Alexander Kielland
Schiffer Worse
Alexander Kielland

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Zwölftes Kapitel.

Jeden Abend, wenn sie schlafen ging, wiederholte Henriette den Eid, den sie Lauritz bei seiner Abreise geschworen hatte: »Ich gelobe und schwöre, dich treu im Leben und im Tode zu lieben und mich niemals an einen anderen zu geben.« Jeden Morgen aber, wenn sie aufstand, seufzte sie und weinte sie; denn sie sah keinen Ausweg und es graute ihr vor jedem kommenden Tage.

An ihrem zwanzigsten Geburtstage hatte Madame Torvestad ihr geradezu erklärt, daß sie bald heiraten sollte. Lauritz war fort auf einer langen Reise, er konnte kaum in zwei Jahren wiederkommen. Und selbst wenn er kam, so wußte sie nur zu gut, daß die Mutter nie ihre Einwilligung zu einer Verbindung mit ihm geben würde.

So schwankte Henriette zwischen dem mutigen Schwur und der undurchdringlichsten Hoffnungslosigkeit – bald äußerst niedergeschlagen, bald sich in stolze Träume wiegend von ihrem geliebten Lauritz, wie er sie liebe und wie fest er auf ihre Treue baue.

Ihr Wuchs war nicht so kräftig wie Sarahs; sie war schlanker und magerer; ihr feines lebhaftes Gesicht nahm einen gespannten Ausdruck an, als ob sie immerfort auf etwas warte. Sie machte Sarah zu ihrer Vertrauten und diese redete ihr ins Gewissen und ermahnte sie zum Gehorsam. Henriette aber war viel zu klug um nicht zu entdecken, wie es Sarah in ihrem ehelichen Leben ergehe; und es war auch keine rechte Kraft in Sarahs Ermahnungen, wenn sie von Gehorsam sprach. –

Fennefos ließ sich nach dem Mittage bei Sivert Jespersen mehrere Tage hindurch nicht sehen; er erschien nicht bei Tische und war nicht einmal nachts zu Hause. Madame Torvestad nahm sich dies nicht so sehr zu Herzen, denn Fennefos hatte es schon öfters so gemacht; er hatte viele Freunde in der Umgegend, die er bisweilen besuchte. Wirklich beunruhigt aber fand sie sich darüber, daß der alte Färber mehreremal dagewesen war, um nach Fennefos zu fragen, ohne daß er ihr mitteilen wollte, weshalb er ihn aufsuche.

Madame Torvestad hatte ihre Enttäuschung über Sarah jetzt fast ganz verwunden. Als sie merkte, daß die Tochter ihr über den Kopf wachse, war sie so vernünftig, sich mit dem Glanz zu begnügen, den die gute und reiche Partie auch auf sie warf. Und obwohl Henriette bei weitem nicht Sarahs Platz am Bibelpult auszufüllen vermochte, waren die kleinen Versammlungen bei der Madame doch nach wie vor gut besucht und sie erhielt ihr Ansehen unter den Aeltesten aufrecht. In den letzten Tagen aber schien sich eine Veränderung zu vollziehen, welche sie ängstigte. Sie entdeckte sehr bald, daß die Erzählung von der Himmelfahrt Franckes, welche sie bei Tische vorgelesen, einen sehr bösen Eindruck gemacht habe. Sie vernahm auch, daß die Aeltesten sich wegen Fennefos berieten, ohne sie zu befragen. Es war ausgemacht, daß der alte Färber einen geheimen Auftrag an ihn hatte. Madame Torvestad überlegte die Sache mit Bestimmtheit und faßte dann ihren Entschluß. Als Fennefos sich endlich am fünften Tage wieder sehen ließ, nahm sie ihn sofort in Beschlag und zog ihn in ihr Zimmer.

»Als du voriges Mal hier in der Stadt warst, Hans Nielsen,« so begann sie ihre Einleitung, »befragtest du mich, ob ich dir den Rat geben könne, dich zu verheiraten; damals war ich nicht der Meinung, jetzt aber scheint es mir an der Zeit zu sein.«

Er machte eine Bewegung auf seinem Stuhl und jetzt erst bemerkte sie sein seltsames Aussehen.

Er saß vornüber gebeugt, halb abgewandt vom Tageslicht; die klaren Augen, die sonst offen diejenigen ansahen, mit denen er sprach, waren gesenkt, und wenn er sie je zuweilen aufschlug, glitten sie zur Seite. Er sah bleich aus, errötete aber dann und wann und strich sich mit der Hand über das Gesicht, als wolle er es verbergen. In ihrer Verwunderung über sein verändertes Benehmen vergaß sie es, weiter zu gehen und wiederholte mehrmals: »Jetzt aber scheint es mir an der Zeit zu sein.«

Fennefos seinerseits glaubte, sie wisse alles, gleichwie er auch überhaupt sich einbildete, daß ihm jeder seine Sünde und Unreinheit ansehen könne. Und da sie nun stets wiederholte, daß er sich verheiraten müsse, überfiel ihn eine solche Scham, daß er weder ein noch aus wußte. Madame Torvestadt konnte seinen Zustand nicht recht begreifen, aber sie sah ein, daß ihm etwas zugestoßen sein müsse und sie schloß daraus, daß sie ihn jetzt leichter werde leiten können.

»Du fragtest mich damals auch, Hans Nielsen, ob ich ein junges, christlich gesinntes Mädchen kenne, welches für dich paßte. Ich glaube jetzt ein solches gefunden zu haben. Meine Tochter –«

Er sah sie einen Augenblick so verwirrt an, daß ihr fast bange ward: »Bist du krank, Fennefos?«

»Nein, nur müde.«

Plötzlich stieg ein Argwohn auf in Madame Torvestad: »Oder wär' es möglich, daß du dein Herz von sündhafter Liebe hast bestricken lassen? Wenn dem so ist, Fennefos, so bete zu Gott, er möge dich bewahren und dir beistehen, gegen den bösen Feind in deinem eigenen Fleisch zu kämpfen. Du müßtest Kraft genug haben, um zu siegen und dich nicht in einer so elenden und abscheulichen Schlinge fangen zu lassen. Henriette ist noch jung, bei dir aber wäre sie gut behütet und ich glaube und hoffe, daß sie dir zum Segen sein könnte.«

Fennefos gewann jetzt seine Fassung so weit wieder, daß er der Madame seinen Dank aussprechen konnte. Indessen habe er, wie er sagte, nicht daran gedacht, sich jetzt zu verheiraten; es sei eine so ernste Sache –

»Es ist nicht gut für den Menschen, daß er allein sei – am wenigsten für den Mann,« sagte Madame Torvestad mit Nachdruck; »das wirst auch du wissen, Fennefos, und du erinnerst dich gewiß dessen, was Paulus sagt –«

»Ja, ja,« unterbrach er sie schnell, »wenn ihr meint, daß ich es thun müsse, so will ich Gott bitten, er möge es zum Besten wenden.«

»So will ich mit Henriette sprechen,« sagte Madame Torvestad.

»Ich möchte lieber selbst –«

»Nun wohl – ich habe Zutrauen zu dir; sie ist drinnen in der Webstube.«

»Jetzt gleich? – ich dächte –«

»Es ist kein Grund vorhanden, es aufzuschieben,« erwiderte Madame Torvestad, öffnete die Thür und rief das Dienstmädchen heraus; darauf ließ sie Fennefos eintreten.

Er ließ sich leiten wie ein Kind. Er zweifelte keinen Augenblick daran, daß die Madame um alles wisse. Und das Schamgefühl darüber im Verein mit seiner Ermüdung machte ihn zu einem willenlosen Werkzeug in ihrer Hand. Die letzten vier Tage war er ganz allein längs der Küste hin und her gewandert; seinen Bekannten war er ausgewichen und bei Fremden hatte er Obdach gesucht. Die ganze Zeit hindurch hatte er in Reue mit Furcht und Beben gekämpft. Und voll Zweifel und ohne Frieden in seinem Sinn war er zurückgekehrt mit der unbestimmten Absicht, seine Sachen zu holen und weit weg zu reisen. Als er nun Henriette gegenüberstand, die ihm unruhig ins Gesicht blickte, wußte er nicht, was er thun solle.

Sie aber, die Andeutungen genug in der letzteren Zeit erhalten hatte, faßte sich ein Herz und sagte: »Hans, ich bin verlobt ... Ich habe Lauritz Seehus für Leben und Tod Treue geschworen,« fügte sie hinzu und sah ihn fest an.

Fennefos starrte das junge Mädchen an, das offen seine starke Liebe eingestand, und er fühlte, wie überlegen, wie rein sie ihm gegenüber sei.

»Lieber Hans,« sagte Henriette dann und legte ihre Hände vertraulich auf seine Schultern, »du warst stets gut gegen mich und du bist selbst ein guter Mensch. Du wirst mich nicht auf diese Weise zwingen wollen, das weiß ich, aber du mußt mir auch beistehen gegen die Mutter.«

»Ich will dich gewiß nicht unglücklich machen, Henriette; aber du darfst dich nicht gegen deine Mutter auflehnen.«

»Aber ich will und kann keinen anderen nehmen, als den, den ich liebe.«

»Höre, liebes Kind!« sagte er ruhig und sah sie schmerzlich an – es war nicht das erste Mal, daß Frauen bei Fennefos Beistand gesucht hatten und heute konnte er sich besser als je in ihre Lage versetzen. – »Sicherlich ist keine Wunde schmerzlicher, als die, welche die Liebe in der Jugend schlägt. Aber es gibt eine Hilfe dagegen und Heilung wird dem zu teil, welcher den Frieden sucht, dadurch, daß er seine Pflicht erfüllt im Gehorsam gegen Gottes Gebot und gegen die, welche Gott an seiner Statt eingesetzt hat, über uns zu bestimmen. Du sagst, daß du nicht einen Mann heiraten kannst, den du nicht liebst; aber bedenke doch, wie oft das Herz in der Jugend auf Abwege gerät und –«

»Jawohl, sieh nur zum Beispiel Sarah,« unterbrach ihn Henriette; »was hilft ihr all ihr Reichtum und all ihre Gottesfurcht; ich weiß, daß sie das unglücklichste Geschöpf auf der Welt ist.«

Fennefos wandte sich ab; wiederum war er entwaffnet. Henriette aber trat ans Fenster und schaute in die Luft hinauf über den geräumigen Hofplatz; dann schlug sie keck mit der einen Hand in die andere und sagte halblaut: »Ueberdies habe ich es geschworen!«

Fennefos ging zu Madame Torvestad zurück und sagte nur, daß er und Henriette nicht einig werden könnten. Sie wollte noch weiter fragen; er war aber völlig erschöpft und ging eilig aus der Stube ohne zu antworten. Aber auch in seiner Kammer fand er die Ruhe nicht, deren er so sehr bedurfte; denn hier saß der alte Färber und wartete auf ihn.

»Ich war schon mehrere Male bei dir, Fennefos, und habe deshalb heute auf dich gewartet. Wir alle fühlen ein großes Bedürfnis, mit dir zu sprechen und recht fleißig und vertraulich mit dir umzugehen. Aber nun schien es uns, daß du hier im Hause über das Gespräch und den Umgang mit den Frauen alles übrige vergissest.«

Fennefos war jetzt so müde, daß er den Alten wie im Schlaf anhörte; aber er verstand doch so viel, daß die Freunde ihn aus Madame Torvestads Hause fort haben wollten, und das war auch sein eigener Wunsch.

»Es sind droben auf dem Hofe viele Leute versammelt,« fuhr der Färber fort, »und es kommen ihrer bald noch mehr hinzu, wenn die Ernte beginnt. So waren wir denn der Meinung, daß es gut sein würde, einen zuverlässigen Mann dort zu haben, der sowohl arbeiten, als auch Gottes Wort in den Ruhestunden verkünden könnte. Sivert Jespersen und die anderen haben in der Stadt zu viel zu thun, und so beschlossen wir, dich zu fragen, ob du die Sache übernehmen wolltest?«

»Dazu bin ich gern bereit, wenn ihr glaubt, daß es von Nutzen sein werde.«

»Wir wünschen, daß du schon morgen hinauf zögest.«

Fennefos ward etwas überrascht, gab aber seine Zustimmung, um Ruhe zu bekommen und sobald der Färber aus der Thür war, warf er sich aufs Bett und schlief ein.

Madame Torvestad dachte, als Fennefos fortgegangen war, eine Weile nach, wie dies ihre Gewohnheit war. Darauf öffnete sie mit einer gewissen Feierlichkeit die Thür zur Webstube und sagte: »Henriette, geh auf dein Zimmer und leg' dich zu Bette.«

»Ja, Mutter!« antwortete Henriette, die nach der Unterredung mit Fennefos in die größte Verzagtheit gesunken war; sie näherte sich zitternd der Mutter, um gute Nacht zu sagen, obgleich die Sonne noch hoch am Himmel stand.

»Ich will dir nicht gute Nacht sagen und du sollst auch kein Abendessen haben,« sagte die Mutter und schloß die Thür.

So begannen die großen Abstrafungen zu Gnadau und Madame Torvestad wußte sich noch zu erinnern, wie selbst die Widerspenstigsten dadurch gebeugt werden konnten. –

Als Jakob Worse am Morgen nach Randulfs denkwürdigem Geburtstage erwachte, fühlte er sich höchst unwohl. Der Kopf war ihm schwer und es klopfte drin gewaltig; im Magen aber fühlte er das Uebel wieder. Seine Frau war schon längst aufgestanden; und Worse erwachte eigentlich erst darüber, daß zwei von seinen Packhausleuten hereinkamen und das Bett seiner Frau, das neben dem seinigen stand, fortnahmen.

»Was macht ihr denn da?« fragte er verdrießlich.

»Wir tragen das Bett der Madame ins andere Zimmer.«

»Was schwatzt ihr da für Unsinn?«

»Pst, pst!« sagte der alte Packhausvorsteher, »Sie müssen sich nicht erhitzen; Sie sind krank, Herr Kapitän; Sie dürfen nicht sprechen, sollt' ich von der Madame bestellen.«

Worse brummte etwas, und sah mit mattem Blick dem Bette nach, das hinausgetragen wurde. Als seine Frau bald darauf hineinkam, sagte er: »Wie konntest du das Bett fortbringen lassen, Sarah; du weißt doch, daß ich morgen wieder besser bin, es ist immer nur der erste Tag so schlimm. Pfui! Dieser infame Punsch, nie will ich das ekelhafte Zeug wieder trinken!«

»Du bist kränker als du glaubst, sowohl am Leib wie an der Seele, und mir scheint, du solltest darauf bedacht sein, Heilung für beide Uebel – zumal für deine Seele – zu finden, ehe es zu spät wird.«

»Ach ja, liebe Sarah, du weißt, wie gerne ich das will; aber du mußt mir helfen. Setz dich her zu mir und lies mir etwas vor.«

»Heute nicht,« antwortete sie.

Er lag allein im Bette den ganzen Tag und befand sich sehr schlecht. Am nächsten Tage war ihm wohl, der Kopf war klarer geworden, aber die Schmerzen im Magen waren so empfindlich, daß er sich darein ergab, liegen zu bleiben. Sarah kam von Zeit zu Zeit in die Schlafstube und immer bat er sie flehentlich, sie möge sich zu ihm setzen; wenn er allein sei, kämen ihm so viele böse, unheimliche Gedanken. Endlich setzte sie sich ans Fenster mit einigen kleinen Büchern – sie hatte sich nun auch solche angeschafft, wie ihre Mutter.

»Ist es nicht dein Wille, Worse, daß du dich jetzt bekehren und Buße thun willst für deine Sünden? Oder willst du es noch länger aufschieben?«

»Nein, nein, liebe Sarah, du weißt, wie gern ich mich bekehren will, aber du mußt mir dabei helfen, ich selbst weiß weder aus noch ein.«

»Nun gut! Dann will ich damit anfangen, dir aus einem trefflichen Buche vorzulesen von den neun Beweggründen, welche zur Erkenntnis der Sünde führen und den Menschen zur Buße und Besserung treiben. Hör jetzt gut zu, nicht bloß mit den Ohren, sondern auch mit deinem widerspenstigen Herzen, und möge Gott seinen Segen ins Wort legen.«

Darauf las sie langsam und eindringlich: »Zuerst leitet Gottes große Barmherzigkeit uns zur Bekehrung, wie der Apostel sagt im Briefe an die Römer in des zweiten Kapitels viertem Verse: Gottes Güte leitet dich zur Bekehrung. Danach zieht Gottes reines und klares Wort uns zur Buße hin. Denn gleichwie der Herr ehedem seine Propheten ausgeschickt hat, so sendet er noch täglich seine Prediger und andere Werkzeuge aus, welche wie eine Posaune seine Worte ausrufen, die große Glocke Arons unter den Menschen hören lassen, um sie dadurch zur Bekehrung zu erwecken. Dann sollen wir auch genau auf Gottes Gerichte acht geben, welche er von Erschaffung der Welt an über halsstarrige Sünder hat ergehen lassen – wie durch Wasserfluten, starke Winde, fremdartige Drohungen vom Himmel, Wetterleuchten, welches Feuer von oben herab schleudert und Erdbeben unter unseren Füßen, welches die Häuser über unseren Häuptern zusammenwirft.«

»Lissabon« – murmelte Worse; ein Bild von dem großen Erdbeben hing über dem Sofa in der Wohnstube.

»Der vierte Beweggrund ist die unendliche Zahl unserer begangenen Sünden, als wir in unseren Lüsten, in Trunkenheit, Schlemmerei, Völlerei und greulicher Abgötterei wandelten. Der fünfte Grund ist die Kürze unseres Lebens, welche uns voll Ernst zuruft, daß wir uns bekehren sollen. Denn das Leben fährt schnell dahin, als flögen wir davon und wir verzehren unsere Jahre wie Geschwätz. Der sechste Grund ist die kleine Zahl derer, welche selig werden; denn die Pforte ist eng und der Weg ist schmal, der zum Leben führt, und nur wenige finden ihn. Siebentens bedroht uns der Tod, was dem Fleische widerwärtig ist, und das Andenken daran ist bitter für jeden, der in der weltlichen Wollust erstickt und erdrückt ist.«

Worse machte eine unruhige Bewegung im Bette, als ob er sie unterbrechen wollte; sie aber fuhr fort: »Dann sollten wir auch den Tag des Gerichts bedenken, der kommen soll wie ein Dieb in der Nacht, an dem die Himmel vergehen mit großem Getöse, und die Elemente vor Hitze schmelzen und die Erde und die Werke, die darauf sind, verbrannt werden. Der neunte und letzte Beweggrund aber ist die Pein der Hölle, welche von allen Martern die unleidlichste und unerträglichste ist. Die Schrift spricht schrecklich von dem Zustand der Verworfenen in dem ewigen Feuer, wo die Schlange niemals stirbt und die Glut nie erlöscht; eine Verdammung, ein unauslöschlicher Pfuhl, der ewig mit Schwefel und Feuer brennt, welcher heißt Gehenna, das ist die ewige Pein; und es steht geschrieben: Die Hölle ist von gestern her gemacht, und dieselbe ist auch dem Könige bereitet, weit und tief genug. So ist die Wohnung drinnen Feuer und Holz in größter Mannigfaltigkeit; der Odem des Herrn wird sie wie einen Schwefelstrom anzünden.«

»Höre, Sarah! Kannst du nicht etwas anderes finden?« sagte Worse ängstlich.

Sie las weiter: »Die Tage der Höllenpein sollen niemals ihre Vollkommenheit oder ihre Jahre ein Ende erreichen. Wenn so viele Jahre vergangen sind, als Menschen da sind auf der Welt und Sterne am Firmament; wenn so viele tausend Jahre zu Ende sind, als Steine und Sand zu finden auf dem Meeresgrunde, so sollen doch über alle diese noch zehnhunderttausendmal mehr zu erwarten sein. Solche, die sich nicht bewegen lassen, wenn sie dies hören, die sollen es hernach zu fühlen bekommen und in Stücke zerrissen werden. Alle Trunkenbolde und Spötter und die, welche ihren Bauch zu ihrem Gott machen und die, welche ihren eigenen Lüsten dienen, sowie auch alle Ungläubigen – die sollen an einem Tage vor dem Richterstuhl des Herrn geoffenbart werden. Dann wird Gottes Majestät sich sehen lassen mit einem blutig rächenden Schwert und einem Gerichtsstabe. Der Teufel, der alte Satan, soll auf der einen Seite stehen, um sie anzuklagen, ihr eigenes Gewissen auf der anderen, um sie zu verdammen, und unten der offene Schlund der Hölle, um sie zu verschlingen.«

»Sarah, Sarah, ich bitte dich, lies nicht weiter!« rief Worse.

Sie aber erhob ihre Stimme und die Worte kamen hervor wie scharfe Messer: »Dann soll das jammervolle und fürchterliche Urteil gefällt werden: Hinweg, ihr Verdammten, ins ewige Feuer, das dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist! Da sollen sie den Kelch des ewig währenden Zornes Gottes trinken im Königreich der Finsternis, im Angesicht des abscheulichen Teufels mit allen verdammten Feinden des Herrn; wo das traurige und wehmütige Brausen des Zornes Gottes stets durch ihre Ohren tönen soll, wo keine andere Freude ist, als abscheuliche Verwüstung und Weh und unendliche Klage. Ihr Geschrei und ihr Heulen soll so heftig sein, ihre Seufzer so tief und ihr Elend so unsäglich, daß sie wie Hunde, ja wie die wilden Wölfe heulen und brüllend und rasend in ihrem Verderben rufen sollen: ›Wehe! Wehe! Wehe! – daß ich jemals geboren wurde! Ach wäre ich doch nie geboren und hätte meine Mutter mich nie empfangen! Verflucht sei die Zeit, wo ich gezeugt ward, die Stunde, wo ich empfangen wurde und der Tag, an welchem ich an der Brust der Mutter sog!‹«

»Sarah! Um Gottes willen, halt ein!« rief Worse; er hatte sich im Bette aufgerichtet und hielt sich mit beiden Händen fest, der Schweiß perlte ihm auf der Stirn und er zitterte heftig.

Sie sah ihn mit ihren starken Augen an und sprach: »Bist du endlich dem lebendigen Gott in die Hände gefallen?«

»Sarah, Sarah! Was soll ich thun?«

»Beten,« antwortete sie und ging hinaus. Er wälzte sich in Schmerzen und Angst, rief ihren Namen und bat sie, sich zu erbarmen und herein zu kommen; er konnte sie im Nebenzimmer hören. Endlich kam sie wieder herein.

»Sarah! Weshalb bist du so hart gegen mich? So warst du früher nicht.«

»Ich behandelte dich nicht auf die rechte Weise.«

»Glaubst du denn, daß dies die rechte sei?«

»Ich hoffe es.«

»Ach ja, du verstehst es wohl am besten, aber dann mußt du mir helfen, Sarah. Geh nicht von mir!« und er hielt ihre Hand fest wie ein Ertrinkender.

Einige Tage darauf durfte er aufstehen; er ging im Hause umher, wo Sarah war, und ward jedesmal ängstlich, wenn sie die Stube verließ. Oder er saß in einem Winkel, ein religiöses Buch in den Händen haltend, nicht so sehr, um darin zu lesen, als um einen Schutz gegen die Anfälle des Bösen zu haben. Es war ihm endlich klar geworden, woran er niemals zuvor recht hatte glauben wollen, nämlich, daß der Teufel ihm überall nachstelle.

Als Sarah ihren Mann von sich gescheucht hatte, ward sie etwas weniger streng gegen ihn. Nur wenn er sie bat, das Bett wieder an die alte Stelle setzen zu lassen, da er wieder ganz gesund sei, kam der harte Ausdruck in ihr Auge zurück und sie las ihm Dinge vor, die seinen Kopf gänzlich verwirrten. Sie selbst ging umher wie in der tiefsten Finsternis. Sie hatte weder Gebete noch Gesänge mehr und in der Versammlung waren ihre Gedanken abwesend. Der Augenblick, wo sie in seinem Arm geruht, hatte ihr mit einem Schlage den ungeheuren Betrug offenbart, der an ihr verübt war. Ihre Jugend, ihr heftiges Blut, ihre heiße unbegrenzte Liebe zu diesem Manne hatte man zurückgedrängt und unter Gottes Wort, unter Ermahnungen, Gesängen, Bibelsprüchen, Gesprächen und Gebeten niedergedrückt. Und dies alles waren nichts als Worte – Worte – Worte – die sie mit Hohn von sich warf. Sie wußte nichts mehr von Glauben und Hoffnung, aber von der Liebe wußte sie, daß sie einen einzigen Mann liebte – ihn wild und leidenschaftlich liebte.

In den Tagen, wo Fennefos verschwunden war, ging sie wie im Fieber umher. Dann kam er wieder und zog von ihrer Mutter fort und hinaus auf den Hof der Haugianer. Derselbe lag dicht bei der Stadt, und Sarah, die sonst nie über die nächsten Straßen hinausgekommen war, begann nun weite Spaziergänge in der Umgegend zu machen. Hinter einem großen Stein oder einem Zaun stand sie verborgen und starrte zu ihm hinüber, wenn er auf dem Felde arbeitete. Sah sie ihn nicht, so setzte sie sich auf einen Felsenvorsprung, sah in die Luft oder pflückte eine Blume, die sie aufmerksam von allen Seiten betrachtete, als sei es etwas ganz Neues und Merkwürdiges, das sie nie zuvor gesehen.

In der Versammlung verwandte sie kein Auge von ihm; er sprach dort nie mehr und wandte auch seine Augen nicht ein einziges Mal nach der Seite hin, wo sie saß. Ihr merkten die Leute nichts an; dahingegen schien es den Freunden, daß mit Fennefos eine Veränderung zum Besseren vorgegangen sei. Die übertriebene Strenge, mit der er begonnen hatte, war jetzt fast ganz von ihm gewichen – ja es war fast etwas Demütiges an ihm.


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