Eduard von Keyserling
Abendliche Häuser
Eduard von Keyserling

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Elftes Kapitel

Fritz von Dachhausen saß am Morgen vor seinem Spiegel und seifte sich das Kinn ein. Grünfeld, der alte Diener, stand hinter ihm und sah aufmerksam zu, wie sein Herr sich rasierte. »Also«, sagte Dachhausen, »was hört man von der Nacht der Frau Baronin?« Grünfeld machte ein trauriges Gesicht, denn er merkte es wohl, daß sein Herr ihn im Spiegel anschaute. »Die Amalie sagt«, erwiderte er, »die Nacht der Frau Baronin ist nicht gut gewesen. In der Nacht hat die Frau Baronin Licht gemacht und Briefe gelesen. Später ist der Schlaf auch nicht gekommen, vielleicht, meint Amalie, daß die Briefe die Frau Baronin aufgeregt haben.« – »Briefe?« fragte Dachhausen. »Ja, Briefe«, bestätigte Grünfeld, »die Amalie hat sie heute morgen noch auf dem Tisch neben dem Bette gesehen.« – »Unsinn«, meinte Dachhausen ärgerlich, »die Frau Baronin hat gar keine Briefe, die sie aufregen könnten.« Da Grünfeld darauf nichts zu antworten wußte, begann Dachhausen sich zu rasieren; da dieses seine ganze Aufmerksamkeit auf sich nahm, gingen ihm die Gedanken nur stoßweise durch den Kopf. Was für Briefe? Die Briefe, die er Liddy als Bräutigam geschrieben? Aber die waren doch gewiß nicht aufregend. Ob er fragte, wie die Briefe ausgesehen haben? Ob es viele waren? Nein, das ging denn doch nicht. Mit dem Rasieren war er fertig und setzte nun seine Toilette fort. Da begannen die Gedanken eifriger zu arbeiten. Diese Nachricht von den Briefen öffnete plötzlich eine ganze Schleuse unangenehmer Gedanken. Immerfort begegneten ihm jetzt solche geheimnisvoll beunruhigende Dinge. Liddys ganze Krankheit hatte doch etwas Unheimliches und Unerklärliches. Gut, man war nervös, das kam bei Frauen vor, aber ein Hauptsymptom von Liddys Krankheit war, daß sie ihren Mann nicht recht vertragen konnte. Das ging nun schon seit Wochen. Wann fing es denn an? Es war an jenem Abend, als Gertrud Port da war und Liddy den Ohnmachtsanfall bekam. Gertrud hatte die Nachricht von Dietz Egloffs Verlobung mit Fastrade gebracht. Hier hielten die Gedanken an, hier hatten sie in letzter Zeit schon öfters Halt gemacht, als fürchteten sie etwas, als wollten sie sich feige um etwas herumdrücken. Dachhausen war jetzt fertig, Grünfeld fuhr ihm noch einmal sanft mit der Bürste über die Kleider, dann gingen sie beide in das Frühstückszimmer hinaus.

Es war ein freundlicher Tag, das Zimmer voller Sonnenschein und Hyazinthenduft. Als Dachhausen sich an den Tisch setzte und sich den Tee servieren ließ, wurde ihm plötzlich ganz unerträglich wehmütig ums Herz. Wie sehr hatte er stets diese Mahlzeit geliebt, wenn Liddy ihm hier gegenübersaß, rosa und fröstelnd vom Morgenbade sich mit dem hübschen vernossenen Gesichtchen über ihre Tasse beugte. Ach Gott, das Leben mit dieser hübschen Frau war bisher so unendlich unterhaltend gewesen, alles an ihr war so raffiniert, so überraschend kapriziös und ergötzlich. Und nun plötzlich war alles gestört. Warum denn? Von wem? Er dachte diesen Gedanken, der alle diese Tage in ihm gelegen, in ihm gearbeitet wie ein Maulwurf, warum fiel sie gerade damals in Ohnmacht, als die Nachricht von Dietz' Verlobung kam? Ist Liddy in Dietz verliebt? Der Tee, den er trank, schmeckte ihm bitter, ihm wurde körperlich elend zumute, war denn das möglich? Er begann in seinen Erinnerungen zurückzugehen, und wirklich, es hatten sich in ihm eine ganze Menge kleiner Erinnerungen aufgespeichert, die jetzt hervorkrochen und eine schmerzliche Bedeutung annahmen. Da war ein Abend gewesen, an dem er Liddy und Dietz allein gelassen hatte, weil jemand ihn zu sprechen wünschte. Als er zurückkam, war Liddy seltsam erregt und rot, und Egloff hatte sein spöttisches Lächeln. Liddy stand auf und verließ schnell das Zimmer, und dann hatte jemand einmal einen Brief gebracht. »Ah, von Gertrud«, hatte Liddy gesagt. Wenn Dachhausen jetzt an ihr Gesicht und an den Ton ihrer Stimme dachte, dann wußte er, daß sie gelogen hatte. Und anderes noch fiel ihm ein, das er meinte damals nicht beachtet oder vergessen zu haben, aber all das war in ihm da gewesen, er hatte es nur nicht zu Worte kommen lassen. Endlich, warum traf es sich so häufig, daß Dietz Egloff nach Barnewitz kam, wenn er, Dachhausen, nicht zu Hause war? Liddy sagte dann stets: »Er hat sehr bedauert, dich verfehlt zu haben, aber ich habe ihn doch zum Abendessen behalten, ich bin so allein.« Dachhausen schlug mit der Faust auf den Tisch, nein, da wollte er nicht weiterdenken, das war ja nicht zu ertragen. Er befahl dem Diener, ihn bei der Frau Baronin zu melden, es kam jedoch die Antwort, die Frau Baronin sei müde und wolle versuchen zu schlafen. Gut, Dachhausen beschloß, wie er es jeden Morgen tat, den Rundgang in seiner Wirtschaft zu machen.

Es war ein hübscher Tag, Sonnenschein und blauer Himmel. Diese letzten Wochen des April waren wunderbar, die Birken begannen auszuschlagen, und die Fliederbüsche hatten dicke Knospen. Jedesmal wenn Dachhausen am Morgen die Freitreppe hinab in den Hof stieg, hatte er ein angenehmes Herrengefühl, er wußte, sein Erscheinen war hier überall bedeutsam, gefürchtet und entscheidend. Auch heute tat ihm das wohl, ihm wurde leichter ums Herz, schließlich, was war denn geschehen? Er ging in die Schmiede hinüber, der Schmied stand am Amboß und hieb auf ein rotglühendes Stück Eisen ein. Sonst, wenn Dachhausen an eine Arbeit herantrat, wußte er sofort, wozu sie war, wohin sie gehörte, ob sie gut oder schlecht war, er fühlte dann ordentlich mit Behagen, wie der praktische Sinn in ihm schnell und genau funktionierte. Heute nun kamen ihm hier ganz ungewohnte, phantastische Gedanken, es war ihm, als fühlte er den Zorn des Hammers, der auf das rote, wunde Eisen niedersauste. War er denn verrückt? Schnell verließ er die Schmiede, er ging in den Kuhstall. Es war Futterzeit, von der Deckluke ward das Heu herabgeworfen, die Mägde standen und ließen lächelnd die grünen, duftenden Heumassen auf sich niederregnen, dann faßten sie sie mit den Armen und trugen sie zu den Krippen. Wenn sie an Dachhausen vorüberkamen, warfen sie scheue Blicke auf ihn, denn sie sahen es gleich, der Herr war heute nicht guter Laune. Dachhausen aber stand da, nagte an seiner Unterlippe und dachte an Dietz Egloffs geheimnisvolle Abenteuer, von denen die Leute erzählten, seinen nächtlichen Ritten, und plötzlich stieg in Dachhausen ein Bedürfnis auf, sich über jemand zu ärgern, laut zu schelten und zu schimpfen, er lief im Stall umher und suchte nach einer Unordnung. Einen Augenblick blieb er vor dem Stier stehen, es gefiel ihm zuzusehen, wie das Tier blies, die Augen rollte und wie der ganze mächtige Körper von Bosheit geschwellt schien. Da er hier keine Unordnung fand, ging er in den Pferdestall hinüber, Jürgen, der Stallknecht, striegelte gerade den Schimmel, auch er erkannte auf den ersten Blick, daß der Herr heute in gefährlicher Stimmung war. Dachhausen ging nun von Pferd zu Pferd, musterte ein jedes genau, ja, da hatte er es, der Rappe war am Hinterlaufe aufgerieben, warum war er aufgerieben? Warum war es nicht gemeldet worden? Warum geschah nichts dafür? Es war eine unerhörte Unordnung. Dachhausen begann sehr laut zu sprechen, der Zorn fuhr ihm heiß in die Glieder, er faßte Jürgen am Rockaufschlag und schüttelte ihn, der große, blonde Bursche errötete und sah seinen Herrn verwundert an, Dachhausen aber stampfte mit dem Fuß, er tanzte ordentlich vor Wut. Da zuckten die Lippen des Burschen in einem kaum merklichen Lächeln, Dachhausen schwieg plötzlich, der Bursche lacht mich aus, fuhr es ihm durch den Sinn, er wandte sich kurz um und verließ den Stall. Draußen kam der Inspektor auf ihn zu, aber den mochte er jetzt nicht sprechen, drum schlug er eilig den entgegengesetzten Weg ein. Ziellos irrte er zwischen den Feldern umher, der Roggen war gut eingegrast und der Weizen auch. Wie die Lerchen heute dort oben tobten, er blieb stehen und schaute hinauf, er wollte sie zählen, eins, zwei, drei, vier, aber wozu? Das hatte ja keinen Sinn, alles das hatte keinen Sinn. Es war wohl Zeit, zum Frühstück nach Hause zu gehen, vielleicht würde Liddy am Frühstückstische sitzen wie sonst und ihn anlächeln. Eine starke, kindische Hoffnung ließ ihn eilen, aber als er in das Speisezimmer trat, sah er, daß nur ein Gedeck aufgelegt war. Er seufzte. Wie lange war es denn schon, daß er so einsam wie ein Junggeselle seine Mahlzeiten einnahm. Das Frühstück war gut, der Koch hatte da ein Fischgericht au gratin gemacht, das Dachhausen sonst sehr anzuerkennen pflegte. Er verstand es ja so gut, die kleinen Freuden des Lebens zu genießen, aber wenn man mit Sorgen allein bei Tische sitzt, dann wird einem die beste Speise vergällt. Mein Gott, warum wurde denn gerade sein Glück gestört, er verlangte ja vom Leben nichts, als daß es korrekt und heiter sei. Er hatte stets seine Pflicht getan, früher im Regiment und jetzt als Gutsbesitzer. Selbst der alte von der Warthe hatte seine Landwirtschaft gelobt. Er war kein Spieler wie Dietz und war seiner Frau nicht untreu wie der Graf Bützow, warum mußte nun etwas Rätselhaftes kommen und gerade ihm das Liebste, das er hatte, seine Ehe, stören. Er verstand das nicht.

Gleich nach dem Frühstück ging er zu Liddy hinüber. Er trat in das Zimmer ein, ohne anzuklopfen, er wollte sich nicht wieder abweisen lassen. Lydia lag auf der Couchette in ihrem hellrosa Morgenrock, das Haar hing in zwei langen schwarzen Zöpfen über die Schultern hinüber, das Gesicht war sehr weiß, sie regte sich nicht, als Dachhausen eintrat, und schaute mit den blanken Augen unverwandt zur Decke hinauf. »Liddy«, rief er im zärtlichsten Ton, den er aufbringen konnte, »wieder eine schlechte Nacht, was tun wir wohl, diese verdammten Nerven!« Er beugte sich über sie und küßte das regungslose Gesicht. »Wie fühlst du dich jetzt?«

»Müde«, erwiderte Lydia, ohne ihn anzusehen. Er zog einen Stuhl heran und nahm ihre Hand, die schlaff in der seinen lag. »Ja, ja«, fuhr er fort, »das ist dieses Frühlingswetter, es sieht hübsch aus, aber es ist giftig. Alle spüren das.«

Lydia antwortete nicht, da wurde auch Dachhausen befangen. Was sollte er mit dieser Frau beginnen, die tat, als sei er gar nicht da? Er fing an etwas zu erzählen: »Ich war gestern in Witzow, die arme Gertrud ist auch leidend. Nun und die beiden Alten, die brummen so herum in gewohnter Weise. Die Baronin regte sich darüber auf, daß Dietz und Fastrade jeden Abend lange Spaziergänge im Walde machen, sie meinte, das muß wohl eine amerikanische Sitte sein. Aber der Alte sagte: ›Ob es amerikanisch ist, weiß ich nicht, aber unschicklich ist es.‹«

Ein wenig Röte stieg in Lydias Wangen, und sie sprach feierlich zur Decke hinauf: »Ich finde es auch unschicklich.«

»Unschicklich, wieso?« entgegnete Dachhausen. »In unseren Zeiten denkt man darüber doch freier.« Jetzt sah Lydia ihn an, und zwar ziemlich böse: »Du hast mir ja immer gepredigt«, sagte sie, »daß man sich den Sitten und Gesetzen der Gesellschaft, in der man lebt, fügen soll, warum können denn die beiden tun, was sie wollen?« Dann zog sie die Augenbrauen hoch und wandte das Gesicht ab: »Ach Gott, es ist ja auch so gleichgültig, was diese beiden tun, amüsieren wird sich der gute Egloff auf diesen Spaziergängen mit der langweiligen Fastrade nicht.«

»Wieso langweilig?« protestierte Dachhausen. »Fastrade ist doch ein edles und interessantes Mädchen.«

»Vielleicht wegen dieser kitschigen Verlobung mit dem Hauslehrer«, höhnte Lydia. »Warum hast du denn nicht sie geheiratet, wenn sie edel und interessant ist? Ich bin weder edel noch interessant.«

Da wurde Dachhausen wieder zärtlich, er streichelte die kleine, schlappe Hand, die in der seinen lag, und sagte mit einer Stimme, die vor Erregung bebte: »Weil ich dich geheiratet habe, weil du für mich die Edelste und Interessanteste bist. Sieh, Liddy, es kommt mir vor, als ob in der letzten Zeit wir einander nicht recht nahe gewesen sind, es ist mir so, als ob dich etwas drückt, das du mir verschweigst. Sprich dich aus, erstens, dazu ist man ja verheiratet, daß man alles teilt, und dann, es ist auch lächerlich, wie das, was einem Sorge macht, vollständig verschwindet, wenn man es ausspricht.«

Lydia sah wieder zur Decke empor, und es klang müde und schläfrig, als sie antwortete: »Ich verstehe dich nicht, ich habe nichts auszusprechen, nichts zu sagen. Ich glaube, wir beide haben uns in letzter Zeit überhaupt wenig zu sagen.« Sie schloß die Augen. »Ich denke, ich versuche ein wenig zu schlafen«, sagte sie.

Dachhausen war blaß geworden, er erhob sich schnell und ging, ohne ein Wort zu sagen, aus dem Zimmer.

Drüben in seinem Zimmer setzte er sich auf einen Sessel, lehnte den Kopf zurück und schloß die Augen. Nun war es klar, mit seiner Ehe stand es übel, aber wissen wollte er, was sein Glück zerstörte. Er war es müde, kleine Ereignisse aus seiner Erinnerung hervorzuholen, er wollte etwas haben, er wollte jemanden haben, an den er sich halten konnte. So saß er lange kummervoll sinnend da. Endlich klingelte er und bestellte einzuspannen, die Jagddroschke und die Schimmel, er wollte nach Grobin ins Städtchen fahren, dort wohnten seine Mutter und seine Schwester Adine. Als Dachhausen heiratete, waren die beiden Damen mit den alten Möbeln und den alten Dienstboten in das Städtchen gezogen, um der neuen Schloßherrin, den modernen Möbeln und neuen Dienstboten Platz zu machen. Für Dachhausen war das Haus in der Stadt ein Stück des alten Barnewitz seiner Jugend. Hier wehte die milde, verwöhnende Luft, die ihn von Kindheit auf umgeben hatte, dorthin fuhr er gern, wenn er verstimmt war und sich trösten lassen wollte. Lydia liebte es nicht, ihre Schwiegermutter zu besuchen, »sie sind dort sehr freundlich«, sagte sie, »aber es ist eine Freundlichkeit, die einem den Atem bedrückt.« Frau von Dachhausen und Adine ihrerseits bewunderten Lydia. »Deine Lydia«, wiederholten sie immer wieder, »ist ja so hübsch und so elegant«, allein sie blieb ihnen fremd, sie war für sie ein schönes Instrument, auf dem sie nicht zu spielen verstanden.

Die Fahrt durch den Frühlingsnachmittag war hübsch, die Birken standen grellgrün am Waldesrande, weiter unter den Tannen fanden sich große Gesellschaften weißer Anemonen zusammen und zitterten im Winde, der Wegrain war mit kleinen gelben Blumen bedeckt, Kinder trieben Schafe auf die Weide, lagen auf den Abhängen auf dem Bauch und sangen. Dachhausen, der sonst immer gern mit dabei war, wo es fröhlich zuging, konnte heute mit der Heiterkeit, die über dem Lande lag, nicht mit, sie machte ihn traurig und schwach. Ein Vers ging ihm durch den Sinn, den die alte Marri, seine Wärterin, ihm vorgesungen hatte, als er noch ein ganz kleiner Knabe war, und er mußte ihn beständig vor sich hinsummen:

»Weißt du, was die Blume spricht?
Armes Fritzchen, weine nicht.
Sonnenschein lacht dir ins Gesicht,
Armes Fritzchen, weine nicht.«

Auch im Städtchen sah es frühlingsmäßig aus, die Mädchen trugen helle Blusen, lange Reihen von Gymnasiasten spazierten Arm in Arm durch die Straßen. Kommis standen in den offenen Türen der Läden und ließen die bleichen Gesichter vom Frühlingswinde anwehen. Im Hause seiner Mutter wurde er von einem kleinen, listig aussehenden Dienstmädchen empfangen, er kannte das, seine Mutter nahm stets solche Mädchen zu sich, um sie zu erziehen und zu bessern, und die gerieten meist nicht sonderlich. Dann kam Adine, Ende der dreißig, klein und stark, das Gesicht mußte früher fein und hübsch gewesen sein, jetzt war es in die Breite gegangen, und die Züge verloren sich in ihm, aber die blauen Dachhausenschen Augen belebten es freundlich. Adine verbreitete um sich eine wohltuende Atmosphäre von Behäbigkeit und Herzlichkeit. In der Sofaecke saß Frau von Dachhausen klein und gebrechlich wie eine Motte, das Gesicht unter den weißen Spitzen der Haube, noch immer weiß und rosa, war ganz zusammengeschrumpft, aber die Falten standen ihm gut, es waren lauter horizontale Falten der Freundlichkeit.

»Ach Fritzchen, setz dich her«, sagte sie, und die Augen wurden ihr feucht; jedesmal wenn sie ihren Sohn wiedersah, wurden ihr die Augen feucht, und Fritzchen saß nun da in dem altbekannten Lehnsessel, die Sonne schien durch die Goldlackbüsche im Fenster auf das blanke Parkett mit dem roten Läufer. Adine ging ab und zu und richtete den Kaffeetisch her, brachte die großen weichen Bretzeln, die auch von Barnewitz hier in die Stadt übergesiedelt waren. Dachhausen begann es schon wohler zu werden, er fing an sich anzuklagen, sprach von Liddys Krankheit, von seiner Einsamkeit, und die aufmerksame Teilnahme, mit der seine Mutter und seine Schwester ihm zuhörten, machte ihn ganz weich. Hier waren zwei, die unbedingt für ihn Partei nahmen, die von jeher jedes Mißgeschick, das ihn traf, als eine Ungerechtigkeit des Schicksals betrachteten, hier brauchte er nicht männlich zu sein, hier konnte er sich nach Herzenslust bedauern lassen. Der Kaffee kam, Adine und Frau von Dachhausen fingen nun an, die kleinen Stadtgeschichten zu erzählen, fingen an, in ihrer milden und gemütlichen Art zu klatschen, der Abendsonnenschein lag schon ganz rot auf den Wänden, als Dachhausen noch immer dort saß, er wußte, es war Zeit heimzukehren, aber er konnte sich nicht dazu entschließen, zu Hause erwartete ihn die Einsamkeit und all das Feindliche, von dem er sich jetzt umstellt fühlte.


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