Eduard von Keyserling
Abendliche Häuser
Eduard von Keyserling

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Fünftes Kapitel

Einige Tage später, als Fastrade von ihrem Spaziergange in der Abenddämmerung heimkam, sagte die Baronesse zu ihr: »Liebes Kind, dein Vater hat nach dir gefragt, du weißt, er will jetzt, daß du bei allen Geschäften, die das Gut betreffen, dabei bist.« – »Ja, ja«, meinte Fastrade, »wenn ich nur etwas davon verstünde. Bisher bin ich bei diesen Geschäften doch nur eine dekorative Figur. Was gibt es denn?«

»Der junge Egloff ist da«, berichtete die Baronesse, »es ist da etwas mit der Waldgrenze nicht in Ordnung, glaube ich.«

Fastrade seufzte: »Ach Gott, an die Waldgrenze habe ich noch nie gedacht. Gut, ich gehe.« Sie strich sich mit den Handflächen über das von den Abendnebeln feuchte Haar, und »Wie ich ausschaue!« meinte sie.

Im Zimmer ihres Vater fand sie Dietz von Egloff, sie kannte ihn schon lange, sie waren ja Nachbarskinder und Jugendgespielen gewesen, und auf den ersten Blick schien es ihr, als habe er sich nicht viel verändert. Die Gestalt war noch jugendlich schlank und biegsam, das in der Mitte gescheitelte blonde Haar gab der Stirn, gab dem ganzen schmalen Gesichte den jugendlichen Ausdruck, und die Augen waren noch immer so seltsam dunkel. Als er aufstand und Fastrade die Hand drückte, lächelte der schöne Mund noch das ein wenig schiefgezogene spöttische Lächeln, das sie am Knaben gekannt hatte. Sonst war er sehr förmlich, verbeugte sich tief und sagte im gleichgültigsten Tone der Höflichkeit: »Es freut mich, mein gnädiges Fräulein, daß Sie wieder in unserer Gegend sind.«

»Ja, ach ja, mich auch«, erwiderte Fastrade und errötete. Sie fühlte sich befangen und fügte daher etwas hinzu, was ihr mißfiel, als sie es aussprach: »Also hier handelt es sich um Geschäfte?« – »Ja«, sagte der Baron, »setze dich, mein Kind, Egloff kommt wegen der Waldgrenze. Egloff, erklären Sie es ihr.«

Egloff lächelte wieder, wurde aber dann ernst und berichtete in ruhigem Geschäftston, indem er seine Fingerspitzen vorsichtig aneinander legte: »Es handelt sich also um folgendes. Ich habe einen größeren Waldverkauf gemacht und schlage jetzt an der Padurenschen Grenze.«

»Das habe ich gesehen«, entfuhr es Fastrade in einem Tone der Entrüstung.

»Sie haben es gesehen?« fragte Egloff und schaute Fastrade aufmerksam an. Dabei fiel es ihr auf, daß sein Gesicht doch nicht mehr ganz das lustige Gesicht ihres früheren Spielkameraden war, es war sehr bleich, war schärfer und gespannter, die helle, ungezogene Heiterkeit von früher war fort. »Gewiß, ich habe es gesehen«, erwiderte Fastrade, »es sieht aus wie ein Schlachtfeld.«

Egloff zuckte die Achseln: »Ja, schön sieht das nicht aus«, meinte er nachdenklich, »und es ist auch keine schöne Sache, ein Schlachtfeld, sagen Sie, also eine Schlacht, in der wir über den Wald gesiegt haben. Aber wenn wir dann endlich so über den ganzen Wald gesiegt haben, dann sind wir doch die Geschlagenen.«

Der Baron schaute auf, sah Egloff unzufrieden an und sagte dozierend: »Die Wälder sind in unseren Familien recht eigentlich das, was die Generationen verbindet, wir genießen, was unsere Vorfahren gehegt und gepflanzt, und wir hegen und pflanzen für die kommenden Generationen.« Der Schluß der Rede klang müde und nicht mehr so eindringlich, der Baron ließ seinen Kopf wieder auf die Brust sinken. Egloff hatte andächtig zugehört, wie es die Gewohnheit aller jungen Leute der Gegend war, wenn der alte Baron sprach, dann sagte er, und Fastrade hörte aus seinen Worten wieder den ungezogenen Ton des Knaben heraus: »Nun, ich bin jetzt eben in der Lage, das genießen zu müssen, was meine Vorfahren pflanzten, aber«, wandte er sich an Fastrade, »Sie haben sich in der kurzen Zeit Ihr Gut schon genau angesehen.«

»Vorigen Abend war ich in den Wald hinausgegangen«, antwortete Fastrade, »und als ich auf dem Föhrenhügel stand, fehlte mir gegenüber die schöne Wand alter Tannen.«

»Ja, hm, die ist fort«, meinte Egloff, zog die Augenbrauen zusammen und sah auf seine Nägel nieder, als sei ihm das ernstlich unangenehm, dann schaute er auf und lächelte: »Dann waren Sie es wohl, die am Abend so schwarz am Waldrande stand, als wir im Schlitten vorüberfuhren.«

»Ja, das war ich«, erwiderte Fastrade, »und ein Herr in einem Schlitten sagte: ›Da steht die Einsamkeit selbst.‹«

»Oh, das war der Graf Betzow«, rief Egloff, »er will immer etwas Poetisches sagen und sagt dann jedesmal eine Dummheit. Warum sollen Sie die Einsamkeit sein? Wir waren doch sehr gesellig in unserer Jugend. Erinnern Sie sich der Quadrillen, die wir auf der Waldwiese zu reiten versuchten, Sie, Gertrud Port, Dachhausen und ich. Dachhausen war gerade Fähnrich und mir dadurch unendlich überlegen, er machte auch mehr Eindruck auf die Damen, das schmerzte mich, und ich wollte ihn fordern, er sagte aber ganz väterlich: ›Mach dich nicht lächerlich, lieber Junge.‹«

Fastrade lachte: »Ja, ja, und mein Paris hatte gar kein Talent für die Quadrille.«

»Richtig«, meinte Egloff, »Paris hieß Ihr kleiner Schimmel, weil er schön und furchtsam war. Was ist aus ihm geworden?«

»Paris steht noch im Stall«, erwiderte Fastrade, »aber der Arme ist alt und melancholisch geworden, er hat schlechte Zähne und kann den Hafer und das Heu nicht recht beißen.«

Egloff machte ein ernstes Gesicht, als schmerzte ihn diese Nachricht: »Das ist schlimm«, sagte er, »Hafer und Heu nicht mehr beißen zu können ist für ein Pferd die große Lebenskatastrophe, und wie ich die Pferde kenne, würden sie, wenn sie könnten, sich erschießen, statt wie die Menschen, wenn sie Hafer und Heu nicht mehr –«

»Ach was sprechen Sie«, unterbrach ihn Fastrade unwillig, »wer sagt Ihnen denn, ob Paris nicht noch seine guten Stunden hat im Sonnenschein auf dem Kleefelde und seine friedlichen Altersgedanken und manche kleine Lebensfreude.«

»Und Pflicht«, ertönte plötzlich die Stimme des Barons.

Fastrade und Egloff schwiegen erschrocken, sie hatten geglaubt, der alte Herr schlummre, und nun hatte er zugehört. Sie sahen einander an und machten angstvolle Gesichter wie früher in der Kindheit, wenn sie sich fürchteten, lachen zu müssen. Eine Pause entstand. Da jedoch der Baron nichts mehr sagte, begann Egloff wieder zu sprechen: »Bei Pflicht fällt mir ein, wir sollten ja von Geschäften reden.«

»Ach ja«, versetzte Fastrade, »was war es denn mit Ihrem armen Walde?«

»Nein, um Ihren Wald handelt es sich«, verbesserte Egloff sie, »das Unterholz hat die Grenzlinie so verwischt, daß ich fürchte, mit dem Schlagen in Ihren Wald hineinzugeraten. Es wäre daher gut, an Ort und Stelle die Karten zu vergleichen und die Linie neu durchschlagen zu lassen.«

»Das kann ich verstehen«, sagte Fastrade, »da wird dann wohl Ruhke mit der Karte hinfahren müssen.«

Jetzt hob der Baron wieder seinen Kopf und sagte laut und kräftig: »Grenzen sind heilige Sachen, ein Besitzer muß seine Grenzen kennen. Daher wäre es besser, mein Kind, du wärest auch dabei.«

»Ist das nötig?« fragte Fastrade erstaunt. »Ihr Herr Vater hat gewiß recht«, meinte Egloff, »nur dadurch bekommt der Akt der Grenzfestlegung seine Feierlichkeit.« Der Baron nickte: »So wäre also das abgemacht«, murmelte er. Da erhob Egloff sich, um sich zu verabschieden. Als er Fastraden die Hand drückte, lächelte er sein spöttisches Lächeln und sagte: »Also wir sehen uns in Geschäften, sozusagen als Gegner.« Dann ging er.

Fastrade setzte sich in ihren Sessel zurück, ihr Vater schlummerte wieder, und das Schweigen dieses Zimmers mit seiner grünen Lampendämmerung erschien ihr heute besonders tief.

Egloff stieg die Freitreppe herunter zu seinem Schlitten, der dort wartete, hüllte sich in die Pelzdecken und überließ dem Kutscher die Zügel. »Nach Hause«, sagte er.

»Nach Hause?« fragte der Kutscher verwundert.

»Zum Teufel ja, nach Hause«, schrie Egloff ungeduldig, und der Rappe setzte sich in Trab. Die Nacht war dunkel, es schneite ganz ruhig, die Schneeflocken waren nicht sichtbar in der Finsternis, aber Egloff fühlte dieses stille Fallen um sich her, das ihn langsam in etwas Kaltes einhüllte. Er hatte allerdings nicht nach Hause fahren wollen, er war sehr verstimmt von zu Hause weggefahren, die Zeiten waren schlecht, er hatte stark im Spiel verloren, dann war da dieser Waldverkauf, der ihn anekelte, die Geschäftsfahrt zum alten Padurenschen Baron erschien ihm lästig und langweilig, darum hatte er beschlossen, von Paduren nach Barnewitz zu Dachhausen zu fahren, um sich dort mit der kleinen Frau die Zeit zu vertreiben, Dachhausen war nicht zu Hause, und sie hatte ihm an seinem letzten Besuch die Reise ihres Gatten mitgeteilt und dabei ihre schamlos süßen Augen gemacht. Und nun, als er auf die Padurensche Freitreppe hinausgetreten war, war die Lust zu dieser Fahrt vergangen gewesen, und er fuhr nach Hause. Gott ja, diese Fastrade war doch immer das aufrechte, hübsche Mädel von früher. Sehr warme Augen, schneidig war sie immer gewesen, er erinnerte sich, daß er als Knabe einmal in ihrer Gegenwart seinen Hund schlug, da war sie ganz rot geworden, hatte mit ihrer kleinen Faust ihn kräftig vor die Brust gestoßen und »Pfui!« gesagt, ein Pfui, das wie ein Peitschenhieb klang. Seitdem hatte sie ihn nicht recht leiden mögen. Ja, sie war immer riesig gut gewesen, diese Fastrade, aber diese Art Mädchen verliebt sich gewöhnlich in Hauslehrer, schade! Immerhin hatte sie viel Leben in sich, und es mußte hart für sie sein, dort in dem Hause zu wohnen, wo man nicht lebte, sondern nur umging. Er zog seinen Pelz fester um sich, er fror, es war nicht angenehm, so sachte, sachte in dieses kalte, weiße Laken eingehüllt zu werden, auch hauchten die großen weißen Tannenwände, zwischen denen sie jetzt hinfuhren, eine eisige Kälte aus. Gut, dachte Egloff, er würde heute also den Abend zu Hause verbringen, aber was würde er tun? In letzter Zeit war ihm das Alleinsein mit sich selbst qualvoll geworden, seine Großmutter und Fräulein von Dussa heute zu sehen war kein angenehmer Gedanke, also er würde in seinem Zimmer auf dem Sofa liegen, Rotwein trinken und sich vom Diener Klaus Geschichten erzählen lassen. Wenn er nur diese Geschichten von all den Mädchen der Umgegend nicht schon gekannt hätte, auch log der Kerl jetzt, und er log nicht unterhaltend. Trübe Aussicht. Wenn noch jemand da gewesen wäre, mit dem er hätte Karten spielen können, das war noch das beste Mittel gegen graue Stimmungen. Es war eigentlich seltsam und schwer zu erklären, aber dieses Mittel versagte nie, wenn er sich an den grünen Tisch setzte und die Karten zur Hand nahm, dann kam es unfehlbar, dieses erregte Gefühl, das wie eine körperliche Wohltat in das Blut ging und angenehm bis in die Fingerspitzen hinein kitzelte. Das ließ sich nur mit der hübschen Erregung des Moments vergleichen, wenn man eine schöne Frau zum ersten Male so von hinten sachte um die Schultern faßt und nicht weiß, wird sie empört sein oder stille halten.


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