,« erwiderte Tarvin in gleichmütigem Ton, dabei durchs Fenster starrend, als ob er jeden Augenblick Käte mitten in der Wüste auftauchen zu sehen erwarte.

»Aha! Wohl Gold?«

»Hm – nun ja, Gold so gut wie andres.«

Estes führte seinen Gast auf die Veranda hinaus, um eine Zigarre mit ihm zu rauchen, die Frau kam mit ihrer Näharbeit nach und setzte sich zu ihnen. Nun lenkte Tarvin das Gespräch auf das Naulahka und fragte geradezu, was und wo es sei. Aber es stellte sich heraus, daß der Missionar, obwohl er ein Amerikaner war, durchaus nicht mehr davon wußte, als die faulen Geschäftsreisenden in dem Rasthaus. Er wußte von seinem Vorhandensein, kannte aber außer dem Maharadscha niemand, der es je gesehen hätte. Tarvin mußte recht viel Gleichgültiges anhören, um immer wieder auf diesen Punkt zu gelangen, und da der Missionar hartnäckig an der Vorstellung festhielt, daß er Gold suchen wolle, fand er es schließlich rätlich, darauf einzugehen.

»Sie denken natürlich an das Auswaschen des Erzes?« warf Estes hin.

»Versteht sich,« pflichtete Tarvin bei.

»Im Ametfluß werden Sie schwerlich viel finden! Dort haben die Eingeborenen seit Jahrhunderten krampfhaft Gold gewaschen, und nun findet sich höchstens noch, was der Triebsand vom Quarzgestein der Gungrahügel heranführt. Aber Sie werden Ihr Unternehmen wohl in großem Stil betreiben wollen?« setzte der Missionar mit einem forschenden Blick hinzu.

»Selbstverständlich, in ganz großem Maßstab.«

Estes setzte voraus, daß Tarvin die Schwierigkeiten wohl erwogen haben werde. Er müsse die Bewilligung des Oberst Nolan und durch diesen die der englischen Regierung erlangen, wenn er irgend dran denke, etwas Ernstliches ausrichten zu wollen. Des Obersten Erlaubnis müsse überhaupt schon eingeholt werden, um in Rhatore bleiben zu dürfen.

»Sie meinen, ich müsse es der Regierung lohnend erscheinen lassen, daß sie mich gewähren läßt?«

»Ja, das meine ich.«

»Gut, das soll geschehen.«

Frau Estes warf einen raschen Blick zu ihrem Mann hinüber. Nach Frauenart machte sie sich ihre Gedanken.


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