Alexander Kielland
Schiffer Worse
Alexander Kielland

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Elftes Kapitel.

Schiffer Randulfs kleines weißes Haus war hoch gelegen, mit der Aussicht über Bucht und Hafen. Die beiden Freunde hatten sehr stark miteinander getafelt; jetzt hielten sie Mittagsruhe, der Wirt auf seinem gewöhnlichen Platz auf dem Sofa und der Gast in einem großen Lehnstuhl. Die Fenster standen offen; es war warmer Sonnenschein. Von der Stadt her ertönte kein Geräusch in der friedlichen Nachmittagsstunde, die Fliegen summten ein und aus und der Wind wogte matt in den Gardinen. Große blanke Schweißperlen sammelten sich auf Jakob Worses Nase; er lag hintenüber gelehnt im Stuhl mit offenem Munde und schnarchte fürchterlich. Randulf schnarchte auch, aber doch nicht ganz so schlimm. Vor den Augen hatte er ein gelbes seidenes Tuch, das seine alte Haushälterin ihm jeden Tag um den Kopf binden mußte; sonst konnte er nicht einschlafen. Draußen an dem steilen Abhang vor dem Hause spielten einige Knaben; sie hörten den gewaltigen Lärm, der aus dem Hause drang und sammelten sich unter Lachen und Schwänken unter dem Fenster.

Plötzlich aber fuhr Randulfs Haushälterin mit einem Besen auf sie los und die Knaben stürzten in einem verwirrten Haufen unter Gelächter und Geschrei den Hügel hinunter, so daß Worse etwas mit den Augen blinzelte und den Kopf auf die andere Seite legte.

Es ward wieder ganz still und das Schnarchen war wieder im besten Gange; man hörte die Ruderschläge von einem Boote, das zum Hafen hinausfuhr, oder Männergeschrei draußen weit von der Bucht her. Die Haushälterin hielt mit dem Besen Wache und die braven Kapitäne schliefen noch ein halbes Stündchen.

Endlich erhob Randulf sich, nahm das Tuch von den Augen und gähnte. Dadurch ward Worse halb wach und sagte sogleich in überlegenem Tone: »Nun, du hast aber geschlafen, ich glaubte, du würdest nimmermehr aufwachen.«

»Aufwachen?« erwiderte Randulf spöttisch; »es ist kein Schlummer in meine sündigen Augen vor deinem Brüllen gekommen.«

»Ich schnarche nie,« rief Worse in bestimmtem Ton, »und überdies war ich die ganze Zeit hindurch wach, während du schliefst.«

»Schliefst? – Ich schlief ganz und gar nicht, hörst du wohl.«

»Das muß ich doch am besten wissen, da ich hier gesessen und –«

»Geschnarcht habe, ganz recht, das thatest du wie ein Held.«

Sie zankten sich noch eine Weile, bis sie ganz wach geworden waren. Dann setzten sie ihre Pfeifen in Brand und zogen ihre Röcke an; bei Randulf gingen sie immer in Hemdärmeln, was für Worse ein Fest war, denn zu Hause war es ihm nicht gestattet. Darauf wanderten die beiden alten Schiffer umher auf allen Schiffbrücken, sahen in die Packhäuser und betrachteten die Seilerbahn, sprachen über die Fahrzeuge im Hafen und untersuchten mit dem äußersten Mißtrauen ein Schiff, woran auf der Werft gebaut wurde. Ueberall trafen sie Bekannte, mit denen sie einige Worte wechselten; Randulf war in der heitersten Stimmung und Worse war auch recht froh, aber so bei Laune, wie in früherer Zeit, war er doch nicht. Eine solche Tour durch die Stadt war für ihn jetzt etwas ganz Neues und Ungewöhnliches, denn in der letzteren Zeit war er selten weiter gekommen, als zu seinem eigenen Packhause.

Es war ihm sonderbar ergangen, er wußte selbst nicht recht wie. Aber von dem Augenblick an, wo er »Der Familie Hoffnung« anderen überlassen hatte, war ihm fast an allem, womit er sich früher beschäftigt, die Lust verleidet. Wenn er jetzt ein Schiff mit vollen Segeln in den Hafen einlaufen sah, berührte es ihn fast peinlich, und früher war es doch der schönste Anblick für ihn, den er nur kannte. Heute aber war es Randulf gelungen, ihm warm ums Herz zu machen, so daß er förmlich munter ward und sich sogar zu Eiden hinreißen ließ, was seinen Freund aufrichtig freute. Denn Randulf war nicht minder als Konsul Garman bekümmert darüber, daß Jakob Worse so, wie er es nannte, zu Grunde ginge. Er neckte ihn auch nicht mehr, denn er sah ein, daß dies doch nichts nutzen könne. Im Klub aber sagte Randulf bisweilen einem guten Freunde beim Glase im Vertrauen, wie schmerzlich es für ihn sei, daß eine solche Perle von einem Seemann wie Jakob Worse durch ein heiliges Frauenzimmer gänzlich ruiniert werde. »Dieser verzweifelte Rostocker!« Mit diesen Worten pflegte er seine Klagen zu enden. Damit meinte er den Rostocker Schoner, mit dem er in der Rigaer Bucht zusammenstieß; denn Randulf war des festen Glaubens, daß, wenn er damals zu Hause gewesen wäre, man ihm nicht seinen Worse hätte abspenstig machen sollen.

Um sieben Uhr kehrten sie nach Randulfs kleiner Behausung zurück, in der trefflichsten Stimmung und mit einem Wolfshunger. Nachdem sie wieder eine tüchtige Mahlzeit zu sich genommen – Worse hatte seit langer Zeit nicht solchen Appetit gehabt – stellten sie die dampfenden Punschgläser auf den Tisch am offenen Fenster und wechselsweise ließen sie aus ihren Pfeifen Rauchwolken aufwirbeln wie von Kanonenschüssen, als wären es zwei Fregatten, die sich gegenseitig salutierten. Nachdem sie lange stillschweigend geraucht, sagte Worse: »Auf der See kann es schön sein an einem solchen Sommerabend – Prost!«

»Auf der See ist's immer schön, Jakob! Prost!«

»O ja, gewiß, solange man noch jung ist.«

»Jung! – Du bist doch nicht über drei Jahre älter als ich, und Thomas Randulf denkt nicht daran, in den ersten zehn Jahren ans Land zu kriechen. Darauf kannst du dich heilig verlassen.«

»Mit mir ist es eine andere Sache, siehst du. Du weißt, ich habe dieses inwendige Gebrechen im Körper.«

»Ach was,« erwiderte Randulf, »ich verstehe nichts von Leber und Lunge und Gedärmen und Milz und all dem Kram, das wir im Magen haben sollen; aber das weiß ich, daß der, welcher auf der See zu Hause ist, der wird krank, wenn er auf dem Lande leben soll, gerade so, wie es dem Bauer übel zu Mute wird, wenn er an Bord kommt. Das ist nun einmal eine unerschütterliche Wahrheit.«

Jakob Worse konnte nichts dagegen einwenden, er murmelte nur etwas und strich sich über den Magen.

»Hast du Rigaer Balsam versucht?« fragte Randulf.

»Bist du von Sinnen, Mensch? Ich hab' es ja inwendig.«

»Glaubst du denn, daß der Rigaer Balsam nicht auch gut zum inwendigen Gebrauch sei? Wenn du von dem echten bekommen kannst, alter Freund, dann ist der gut für alles, sowohl inwendig, wie auswendig, das muß ich doch wissen! – Uebrigens hast du es gar nicht im Magen,« fügte Randulf nachdenklich hinzu; »dein Uebel steckt eher im Herzen; diese Liebeleien und diese Frauen sind immer eine Pest für dich gewesen, Jakob, all dein Lebtage hast du dich wie ein Stockfisch bei ihnen benommen und immer haben dich die Weiber beschwindelt, das habe ich manches Mal sowohl am Mittelmeer wie an der Ostsee gesehen. Das letzte Mal aber ist es dir am allerschlimmsten ergangen, denn diese Heiligen, siehst du –«

»Nimm dich in acht, Thomas, mit dem, was du über Sarah sagst. Sie ist mir zu großem Segen gewesen. Was hätte aus mir, einem alten kranken Manne, ohne sie werden sollen?«

»Du wärst kein alter kranker Mann ohne sie geworden,« fuhr Randulf auf; aber nun sah der andere so grimmig aus, daß Randulf sich einen langen Schluck nahm und in einen unendlichen Husten ausbrach.

»Nein, nein,« sagte Worse, nachdem auch er sich erquickt hatte, »sie ist mir eine gute Gattin gewesen, sowohl für den Leib, wie für die Seele: ich habe vieles von ihr gelernt, von dem ich früher nichts wußte.«

»Das war ein wahres Wort, Jakob; ich will dir sagen, was du gelernt hast: du hast gelernt, hinter dem Ofen zu sitzen wie ein altes Weib, und einem Frauenzimmer an den Röcken zu hängen und zu Erbauungen umhergeschleppt zu werden – Gott verzeih mir's, wie die Maulesel der Mönche in Spanien – das hast du von ihr gelernt!«

»Wart nur, Thomas,« erwiderte Worse und nickte voll Sicherheit, »du wirst noch einmal einsehen, daß ich recht habe. So wie du bist, bin ich auch gewesen; aber jetzt habe ich andere Gefühle bekommen, und so wird es dir auch gehen, wenn deine Zeit kommt: dann wirst du erst begreifen, wie große Sünder wir sind.«

»Sünder! Nun ja, mag sein. Aber ich bin doch nicht so schlimm, wie viele andere, und auch du bist nicht so schlimm. Ich kenne dich jetzt seit vierzig Jahren und wohl noch länger, aber einen besseren Kerl auf dem Lande und auf der See gibt es nicht als dich im ganzen Reiche Norwegen. Nun weißt du es –« und damit schlug er mit der Faust aufs Fensterbrett.

Worse war nicht ganz unempfindlich gegen diese Lobrede; aber er murmelte doch, während er die Pfeife beim Ofen auskratzte: »Schon gut, aber es gehört mehr dazu als das; viel, viel mehr!«

»Höre jetzt ein ernstes Wort, Jakob Worse! Kennst du Sivert Jespersen, auch Geschwind genannt?«

»O ja, gewiß.«

»Erinnerst du dich wohl der zweihundert Tonnen Salz, die du einmal nördlich von Kinn von ihm kauftest?«

»Jawohl, dessen werde ich mich doch erinnern!«

»Beantworte mir nun eine Frage, bloß eine einzige kleine Frage: Betrog er dich, oder betrog er dich nicht?«

»Schauderhaft,« erwiderte Worse, voll Ueberzeugung.

»Aha, siehst du wohl! Beantworte mir nun noch eine Frage: Was meinst du, der liebe Gott würde vorziehen: einen ehrlichen Seemann, der sein Maul hält und auf sein Schiff acht gibt, oder solch einen Heuchler, der ärger als ein Grieche betrügt unter den Augen des allwissenden Gottes, und der ihm nachher Lieder gerade ins Gesicht singt? He? Wen meinst du, wird er lieber haben?«

»Das weißt weder du noch ich, Randulf; denn das Gericht gehört dem Herrn, welcher Herzen und Nieren prüft.«

»Nieren!« rief Randulf höhnisch, »Sivert Jespersens Nieren prüfen, das wäre auch der Mühe wert! Nein, mein Bester, der liebe Gott ist ein Mann, der weiß, was er thut; der läßt sich nicht ums Salz betrügen.«

»Ich will dir was sagen, Thomas Randulf, es ist doch wohl nicht so leicht und einfach, sich mit dem lieben Gott abzufinden, wie man uns gelehrt hat. Und wenn es mit ihm selber auch ginge, so ist da nun zuerst der heilige Geist mit allem, was dazu gehört.«

»Aber glaubst du denn, daß ich den nicht kenne,« sagte Randulf, halb beleidigt.

»Jawohl, aber da ist nun so vielerlei zu merken; zuerst die sogenannte Wiedergeburt und die Bekehrung – nein – die Wiedererlösung kommt zuerst – nein! Nun hab' ich es wahrhaftig wieder vergessen. Was kommt denn doch noch zuerst?«

Nun mußte Jakob Worse lachen, mochte er wollen oder nicht; und als sie erst ins Lachen gekommen waren, ließen sie die Theologie fahren und brauten sich ein neues Glas Punsch.

»Alle deine Einwendungen können nun einmal nichts nutzen, Jakob; es ist ein Schimpf und eine Schande, daß du die See so früh verlassen hast, und das sagen auch alle Leute, die nach dir fragen.«

»Fragen wirklich Leute nach mir?«

»Ob sie nach dir fragen? Ja, das will ich meinen; man fragt nach dir allerorten, von Kopenhagen bis nach Kronstadt. Du erinnerst dich wohl noch der dicken Mamsell in dem Gasthaus ›Drei Norweger‹ zu Pillau?«

»War das dort, wo wir tanzten?«

»Ach, bewahre! Das war in Königsberg, du lieber Himmel,« sprach Randulf mitleidig, »hast du das schon vergessen? Nein, die Dicke in Pillau weinte ihre bitteren Thränen, als sie hörte, du habest dich verheiratet und bliebest zu Hause. ›Ach du Lieber,‹ sagte sie, ›was soll nun den armen Minchen machen, wenn den lustige Jakob Worse sich gegiftet hat.«

»Sagte sie das wirklich?« versetzte Worse gerührt, »übrigens sprachst du es nicht richtig aus: es ist doch merkwürdig, Thomas, daß du niemals lernen kannst, ordentlich deutsch zu sprechen.«

»Ach was, ich komme schon durch, denn ich merke ihnen sofort an, wenn sie mich prellen wollen. Dann sind sie so sanft und einschmeichelnd mit ihrem ›guten Abis‹; wenn sie aber sagen: ›das gloobis‹, dann nimm dich nur in acht, dann sind sie erst recht falsch.«

»Sie mögen es nur mit mir versuchen! Nein, mein Junge, ich kann sie kurieren,« rief Worse überlegen, »der alte Bencke in Danzig mußte es bekennen. Zuerst wollten sie mich bei den Heringen prellen, was sie immer versuchen.«

»Immer!« bestätigte Randulf.

»Dann beim Roggen.«

»Ja, natürlich.«

»Und dann hatten sie zuletzt eine neue Teufelei in die Konnossemente hineingesetzt.«

»Was war das?«

»Das mag der Henker wissen! Ich sah nur, daß es etwas Neues war, was nicht darin zu stehen pflegte, und das wollte ich nicht unterschreiben.«

»Nein, natürlich nicht.«

»Und der Comptoirist, der ein Stück von einem Dänen war, stand mit der Feder in der Hand und wollte mich zum Unterschreiben verlocken; es habe nichts zu bedeuten, was da stände, es sei nur zum Vorteil des Schiffs, und solch Zeug mehr, von dem jeder wissen konnte, daß es gelogen sei. Ich aber schwor darauf, daß ich neue Konnossemente haben wolle, so wie ich sie früher bekommen, und daß ich nicht eher unterschreiben würde, und sollten Roggen und Schiff so lange auf der Danziger Reede liegen bleiben, bis sie verrotteten.«

»Ja, natürlich,« bestätigte Randulf wiederum.

»Während wir uns nun so da herum stritten, kam der alte Bencke selbst herein ins Comptoir und der Däne erzählte ihm dann, worum es sich handle. Da wurde der Alte fuchswild, wie du dir denken kannst, und schimpfte und wetterte auf deutsch so toll, wie er nur konnte. Aber da wurde ich auch wütend, und ich wandte mich um und sagte zu ihm auf deutsch – verstehst du – gerade so: ›Bin Bencke bös, bin Worse og bös!‹ und als er sah, daß ich deutsch könne, da hatte er nichts mehr zu sagen; er drehte sich auf der Diele um und packte sich aus dem Comptoir. Wer aber andere Konnossemente erhielt, das war ich!«

»Das war gut gemacht von dir, Jakob!« rief Randulf; es war lange her, daß er die Geschichte gehört hatte.

Sie stießen miteinander auf die alten Zeiten an und fielen dann in Gedanken. Beiden war das Gesicht stark gerötet und Worse sah heute abend frisch und kräftig aus, die gelbliche Farbe war verschwunden, aber das dichte steife Haar war weiß wie Schaum. Endlich sagte Jakob Worse: »Wenn ich solch einen großen Tisch sehe, wie den Sofatisch da, so kann ich nicht begreifen, daß solch eine Platte mitten durch gespalten werden kann, wie in jener Nacht in Königsberg, wie du dich wohl noch erinnerst.«

»Ja, siehst du, Jakob, das kam davon her, daß wir in voller Fahrt gegen den Tisch tanzten.«

»Ja, in voller Fahrt fuhren wir,« kicherte Worse.

»Aber du lieber Himmel, wie wir dann Beine machten!« rief Randulf und lachte, daß er sich schüttelte.

»Und pechdunkel war es, so daß wir nur mit genauer Not das Boot fanden. Ich möchte eigentlich wohl wissen, was der Tisch kostete.«

»Ja, das magst du wohl sagen, Jakob; aber in dem Hause bin ich später nie wieder gewesen.«

»Ich auch nicht.«

Nun kam die eine Geschichte nach der anderen aufs Tapet aus ihrer tollen Jugend; sie erzählten sie nur zur Hälfte oder mit Andeutungen, denn beide kannten ja alles auswendig.

»Was meinst du von einem kleinen Glase noch, Jakob?«

»Das müßte denn ein kleines Glas sein.«

»Eine kleine passende Nachtmütze,« sagte der Wirt und ging hinaus, um warmes Wasser zu holen.

Es war nicht später als zehn Uhr und Worse hatte die Erlaubnis, bis elf Uhr ausbleiben zu dürfen; er hatte deshalb ein ausgezeichnet gutes Gewissen und je wärmer ihm der Kopf wurde von Randulfs altem Jamaikarum, desto weniger dachte er an sein »inwendiges Uebel« und die Bekümmernis seiner Seele. Beim dritten Glase schlug Randulf vor, daß sie englisch sprechen sollten, was sie auch mit großem Ernst ausführten – so gut es gehen wollte.

Der verschwindende Schimmer von der dichten, Nordwind verkündenden Wolkenbank am Horizont, hinter der die Sonne untergegangen war, ließ die beiden Freunde, wie sie am offenen Fenster da saßen und englisch sprachen, noch röter erscheinen. Die Bucht lag spiegelblank da; die am weitesten entfernten Küstenvorsprünge und Inselchen traten hoch empor über die Wasserfläche; auf den größeren, näher bei der Stadt liegenden Inseln und hin und wieder gegen Osten zwischen den Klippen wurden Johannisfeuer angezündet. Der Rauch stieg kerzengerade in die Luft und die Flamme erschien bleich in der hellen Sommernacht. Bote glitten über das Wasser mit jungen Leuten; ein Seemann war heimgekommen mit einer Harmonika, auf der er »Wenn das Nordmeer braust« und viele andere gute Lieder spielen konnte. Eine ganze Schar von Boten fuhr hinter dem seinigen her, bisweilen begleiteten einige Stimmen die Musik, die meisten aber schwiegen und hörten zu, indem sie über die Bucht zum Meer hinausblickten, zum brausenden Nordmeer, das in allen Erinnerungen von Kummer und Hoffnung, von Sehnsucht und Ungewißheit und Liebe und Entbehrung erweckte. –

Mittlerweile hatten die Haugianer längst das Versammlungshaus verlassen. Einige von Sivert Jespersens Gästen gingen mit ihm zurück, um zu Abend zu speisen, andere begaben sich gleich nach Hause.

Sarah und Fennefos trafen beim Ausgange zusammen. Beide mochten wohl das Gefühl haben, daß unter den anderen einige Mißstimmung gegen sie herrsche, deshalb machte es sich ganz natürlich, daß sie zusammen blieben und miteinander fortgingen; als sie dann auf den Markt kamen, bogen sie unwillkürlich ab zur Linken, statt nach Hause zu gehen, und verfolgten eine Strecke weit die Allee, die nach Sandsgaard führte.

Sie hatten beide nicht viel Sinn für die Natur, denn sie wußten nur, daß in allem, was die Christen hienieden umgibt, Versuchung zu Augenweide, Fleischeslust und zu hoffärtigem Leben liegt. Sarah hatte überhaupt nicht viel gesehen; aber selbst Fennefos, der das Land in die Kreuz und Quere zu allen Jahreszeiten durchwandert hatte, verstand von Naturschönheit so wenig, daß er die Gegend, wo der Boden fruchtbar war, hübsch fand, während ihm eine Landschaft voll von Klippen, Wasser und Gebüsch, aber mit wenig Ackerland, unschön vorkam. Dennoch verfehlte der stille laue Sommerabend nicht seine Wirkung auf sie, wenn sie es auch nicht merkten. Sie hatten wiederum von den schweren Gebrechen der Gemeinde gesprochen, und wie sehr es not thue, daß jemand die Sache ernstlich in die Hand nähme. Dann stockte das Gespräch. Sie blickten schweigend über die Bucht hinaus, wo die Lichter aufflammten, die Bote umherruderten und von wo die Töne von Gesang und Musik bis zu ihnen drangen. Sarah stieß unwillkürlich einen tiefen Seufzer aus und wandte sich ab, um nach der Stadt zurückzugehen. Fennefos wollte etwas über die kurze Sündenlust der Kinder dieser Welt sagen, er konnte aber nicht damit zurecht kommen; er hielt inne und sich selbst unbewußt fragte er sie, ob sie Freude an dem Briefe gehabt habe, den er ihr schenkte, als sie sich damals trennten?

»Ach ja, Fennefos!« erwiderte sie und wandte ihr Antlitz nach ihm hin; sie errötete schwach und fügte nichts hinzu; er ward aber ganz verwirrt.

So kehrten sie nach der Stadt zurück. Bei der Hausthür fragte Sarah ihn, ob er nicht einen Augenblick mit hineingehen wolle. Fennefos trat fast willenlos hinein, und als sie in die Stube kamen, setzte er sich auf einen Stuhl.

»Es thut gut, etwas auszuruhen,« sagte er; er fühlte sich so seltsam matt.

Die Abenddämmerung machte die Stube halbhell bei den Fenstern, sonst war es dort ziemlich dunkel. Sarah ging in die Küche und sah, daß die Hofthür geschlossen sei; die Mädchen waren zur Ruhe gegangen, das Haus war wie ausgestorben; es war gegen zehn Uhr.

Sie brachte kaltes Wasser und Himbeersaft, und Fennefos trank gegen seine Gewohnheit ein großes Glas davon ganz aus; er sei sehr ermattet und durstig, sagte er.

Sarah setzte sich etwas von ihm entfernt auf das Sofa; aber beide schwiegen. Nachdem sie so ein paar Minuten gesessen, ward es ihnen peinlich und sie begannen auf einmal, hielten aber auch gleich wieder inne.

»Was wolltest du sagen?« fragte Fennefos.

»Ich – ich wollte dich fragen, ob du nicht mehr Saft mit Wasser haben wolltest?«

»Nein, ich danke, aber jetzt muß ich gehen.«

Er stand auf und machte einige Schritte; sein Hut lag auf dem Tisch, er ging aber, als ob er nicht wisse, wo er sei, zum Fenster und sah in den hellen Abendhimmel hinaus. Sarah erhob sich auch und trat an einen Schrank zwischen den beiden Fenstern, wo sie sich etwas zu thun machte.

Er fühlte, daß sie dicht hinter ihm stände, drehte sich um und ging zu seinem Stuhl zurück.

»Es war heute ein schöner warmer Tag,« sagte er; aber seine Stimme war so schwer und sonderbar, und obwohl er kurz vorher getrunken hatte, war ihm der Hals ganz trocken.

Sarah sagte auch etwas mit undeutlicher Stimme; sie nahm das Glas, aus dem er getrunken hatte und setzte es auf den Präsentierteller, ihre Hand zitterte so, daß das Glas klirrte.

Fennefos erhob sich abermals, ging wie im Traum einige Schritte hin und zurück und trat zuletzt zu ihr hin, als ob er ihr etwas sagen wolle. Sie wandte ihr Antlitz gegen ihn, so daß das Licht darauf fiel. Seine Lippen bewegten sich, aber sie brachten keinen Laut hervor, bis er endlich herauspreßte: »Du bist so bleich.«

»Was sagst du?« flüsterte sie; seine Stimme war so undeutlich, daß sie ihn nicht verstand.

Er versuchte wieder, und wie um den Worten, die nicht hervorkommen wollten, zu helfen, näherte er seine Hand ihrer Wange. So geschah es, daß er die weiche feine Haut berührte, und da verließ ihn das Bewußtsein, es brauste ihm durch den Kopf, und ohne daß er es wollte, hielt er sie in seinen starken Armen, indem er sie fest vom Boden aufhob, und küßte ihre Augen und ihren Mund.

Sie riß sich nicht los, sie stieß ihn nicht zurück, aber er fühlte sie erbeben.

Er ließ sie halb los – einen Moment – um ihr ins Antlitz sehen zu können; ihre Augen bohrten sich ineinander, er sah ihre bleichen Züge, die Lippen noch halb geöffnet nach den wilden Küssen; sie lag fest in seinen Armen, sein war sie, und wiederum brauste es ihm im Kopfe – da sprang er mit einem Schrei zurück: »Herr, hilf uns, was thun wir!« und eilte hinaus.

Sie aber lief durchs Zimmer an die Thür und lauschte. Sie hörte ihn durch den Gang taumeln, hörte, wie die Hausthür zugeschlagen ward und seine hastigen Schritte an den Fenstern vorbei.

Da wandte sie sich gegen das Licht: sie preßte die Hände gegen die Brust und um die Mundwinkel zuckte es wie ein bitteres Lächeln; dann warf das junge starke Weib sich auf den Boden nieder und schluchzte. –

Als Jakob Worse munteren Sinnes und mit unsicherem Schritt eine Stunde später nach Hause kam, fand er seine Gattin in der Bibel lesend; auf dem Tisch brannten zwei Lichter und die Rouleaus waren herabgerollt.

»Guten Abend,« begann er lustig, »sitzt die kleine Frau noch auf? Komm, liebe Sarah, laß uns jetzt zu Bette gehen.«

Sie fuhr fort zu lesen, ohne aufzusehen. Worse legte den Hut ab und schwankte ein wenig, als er durch das Zimmer ging. »Wir haben heute einen recht fröhlichen Tag zugebracht, Sarah.«

»Alle drei?«

»Drei?« erwiderte Worse stutzend, »ich war allein mit Randulf.«

»Du lügst; ihr waret eurer drei,« versetzte Sarah ruhig.

Jetzt kam Worse auf den unglücklichen Einfall, daß sie scherze. Er näherte sich ihr lächelnd mit den feuchten Augen, um sie in seine Arme zu nehmen und sagte: »Ei, ei, du weißt also besser Bescheid, als ich selber, wo bist du denn in die Schule gegangen, daß du so klug geworden bist? Wer war denn der dritte, nun?«

»Der Teufel,« erwiderte Sarah und schlug plötzlich die Augen auf; »der Teufel saß mitten zwischen euch.«

Schiffer Worse taumelte zurück.

»Ich versichere dich, daß er von euch allen den fröhlichsten Tag gehabt hat. Er ergötzte sich, wenn euer Mund von Eiden und Verwünschungen, von buntem Gewäsch und allem Unflat eurer Herzen überströmte. Sahst du seine krummen Krallen nicht, wenn er dir das Glas vorsetzte, auf daß du dich in dem Wein seiner Unreinheit berauschtest? Hörtest du sein Lachen nicht, während ihr euch in dem Ekel eurer Sünde wälztet, um zum Pfuhl und zur Pein der Hölle reif zu werden?«

Worse rieb sich unwillkürlich den Magen; er fühlte wieder das Uebel da drinnen. »Aber, Sarah, ich bitte dich,« sagte er; sie aber ließ nicht ab, während ihre großen kalten Augen ihn verfolgten, so daß er die Hand emporhielt, um sich vor ihnen zu schirmen.

»Wie lange willst du des Herrn spotten, du alter Mann? Hast du keine Furcht vor der Strafe des Unbußfertigen? Oder hast du nichts gehört und nichts gelernt von den Schrecken der äußersten Finsternis?«

Worse zog sich entsetzt nach der Schlafstubenthüre zurück. Seiner Sinne nur halb mächtig, konnte er nicht recht verstehen, was sie sagte; er hörte nur die bösen Worte und fühlte die beiden dunklen Augen, die ihn verfolgten. Mehrmals bat er sie flehentlich, aufzuhören; aber sie begann immer wieder von neuem, bis er sich endlich ganz elend und zerknirscht in die Schlafstube schlich und sich niederlegte. Erst nachdem er eine volle Stunde geschnarcht hatte, kam seine Gattin leise herein und ging zu Bette.


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