Rudyard Kipling
Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen
Rudyard Kipling

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Flucht der Weißen Husaren

Manche Menschen glauben, ein englisches Kavallerieregiment verstünde sich nicht aufs Ausreißen. Das ist ein Irrtum. Ich habe vierhundertundsiebenunddreißig Lanzen in wildem Entsetzen nach allen Richtungen davonjagen sehen – habe erlebt, daß das beste Regiment, das jemals zu Pferde gesessen, für die Dauer von zwei Stunden aus der Armeeliste gelöscht war. Sollte man jedoch die Geschichte den Weißen Husaren wiedererzählen, man liefe, glaube ich, Gefahr, etwas unfreundlich aufgenommen zu werden. Sie sind nicht gerade stolz auf die Begebenheit.

Man kann die Weißen Husaren an ihrer Einbildung erkennen, die größer ist als die sämtlicher anderer Kavallerieregimenter auf der Kommandorolle. Falls das nicht genügt, kann man sie an ihrem alten Kognak erkennen. Der gehört seit sechzig Jahren zum Bestand ihres Kasinos und verdient, daß man eine Reise macht, um ihn zu kosten. Man verlange den alten »MacGaire« Kognak und achte darauf, daß man den richtigen bekommt. Falls der Kasino-Unteroffizier einen für ungebildet hält und der Meinung ist, man verstünde den echten nicht genügend zu würdigen, wird man dementsprechend von ihm behandelt. Der Unteroffizier ist ein wackerer Mann. Aber ich warne jeden, als Gast am Regimentstisch von Parforce-Märschen oder Distanzritten zu reden. Die Offiziere sind ungemein empfindlich, und werden das jedem, der sie, ihrer Meinung nach, auslacht, auch zu verstehen geben.

Wie die Weißen Husaren behaupten, ist der Regimentskommandeur an allem schuld. Er war ein neuer und hätte das Kommando niemals übernehmen dürfen. Er behauptete, das Regiment sei ihm nicht schneidig genug. Das mußte den Weißen Husaren passieren, von allen Regimentern der Welt den Weißen Husaren, die wußten, daß sie jede Truppe auf Gottes Erdboden – Kavallerie, Artillerie oder Infanterie – über–, nieder– und in Stücke reiten konnten. Diese Beleidigung war das erste, das sie ihrem Kommandeur übelnahmen.

Dann kassierte er das Paukenpferd – das Paukenpferd der Weißen Husaren! Vielleicht begreift man im ersten Augenblick nicht das unsagbare Verbrechen, das er damit beging. Die Seele eines jeden Regiments lebt in dem Paukenpferd, das die silbernen Kesselpauken trägt. Es ist fast immer ein großer, scheckiger Wallach. Letzteres ist Ehrensache, und jedes Regiment ist bereit, jede beliebige Summe auf einen Schecken zu verwenden. Der jedoch ist dann über die gewöhnlichen Gesetze der Kassation erhaben und seines Wohlergehens sicher, so lange er ausrücken kann und dem Regiment Ehre macht. Er versteht zuletzt auch mehr von Regimentssachen als der Adjutant selbst und könnte, auch wenn er es wollte, keinen Fehler mehr begehen.

Das Paukenpferd der Weißen Husaren war erst achtzehn Jahre alt und allen seinen Pflichten noch vollauf gewachsen. Von Rechts wegen stand ihm noch eine sechsjährige Dienstzeit bevor, und es bewegte sich mit dem Pomp und der Würde eines Tambour–Majors von der Garde. Das Regiment hatte 1200 Rupien dafür bezahlt.

Aber der Oberst erklärte, der Gaul hätte zu verschwinden und so wurde er in aller Form kassiert und durch einen verwaschenen Fuchs ersetzt, der so häßlich wie ein Maultier war, und den Hals eines Schafs, einen Rattenschwanz und die Häcksen einer Kuh hatte. Der Trommler haßte das Vieh, und die besseren Pferde von der Regimentskapelle legten ihre Ohren zurück und zeigten ihm das Weiße ihrer Augen, wann immer sie es zu Gesicht bekamen. Sie hatten es auf den ersten Blick als Emporkömmling und Plebejer erkannt. Ich glaube, des Obersten Schneid erstreckte sich auch auf die Regimentskapelle, und er wünschte, daß sie an den regulären Parade-Manövern teilnähme. Eine Kavallerie-Kapelle jedoch ist heilig. Sie rückte nur bei Paraden vor dem Höchstkommandierenden aus, und der Regimentskapellmeister ist eine Persönlichkeit, noch um einen Grad bedeutender als der Oberst selbst. Er ist ein Hohepriester, und das »Keel Row« ist sein heiliger Gesang. Das »Keel Row« ist die Melodie für den Parademarsch im Trab, und wer seine Klänge nicht laut und schrill das Getrappel des beim Salut vorbeitrabenden Regiments hat übertönen hören, dem stehen noch einige akustische und seelische Erfahrungen bevor.

Als der Oberst das Paukenpferd der Weißen Husaren kassierte, hätte es beinah eine Meuterei gegeben.

Das Offizierskorps war böse, das Regiment wütend und die Kapelle fluchte . . . wie eben nur Kavalleristen fluchen können. Das Paukenpferd sollte versteigert – öffentlich versteigert werden, damit womöglich ein Parse es kaufte und vor einen Karren spannte! Das war schlimmer, als hätte man die internen Angelegenheiten des Regiments vor aller Welt bloßgelegt oder das Kasinosilber einem Juden – einem schwarzen Juden – verkauft!

Der Oberst war ein kleinlicher Mann und ein Tyrann. Er wußte, wie das Regiment über sein Verhalten dachte; als dann gar die Mannschaft sich erbot, das Paukenpferd zu kaufen, erklärte er, ihr Vorhaben grenze an Meuterei und sei reglementswidrig.

Aber einer der Leutnants – Hogan-Yale, ein Irländer – erstand das Paukenpferd bei der Auktion für einhundertsechzig Rupien, und der Oberst tobte. Yale heuchelte Reue – er war unnatürlich gefügig – und erklärte, er hätte das Pferd nur gekauft, um es vor eventuellen Mißhandlungen und dem Hungertode zu retten; er würde es auf der Stelle erschießen und damit der Sache ein Ende machen. Das schien den Obersten zu beruhigen, denn er wollte, daß das Paukenpferd aus der Welt geschafft würde. Er fühlte, er hatte einen Fehler begangen, konnte das aber selbstverständlich nicht zugeben. Inzwischen irritierte ihn die Gegenwart des Paukenpferdes.

Yale holte sich ein Glas des berühmten alten Kognaks, drei Zigarren und seinen Freund Martyn; alle zusammen verließen das Kasino. Yale und Martyn konferierten zwei Stunden lang auf Yales Bude; aber nur der Bullterrier, der über Yales Stiefelleisten wacht, weiß, was sie besprachen. Zum Schluß verließ ein bis zu den Ohren verdecktes und verhülltes Pferd Yales Stallungen, um sehr gegen seinen Willen nach den Zivilquartieren herübergebracht zu werden. Yales Reitknecht begleitete es. Darauf brachen zwei Männer in die Theaterrequisitenkammer des Regiments ein und entwendeten eine ganze Reihe von Farbtöpfen und einige große Pinsel für Dekorationsmalerei. Und schließlich senkte sich Nacht herab auf die Kasernen, und in Yales Stall entstand ein Lärm, wie wenn ein Pferd seine Box in lauter Splitter zerstampfte. Yale besaß ein Packpferd, einen großen, weißen Wallach.

Der folgende Tag war Donnerstag, und als die Mannschaft hörte, Yale wolle am Abend das Paukenpferd erschießen, beschloß sie, dem alten Tier ein regelrechtes militärisches Begräbnis zu gewähren – ein besseres, als sie im Augenblick dem Obersten gegeben hätte, wäre er dann gerade gestorben. Die Leute holten also einen Ochsenwagen, ein Stück Sackleinwand und ganze Berge von Rosen, und der Kadaver wurde, bedeckt von der Leinewand, an den Ort überführt, wo sonst die an Milzbrand verendeten Pferde verbrannt wurden, während zwei Drittel des Regiments ihm das Geleit gab. Die Musik spielte zwar nicht, aber alle sangen »Der Ort, wo der alte Gaul starb«, was ihnen in Anbetracht der Gelegenheit passend und pietätvoll erschien. Als die Leiche ins Grab gelegt wurde und die Leute ganze Arme voll Rosen über sie ausschütteten, stieß der Regimentshufschmied einen saftigen Fluch aus und bemerkte laut: »Das ist so wenig unser Paukenpferd wie ich es bin!« Da fragte ihn der Wachtmeister des fünften Zuges, ob er seinen Kopf vielleicht in der Kantine gelassen hätte? Aber der Regimentshufschmied erklärte, er kenne des Paukenpferds Beine so genau wie seine eigenen; er schwieg jedoch, als er auf dem armen, steif ausgestreckten Vorderhufe die Regimentsnummer eingebrannt sah.

So wurde das Paukenpferd der Weißen Husaren begraben, während der Regimentshufschmied murrte. Die Sackleinewand, die den Kadaver bedeckte, war stellenweise mit schwarzer Farbe beschmiert, und der Hufschmied lenkte des Wachtmeisters Aufmerksamkeit auf diese Tatsache. Aber der Wachtmeister versetzte ihm einen kräftigen Tritt gegen das Schienbein und meinte, er sei ohne Zweifel betrunken.

Am Montag nach dem Begräbnis rächte sich der Oberst an den Weißen Husaren. Da das Pech es wollte, daß er im Augenblick das Garnisonskommando führte, befahl er für diesen Tag eine Brigadefelddienstübung. Er erklärte, er würde das Regiment »für seine verdammte Unverschämtheit schon schwitzen lassen«, und er führte sein Vorhaben gründlich durch. Jener Montag war einer der härtesten Tage, deren die Weißen Husaren sich erinnern können. Sie wurden gegen einen vermeintlichen Feind geschickt, vorgeschoben, zurückgezogen, von ihren Pferden runterkommandiert und in einem staubigen Gelände auf jede nur mögliche, vorschriftsmäßige Weise gezwiebelt, bis ihnen der Schweiß aus allen Poren rann. Das einzige Amüsement kam erst gegen Abend, als sie eine Batterie reitende Artillerie überrumpelten und zwei Meilen weit verfolgten. Das war eine persönliche Angelegenheit, und der größte Teil der Mannschaft hatte Wetten darauf gesetzt, wobei die Artilleristen ganz offen behaupteten, sie wären den Weißen Husaren über. Darin täuschten sie sich jedoch. Der Vorbeimarsch bildete den Schluß dieses Feldzuges, und als das Regiment in die Quartiere zurückkam, waren die Leute von den Sporen bis zu den Kinnriemen mit Schmutz bedeckt.

Die Weißen Husaren besitzen ein großes und ganz spezielles Privileg. Sie errangen es sich, so viel ich weiß, bei Fontenoy.

Viele Regimenter haben besondere Rechte, wie zum Beispiel das Tragen von Kragen bei der Interimsuniform oder von Bandschleifen zwischen den Schulterblättern oder von roten und weißen Rosen am Helm an gewissen Tagen im Jahr. Einige dieser Rechte hängen mit den Regimentsheiligen zusammen, andere dagegen mit den Ruhmestaten der Truppe. Und alle werden besonders hochgehalten, keines aber so hoch wie das Vorrecht der Weißen Husaren, im Quartier die Pferde bei klingendem Spiel zur Tränke zu reiten. Dabei wird immer nur ein Stück gespielt, das niemals wechselt. Ich weiß nicht, wie es in Wirklichkeit heißt, aber die Weißen Husaren nennen es: »Führ mich nach London zurück« und die Melodie ist sehr hübsch. Das Regiment würde sich eher von der Armeeliste streichen lassen, als auf diese Auszeichnung verzichten.

Als das Kommando »weggetreten« erscholl, begaben sich die Offiziere nach Hause, um sich zurechtzumachen, und die Leute ritten im Schritt hintereinander in den Kasernenhof und machten es sich bequem. Das heißt, sie knöpften sich den engen Rock auf und schoben den Helm zurecht und fingen an, je nach Laune entweder zu scherzen oder zu fluchen; während die Vorsichtigeren unter ihnen Gurte und Zügel lockerten oder ganz abnahmen. Ein guter Kavallerist hält genau so viel auf seinen Gaul wie auf sich selbst und glaubt oder sollte doch glauben, daß sie beide zusammen Weibern wie Männern, Mädchen wie Kanonen gegenüber unwiderstehlich sind.

Dann gab der Ordonnanzoffizier den Befehl: »Pferde tränken!« und das Regiment begab sich im Schlenderschritt zu den Schwadronstränken, die sich hinter den Stallungen zwischen diesen und den Kasernen befanden. Es waren vier riesige Krippen, eine für jede Schwadron, in Hufeisenform angeordnet, so daß sämtliche Pferde, wenn nötig, innerhalb von zehn Minuten getränkt werden konnten. Meist jedoch zog das Regiment die Sache noch um sieben weitere Minuten in die Länge, während die Musik spielte.

Die Kapelle legte los und die verschiedenen Schwadronen begaben sich gemütlich an ihre Krippen, während die Mannschaft die Füße aus den Steigbügeln zog und sich untereinander zu necken begann. Die Sonne ging gerade hinter einer großen, heißen, rotglühenden Wolkenbank unter, und die Straße, die zu den Zivilquartieren hinüberführte, schien pfeilgrade das Auge der Sonne zu durchbohren. Mitten auf dem Wege zeigte sich ein winziger Punkt. Er wuchs und wuchs, bis er sich als ein Pferd entpuppte, das auf seinem Rücken eine Art Bratrost trug. Die rote Wolke leuchtete durch die eisernen Stäbe hindurch. Einige der Leute beschatteten mit der Hand die Augen und sagten: »Was zum Deibel trägt der Gaul da auf seinem Rücken?«

In der nächsten Minute hörten sie ein Wiehern, das jede einzelne Seele – Pferde wie Mannschaft – kannte und erblickten – in grader Linie auf die Regimentskapelle zuhaltend – das tote Paukenpferd der Weißen Husaren.

Rechts und links auf dem Widerrist baumelten und hallten dumpf wider bei jedem Schlage die in schwarzen Flor gehüllten Kesselpauken, und auf seinem Rücken saß stramm und soldatisch ein barhäuptiges Gerippe.

Die Musik brach ab und einen Augenblick herrschte Totenstille.

Dann wendete irgendjemand aus Zug fünf seinen Gaul – die Leute sagen, es wäre der Wachtmeister gewesen – und entfloh schreiend. Keiner weiß genau, wie jetzt alles kam; es scheint jedoch, daß zum mindesten ein Mann aus jedem Zuge das Signal zu einer Panik gab, und die übrigen gehorchten wie die Schafe. Die Pferde, die gerade erst ihre Schnauzen in die Krippen getaucht hatten, bäumten sich und keilten aus; kaum aber setzte die Musik aus, was geschah, als das Paukenpferd sich auf etwa eine Achtelmeile genähert hatte, als sämtliche Hufe dem Beispiel folgten, und das Rattern und Stampfen dieser wilden Flucht – das so ganz, ganz anders klang, als das taktfeste, dröhnende Trapp-trapp-trapp eines Parademanövers – gab den Tieren den Rest. Sie fühlten genau, daß die Männer auf ihren Rücken sich fürchteten; und haben Gäule das erst verstanden, so ist alles vorbei, bis auf das eigentliche Gemetzel.

Zug über Zug machte Kehrt und floh, rannte auseinander – hierhin und dorthin – wie verschüttetes Quecksilber. Es war ein einzigartiges Schauspiel, denn Mannschaft wie Pferde befanden sich in jedem nur möglichen Zustand des Schreckens, und die Karabinertaschen, die lose gegen ihre Flanken schlugen, trieben die Tiere nur noch stärker an. Währenddessen schrien und fluchten die Leute durcheinander, und versuchten, die Kapelle nicht zu überrennen, die von dem Paukenpferd gejagt wurde, dessen Reiter vornübergesunken war und sein Pferd anzutreiben schien, als gälte es, eine Wette zu gewinnen.

Der Oberst war nach dem Kasino hinübergegangen, um etwas zu trinken. Der größere Teil des Offizierskorps war ebenfalls dort und der diensttuende Leutnant wollte sich eben nach der Kaserne zurückbegeben, um von den Wachtmeistern den Rapport über das Pferdetränken entgegenzunehmen. Als das »Führ mich nach London zurück« nach zwanzig Takten plötzlich abbrach, fragte jede einzelne Seele im Kasino: »Was in aller Welt ist passiert?« Eine Minute später hörte man höchst unmilitärische Geräusche und gewahrte, weit über die Ebene verstreut, die vollkommen aufgelösten, fliehenden Weißen Husaren.

Der Oberst war vor Wut sprachlos; er glaubte, das Regiment hätte gemeutert oder wäre bis auf den letzten Mann betrunken. Da jagte auch schon die Regimentskapelle – ein hoffnungslos desorganisierter Mob – vorbei, hinter ihr, im schwerfälligen Trabe, das tote und bereits begrabene Paukenpferd mitsamt dem wippenden, rasselnden Gerippe. Hogan-Yale flüsterte Martyn leise zu: »Das hält der stärkste Draht nicht aus«, und die Kapelle, die wie ein Hase einen Haken geschlagen hatte, stürmte zum zweiten Male vorbei. Das übrige Regiment jedoch war verschwunden – auf einer wilden Jagd durch die ganze Provinz, denn inzwischen war es dämmrig geworden und jeder einzelne Mann brüllte seinem Nachbar zu, das Paukenpferd sei ihm unmittelbar auf den Flanken. Kavalleriepferde werden im allgemeinen viel zu schonend behandelt. Im Notfalle vermögen sie selbst mit einer Belastung von zweihundert Pfund Außerordentliches zu leisten. Das merkten jetzt ihre Reiter.

Wie lange diese Panik währte, kann ich nicht sagen. Ich glaube, die Leute erkannten, als der Mond aufging, daß sie nichts mehr zu befürchten hatten und schlichen sich, entsetzlich beschämt, langsam zu Zweit, zu Dritt und truppweise in die Kasernen zurück. Inzwischen hatte das Paukenpferd, verstimmt über die Behandlung, die seine alten Freunde ihm angedeihen ließen, angehalten und Kehrt gemacht und war zu den Verandastufen des Kasinos getrabt, um sich sein Stück Brot zu holen. Niemand wollte sich die Blöße geben auszureißen; aber es hatte auch niemand Lust, sich dem Pferde zu nähern, bis endlich der Oberst selbst eine Bewegung machte und das Gerippe am Fuß packte. Die Kapelle hatte inzwischen in einiger Entfernung gehalten und kam jetzt langsam näher. Der Oberst warf ihr einzeln und kollektiv jedes üble Schimpfwort an den Kopf, das ihm im Augenblick einfiel, denn er hatte mittlerweile das Paukenpferd an der Brust angefaßt und gemerkt, daß es aus Fleisch und Blut war. Dann trommelte er mit geballter Faust auf die Kesselpauken los und entdeckte, daß sie nur aus Silberpapier und Bambusstäben bestanden. Zuletzt versuchte er immer noch fluchend, das Gerippe aus dem Sattel zu reißen, fand jedoch, daß es durch Drähte an die Sattelpausche befestigt war. Das Bild, wie der Oberst mit seinen Armen des Gerippes Hüften umschlang und sich mit dem Knie gegen des alten Paukenpferds Bauch stemmte, war etwas auffallend, um nicht zu sagen komisch. Nach zwei, drei Minuten hatte er das Gespenst glücklich heruntergezerrt und zu Boden geworfen, wobei er der Kapelle zuschrie: »Hier habt Ihr das Zeugs, vor dem Ihr ausgekniffen seid, Ihr Hunde!« Das Gerippe sah in der Dämmerung nicht gerade reizvoll aus. Aber der Kapellmeister schien es wiederzuerkennen, denn er begann plötzlich zu kichern und zu schlucken. »Soll ich es wegräumen, Herr Oberst?« fragte der Kapellmeister. »Ja,« sagte der Oberst, »schicken Sie 's zur Hölle und reiten Sie selbst hinterdrein!«

Der Kapellmeister grüßte, schwang das Gerippe über den Sattel und führte das Pferd nach dem Stall. Dann begann der Oberst sich nach der übrigen Mannschaft zu erkundigen, und die Sprache, der er sich dabei bediente, war wunderbar. Er würde das ganze Regiment auflösen – jeden einzelnen Kerl vor 's Kriegsgericht bringen – er verzichte darauf, ein derartiges Gesindel zu kommandieren. Als die Leute langsam und allmählich den Weg zurückfanden, wurden seine Ausdrücke immer wüster, bis sie zum Schluß selbst die äußersten Grenzen der Redefreiheit überschritten, die einem Kavallerieoberst erlaubt ist.

Martyn zog Hogan-Yale beiseite und meinte, Geschaßtwerden wäre wohl das Geringste, dessen sie sich zu versehen hätten, wenn die Sache herauskäme. Martyn war der weniger Charaktervolle von beiden. Hogan-Yale zog nur die Augenbrauen hoch und bemerkte: erstens sei er der Sohn eines Lords, und zweitens wäre er an der theatralischen Auferstehung des Paukenpferds so unschuldig wie ein neugeborenes Kind.

»Meine Instruktionen«, sagte Yale mit ganz besonders gewinnendem Lächeln, »lauteten: ich solle das Paukenpferd auf möglichst eindrucksvolle Art zurückbefördern. Ich frage Dich: kann ich dafür, wenn irgend ein Esel von Freund das in einer Weise tut, die die Gemüter von Ihrer Majestät Kavallerie in Aufruhr versetzt?«

Martyn entgegnete: »Du bist ein großer Mann und wirst dereinst General werden; aber ich würde meine Aussicht auf den Rittmeister opfern, wenn ich mit heiler Haut aus dieser Sache raus wäre.«

Die Vorsehung rettete Martyn und Hogan-Yale. Der Etatsmäßige führte den Obersten in eine Nische, wo sonst die Leutnants nachts ihren Poker spielten; dort unterhielten sie sich leise, nachdem der Oberst sich weidlich ausgeflucht hatte. Ich nehme an, der Etatsmäßige schilderte den Streich als das Werk irgendeines gemeinen Kavalleristen, den man nie und nimmer eruieren würde, und ich weiß, er betonte, welche Sünde und Schande es sei, das ganze Regiment zur Zielscheibe des Spotts und des öffentlichen Gelächters zu machen.

»Sie werden uns,« sagte der Etatsmäßige, der wirklich eine bewunderungswürdige Phantasie besaß, – »sie werden uns ›Die Wilde Jagd‹, die ›Geisterjäger‹ nennen; ja, sie werden uns von einem Ende der Armeeliste bis zum anderen mit jedem nur möglichen Spitznamen belegen. Sämtliche Erklärungen von der Welt werden nicht genügen, um den anderen klar zu machen, daß das Offizierkorps nicht dabei war. Um der Ehre des Regiments und Ihrer selbst willen: vertuschen Sie diese Sache.«

Der Oberst war vor lauter Wut erschöpft; so war es nicht so schwierig, ihn zu beruhigen, wie man hätte annehmen können. Langsam und allmählich bewog man ihn zu der Erkenntnis, daß es offensichtlich unmöglich sei, das ganze Regiment vor ein Kriegsgericht zu stellen, und ebenso offensichtlich unmöglich, irgendeinem x-beliebigen Leutnant den Prozeß zu machen, der seiner Meinung nach die Sache angezettelt hätte.

»Aber das Vieh lebt ja noch! Man hat es gar nicht erschossen!« brüllte der Oberst. »Es ist glatter, frechster Ungehorsam! Ich habe erlebt, daß ein Kerl sich wegen geringerer Sachen das Genick gebrochen hat, wegen verdammt viel geringerer Sachen! Ich sage Ihnen, Mutman, sie machen sich über mich lustig! Lustig machen sie sich!«

Und wieder setzte sich der Etatsmäßige zum Obersten und rang mit ihm, eine volle halbe Stunde lang. Nach Ablauf dieser Zeit meldete sich der Regimentswachtmeister. Die Situation war für ihn so ziemlich neu, aber er war nicht der Mann, sich durch irgend etwas aus der Fassung bringen zu lassen. Er grüßte und berichtete: »Melde gehorsamst, daß das ganze Regiment wieder beisammen ist.« Dann fügte er, um den Oberst zu besänftigen, hinzu: »Und die Pferde haben auch nicht gelitten.«

Der Oberst schnaubte nur und antwortete: »Na, dann bringen Sie die Leute nur ins Bettchen und sorgen Sie dafür, daß sie in der Nacht nicht aufwachen und schreien.« Darauf zog sich der Wachtmeister zurück.

Dieser kleine Scherz gefiel dem Obersten; außerdem fing er an, sich der Ausdrücke zu schämen, die er gebraucht hatte. Der Etatsmäßige redete ihm nochmals zu, und die beiden saßen bis tief in die Nacht zusammen.

Am übernächsten Tage gab es eine feierliche Parade vor dem Obersten als dem Garnisonskommandanten, und er hielt den Weißen Husaren eine kräftige Strafpredigt. Der Kern seiner Rede war, da das Paukenpferd sich trotz seines Alters fähig gezeigt hätte, das ganze Regiment in die Flucht zu schlagen, sollte es auf seinen stolzen Posten an der Spitze des Regiments zurückkehren – aber das Regiment sei und bleibe ein Pack erbärmlicher Schufte mit schlechten Gewissen.

Da brachen die Weißen Husaren in ein Hoch aus und warfen alles Bewegliche, das ihnen zur Hand war, in die Luft; und am Schluß der Parade ließen sie den Obersten hochleben, bis sie heiser waren. Leutnant Hogan-Yale dagegen erhielt keine Ovation; er hielt sich still im Hintergrunde auf und lächelte nur ungemein freundlich.

Und der Etatsmäßige bemerkte zum Obersten – außerdienstlich: »Derartige Kleinigkeiten machen außerordentlich populär und erschüttern nicht im geringsten die Disziplin.«

»Aber ich habe mein Wort nicht gehalten,« sagte der Oberst.

»Lassen Sie 's gut sein,« erwiderte der Etatsmäßige. »Die Weißen Husaren werden Ihnen von jetzt ab überallhin folgen. Regimenter sind wie die Weiber. Wenn man ihnen in Kleinigkeiten nachgibt, kann man sie um den Finger wickeln.«

Eine Woche später erhielt Hogan-Yale einen überaus merkwürdigen Brief, unterzeichnet: »Sekretär des Wohlfahrtsvereins Charitas und Zelos, 3709 E. C.« Der Betreffende verlangte ein Gerippe zurück, von dem er, wie er schrieb, begründetermaßen vermute, daß es sich in Hogans Besitz befände.

»Wer zum Teufel ist der Verrückte, der mit alten Knochen handelt?« fragte Hogan-Yale.

»Verzeihung, Herr Leutnant,« sagte der Regimentskapellmeister, »das Gerippe befindet sich bei mir, und ich werde es zurückschicken, wenn der Herr Leutnant die Kosten für den Transport zur Stadt übernehmen. Ein Sarg ist auch noch dabei.«

Hogan-Yale lächelte und reichte dem Regimentskapellmeister zwei Rupien mit den Worten: »Gravieren Sie auf dem Schädel das Datum ein, verstanden?«

Sollte man also diese Geschichte bezweifeln, so weiß man jetzt, wohin man sich wenden muß, um das Datum auf dem Schädel des Gerippes zu lesen. Aber ich rate jedem, nicht mit den Weißen Husaren über die Angelegenheit zu sprechen.

Ich weiß zufällig einiges über die Sache, weil ich das Paukenpferd für seine Auferstehung vorbereitete. Es konnte sich nur schwer an das Gerippe gewöhnen.


 << zurück weiter >>