Alexander Kielland
Schiffer Worse
Alexander Kielland

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Achtes Kapitel.

Der erste Schatten, der auf Schiffer Worses Glückseligkeit fiel, war die Begegnung mit dem Konsul Garman, als er sich nach Sandsgaard begeben hatte, um seine Verlobung zu melden,

»Guten Morgen, Worse,« rief ihm der Konsul entgegen, »Eben war der Bremer Kapitän hier; er will Sie mit Vergnügen mitnehmen, und da er ganz segelfertig ist, so thäten Sie wohl am besten daran, wenn Sie heute nach Smörvig hinausführen. Unser Wagen soll Sie in der Stadt abholen. Sie können dann absegeln, sowie der Wind günstig wird.«

»Ich danke bestens, Herr Kunsel – aber – hm.«

»Ist etwas dazwischen gekommen?«

»Ja – leider – ist etwas dazwischen gekommen.«

»Doch kein Unglück?«

»Nein – eher ein Glück,« schmunzelte Worse, dem durch die Wendung, die das Gespräch genommen hatte, der Mut stieg; »ich will mich verheiraten,«

»Tod und Teufel,« rief der Konsul, sich gänzlich vergessend; »hm, verheiraten wollen Sie sich – das kam mir etwas unerwartet; mit wem, wenn ich fragen darf?«

»Mit einer Tochter der Madame Torvestad, die, wie Sie wissen, in meinem Hause wohnt.«

»So? Ich glaubte nicht, daß Madame Torvestad eine Tochter von passendem Alter habe.«

»Sie ist allerdings etwas jung – etwas jünger als ich,« erwiderte Worse, dem das Blut zu Kopfe stieg, »aber sonst ein sehr gesetztes und ernstes Mädchen.«

»Ihre Familie gehört zu den ›Erweckten‹; haben Sie die Absicht, Haugianer zu werden, Kapitän Worse?«

»Meiner Treu, nein,« erwiderte der andere und wollte lachen; der Ton des Konsuls verhinderte es aber.

»Nun ja, mein lieber Jakob Worse, das müssen Sie mit sich selbst ausmachen,« sprach der Konsul und erhob sich, um ihm die Hand zu reichen; »nehmen Sie meinen Glückwunsch; mögen Sie diesen Schritt nie bereuen. Wann soll die Hochzeit stattfinden? Schon Sonntag! Nun, wahrhaftig, Sie haben Eile, ja, ja, wenn Sie es nur nie bereuen!«

Als Worse fortging, war es des Konsuls erster Gedanke, ihm nachzueilen und ihm recht aus Herzens Grund eine Beschreibung der Haugianer und ihres ganzen scheinheiligen Wesens zu geben. Er besann sich aber. Morten Garman war ein kluger Mann, der seine Worte nicht gern verschwendete. Er hatte vom Schiffer Worse in der kurzen Unterredung genug gesehen und er war in den mancherlei Symptomen der Liebe hinlänglich bewandert.

Worse fand die rechte Stimmung erst wieder, als er nach Hause zurückgekehrt war, obgleich die Scheuerfrauen und Handwerker aller Art, die hier ihr Wesen trieben, den Aufenthalt keineswegs behaglich machten. Worse aber ging vor Glück strahlend umher; bisweilen machte er einen Abstecher ins Hinterhaus, um Sarah einen Augenblick zu sehen. Aber auch hier hatte man alle Hände voll zu thun, und Sarah saß stets verschämt über ihre Arbeit gebeugt. So verbrachte er die Tage, ruhelos vor lauter Glück; am Freitag Morgen wiederholte er beständig: »Uebermorgen, übermorgen!«

Er beachtete durchaus nicht, daß seine Freunde ihn aufzogen und ihm allerlei Unheil prophezeiten; sogar die unangenehme Begegnung mit dem Konsul vergaß er. Des Schiffes aber, für das sie beide so begeistert gewesen waren, ward niemals wieder mit einem Worte zwischen ihnen gedacht.

Am Sonntag wurden sie vom Prediger in Madame Torvestads Behausung in Anwesenheit einiger Freunde getraut; und am Abend ward Sarah Jakob Worse übergeben, der sie in seine Wohnung einführte und die Thür hinter ihr schloß.

Im Herbste kam endlich der Schiffer Randulf heim. Worse beeilte sich, mit ihm zusammenzutreffen und sie fingen sofort an, sich einander zu erzählen, wobei sie sich gegenseitig kaum zu Worte kommen ließen. Indessen war die Begegnung bei weitem nicht so interessant, wie Worse es sich gedacht hatte. Die Geschichten von Rio de Janeiro waren veraltet und der alte herzliche Ton von früher wollte nicht recht hervorkommen, bis Randulf endlich auf den Kern der Sache losging und sagte: »Nun, du alter Heide, du hast dich, wie ich höre, mit einer der elftausend klugen Jungfrauen verheiratet?«

»Ja, Freundchen, ich sage dir, das ist ein prächtiges Frauenzimmer,« entgegnete Worse und blinzelte mit den Augen.

»Nimm dich nur in acht, daß sie dich nicht zu einem Hasenfuß macht, wie Sivert Geschwind und die anderen.«

»Hat keine Not, mein Junge; Jakob Worse hat schon früher mit Frauenzimmern zu thun gehabt.«

»Nun, was das betrifft, Freund Jakob, so scheint es mir, daß es dir mit deiner ersten Frau nicht zum besten ging.«

»Ach, sprich doch nicht von der, die war ja nicht recht klug. Nein, Sarah, das ist ganz was anderes –« und er hielt nun eine äußerst warme Lobrede über alle ihre Vorzüge.

Thomas Randulf aber lächelte fortwährend ungläubig, was Jakob Worse höchlich ärgerte; er wurde immer eifriger in der Schilderung von Sarahs trefflichen Eigenschaften und seinem eigenen Glück, aber mit immer stärkerem Zweifel senkte sich Randulfs lange Nase über die emporgezogenen Mundwinkel, so daß Worse endlich der Sache überdrüssig ward und sich zum Fortgehen anschickte.

»Nein, nein, Jakob, du darfst noch nicht gehen; hast du denn solche Eile? Noch ein kleines Glas!«

»Ja, ich habe Eile, es ist halb zwölf Uhr und um zwölf essen wir zu Mittag,«

»Aha, da fängt's schon an,« rief Randulf triumphierend; »du darfst keine Minute länger fortbleiben, als deine Frau es dir erlaubt hat. Natürlich darfst du auch kein Glas Wein mehr trinken; sie könnte es merken. Hahahaha! Du hast dir was Schönes zurecht gemacht, Jakob, während ich fort war.«

Die Folge davon war, daß Worse bis halb ein Uhr sitzen blieb und daß er mit etwas gerötetem Gesicht und schwimmenden Augen heim kam. Seine Frau hatte mit dem Essen auf ihn gewartet. Sie war sehr ernst, ernster als gewöhnlich, und als er in einem munteren unbekümmerten Tone zu sagen versuchte: »Randulf ist heimgekommen,« antwortete sie ihm zu seinem großen Verdruß: »Ja, das sehe ich!«

Schlimmer war es noch, daß sie ohne ein Wort zu sagen die Flasche vom Tisch nahm, denn Worse war es gewöhnt, ein Mittagsschnäpschen zu trinken. Er wagte aber keine Einwendungen zu machen. Die Nachwirkungen von Randulfs starkem Marsala machten sich geltend und er fühlte sich nicht so sehr Herr seiner Zunge, daß er es gewagt hätte, sich auf eine längere Erörterung einzulassen. Es herrschte deshalb bei Tisch tiefes Schweigen, und dann legte Worse sich aufs Sofa in der Wohnstube um zu Mittag zu schlafen.

Sonst schlief er nur ein Stündchen; aber heute erwachte er erst um fünf Uhr und er war höchst erstaunt, als er sich in ein graues Tuch eingewickelt fand und vor dem Sofa eine Schale mit Hafersuppe stehen sah. Er lag stille und bedachte sich eine Weile. Der Kopf war ihm schwer und sein Gedächtnis dunkel und unzusammenhängend. Er erinnerte sich zweier Knaben, die ihn ausgelacht hatten, als er leichtfüßig über die Treppen vor dem Gewürzladen der Gebrüder Egeland hüpfte und daß er die Absicht gehabt, sich zum Polizeimeister zu begeben, um sie zu verklagen; auch erinnerte er sich deutlich einer Flasche, die sich entfernte und in einem Schrank verschwand, dann aber hatte er nur einen unbestimmten Eindruck von gekochtem Dorsch. Er wollte aufstehen, aber in demselben Augenblick trat Sarah vom Eßzimmer herein und rief: »Nein, nein, du bist krank, du mußt liegen bleiben.«

»Ach was, Sarah, das hat nichts zu bedeuten. Es kommt bloß davon her, daß –«

»Ich will die Mutter holen,« sagte sie und ging zur Thür.

»Nein, nein, was soll die hier; dann will ich lieber liegen bleiben, wenn du es durchaus haben willst.«

Er legte sich wieder hin und sie reichte ihm die Hafersuppe. Der milde Trank that ihm in seinem schlaffen dürstenden Zustande wohl; er dankte ihr und wollte ihre Hand ergreifen, sie aber zog sie zurück. Sie stand hinter ihm und betrachtete seinen grauen Kopf; es war gut für ihn, daß er nicht ihre Augen sah. Worse lag den ganzen Tag auf dem Sofa und befand sich wohl dabei in seiner Ermattung nach dem bösen Vormittagsrausch.

Am nächsten Tage war er wieder ganz hergestellt. Doch wagte er nicht, nach der Flasche zu fragen; die war und blieb verschwunden.

Von seinem Sohne Romarino erhielt Worse einen Brief, der ihn in sehr üble Laune versetzte. Der junge Herr warf ihm vor, welche Thorheit es gewesen sei, in so vorgerücktem Alter eine so junge Frau zu nehmen und beklagte sich dann ziemlich unumwunden über den pekuniären Verlust, welchem der Vater ihn ausgesetzt habe. Worse reichte Sarah den Brief; sie las ihn, während er brummend im Zimmer auf und ab ging,

»Von dem jungen Manne ließ sich kaum etwas anderes erwarten; weder von seiner Mutter noch von dir hat er wohl etwas Besseres gelernt. Wie ihr säet, so sollt ihr ernten! Willst du, daß ich an ihn schreibe?«

»Ja, dafür würde ich dir sehr dankbar sein,« erwiderte Worse erfreut; »da würdest du mir eine große Last abnehmen.«

Sarah hatte es überhaupt, als sie erst Hand anlegte, verstanden, eine ganz andere Ordnung im Hause einzuführen, wo bisher, da die Hausmutter fehlte und der Mann so oft und lange abwesend war, so manches versäumt worden.

In den ersten Wochen nach der Hochzeit hatte Sarah sich für gar nichts interessiert. Als ihre nur halb zur Entwicklung gekommene Jugend, ihre emporkeimenden Hoffnungen und verkümmerten Wünsche mit einem Schlage unbarmherzig niedergestampft wurden, fiel gleichsam ein dunkler Vorhang, der das Leben verhüllte und keine andere Aussicht ließ, als die Erlösung durch einen seligen Tod, mitten vor ihr nieder.

Eines Tages aber war ein neuer Lebenskeim in ihr erweckt. Als sie aus der Stadt, wo sie einige Einkäufe gemacht, nach Hause kam, traf sie hier ihre Mutter, welche sich in den Stuben zu schaffen machte, Stühle längs den Wänden zurecht setzte und ihre kleinen geistlichen Bücher auf den Tischen umher ausbreitete.

Als Sarah eintrat, sagte die Mutter mit einer Stimme, die nicht völlig so sicher war als sonst: »Ich habe mir gedacht, es sei besser die Versammlungen hier in deinen Stuben abzuhalten; sie sind doch heller und geräumiger.«

»Hast du meinen Mann darum gefragt?«

Meinen Mann! Es war das erste Mal, daß die Witwe diese beiden Worte so fest und sicher aus dem Munde ihrer Tochter hörte, daß sie unwillkürlich zusammenfuhr. Sarah begann ganz ruhig die kleinen Bücher der Mutter auf einen Haufen zu sammeln, den sie dann auf einen Stuhl neben der Thür legte; sie stellte einige Stühle wieder auf ihren rechten Platz und sagte ohne aufzusehen: »Ich will keine Versammlung in meinem Hause abhalten, ohne mich vorher darüber mit meinem Mann beraten zu haben.«

»Daran thust du sicherlich recht, liebe Sarah,« erwiderte Madame Torvestad sehr freundlich, wenn auch mit bebenden Lippen; »ich hatte es wohl nicht recht bedacht. Ich hoffe, daß ihr heute abend zu uns hinüberkommen werdet.«

»Wenn mein Mann will.«

Damit ging die Mutter fort und nahm ihre Bücher mit. Sarah preßte die Hände gegen die Brust. War die Sache auch ganz still abgelaufen, so war es doch beiden bewußt, daß es ein Kampf gewesen sei, ein Aufruhr, in dem die Tochter über die Mutter gesiegt hatte.

Sarah blieb eine Weile stehen und betrachtete die soliden Möbel aus Mahagoni, die neuen Gardinen, die Spiegel, den Schlüsselschrank, dessen Schlüssel sie selbst in der Tasche trug. Sie trat zum Schrank, schloß ihn auf und betrachtete all die kleinen und großen Schlüssel, die darin hingen. Wohl hatte sie ihren Mann in einer Anwandlung überströmenden Glückes sagen hören: »Siehe, dies alles ist nun dein! Du kannst damit machen, was du willst; und sollte etwas fehlen, wozu du Lust hättest, so sage es nur und es soll sofort da sein.«

Sie hatte aber seine Worte nicht beachtet. Was kümmerte sie sich um all diese Dinge? Konnte irgend etwas ihr verlorenes Leben ersetzen? Erst dadurch, daß sie die Mutter in ihren Stuben sich als Herrin gebärden sah, ward sie aus ihrem traumähnlichen Zustand geweckt.

Mit den gemeinschaftlichen Einkäufen, die Madame Torvestad anfänglich für beide Haushaltungen besorgte, hatte es ein Ende, Sarah nahm alles jetzt selbst in die Hand und glimpflich aber unerbittlich ward die Herrschaft der Mutter wieder auf das Hinterhaus beschränkt.

Sarah war von Jugend auf tüchtig zur Arbeit angehalten worden und sie hatte die Gabe der Mutter, alles wohl zu ordnen und einzurichten, geerbt. Diese Gabe hatte sich aber bis jetzt nicht entwickeln können, denn die Mutter hatte die Tochter stets bevormundet und Sarah hatte sich wie ein Dienstmädchen plagen müssen – pflichtgetreu und gottesfürchtig, ohne anderes Interesse für die Sachen, die sie unter Händen hatte, als daß sie sie nicht zerbreche. Jetzt hatte sie ihren eigenen Haushalt, war frei und unabhängig und gebot über weit größere Mittel, als die Mutter. Die reiche Frau Worse, wie man sie in der Stadt zu nennen anfing, war eine ganz andere und weit bedeutendere Erscheinung als die verwitwete Madame Torvestad, und das Gefühl davon gab Sarah ein neues Interesse am Leben und nahm etwas von der Kälte, die sich über ihr ganzes Wesen gelegt hatte, hinweg. Als die erste schlimmste Zeit überstanden war, begrub sie ihre Träume und ihre Jugend so gut wie es gehen wollte, in Gebet und Beschäftigung mit Büchern, und ihr Hauswesen hielt ihre Gedanken von unfruchtbaren Grübeleien fern.

Den größten Vorteil von dieser Veränderung hatte Jakob Worse. Selbst mitten in seinem höchsten Glück hatte ihm die eisige Kälte, mit der sie sich seine Liebkosungen gefallen ließ, nicht entgehen können. Jetzt aber wurde ihr Wesen anders; wohl war sie nie liebevoll, oder auch nur freundlich, aber sie sorgte doch für ihn, machte es ihm gemütlich im Hause, sprach mit ihm und befragte ihn sogar um seine Geschäfte und seine sonstigen Angelegenheiten. Worse gab ihr mit Freuden alle nötigen Erklärungen und konnte sich nicht genug darüber wundern, daß seine Frau alles so gut begriff. Bald konnte sie ihm sogar Ratschläge erteilen und zuletzt befragte er sie über alles.

So verging der Herbst und der Winter trat ein, Sarah besuchte die Versammlungen fleißig nach wie vor. Wurden sie bei der Mutter abgehalten, so pflegte sie auf ihrem alten Platz bei der Bibel zu sitzen. Sie sah noch hübscher aus als früher, denn ihre Haltung war eine freiere geworden; auch in ihrer Kleidung war eine Veränderung vorgegangen. Nicht daß sie sich übermäßig herausgeputzt hätte; selbst der strengste Haugianer würde an ihrem Anzuge nichts haben aussetzen können. Die Frauen aber, die sich darauf verstanden, konnten nicht umhin, zu bemerken, daß ihr Leinenzeug zu dem feinsten gehörte, welches aufzutreiben war, daß ihre wollenen Kleider an Kostbarkeit seidenen wenig nachgaben, und daß, wenn sie einen weißen Kragen über dem Kleide trug, derselbe aus echten Spitzen von großem Werte bestand. Aber auch die Männer sahen etwas Ungewöhnliches in der jungen Frau und ihre eigenen Frauen bekamen bisweilen Bemerkungen zu hören, wie: »Nehmt Sarah zum Beispiel, so solltet ihr euch kleiden, so solltet ihr euer Haus einrichten.« Der Mutter ward auch Lob gespendet, weil sie ihre Tochter so gut erzogen habe.

Worse ging nicht immer zu den Versammlungen. Wenn er es vorzog, in den Klub oder zu Randulf zu gehen, so widersetzte Sarah sich dem nicht. Am besten aber befand Worse sich zu Hause. An den Winterabenden, wo früh Licht angezündet wurde, saß er am Tisch in der Wohnstube bei seiner Arbeit. Worse hatte eine recht geschickte Hand und in seiner Jugend hatte er etwas von der Schiffsbaukunst gelernt; nun war er auf den Gedanken gekommen, ein kleines Modellschiff zu bauen, das bis in die mindesten Einzelheiten »Der Familie Hoffnung« entsprechen sollte. Sarah las ihm vor und strickte. Es waren die Schriften Scrivers, Johann Arndts, Luthers und ähnliche. Worse hörte nicht gerade andächtig zu, aber der Ton ihrer weichen, klaren Stimme that ihm wohl und überdies sah sie so hübsch aus, wenn das Licht auf ihre reine Stirn und das dunkle, glattgestrichene Haar fiel.

Im Klub machte man nach wie vor schlechte Witze und selbst Randulf konnte es nicht lassen, ihn zu necken. Ueberhaupt war Randulfs Zurückkunft eine Enttäuschung für Worse; diese ewigen Sticheleien über seine Heirat wurden ihm unerträglich. Randulf selbst war Witwer, seine Kinder waren erwachsen, der älteste Sohn war Schiffer und wohnte in der Stadt.

Nicht minder war es Worse peinlich, wenn Randulf das Gespräch darauf brachte, wie sie sich dieses Jahr für den Fischfang einrichten wollten: denn er gedachte dann seines, der Madame Torvestad gegebenen Versprechens. Eines Tages aber ließ Sarah einige Worte darüber fallen, als ob sie darauf vorbereitet sei, er werde wie gewöhnlich am Fischfang teilnehmen.

»Weißt du denn nicht,« wandte Worse ein, »daß ich, ehe ich verheiratet ward, deiner Mutter versprechen mußte, ich wolle niemals mehr –«

»Das weiß ich wohl,« erwiderte Sarah, »aber dies Versprechen nahm die Mutter dir ab um meinetwillen und ich entbinde dich jetzt davon. Du kannst gern reisen, wenn du willst.«

Sarah hatte ihrer Mutter dasselbe gesagt, als sie von der Sache sprachen; mochte sie nun nichts dagegen haben, daß ihr Mann sie eine Zeitlang allein ließ, oder weil sie auch in dieser Sache von der Mutter unabhängig sein wollte. So faßte es diese wenigstens auf und fühlte sich in ihren Hoffnungen immer mehr getäuscht.

Worse sprach jetzt mit großem Eifer von allem, was er bei dem bevorstehenden Zuge ausrichten wolle, und Randulf dachte in seinem stillen Sinn: jetzt hat er Erlaubnis bekommen.

Der Fischfang fiel in diesem Jahre aber schlecht aus. Die Heringsschwärme wollten sich nicht recht setzen und das Wetter war höchst ungünstig, Worses Bemühungen hatten wenig Erfolg, sein früheres Glück war von ihm gewichen oder, wie andere meinten, seine frühere Thatkraft; Worse beginne alt zu werden, hieß es allgemein.

»Ach ja,« sagte Randulf im Klub, »wenn ein so alter Mann eine so junge Frau nimmt, ist es bald vorbei mit ihm,« wobei er eine sehr bezeichnende Gebärde machte.

Worse brachte eine tüchtige Gicht mit nach Hause und flüchtete hinter den Ofen zu seiner Frau. Daheim war es doch am besten, und als »Der Familie Hoffnung« zum Frühjahr eine lange Reise unternehmen sollte, machte Worse selbst den Vorschlag, daß sein altes Schiff einem der anderen Kapitäne im Dienst der Firma übergeben werden solle.

Lauritz Seehus ward zum Steuermann befördert. Er war während des Winters in Bergen gewesen, wo er sein Examen abgelegt hatte, und ehe er fortzog, hatte er sich von Henriette das heilige Versprechen geben lassen, daß sie ihm für Leben und Tod treu bleiben wolle. –

Auch im nächsten Frühjahr ging Worse nicht zur See. Er klagte über Gicht und Magenschmerzen. Der Arzt konnte mit sich nicht darüber einig werden, was ihm eigentlich fehle; er meinte jedoch, die Leber sei angegriffen.

Je kränklicher er aber ward, desto mehr machte seine Frau sich mit ihm zu schaffen und desto sorglicher war sie gegen ihn; es war fast so, als wäre sie seine Tochter, daß sie aber zugleich seine Gattin war, machte ihn doppelt glücklich und dankbar. Dazu kam, daß im Laufe der Zeit all das Singen und Lesen um ihn her ganz unvermerkt auf ihn einwirkte. Jakob Worse hatte sich immer Gott ungefähr so vorgestellt, wie den Konsul Garman – als einen strengen und genauen Herrn, der schließlich aber doch gutmütig war und mit dem es sich wohl auskommen ließ, wenn man nur selbst nicht schlecht und arglistig war. Aber jetzt lernte er etwas ganz anderes.

Es half nur wenig, daß er ein braver Seemann gewesen, der nie einem norwegischen Mann (mit Ausländern und Schweden nahm er es nicht so genau) zu nahe getreten war, sondern jedem das Seine hatte zukommen lassen; das war jetzt bei weitem nicht genug. Manchesmal, wenn von der Schwierigkeit der Bekehrung, von der schweren Not in der Stunde der Anfechtung die Rede war, dachte er ganz insgeheim, sollte dies alles wohl wahr sein?

Sein Glaube an Sivert Jespersen war keineswegs unerschütterlich und zu Endre Egeland hatte er auch kein besonderes Vertrauen; er hatte zu schlimme Erfahrungen mit ihrem eigentlichen Charakter gemacht. Dann aber mußte er an Sarah denken. Sie, welche doch die Vollkommenheit selbst war in allen Beziehungen, sagte, daß sie jeden einzelnen Tag – buchstäblich jeden einzelnen Tag – den alten Adam ertöten und mit dem bösen Feind in ihrem eigenen Fleische kämpfen müsse. Dies erregte in immer höherem Grade seine Besorgnis und er fragte sie, ob sie bei ihm so sehr viel von dem alten Adam sehen könne? Der Bescheid, den er darauf erhielt, war wenig tröstlich. Zuerst hielt sie ihm vor, daß er so viele Eide und Verwünschungen ausstieß. Daß dies nicht recht sei, konnte er selbst einsehen und er gab sich auch Mühe, es zu unterlassen; indessen war dieser Fehler bei ihm sehr tief eingewurzelt, wenn er auch selbst glaubte, daß er sich darin bessere. Er bekam aber außerdem noch anderes zu hören, was ihn tief erschütterte.

Sarah bat ihn, er möge beten und singen; dazu war er aber nicht imstande und sie sagte dann, er habe noch nicht die Freimütigkeit des Geistes erlangt, um Gottes Wort anwenden zu können. Worse mußte sich gestehen, daß er dazu nicht gelangt sei, wie sehr er es auch zu seiner Beruhigung hätte wünschen mögen. Wenn er dann aber in den Versammlungen bemerkte, mit wie großer Freimütigkeit des Geistes Sivert Geschwind sich des Wortes Gottes bediente und er seine einschmeichelnde Stimme so süß und geschmeidig lispeln hörte, während es ihm zugleich einfiel, wie schmählich Sivert ihn einst um die Ladung Salz betrogen habe, so verging Jakob Worse die Lust zur Freimütigkeit des Geistes und er begab sich in den Klub.

Am anderen Tage aber ward er dann immer wieder wie ein Kranker behandelt. Alle Einwendungen, mochte er sie im Scherz oder im Ernst vorbringen, waren fruchtlos –, er mußte sich die Hafersuppe und das graue Tuch gefallen lassen und seine Frau setzte sich zu ihm und strickte. Zuletzt glaubte er wirklich, er sei krank, wenn sie es sagte.

Der Brief, den Sarah an ihren Stiefsohn schrieb, blieb nicht ohne Wirkung, und als Romarino kurze Zeit nachher heimkam, um ein selbständiges Geschäft anzufangen, entwickelte sich ein freundschaftliches Verhältnis zwischen ihm und seiner jungen Stiefmutter. Romarino machte ihr in seiner läppischen Weise etwas den Hof, was sie entweder nicht bemerkte oder sie doch nicht bekümmerte; jedenfalls aber brachte er ein jugendliches Element ins Haus. Und obgleich Jakob Worse nicht das geringste, ohne es mit Sarah zu überlegen, unternahm, so hatte es doch immer den Anschein, als ob der Alte sich gegen die beiden Jungen auflehnte.

Als Romarino seinen eigenen Hausstand gegründet und sich mit einem Mädchen aus Bergen verheiratet hatte, von der man nur wußte, daß sie munteren und weltlichen Sinnes sei und daß ihre Familie nicht zu den »Erweckten« gehöre, ward das Verhältnis kälter. Die jungen und die alten Worses hatten ganz verschiedene Interessen und sie kamen nur äußerst selten zu einander. Romarino machte ein sehr großes Haus, worüber der alte Worse bedenklich den Kopf schüttelte. –

Es dauerte geraume Zeit, bis Madame Torvestad ganz zur Einsicht kam, wie völlig sie sich in ihrer Tochter geirrt habe und bis sie erkannte, daß sie hier nichts ausrichten könne. Von dem Verlobungsabend an, wo Sarah der Mutter so fest ins Auge geschaut hatte, war sie ihr aus den Händen geglitten, um sich ihr als gleichberechtigt an die Seite zu stellen, und bald war Madame Torvestad nichts als Frau Worses Mutter. Klug wie sie war, ließ sie nichts von ihrer Enttäuschung merken. Sie gelobte sich aber selber, daß es ihr mit Henriette nicht so gehen sollte; dieser wollte Madame Torvestad einen Mann geben, von dem sie sicher wäre, daß sie ihn beherrschen würde und Henriette selbst sollte ganz anders in der Zucht gehalten werden als zuvor. Vor allen Dingen sollte nun das arme Mädchen bei der Bibel auf Sarahs Platz sitzen, wenn diese nicht da war. –

Von Fennefos erhielt man mehrere Jahre hindurch nur spärliche Nachrichten. Es hieß, daß er sich im Norden aufhalte, weit nördlicher als je zuvor; ja einige erzählten, daß er sogar ganz oben in Finnmarken gesehen worden sei. Die Nettesten bekamen wohl zuweilen einige Mitteilungen; aber in den Versammlungen ward nichts davon bekannt gemacht. Und wenn sich einer nach Fennefos erkundigte, so ward ihm geantwortet, daß ein jeder für sich sorgen müsse oder daß die Wege des Herrn unerforschlich seien.

Es waren nämlich keineswegs erfreuliche Dinge, welche die Freunde aus verschiedenen Gegenden über Fennefos zu berichten hatten. Er, der früher wie ein liebevoller Friedensbote von Ort zu Ort gewandert war, erregte jetzt Unruhe und Schrecken, wo er sich sehen ließ. Man erzählte, daß er wie ein Ungewitter Gottes über das Land einherzöge. Seine Rede sollte wie Feuer zünden, viele wurden irre, nachdem sie ihn gehört, ja, ein junges Mädchen sollte sich sogar wegen seiner Rede das Leben genommen haben. Die Prediger erwähnten seiner in ihren Berichten, der Ruf der Mäßigung und Sanftmut, dessen er sich früher erfreute, war verschwunden und die Gegner riefen triumphierend: »Seht, seht, auch er heuchelte!«

Es entstand große Betrübnis unter den Brüdern, an welche die Nachricht davon gelangte, und nach und nach wurde es allgemeiner bekannt, wie sehr sich auch die Aeltesten bemühten, es zu verdecken.

Viele schrieben ihm und baten ihn, er möge wieder nach dem Süden kommen; sie hofften, daß wenn er unter seinen alten Freunden weilte, sein Geist wieder die frühere Klarheit erlangen werde.

Aber er kam nicht und zuletzt war das ganze Land von dem verderblichen Laienprediger erfüllt, der mit einem Schwarm bleicher Männer und Frauen mit aufgelöstem Haar, welche weinten, schrieen und ihre Kleider zerrissen, singend durch den Schnee von Hütte zu Hütte zog. Da baten die Aeltesten Madame Torvestad, sie möge einen Brief an ihn schreiben.

Am nächsten Tage überreichte sie ihnen einen versiegelten Brief. Dies verstieß gegen die Regeln; aber da die Umstände auch ungewöhnlicher Art waren, wurden keine Einwendungen gemacht. Der Brief ward im Herbst abgesandt und als es Frühling ward, verbreitete sich das Gerücht, daß Fennefos gen Süden ziehe.

Den Brief aber hatte Sarah geschrieben; die Mutter hatte sie darum gebeten.


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