Eduard von Keyserling
Abendliche Häuser
Eduard von Keyserling

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Dreizehntes Kapitel

In Sirow fand das große Souper statt. Die Baronin ging durch die Zimmer, um einen letzten Blick auf die Veranstaltungen zu werfen. Langsam zog sie ihre Atlasschleppe über das Parkett, vor einem Spiegel blieb sie stehen und rückte die Diamantbrosche zurecht, ein Geschenk der hochseligen Großherzogin. Dann setzte sie sich auf ihren Sessel und erwartete die Gäste. Die Kerzen in den Kronleuchtern brannten alle, obgleich draußen der Maiabend noch hell über dem Garten war. Die Glastüren zur Veranda standen offen, und der Duft des Flieders drang herein, der wie eine Mauer aus weißem und hellblauem Gewölke den Garten einhegte.

Die Baronesse Arabella und Fastrade waren die ersten, die anlangten. »Mein liebes Kind, du siehst gut aus«, sagte die Baronin zu Fastrade mit dem milden Ernst, den sie im Umgang mit ihrer künftigen Schwiegertochter anzuwenden liebte, aber heute ruhten ihre Augen doch mit Wohlgefallen auf dem aufrechten, blonden Mädchen, über dessen rundem Gesicht, über dessen Schultern und Armen ein so wundersam warmer Jugendglanz lag. Fastrade trug ein weißes Spitzenkleid und einen Veilchenstrauß an der Brust. »Komm, meine Tochter«, fuhr die Baronin fort, »setze dich zu mir, bis die anderen kommen, können wir uns ein wenig genießen«, und sie begann genau zu beschreiben, wie sie solche große Gesellschaften zu organisieren pflegte, wie sie alles im voraus genau bestimmte, so daß das Uhrwerk später tadellos von selbst funktionierte. Eine Unterrichtsstunde, dachte Fastrade und schob ein wenig die Unterlippe vor. Nun kamen auch die anderen Gäste, zuerst die von Teschens aus Rollow mit drei Töchtern in Rosa, Blau und Lila. Die Fräulein von Teschen waren immer in Rosa, Blau und Lila, in Rollow hatte man zehn Kinder, mußte mit dem Gelde sparen und ging nur wenig in Gesellschaft. Wenn aber die drei Mädchen mit den kleinen braunen Augen in den unregelmäßigen, erwartungsvollen Gesichtern einmal ausgeführt wurden, dann warfen sie sich mit Heißhunger auf alles, was wie Unterhaltung aussah. Die Gräfin Bützow zog ein in rotem Samt, stattlich und streng, gefolgt von ihrem kleinen, blonden Gemahl, der in einem breiten rosa Gesicht ein großes Monokel trug. Die Ports kamen, die Baronin in stahlblauen Atlas gekleidet wie in eine weitläufige Rüstung. Gertrud trug ein weißes Kleid mit griechischen Ärmeln, sie hatte ihrem hageren, spitzen Gesichtchen ein wenig Rot aufgelegt und ihre fieberblanken Augen vorsichtig mit dem Stifte unterstrichen. »Sehen Sie doch unsere Gertrud«, sagte die Gräfin Bützow zu Frau von Teschen, »wenn die Mädchen auch nur etwas mit dem Theater in Berührung kommen, gleich hängt ihnen etwas Komödiantenhaftes an.« Frau von Teschen seufzte: »Ach ja, das Theater ist eine ansteckende Krankheit. Ich habe sechs Töchter, aber wenn Gott mir noch sechs Töchter mehr gegeben hätte, keine sollte mir aus dem Hause, ehe sie heiratet.«

Der Saal füllte sich, da waren auch die Herren aus der Stadt, der schöne Leutnant von Klette, der Referendar und Doktor Hansius. Es wurde Tee herumgereicht, man stand beieinander und unterhielt sich ein wenig zerstreut, weil ein jeder nach der Türe sah, um die Neuankommenden zu betrachten. Mit einem Schweigen der Bewunderung wurde Lydia von Dachhausen empfangen, sie trug ein schwarzes Samtkleid, an der Brust einen großen Strauß pfirsichfarbener Rosen, Gloire de Dijon; ihr schönes Gesicht, ihre Schultern, ihre Arme waren alabasterweiß, und die Augen hatten den intensiven Glanz der Edelsteinaugen einer griechischen Marmorgöttin. »Das muß man sagen«, flüsterte der Referendar dem Doktor Hansius zu, »diese Baronin von Dachhausen, die ist Großstadt, die ist Grandmonde.«

»Und schlechte Nerven« brummte der Doktor.

Durch das Gesumme der Stimmen im Saal klang deutlich und klar die Stimme der Baronin Egloff. Sie sprach mit der Gräfin Bützow von den Hofsitten einst und jetzt, sie fand, daß die Hofsitten jetzt an Würde, ja geradezu an Würde verloren hätten. Früher, wenn die hochselige Kaiserin von Rußland in einen Saal trat, dann ging eine Hoheit von ihr aus, daß es einem kalt über den Rücken lief. Auf der anderen Seite des Saales aber wurde laut gelacht. Dachhausen hatte sich zu den Fräuleins von Teschen gesetzt und machte sie lachen, indem er selbst beständig lachte. Der Arme zwang sich heute zu einer gewaltsamen Heiterkeit, er wollte nicht, daß die Leute es merkten, wie elend ihm zumute war. Das rosa Fräulein von Teschen jedoch sprang plötzlich auf und rief: »Da steht ja der Leutnant von Klette, ich will gehen mit ihm flirten, ich flirte so furchtbar gern und habe so selten Gelegenheit.« Sie ging zum Leutnant hinüber und stellte sich vor ihm auf. Zuweilen ging eine der Damen auf die Veranda hinaus; der Abend war milde, aber es lief doch ein Schauer über die nackten Schultern. »Wie schön, wie wunderschön«, sagte sie dann und ließ die Worte gefühlvoll klingen; die Ruhe der Abenddämmerung, die feierlich über den Tulpen- und Narzissenbeeten lag, ergriff sie.

Ein fremder Herr fiel in der Gesellschaft besonders auf, ein russischer Gardeoberst, der Graf Schutow, der seit einigen Tagen Egloffs Gast war, eine große, schwere Gestalt, Haar und Backenbart leicht ergraut, das regelmäßige Gesicht bleich und schlaff, die schweren Augenlider mit den langen Wimpern, die sich nur selten hoben, verdeckten graue, sentimentale Augen. Der Graf bewegte sich mit einer trägen Sicherheit, begrüßte und ließ sich vorstellen und musterte dabei ruhig und genau die Reihen der Damen. Er liebte es nicht zu stehen, wenn er aber saß, saß er gern neben der schönsten Frau der Gesellschaft. So ging er auch auf Lydia zu und nahm neben ihr Platz. Leicht zur Seite gebogen stützte er sich auf die Armlehne des Stuhles, um dem schönen Arme näher zu sein, und begann mit seiner singenden Stimme die Unterhaltung: »Ich freue mich sehr, hier einmal die Damen der Gegend kennen zu lernen. Damen überhaupt sind ja für jeden wichtig, aber wir Russen, wir wären ohne Damen verloren.«

»Wieso?« fragte Lydia und verschanzte sich hinter ihrem Federfächer vor den grauen Augen, die sie mit unheimlicher Gründlichkeit betrachteten.

»Ja, sehen Sie«, fuhr der Graf fort, »Rußland ist furchtbar groß, zu viel Raum, ehe man es sich versieht, ist man allein. Man reist Tage und Tage, immer allein. Man ist auf seinem Gut, die anderen Güter sind ganz weit. Man geht auf die Jagd, nur die Steppe und kein Mensch. In der Nacht schläft man auf einem der großen Heuhaufen, um einen alles ganz weit und still, über einem der Himmel – nun ja, da fühlt man sich selbst so weit und leer wie eine große, große Blase. Da sind nun die Damen nötig, die machen es wieder um einen eng und warm.«

»Das muß schön sein bei Nacht auf den Heuhaufen«, äußerte Lydia.

»Ach ja«, meinte der Graf, »nur zu starker Duft, man wacht am Morgen mit Kopfschmerzen auf, als ob man die ganze Nacht getrunken hätte.«

Gertrud Port flatterte jetzt heran, sie wollte auch teilhaben an dem interessanten Fremden. »Nicht wahr, Herr Graf«, fragte sie, »man ist in Rußland sehr musikalisch?«

»O ja«, erwiderte der Graf und ließ seine Blicke einen Augenblick zerstreut auf Gertruds spitzem Gesichtchen ruhen, »wir singen viel, singen geht langsamer als sprechen, aber wir haben so viel Zeit.« Als aber Lydia sich mit einer Frage an Gertrud wandte, entschuldigte sich der Graf, stand auf und ging zu Egloff und dem Grafen Bützow hinüber, die beieinander standen. »Meine Herren«, sagte er, »bis zum Souper ist wohl noch Zeit, Ihre Gäste sind versorgt, Baron, wie wäre es mit einem kleinen Préférencechen?«

»Sie haben Eile, Graf«, bemerkte Egloff. »Ach was, Eile«, meinte der Graf, »ich habe nur bemerkt, daß es nichts Besseres für den Appetit gibt als ein paar Runden Préférence kurz vor dem Essen.« Sie gingen in das Spielzimmer hinüber, mit einem wohligen Seufzer setzte der Graf sich an den Kartentisch, breitete mit seiner fetten, beringten Hand die Karten aus, damit die Plätze gezogen würden, und meinte: »Hier ist man zu Hause.« Egloff mischte nervös ein Kartenspiel, er war schlechter Laune. Während der Graf sein Gast war, hatte er seit längerer Zeit wieder viel und hoch gespielt, und es ärgerte ihn zu bemerken, daß das Spiel ihn stärker erregte, ihm mehr auf die Nerven ging als früher. Der Baron Port und Doktor Hansius, die sich in das Spielzimmer zurückgezogen hatten, um zu rauchen, traten heran und schauten gespannt und mißbilligend dem Spiele zu.

Endlich war es Zeit, zum Souper zu gehen. Die Baronin Egloff nahm den Arm des Baron Port, und in feierlichem Zuge begab man sich in den Speisesaal. Das rosa Fräulein von Teschen schauerte wohlig in sich zusammen, als es die Serviette auseinanderfaltete. »Sie finden es wahrscheinlich unpoetisch und materiell«, sagte sie zu ihrem Nachbar, dem Leutnant von Klette, »wenn ein junges Mädchen sich so stark auf das Essen freut, aber das Essen hier in Sirow ist immer so herrlich.« – »Durchaus nicht«, erwiderte der Leutnant, »ich liebe es, wenn ich die Gefühle der Damen verstehen kann, und dieses verstehe ich.«

Am anderen Ende des Tisches klang wieder Dachhausens herzliches Lachen herüber, der mit dem lila Fräulein von Teschen scherzte. »Ihr Gemahl«, sagte Graf Schutow zu Lydia, »hat ein so angenehmes Lachen, ich höre so gern lachen.«

»Ja«, sagte Lydia und zog die Augenbrauen ein wenig empor, »er ist eine heitere Natur.« Aber Adine von Dachhausen, die gegenübersaß, rief den Grafen mit ihrer lauten, heiteren Stimme an: »Lachen Sie selbst gern, Herr Graf?«

»Ich lache zuweilen ganz gern«, erwiderte der Graf zerstreut, »aber ich höre lieber, wenn andere lachen, dann habe ich das Vergnügen und keine Mühe. Wie meinen Sie?« wandte er sich an den Diener, der ihm eine Schüssel reichte. »Ah! Spielhahnpastete«, und er wandte seine ganze Aufmerksamkeit der Pastete zu. Egloff hatte ziemlich einsilbig und mißmutig der Gräfin Bützow zugehört, die über das Befreiende, ja geradezu Moralische in Mozarts Musik sprach. In einer Pause flüsterte Fastrade ihm zu: »Bist du unglücklich?« – »Ich bin wütend«, erwiderte Egloff leise. »Wozu diese Anhäufung gleichgültiger Menschen und Speisen? Am liebsten würde ich jedem mit einer Grobheit antworten, würde sagen: ›O ja, gewiß, Esel‹ oder: ›Sie haben ja ganz recht, dumme Pute.‹« – »Still«, sagte Fastrade und legte den Finger auf die Lippen. Egloff beugte sich wieder auf seinen Teller nieder. Der eigentliche Grund, daß er sich unglücklich fühlte, war das Bewußtsein, daß er alle diese Menschen und die lange Mahlzeit nur deshalb verfluchte, weil er ungeduldig war, wieder im Spielzimmer zu sitzen und das Spiel fortzusetzen, und das fand er primitiv und gewöhnlich.

Jetzt erhob sich der Baron Port zu einer Rede, er sprach lange und ernst, sprach davon, daß es ein Segen sei, wenn die alteingesessenen Familien sich miteinander verbinden, das sei ein Bollwerk gegen die neuen, zerstörenden Ideen, alte bewährte Traditionen werden auf junge Schultern gelegt, werden gestärkt und zu neuer Blüte gebracht. Die Baronin Egloff weinte, die anderen hörten mit zerstreuter Andacht zu, als säßen sie in der Kirche bei einer zu langen Predigt. Um so lauter wurde »Hoch« gerufen, als die Rede zu Ende war.

Die Mahlzeit ging ihrem Schluß entgegen; erhitzt lehnten sich die Gäste in ihre Stühle zurück, und die Unterhaltung floß nur träge. »Das ist der Fehler der guten Sirowschen Soupers«, sagte der Referendar zu Adine von Dachhausen, »daß es hier zu viel zu essen gibt. Ich habe das Gefühl, als seien die Speisen in der Übermacht.« – »Oh, ich lasse mich nicht so leicht einschüchtern«, erwiderte Adine resolut. Doch war es allen willkommen, daß die Baronin Egloff die Tafel aufhob; die Herren setzten die Damen im Saale ab und eilten in das Rauchzimmer. Die Damen saßen beieinander und fächelten sich mit den großen Federfächern Luft zu.

Egloff ging auf die Veranda hinaus, er lehnte sich über das Eisengitter und schaute in den dunkeln Garten hinein. Stille und Dunkelheit, das war es, was ihm jetzt not tat, und dann hoffte er, Fastrade würde herauskommen und in der Dämmerung der Maiennacht vor ihm stehen, aufrecht und weiß wie die Narzissen unten auf den Beeten. Das Rascheln einer Frauenschleppe ließ ihn auffahren. Es war Lydia. Sie blieb vor ihm stehen, ein Lichtstrahl vom Saal her traf ihre Schultern und ihr Gesicht, in dem die Augen seltsam schwarz schienen. Sie begann leise und klagend zu sprechen: »Und ich, was wird aus mir?« Sie legte dabei die Hand auf die Brust, mitten in die Rosen hinein, eine Rose löste sich ab und fiel zu Boden. Egloff bückte sich und hob sie auf. »Ich denke«, sagte er langsam, indem er die Rose vorsichtig entblätterte, »ich denke, wir kehren zu unserer Pflicht zurück.«

»Pflicht«, wiederholte Lydia, »wenn man, wie wir, gelogen und betrogen hat, dann gibt es nur Pflichten, die wir gegeneinander haben. Es gibt doch so etwas wie Treue von Spießgesellen.«

»Sie sind geistreich, gnädige Frau«, bemerkte Egloff. »Du wunderst dich darüber«, entgegnete Lydia, und Egloff wußte nicht, war es ein Lachen oder ein Schluchzen, das ihre Stimme zittern ließ, »du wunderst dich darüber, aber wenn wir in großer Not sind, dann werden wir alles, sieh, Dietz, es kann nicht aus sein. Ich habe mein ganzes Leben in dieses eine Erlebnis hineingelegt, ich habe sonst nichts.«

»Ich glaube, gnädige Frau«, bemerkte Egloff, »Sie überschätzen dieses Erlebnis.«

»Wie soll ich das?« klagte Lydia. »Ich will ja weiter lügen und betrügen, aber aus darf es nicht sein. Ich habe ja nichts, nichts als deine Liebe.« Egloff schwieg und sah diese Frau an, wie sie vor ihm stand, wie aus dem Dunkel des Samtes und der Dämmerung ihre blasse Nacktheit hervorleuchtete, diese Frau, die mit ihrer leidenschaftlichen Klage sich an ihn klammerte, sich ihm bedingungslos hingab, das ergriff ihn. Aber es klang dennoch sehr kühl und ruhig, als er sagte: »Ich glaube, gnädige Frau, Sie überschätzen auch diese Liebe.« Lydia beugte den Kopf, beugte ihn auf die Rosen an ihrer Brust nieder, und Egloff sah, wie die kleinen, spitzen Zähne sich in eine Rose eingruben wie in eine Frucht.

Im Saale hatte sich der Baron Port zu Fastrade gesetzt, er wollte von ihr erfahren, ob ihr Vater und Ruhke dieses Jahr mit der Gründüngung Ernst machen würden. Fastrade gab nur zerstreute Auskunft. Durch die offene Verandatür sah sie ein Stück von Lydias Sammetschleppe, und dieses nahm ihre Aufmerksamkeit seltsam stark in Anspruch. Und da war noch einer im Saal, der diese Schleppe nicht aus den Augen ließ: Dachhausen. Er hatte Lydia auf die Veranda folgen wollen, aber die Gräfin Bützow hielt ihn auf, sie wünschte seine Ansicht über die Pferde, die sie sich neulich gekauft hatte, zu hören, und der Arme stand da und sprach über Pferde, er wußte selbst nicht, was, und starrte in großer Erregung die Schleppe dort auf der Veranda an. Endlich gab die Gräfin ihn frei, da eilte er hinaus. »Ihr genießt hier die Abendluft«, sagte er in möglichst natürlichem Tone. Lydia erwiderte nichts, wandte sich um und ging in den Saal zurück. »Ja, ein seltsam warmer Abend«, meinte Egloff. Dann standen die beiden Männer da in der Dunkelheit schweigend beieinander. Jetzt müßte ich etwas sagen, dachte Dachhausen, das entscheidet, das Klarheit schafft, und Egloff war es, als spürte er die Aufregung des kleinen Mannes, der unruhig vor ihm auf- und abzugehen begann. Will er etwas, weiß er etwas? fragte sich Egloff. Da ertönte wieder Dachhausens freundliche Stimme: »Der Flieder duftet so stark.« – »Ja, sehr stark«, erwiderte Egloff. Aus dem geöffneten Fenster des Spielzimmers klang die singende Stimme des Grafen Schutow herüber. »Meinen Rest«, sagte sie. »Ah, die sind schon beim Quinze«, bemerkte Egloff, »kommst du auch?« – »Nein, ich spiele nicht«, antwortete Dachhausen, »ich bleibe noch ein wenig hier.«

Egloff ging ins Spielzimmer; dort saßen die Herren am Kartentisch, Graf Schutow, bleich und träge wie immer, Graf Bützow sehr rot, denn er war stark im Verlust. Der Leutnant und der Referendar nahmen vorsichtig am Spiele teil. »Wir sind schon an der Arbeit«, rief Graf Schutow. »Gut, gut«, sagte Egloff; er ließ sich ein großes Glas Sekt geben, trank es schnell und durstig herunter und setzte sich an den Spieltisch.

Draußen im Saale langweilten sich die Damen, da die Herren fast alle im Spielzimmer waren, nur die älteren Herren gingen ab und zu, Baron Port, Herr von Teschen, Doktor Hansius, sie kamen mit besorgten Mienen aus dem Spielzimmer, flüsterten da etwas von »rasendem Spiel, unglaublich!«, und über der Gesellschaft lag das quälende Gefühl, als vollzöge sich drüben im Spielzimmer etwas Unheimliches und Verhängnisvolles. Die Stimmung wurde unerträglich, und die Damen bestellten ihre Wagen. Der Aufbruch war allgemein. Die Herren aus dem Spielzimmer erschienen, um von den Damen Abschied zu nehmen. Egloff stand im Flur und hielt Fastrades Mantel, sein Gesicht war leicht gerötet, eine Haarsträhne fiel ihm in die Stirn, und seine Augen hatten einen seltsam flackernden Glanz. Fastrade verabschiedete sich noch von Lydia. »Sie erlauben, daß ich Sie küsse«, sagte Lydia, »ich möchte so gern, daß wir uns näher kennen lernen.« Egloff lächelte – die Lust an der Verstellung an sich, dachte er. Dann hüllte er Fastrade in den Mantel, er beugte sich vor und wollte sie küssen, aber in einer unwillkürlichen Bewegung wandte Fastrade den Kopf, und ein Ausdruck der Angst flog über ihr Gesicht. Sofort richtete Egloff sich auf, er zog ein wenig die Brauen zusammen, lächelte spöttisch, küßte Fastradens Hand und flüsterte: »Ist das der Anfang der Erziehung?« Fastrade erwiderte nichts, sie ging zur Türe, dort aber wandte sie sich um, lächelte unendlich gütig und mitleidig: »Armer Dietz«, sagte sie und bot ihm ihre Stirn zum Kusse hin.

Die Herren gingen in das Spielzimmer zurück, die Baronin Egloff stand im leeren Saale unter dem Kronleuchter, der Ausdruck ehrwürdiger Liebenswürdigkeit war von ihrem Gesicht gewichen, es sah alt und angstvoll aus. Sie faßte Fräulein von Dussas Arm, wies mit dem Kopfe zum Spielzimmer hin und sagte leise: »Das dort ist nicht gut.« Fräulein von Dussa nickt bekümmert mit dem Kopfe. »Meine Liebe«, fuhr die Baronin fort, »glauben Sie mir, dieser Russe ist der Satan.«


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