Rudyard Kipling
Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen
Rudyard Kipling

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Auf Grund einer Ähnlichkeit

»Ist dein Spiegel zerbrochen, so blicke in stilles Wasser, aber hüte dich hineinzufallen.«

Indisches Sprichwort.

Nach einer glücklichen Liebe ist so ziemlich das Unbequemste, das ein junger Mann zu Beginn seiner Laufbahn mit sich herumschleppen kann, eine Liebe, die nicht erwidert wird. Er kommt sich dabei wichtig und businesslike vor, wird blasiert und zynisch und kann jedesmal, wenn er mit der Leber nicht ganz in Ordnung ist oder an Mangel an Bewegung leidet, um seine verlorene Geliebte trauern und sich auf eine zarte, dämmrige Weise sehr glücklich fühlen.

Hannasydes Liebesaffäre war für ihn eine wahre Gottesgabe. Die Sache war nun schon vier Jahre alt und das Mädchen hatte ihn längst vergessen. Sie hatte inzwischen geheiratet und kämpfte mit zahlreichen eigenen Sorgen. Damals hatte sie Hannasyde erklärt: obwohl sie ihn nie anders als mit den Augen einer Schwester betrachten könnte, nähme sie doch ein anhaltendes, lebhaftes Interesse an seinem Wohlergehen. Diese überraschend neuartige und originelle Bemerkung gab Hannasyde für die Dauer zweier Jahre Stoff zum Denken, und seine Eitelkeit füllte die übrigen vierundzwanzig Monate aus. Hannasyde war jedoch ein ganz anderer Kerl als Phil Garron, trotzdem er mit diesem unverdienten Glückspilz Einiges gemein hatte.

Er hegte und pflegte also jene unglückliche Liebe, wie Männer eine gut eingerauchte Pfeife hegen und pflegen um der Behaglichkeit willen, und weil sie ihm durch den Gebrauch teuer geworden war. Sie brachte ihn glücklich über die erste Simlaer Saison hinweg. Hannasyde war keine Beauté. Außerdem hatte er etwas ungeschliffene Manieren und eine gewisse rauhe Art, einer Dame auf 's Pferd zu helfen, die ihm in den Augen des schönen Geschlechts keinen besonderen Reiz verliehen. Daran wäre selbst dann nichts zu ändern gewesen, wenn er sich um weibliche Gunst bemüht hätte, was er nicht tat. Eine ganze Weile behielt er sein verwundetes Herz für sich.

Dann traf ihn das Unglück. Jeder, der schon in Simla gewesen ist, kennt den Abhang, der sich vom Telegraphenamt nach dem Bureau für öffentliche Arbeiten hinzieht. Hannasyde schlenderte eines Septembermorgens in der Besuchszeit diesen Abhang hinauf, als eine Rickshaw eilig den Berg hinunterrollte, und in der Rickshaw saß das leibhaftige Ebenbild des Mädchens, deretwegen er so glücklich unglücklich war. Hannasyde lehnte sich gegen die Brüstung und rang nach Luft. Er wollte den Berg wieder hinunterlaufen, der Rickshaw nach, aber das war unmöglich; also schritt er weiter, während der größere Teil seines Blutes ihm in den Schläfen hämmerte. »Sie« war, wie er später ausfindig machte, die Frau eines Mannes aus Dindigul oder Coinbatore oder sonst irgendeinem gottverlassenen Nest und war um ihrer Gesundheit willen schon früh im Jahre nach Simla gekommen. Nach Schluß der Saison wollte sie nach Dindigul, oder wie das Nest hieß, zurück und würde aller Wahrscheinlichkeit nach im Leben nicht wieder nach Simla kommen, denn ihr nächster Kurort in den Bergen war Ooctacamund. Noch in der gleichen Nacht ging Hannasyde, aufgewühlt und zuckend unter der Gewalt seiner zu neuem Leben angefachten Gefühle, eine geschlagene Stunde mit sich zu Rate. Er entschied sich für das Folgende; und man selbst mag entscheiden, wieviel bei diesem Beschluß echter Anhänglichkeit für seine alte Liebe und wieviel einer ganz natürlichen Neigung, auszugehen und sich zu amüsieren, entsprang. Mrs. Landys-Haggert würde nach aller menschlichen Voraussicht niemals wieder seinen Weg kreuzen. Es war also ganz gleich, wie er sich benahm. Sie ähnelte in einer ans Wunderbare grenzenden Weise dem Mädchen, das »ein tiefes, anhaltendes Interesse« nahm, und wie die Formel sonst noch lautete. Alles in allem würde es äußerst angenehm sein, Bekanntschaft mit Mrs. Landys-Haggert zu schließen und sich auf kurze, nur sehr kurze Zeit hin einzureden, daß er wieder einmal mit Alice Chisane zusammen wäre. Jeder ist in irgendeinem Punkte mehr oder weniger verrückt. Hannasydes besondere Monomanie war seine alte Liebe zu Alice Chisane.

Er machte es sich daher zur Aufgabe, Mrs. Haggert vorgestellt zu werden – mit Erfolg. Ebenfalls machte er es sich zur Aufgabe, so viel von seiner Zeit wie nur irgendmöglich mit dieser Dame zu verbringen. Einem Manne, der es wirklich ernst meint, bietet Simla eine überraschende Fülle von Möglichkeiten für Tête-à-têtes. Es gibt dort Gartenfeste, Tennispartien und Picknicks, Frühstücke in Annandale, Wettschießen, Diners und Bälle, nicht zu sprechen von Spazierritten und ‑gängen, die ja private Angelegenheiten sind. Hannasyde hatte sich mit dem festen Vorsatz, Ähnlichkeiten zu entdecken, ans Werk gemacht und endete damit, mehr zu finden als er gehofft hatte. Er wollte sich täuschen, er hatte es sich in den Kopf gesetzt, getäuscht zu werden, und er täuschte sich überaus gründlich. Nicht nur waren Gesicht und Figur von Mrs. Landys-Haggert Gesicht und Figur von Alice Chisane, nein, auch die Stimme und die tieferen Töne waren genau die gleichen; ebenso die Redewendungen und kleinen Manierismen in Gang oder Gebärde, die jede Frau hat: sie waren identisch, absolut identisch. Die Kopfhaltung war die gleiche; der müde Ausdruck in den Augen nach einem langen Spaziergang war der gleiche; und einmal – Wunder über Wunder – summte Mrs. Haggert, während Hannasyde im Nebenzimmer auf sie wartete, um sie zu einem Spazierritt abzuholen, Ton für Ton ein altes Lied, genau so wie Alice es Hannasyde einmal in der Dämmerung eines englischen Salons vorgesummt hatte, mit genau dem gleichen, vollen Tremolo in der zweiten Zeile. An der Frau selbst – an ihrer Seele war nicht die geringste Ähnlichkeit zu entdecken; Alice und sie waren von verschiedenem Guß. Trotzdem wollte Hannasyde diese aufreizende, verwirrende Ähnlichkeit in Gesicht, Stimme und Wesen erforschen, sehen und hegen. Er war versessen darauf, so und nicht anders einen Narren aus sich zu machen, und er wurde in keiner Hinsicht enttäuscht.

Offene und unverhohlene Verehrung, einerlei von welchem Manne, ist jeder Frau, einerlei wie sie beschaffen ist, angenehm; da Mrs. Landys-Haggert aber eine Frau von Welt war, wußte sie nicht, was sie von Hannasydes Bewunderung halten sollte.

Keine Mühe schien ihm zu groß – im gewöhnlichen Leben war er ein Egoist – um ihre Wünsche zu erfüllen, ja, wenn möglich, ihnen zuvorzukommen. Jeder ihrer Befehle war ihm Gesetz. Kein Zweifel, er genoß ihre Gesellschaft, solange sie mit ihm über Banalitäten schwatzte. Sobald sie jedoch ihre persönlichen Anschauungen und Klagen – gesellschaftliche kleine Reibereien, die in Simla die Würze des Lebens ausmachen – vorbrachte, war er weder angenehm berührt noch interessiert. Es lag ihm nicht das geringste daran, näheres von Mrs. Landys-Haggert oder ihren vergangenen Erlebnissen zu erfahren – sie hatte fast die ganze Welt bereist und verstand, geistreich zu plaudern – er wollte nur das Ebenbild von Alice Chisane vor Augen und Ohren haben. Alles, was ihn darüber hinaus an eine fremde Persönlichkeit gemahnte, irritierte ihn, und er machte aus seinen Gefühlen kein Hehl.

Eines Abends sagte ihm Mrs. Landys-Haggert vor dem Postgebäude ohne jede vorherige Warnung kurz und bündig ihre Meinung. »Mr. Hannasyde,« sagte sie, »wollen Sie mir bitte gütigst erklären, weshalb Sie sich zu meinem speziellen Cavalier servante ernannt haben? Ich verstehe es nicht; aber ich bin aus irgendeinem Grunde fest überzeugt, daß ich selbst Ihnen vollkommen gleichgültig bin.« Übrigens erscheint das als eine Bestätigung der Theorie, daß kein Mann einer Frau etwas vorlügen kann, ohne entdeckt zu werden. Hannasyde wurde überrumpelt. Seine Stellung war zu keiner Zeit eine sehr feste gewesen, weil er in einem fort nur an sich selbst dachte, und ehe er so recht wußte, was er tat, platzte er mit der deplacierten Antwort heraus: »Das sind Sie mir auch wirklich.«

Das Sonderbare an der Situation und diese Antwort zwangen Mrs. Landys-Haggert zum Lachen. Und jetzt kam die ganze Geschichte heraus, und am Schluß von Hannasydes lichtvoller Erklärung bemerkte Mrs. Haggert mit einem kaum hörbaren Anflug von Verachtung in der Stimme: »Also ich soll Ihnen als Puppe dienen, die Sie mit den Lumpen ihrer alten und brüchigen Liebe bekleiden?«

Hannasyde war sich nicht im klaren, welche Antwort jetzt die richtige war, er erging sich daher in undeutlichen und allgemeinen Lobpreisungen von Alice Chisane, und das war auch nicht gerade befriedigend. Nun ist aber ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß Mrs. Haggert auch nicht den Schatten eines wärmeren Gefühls für Hannasyde hegte. Aber . . . aber keine Frau liebt es, für eine andere, statt um ihrer selbst willen umworben zu werden – besonders wenn die Betreffende eine etwas abgestandene Göttin älteren Jahrgangs ist.

Hannasyde vermochte indes nicht einzusehen, daß er einen ganz besonderen Narren aus sich gemacht hatte. Er freute sich vielmehr, in der Wüstenei von Simla eine mitfühlende Seele getroffen zu haben.

Als die Saison zu Ende war, kehrte Hannasyde nach seinem Wohnort und Mrs. Haggert an den ihrigen zurück. »Es war eigentlich so, wie wenn man einem Gespenst den Hof macht,« sagte sich Hannasyde, »und vollkommen ohne Belang; jetzt werde ich mich an die Arbeit machen.« Allein er ertappte sich dabei, daß er in einem fort an das Haggert-Chisane-Gespenst denken mußte, ohne sich darüber klar werden zu können, ob die Haggert- oder die Chisane-Mischung an diesem reizenden Gespenst überwog.

*

Die Klarheit kam ihm einen Monat später.

Eine besonders charakteristische Eigenschaft dieses Landes ist die Art, in der eine herzlose Regierung ihre Beamten von einem Ende des Reiches nach dem anderen schickt. Niemals kann man überzeugt sein, daß man einen Freund oder Feind endgültig losgeworden ist, bis nicht der oder die Betreffende stirbt. Ich kenne einen Fall – – aber das ist eine andere Geschichte.

Haggerts Abteilung beorderte ihn innerhalb von zwei Tagen von Dindigul nach der Grenze, und er ging – von Dindigul nach seiner neuen Station – und setzte bei jeder Etappe aus seiner eigenen Tasche Geld zu. Seine Frau ließ er unterwegs in Luknow bei Freunden zurück, um an einem großen Ball auf der Chutter Munzil teilzunehmen und ihm nachzureisen, sobald er das neue Haus ein wenig wohnlich gemacht hätte. Luknow war auch Hannasydes Station, und Mrs. Haggert blieb eine Woche dort. Hannasyde ging, um sie vom Bahnhof abzuholen, und als der Zug hereinbrauste, wußte er plötzlich, an welche er den ganzen vergangenen Monat hatte denken müssen. Gleichzeitig ging ihm die Unklugheit seines Verhaltens auf. Die Luknower Woche, in der sie sich auf zwei Bällen trafen und eine unbegrenzte Anzahl Spazierritte machten, war für den Fall entscheidend; Hannasyde merkte plötzlich, daß er in Gedanken ständig folgenden Kreis durchlief: Er bete Alice Chisane an – zum mindesten hatte er sie einmal angebetet. Und er bewundere Mrs. Landys-Haggert, weil sie Alice Chisane gleiche, obwohl sie zehntausendmal reizender sei. Dabei »gehöre« Alice Chisane einem anderen, und Mrs. Landys-Haggert ebenfalls – (obendrein war sie eine gute, anständige Frau). Daher sei er, Hannasyde – – hier gab er sich verschiedene nicht gerade schmeichelhafte Namen und wünschte, er wäre gleich zu Anfang klüger gewesen.

Ob Mrs. Landys-Haggert ahnte, was in seiner Seele vorging, weiß nur sie allein. Er schien, ganz abgesehen von der Chisane-Ähnlichkeit, plötzlich ein rückhaltloses Interesse an allem zu nehmen, was sie selbst betraf, und er sagte ein oder zwei Dinge, die Alice Chisane, wenn sie noch mit ihm verlobt gewesen wäre, selbst auf Grund der Ähnlichkeit nicht hätte verzeihen können. Aber Mrs. Haggert tat, als höre sie diese Bemerkungen nicht und setzte Hannasyde ausgiebig auseinander, was für ein Herzenstrost und eine Erquickung sie ihm dank ihrer seltsamen Ähnlichkeit mit seiner alten Liebe gewesen wäre. Und Hannasyde stöhnte beim Reiten in sich hinein und sagte: »Da haben Sie wirklich recht.« Dann beschäftigte er sich mit Vorbereitungen für ihre Abreise nach der Grenze und fühlte sich dabei ganz ungewöhnlich klein und unglücklich.

Es kam der letzte Tag ihres Aufenthaltes in Luknow und Hannasyde brachte sie zum Bahnhof. Sie war sehr dankbar für seine Güte und für all die Mühe, die er sich ihretwegen gemacht hatte und lächelte freundlich und voller Mitgefühl, wie jemand, der sich des Alice-Chisane Grundes dieser Güte vollauf bewußt ist. Und Hannasyde schalt die Kulis, die das Gepäck trugen, und schob die Leute auf dem Bahnsteig beiseite und flehte innerlich zum Himmel, daß das Dach einstürzen und ihn erschlagen möchte.

Als der Zug sich langsam in Bewegung setzte, lehnte sich Mrs. Landys-Haggert zum Fenster hinaus, um Hannasyde Lebewohl zu sagen: – »Übrigens fällt mir da ein, Mr. Hannasyde, ich reise ja im Frühjahr nach England; vielleicht sehen wir uns dann auf der Durchreise. Also sage ich nur auf Wiedersehen.«

Hannasyde schüttelte ihr die Hand und erwiderte sehr ernst und in tiefster Verehrung: – »Ich hoffe zu Gott, daß ich Ihr Gesicht nie wieder sehen werde!«

Und Mrs. Haggert verstand ihn.


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