Alexander Kielland
Schiffer Worse
Alexander Kielland

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Siebentes Kapitel

Es war nicht Heuchelei, wenn Madame Torvestad stets davon sprach, wie lieb es ihr sei, daß Hans Nielsen in ihrem Hause wohne, und wie leid es ihr immer thäte, wenn er dasselbe verlassen müsse. Diesmal jedoch sagte sie nichts davon, daß ihr Hans Nielsens Abreise in diesem Augenblick sehr gelegen komme.

Sie spannte jetzt alle Segel aus, um den Schiffer Worse für ihre Tochter zu erobern. Was sie eigentlich dazu bewog, war nicht leicht zu ergründen. Anderen Leuten gegenüber würde sie gern ihr Interesse für eine arme verirrte Seele, die nur auf diese Weise vom Verderben errettet werden könne, vorgeschoben haben; alle diejenigen, welche sie genauer kannten, wußten, daß ihre stärkste Leidenschaft ein immer wachsendes Verlangen nach Macht und Einfluß sei. Und dafür war Jakob Worse eine gar wertvolle Eroberung, namentlich seit er mit der Firma Garman in Verbindung getreten war. Das würde nicht nur die Gemeinschaft der Brüder nach außen stärken, sondern – was für sie die Hauptsache war – da sie denselben diesen neuen kostbaren Zuwachs zugeführt hatte, ihre eigene Stellung unter ihnen befestigen.

Denn daran zweifelte Madame Torvestad nicht, daß es ihr gelingen werde, aus Jakob Worse einen Bruder zu machen, Sie hatte viel von der Welt gesehen und sie hatte mehrere ältere Männer gekannt, die sich mit jüngeren Mädchen verheiratet hatten. Sie berechnete, daß sie durch ihre Tochter auf ihn einwirken, daß ihr Einfluß sich über seine ganze Thätigkeit ausbreiten, daß die Gemeinde ihr danken, daß endlich die Sache des Herrn gefördert würde. Sarah sah alles kommen. Seit jenem Gespräch über den Weinstock war sie nicht länger in Ungewißheit darüber, was ihr beschieden sei.

Als Hans Nielsen reiste, schenkte er ihr das Kostbarste, was er besaß: einen eigenhändigen Brief von Hauge an seine Mutter. Das Papier war vergilbt und abgenutzt und die Tinte gebleicht. Fennefos, der das Buchbinderhandwerk erlernt, hatte eine zierliche Mappe zur Aufbewahrung des Briefes angefertigt und darauf ihren Namen nebst einer Bibelstelle angebracht.

Unter den Frauen ward viel darüber gesprochen; man fand es merkwürdig, daß Hans Nielsen sich von einem solchen Kleinod trennen wolle. Kam man aber zur Madame Torvestad mit einer solchen Andeutung, so erfolgte eine so scharfe, eiskalte Zurückweisung, daß sie nicht wiederholt ward.

Sarah ward verwirrt, aber froh und glücklich über die Gabe und die herzlichen Worte, die er ihr zum Abschied sagte – sonst fühlte sie sich unglücklich, hoffnungslos unglücklich. Nachts lag sie im Bette und weinte und betete um die Gnade, daß sie sich selbst überwinden möge.

In einer solchen Nacht kam die Mutter in Sarahs Schlafkammer. Es war ganz dunkel, und Sarah, aufgelöst in Thränen, merkte nichts, bis sie die Mutter sagen hörte: »Nun kannst du sehen, liebes Kind, wie sehr ich recht hatte; danke dem Herrn, daß du beizeiten die Gefahr gewahrtest.«

Sie sagte dies so gebietend und vorwurfsvoll, daß Sarah sich im Bett erhob und lange Zeit sitzen blieb, ohne zu weinen oder zu beten, während schwere trotzige Gedanken in ihr aufstiegen. Sie hatte keine Kraft, dagegen anzukämpfen; willenlos ließ sie die bösen Gedanken ziehen, wohin es ihnen gelüstete – nach all den Fehlern, die sie jemals bei den Brüdern entdeckt oder bei der Mutter geahnt hatte, nach dem Schiffer Worse, der stets nach Tabak roch und Verwünschungen ausstieß, so daß es ihr vor ihm ekelte – und weit, weit hinüber nach verbotenen Gegenden, voll Sonnenschein und Glück, wo sie allein war mit einem hohen starken Manne mit frischem Munde und weißen Zähnen. Und sie warf sich wieder zurück ins Bett und verfiel in einen Zustand zwischen Wachen und Träumen, und am nächsten Morgen war es ihr, als ob ein Berg von Elend auf ihr laste.

Schiffer Worse ahnte anfangs nichts von dem Glücke, das ihm zugedacht war. Es bedurfte mehrerer deutlichen Fingerzeige von seiten der Madame Torvestad, ehe er sich mit dem Gedanken vertraut machen konnte, daß die hübsche Sarah, die er als kleines Mädchen gekannt und gesehen hatte, wie sie heranwuchs, seine Frau werden solle. Als er sich aber erst an den Gedanken gewöhnt hatte, ward er von jener Liebe ergriffen, wie sie ältere Männer ankommen kann und die sie verjüngt, aber auch blind macht.

Der Fischfang hatte in diesem Jahre einen ganz ungewöhnlich reichen Ausfall. Jakob Worse war unermüdlich thätig und stets in der vorzüglichsten Stimmung. Ueberall begleitete ihn der Gedanke an Madame Torvestads gemütliche Wohnung, den traulichen Platz neben Sarah, die feinen weißen Hände, die ihm den Thee brachten, in den Madame Torvestad, als ganz besondere Vergünstigung, einige Tropfen Rum träufelte, und wenn er mitten in der emsigsten Arbeit begriffen war, konnte plötzlich ein listiges Lächeln, ja fast etwas Träumerisches die verwetterten Züge überfliegen, was die anderen aber kaum bemerkten und keiner verstand.

Noch niemals war er so unternehmend und so vom Glück begünstigt gewesen. Er machte in Gemeinschaft mit der Firma Garman bedeutende Geschäfte und ließ sich auf große Einkäufe ein. Munter und lebhaft wie ein Jüngling versetzte er, wenn er kam, alles in die beste Laune und es herrschte nur eine Stimme darüber, daß Worse ein verteufelter alter Herr sei. Dies durfte man aber beileibe nicht so sagen, daß er es hörte.

»Der Henker mag alt sein,« rief er aus und schob das Glas von sich, wenn jemand ungeschickterweise den Vorschlag machte, ein Glas auf das Wohl des alten Worse zu trinken.

Wenn er nach schwerer Arbeit sein Tagewerk vollbracht, eilte er nach Hause, um sich umzukleiden. Er machte die sorgfältigste Toilette und sparte die Seife nicht, um jede Spur seiner Beschäftigungen auf dem Speicher unter den Heringsfässern zu vertilgen. Ja er badete sich sogar – das hätte Randulf nur wissen sollen – mit wohlriechendem Wasser, das Lauritz ihm insgeheim hatte verschaffen müssen. Dann bürstete und striegelte er das ergrauende Otternfell auf seinem Haupte und strich es in steifer Masse vor die Ohren. Nach diesen Vorbereitungen begab sich Kapitän Worse, der Compagnon der Firma Garman und Worse, in sein Hinterhaus zur Madame Torvestad.

Er hatte etwas treuherzig Ritterliches an sich, wenn er dort den Hof machte, was ihm nicht übel stand, und was sich noch besser ausgenommen haben würde, wenn die Mutter und nicht die Tochter der Gegenstand seiner Bewerbung gewesen wäre. Dem munteren Kapitän aber wäre es gewiß nie im Traume eingefallen, sich mit einer bejahrten, überfrommen Witwe zu verheiraten, und das hatte Madame Torvestad auch sehr bald erkannt. Als sie dann aber sah, wie Worses Neigung zu ihrer Tochter im besten Zuge sei, und wie er voll jugendlichen Eifers immer näher rückte, veränderte sie plötzlich ihre Taktik; sie ward zurückhaltend, konnte seine Andeutungen nicht verstehen, und als er sich dann unumwundener ausdrückte, war sie unerschöpflich in Einwendungen. Sarah sollte teuer erkauft werden.

Zuerst führte sie den großen Unterschied im Alter an; sie müsse, sagte sie, gestehen, daß sie sich ihn nicht so groß vorgestellt, sie habe wirklich nicht geglaubt, daß Kapitän Worse den Fünfzigen schon so nahe sei. Doch wäre darauf noch nicht das größte Gewicht zu legen; das Bedenklichste sei der Zustand seiner Seele, seine gottlosen Reden, sein weltlicher Sinn und sein Festhalten an allem, was dieser Welt angehöre.

Worse räumte ein, daß er wohl nicht zu Gottes besten Kindern zu rechnen sei, aber er sei doch auch keins von den schlechtesten und er könne sich auch bessern.

Natürlich müsse er sich bessern, hieß es, wenn er ernstlich daran denke, Sarah zum Weibe zu bekommen; er müsse sich in vielen Beziehungen ganz verändern.

Worse ging auf alles ein. Er vermeinte, eine unbegrenzte Anzahl der längsten Erbauungen aushalten zu können, wenn er nur bei seiner Sarah sitzen und sie dann heimführen dürfe.

Dennoch standen die Unterhandlungen still, Worse wußte schließlich nicht, ob es damit vorwärts oder zurück ginge. Er war nahe daran, den Verstand zu verlieren. Von Sarahs eigenem Willen war zwischen der Mutter und dem Freier wenig die Rede. Madame Torvestad kannte ihre Tochter, wie sie sagte, und Jakob Worse, der ziemliche Erfahrungen in Liebesabenteuern hatte, bildete sich ein, daß, wenn Sarah vor seinem Blick erröte, wenn sie nicht mit ihm allein sein wollte und seine Geschenke zurückwies, dies die Weise der spröden Mädchen sei, von denen er gesungen und die er am Gestade der Ostsee und des Mittelmeeres oft genug gesehen hatte. –

Obwohl Konsul Garman sich scheinbar wenig um die Begebenheiten in der Stadt kümmerte, hatte er doch feine Fühlhörner dahin ausgestreckt, und man wußte auf Sandsgaard recht gut Bescheid davon, was da drinnen vorging. Namentlich die beiden Fräulein interessierten sich für alle Neuigkeiten aus der Stadt – alle ohne Ausnahme.

So konnte es nicht ausbleiben, daß dem Konsul Jakob Worses Bewerbungen um Sarah zu Ohren kamen und das erregte seinen Unwillen und seine Bekümmernis. Einmal war es ihm durchaus zuwider, daß sein Compagnon sich überhaupt auf eine neue Heirat einließ, denn dies konnte nur dazu beitragen, Unklarheit in ihr Verhältnis zu bringen.

Dann aber dachte er mit einem Gefühl der Beängstigung daran, daß diese heilige Familie, mit der Worse in Verbindung zu treten beabsichtigte, ihm seinen braven Kapitän gänzlich verderben werde. Konsul Garman war nahe daran, die Haugianer zu hassen, obgleich er wenig von ihnen wußte. Aber es empörte ihn, daß die Religion, die dem Menschen zur Aufklärung und Erziehung in der Tugend und vernünftigen Bildung gegeben sei, von einigen durchaus unwissenden Fanatikern und Religionsschwärmern gemißbraucht würde, um dem gemeinen Manne, dem gerade am meisten ein gesundes und praktisches Christentum not thue, den Kopf zu verkehren. Er sandte deshalb sofort ein Boot aus, um Kapitän Worse nach Sandsgaard zu holen, als die beiden Fräulein, die einander kaum zu Worte kommen lassen konnten, ihm erzählt hatten, daß Jakob Worse eine Tochter der frommen Madame Torvestad heiraten wolle.

Als Worse kam, erzählte ihm der Konsul sehr eifrig, wie er in der Zeitung gelesen, daß in Bremen ein Schiff zum Verkauf ausgeboten sei. Sie nahmen die »Börsenhalle« vor, untersuchten die dort angegebenen Dimensionen, zogen das Alter und den wahrscheinlichen Preis in Erwägung und kamen zuletzt beide zum Resultat, daß es ein Schiff sein müsse, das gerade für ihre Firma passen würde.

Der eine ward von dem Eifer des anderen angesteckt; es war ganz ungewöhnlich, daß der Konsul sich so kopfüber in einen neuen Plan stürzte, und ehe Worse noch recht zur Besinnung gekommen war, hatten sie die Abrede getroffen, daß Worse sogleich morgen oder übermorgen mit einem Bremer Schoner, der im Außenhafen auf Nordwind wartete, abgehen sollte, um das Schiff zu kaufen, wenn es der Beschreibung entspräche und sich überhaupt als brauchbar erweise. Dann solle er das Schiff entweder nach Sandsgaard führen, oder auf demselben eine Fracht nach irgend einem passenden Orte einnehmen. Voll Eifer und Geschäftigkeit nahm Worse Abschied, um sich zur Reise vorzubereiten; aber erst als er im Boote saß, fiel es ihm ein, daß er sich von Sarah trennen solle. Mit einem Mal verschwand das stolze Schiff, und das ausgezeichnete Geschäft erhielt in seinen Augen einen äußerst zweifelhaften Anschein. Sein Eifer erkaltete immer mehr und es kamen ihm tausend Einwendungen in den Sinn, während er durch den Hafen zurückfuhr.

Konsul Garman aber rieb sich die Hände; er hatte noch zur rechten Zeit eingegriffen. Dann machte er Ueberschläge und Berechnungen über das Bremer Schiff und er mußte sich gestehen, daß es höchst zweifelhaft sei, ob das Geschäft gut ausfallen werde.

Nachmittags bemerkte Madame Torvestad, daß Worses Mädchen unten im Hofe mit dem Ausklopfen und Reinigen von Reisekleidern beschäftigt waren, »Soll der Kapitän verreisen, Martha?« rief sie freundlich von dem Gange herab, der rund um das Hintergebäude führte und wo ihre Zimmer lagen.

»Ja!« erwiderte Martha ziemlich barsch; Madame Torvestad war bei den Mädchen nicht sehr beliebt,

»Wohin wird er denn reisen?«

»Weiß nicht, aber es wird, wie ich glaube, eine sehr lange Reise werden, noch länger als das vorige Mal.«

Martha hatte ein Gefühl davon, daß diese Nachricht die Madame ärgern würde, und darin hatte sie recht. Madame Torvestad geriet sogar in die höchste Bestürzung. Sie bewahrte aber äußerlich ihre Ruhe, kehrte in ihre Zimmer zurück und dachte eine Weile nach. Dann rief sie: »Sarah, setz den Theekessel übers Feuer. Martha sagt, der Kapitän Worse wolle reisen, ich denke aber, daß sie sich irrt. Was meinst du dazu?«

»Ich? Mutter!«

Madame Torvestad hatte mehr sagen wollen, aber es lag ein so sonderbarer Ausdruck in Sarahs Gesicht, daß sie es aufgab. Sarah ist klug, dachte sie: es thut nicht not. Darauf strich sie ihr Haar zurecht, zog ihren Ueberwurf an und ging aus dem Hause. Sie nahm ihren Weg nicht über den Hof, wo Martha noch immer beschäftigt war, sondern sie ging um das Haus herum zur Straßenthür.

Jakob Worse sprach in sehr übler Laune mit seinem Packhausvorsteher, der zugleich sein Geschäftsführer in seiner Abwesenheit war.

Worses Geschäft in der Stadt war nämlich von seiner Aufnahme in die Firma unberührt geblieben. Andererseits stand Sandsgaard mit all seinen verschiedenen Anlagen ausschließlich unter dem Konsul. Die Gemeinschaft erstreckte sich in der That nur auf gewisse Zweige der Thätigkeit der Firma, in denen Worses Kapital hauptsächlich angebracht war, wie namentlich die Schiffsreederei und was damit in Verbindung stand.

Als Worse die Madame Torvestad eintreten sah, schickte er seinen Gehilfen fort und grüßte etwas verwirrt.

»Ich komme, Ihnen eine gute und gesegnete Reise zu wünschen, Kapitän Worse!«

»Ich danke, hm – ich danke vielmals, Madame, ich wollte aber –«

»Wird die Reise lange dauern?«

»Es läßt sich darüber nichts Bestimmtes sagen. Er will haben, daß ich –«

»Wer, sagten Sie?«

»Der Kunsel, Kunsel Garman; er sendet mich nach Bremen, um ein Schiff zu kaufen.«

»Sendet?« sagte Madame Torvestad mit ungläubigem Lächeln; »ich hätte nicht geglaubt, daß der eine Compagnon so ohne weiteres den anderen senden könnte.«

»Compagnon! oh ja – sehen Sie! Er ist doch der Kunsel Garman und ich bin der Schiffer Worse; anders wird die Geschichte wohl niemals. Und außerdem, wenn es darauf ankommt, ein Schiff zu kaufen, so ist das gerade etwas für mich.«

»Es wundert mich, ja es betrübt mich, daß Sie mir nicht geradezu den wahren Grund Ihrer Abreise sagen. Das hätten wir doch von Ihnen erwarten können.«

Er starrte sie mit offenem Munde an.

»Ich kann Sie versichern, Herr Kapitän Worse, daß ich sehr wohl begreife, daß Sie jetzt reisen wollen, um aus der ganzen Geschichte heraus zu kommen.«

Sie würde in diesem etwas drohenden Tone noch weiter geredet haben, wenn nicht der Kapitän halb erzürnt und mit gerötetem Gesicht aufgesprungen wäre.

»Hören Sie, Madame Torvestad,« rief er eifrig, »nun thun Sie mir meiner Seel' unrecht, ja, Sie müssen entschuldigen, daß ich heftig werde; aber ich kann nicht anders – erst habe ich mich fast grün und gelb geärgert über die vermaledeite Reise und hin und her spekuliert, wie ich mich davon freimachen könnte, und jetzt kommen Sie hier an und erzählen, daß ich mich wie ein schlechter Kerl betragen will. Die ganze Welt ist wohl verrückt geworden?«

Damit ging er stürmisch im Zimmer umher und strich sich über sein Otternfell. Die Madame aber betrachtete ihn wohlgefällig und es fiel ihr ein Stein vom Herzen.

Die nervöse unruhige Stimmung, in der sie sich bei ihrem Eintreten befand, verschwand völlig und sie konnte wieder in ihren gewöhnlichen überlegenen Ton, wie ihn eine Mutter einem zweifelhaften Freier gegenüber anschlagen muß, fallen.

»Ich kann nicht leugnen, daß ich nach dem, was in der letzteren Zeit zwischen uns vorgefallen war, sehr überrascht wurde, als ich von Ihrer plötzlichen Reise hörte.«

»Glauben Sie denn, daß ich nicht auch daran gedacht habe? Der Teufel hole das Bremer Schiff! Könnte ich nur einen Vorwand oder einen Ausweg finden –«

»Nun, vor zwanzig Jahren würde Jakob Worse schon einen Ausweg in einem solchen Fall gefunden haben!«

Das hieß, ihn an seiner schwachen Seite angreifen. Daß jemand von ihm meinen sollte, er sei ein alter Tropf, der nichts mehr von Liebe verstände, brachte ihn in die höchste Aufregung, und er gab der Madame eine Schilderung seiner Gefühle, so glühend und aufrichtig, daß sie alles aufbieten mußte, um ihn zu beschwichtigen.

»Gut, gut, Kapitän Worse, ja, ja – ich zweifle nicht daran,« rief sie zu wiederholten Malen; »aber es ist mehr vonnöten als die irdische Liebe, wie treu diese auch sein möge. Der Mann, dem ich getrost mein Kind, meine Sarah sollte anvertrauen können, müßte an sie auch durch die gemeinschaftliche Liebe zum Herrn fest und dauernd gebunden sein. Und wie oft habe ich Ihnen nicht gesagt! Ihr Leben als Seemann ist reich an Versuchungen und wenig geeignet, stille Früchte in der Bekehrung zu tragen.«

»Ach, ja gewiß, Madame, wir haben alle ein schwaches Fleisch in vielen Stücken,« erwiderte Schiffer Worse, welcher hoffte, eine Bibelstelle gefunden zu haben.

»Sehr wahr, Kapitän Worse, der eine mehr, der andere weniger. Aber eben darum sollen wir ein Leben scheuen, welches so viele Versuchungen mit sich bringt. Setzen wir den Fall, daß ich Ihnen meine Tochter gegeben hätte, und Sie dann plötzlich gleich nach der Hochzeit abgereist wären.«

»Nein, liebe Madame, das wäre wahrhaftig nicht geschehen, darauf können Sie sich heilig verlassen!«

»Wenn ich nun – ich will den Fall setzen – Ihnen meine Einwilligung gäbe, glauben sie dann, daß der Konsul – daß Ihr Compagnon Ihnen gestatten würde, die Reise aufzuschieben?«

»Natürlich, natürlich, das können Sie doch begreifen!« – Worse ward ganz aufgeregt bei der Aussicht, die ihm eröffnet wurde.

»Könnte ich mich darauf verlassen?«

»Ja, bei meiner S–«

»Schwören Sie nicht; ich glaube Ihnen eher ohne das. Setzen Sie sich nieder und hören Sie, was ich Ihnen darüber sagen will. Ich habe in der letzten Zeit viel darüber nachgedacht. Es ist mir, als spräche immer eine innere Stimme in mir, daß in dieser Verbindung mit meiner Tochter eine Rettung für Ihre Seele läge. Ja – ich hatte sogar nach vielem Erwägen und Prüfen daran gedacht, die Hochzeit auf nächsten Sonntag festzusetzen –«

»Was, was sagen Sie?« rief er und sprang vom Stuhle in die Höhe, »o Madame, Sie sind doch eine ganz verteufelt prächtige Frau!«

»Aber jetzt, da ich sehe, daß eine plötzliche Reiseordre Sie Ihrer Familie entreißen kann, um Sie wieder in Versuchungen und Gefahren zu stürzen, die leicht – wir wissen wie leicht! – die guten Keime ersticken und Sie wieder zu einem verlorenen Schaf machen können, jetzt darf ich nicht mehr daran denken, Ihnen mein Kind, meine geliebte Sarah, anzuvertrauen!«

»Aber ich bitte Sie, liebe Madame, hören Sie mich doch, ich werde nicht reisen, ich will nicht reisen; ich gehe geradenwegs zum Kunsel und sage ihm, er solle sich einen anderen suchen; ich schwöre Ihnen, ich reise nicht!«

»Diesmal vielleicht nicht, aber das nächste Mal, wenn es Ihrem Compagnon einfällt,«

»Niemals! Wenn ich sie bekomme, so verspreche ich –«

Er hielt inne; durch das Fenster sah er die Raaen von »Der Familie Hoffnung« draußen in der Sandsgaardbucht und die Madame sagte mit gezwungenem Lächeln: »Versprechen Sie nicht, was Sie nicht halten können, und bedenken Sie sich nicht, um unsretwillen zurückzutreten. Wohl ist Sarah vorbereitet, aber sie weiß noch nichts mit Gewißheit. Ich habe mit keinem der Brüder davon gesprochen und die Hochzeit sollte, wie ich mir dachte, in aller Stille gefeiert werden, wie es bei uns Sitte ist – nur mit dem Prediger und einigen wenigen Freunden. Ihr Haus ist fertig – Sie hätten sie bloß hineinzuführen gebraucht.«

»Ich verspreche Ihnen, die See von dem Tage an zu verlassen, wo ich mit Ihrer Tochter verheiratet werde,« sagte Worse und streckte die Hand aus. Er stellte sich vor, wie er Sarah in seine Stuben einführen und die Thür hinter ihr zuschließen werde, um sie stets bei sich zu haben.

Die Madame aber sagte: »Es ist ein zweifelhaftes Ding. Ich habe von vielen Seeleuten gehört, die nicht von der See lassen konnten, obwohl sie zu Jahren gekommen waren, es ihnen an Geld und Gut nicht fehlte und sie Weib und Kind hatten. Dergleichen sieht man, obgleich ich es wahrlich nicht zu begreifen vermag. Ich meinesteils bin der Ansicht, der Seemann müsse Gott danken für einen ruhigen Hafen nach einem sturmvollen Leben.«

»Sie haben recht, Madame. Gerade so will ich es haben. Geben Sie mir Ihre Tochter und Sie werden sehen, daß ich mich in allen Stücken bessern werde, wie Sie es wünschen.«

Sie reichten sich die Hände, Worse drang darauf, daß sie sogleich zu Sarah gingen. Als sie aber über den Hof schritten, wo Martha die Weisung erhielt, die Reisekleider wieder wegzuhängen, ward Worse die Sache doch etwas bedenklich.

»Was wird sie aber dazu sagen?« fragte er leise.

»Sarah wird treu und liebevoll gegen den Mann sein, welchen ihre Mutter im Vertrauen auf Gott für sie gewählt hat,« erwiderte Madame Torvestad in einem zuverlässigen Ton, der ihn sehr beruhigte.

Sarah hörte sie kommen; sie hatte es erwartet, und es war keine Spur von all den Thränen, die sie vergossen hatte, mehr zu sehen. Bleich wie immer trat sie gesenkten Blicks in die Stube, als die Mutter sie hereinrief.

»Sarah! Hier stellt der Mann, der dich zum Weibe begehrt. Ich habe in deinem Namen versprochen, daß du ihm eine treue, liebevolle Gattin vor Gott und Menschen sein willst. Nicht wahr, mein Kind, du wirst den Willen deiner Mutter erfüllen und so dem Gebot Gottes gehorchen?«

»Ja, Mutter.«

»So gebt euch einander die Hände, in Jesu Namen, Amen!«

Worse war bewegt, er versuchte, etwas davon zu sagen, daß er gegen sie wie ein Vater sein wolle; als er aber mitten im Satze war, schien es ihm nicht recht passend, und als er dann verbessern wollte, kam kein rechter Sinn hinein, so daß er zuletzt Madame Torvestads Hand ergriff und sie unmanierlich preßte. Die Hand seiner Verlobten aber nahm er ganz vorsichtig, fühlte aber mit großem Behagen, wie fein und weich sie sei. Sein ganzes Benehmen war an jenem Abend höchst ungeschickt, allein er war von seinem Glück so erfüllt, daß er auf den Ausdruck in Sarahs Gesicht nicht weiter achtete.

Als er in seine Wohnung zurückkam, ging er lange in glückseligen Träumen auf und nieder. Es war heute Dienstag – nur noch vier Tage bis Sonntag! Bis dahin wollte er sein Haus aufputzen; es war bei weitem nicht sein genug für seine junge Gattin.

Als Worse fortgegangen war, hieß die Madame ihre Tochter Henriette zu Bette gehen; Sarah wollte mitgehen, aber die Mutter hielt sie zurück.

»Jetzt mußt du Gott für all seine Güte danken, Sarah!«

»Ja, Mutter!«

»Willst du nicht auch mir danken?«

Sarah schwieg und rührte sich nicht.

Es fuhr der Mutter ein Stich durchs Herz. »Sarah!« sagte sie mit scharfem Ton. Aber als Sarah aufsah, lag in ihrem festen Blick ein Ausdruck, vor dem die Mutter zurückwich. Sie fragte nicht mehr, sondern sagte nur gute Nacht und Sarah ging hinaus.

Madame Torvestad fiel in tiefe Gedanken. Es stiegen ihr Erinnerungen aus ihrer Jugend auf und die waren keineswegs angenehm. Auch sie war an einen Mann gegeben, den sie nicht kannte; auch sie war viel jünger gewesen als er; aber er hatte es verstanden, sie auf die rechte Weise zu nehmen. Wohl gedachte sie der Thränen, die sie anfangs vergossen; aber später war es besser geworden. Sie war vor weltlicher Eitelkeit und leichtsinnigen Liebesträumen bewahrt geblieben und davor wollte sie auch ihre Kinder behüten. Aber dieser Blick der Tochter traf eine schwache Stelle in ihrem Inneren, wo er sich tief einbohrte und wie ein Stachel stecken blieb. Sie, die sonst ihrer selbst und ihrer Handlungen so sicher war, ward jetzt von peinlichem Zweifel ergriffen. Alle die alten Erinnerungen und eine unbestimmte Besorgnis, daß sie die stille Tochter doch nicht von Grund auf kannte, machten ihren Schlaf unruhig und plagten sie mit bösen Träumen.

Henriette aber, welche die Schwester schluchzen hörte, warf sich auf ihr Bett und versuchte sie zu trösten.


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