Eduard von Keyserling
Abendliche Häuser
Eduard von Keyserling

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehntes Kapitel

Egloff lag in der Auerhahnhütte auf dem einfach aus Brettern zusammengeschlagenen Ruhebett. Er hüllte sich in seinen Mantel, denn es war kalt. Neben ihm auf dem Tisch standen eine Flasche Portwein und ein Glas, in einem Messingleuchter brannte eine Kerze, deren Flamme im Winde, der durch die Spalten des kleinen Holzbaues hereinblies, heftig hin- und herflackerte. Auf einem Stuhle saß der alte Förster Gebhard, die grüne Mütze tief in die Stirn gezogen, das Gesicht halb in seinem großen Bart wie in einem grauen Schal versteckt, so warteten sie beide, daß es Zeit sein würde, auf die Balz zu gehen. »Sprechen Sie, Gebhard, sprechen Sie, sonst schlafen Sie ein«, sagte Egloff. Gebhard riß seine kleinen Augen auf, die ihm zufallen wollten, und begann gehorsam zu sprechen. »Ja, wenn ich so denke, was wir hier schon alles für Besuch gehabt haben, feine Damen und andere.« – »Nicht davon, Gebhard«, unterbrach ihn Egloff, »sprechen Sie von ruhigeren Sachen. Wenn Sie auch in meiner Jugend mein Lehrer in allerhand Sünden gewesen sind, so ist es doch nicht richtig, davon zu sprechen.« – »Ich spreche so nicht davon«, murmelte Gehhard.

»Wenn Sie schon von Weibern sprechen müssen«, fuhr Egloff fort, »dann sprechen Sie von guten, ruhigen, verheirateten Frauen.« Gebhard kicherte in seinen Bart hinein. »Ja, da hab' ich nun meine drei. Die erste war nun so eine kleine Dicke, dumm war sie, aber eine gute Frau. Schade, daß die mir wegstarb. Die zweite war die Kammerjungfer der Frau Baronin, die wollte Kopfschmerzen haben wie die Frau Baronin und im Bett Kaffee trinken. Als dann das Kind kam, war sie zu schwach und starb. Nun, und meine dritte Frau kennt der Herr Baron.«

Egloff richtete sich ein wenig auf: »Mensch«, sagte er, »was sprechen Sie da, was gehen mich Ihre Frauen an? Drei Frauen haben Sie gehabt, und alle drei haben Sie genommen? Und warum? Was war denn an Ihnen besonders daran?« Gebhard zuckte mit den Schultern: »Nun, nichts«, meinte er, »die Weiber wollen heiraten, was nun auch daraus wird. Das ist so, wenn einer das Reisen liebt, geht er auf die Reise, was ihm auf der Reise passiert, das ist abzuwarten.« Egloff ließ sich wieder zurücksinken: »Ach Gebhard«, sagte er, »Sie werden weise, dann schweigen Sie lieber.«

Draußen um die Hütte rauschten die großen Tannen ein ununterbrochenes Brausen, das zeitweise anschwoll, dann wieder leise und weich wurde wie ruhiges Atmen. Egloff schloß die Augen, er wollte sich von dieser großen, verträumten Stimme des Waldes einschläfern lassen. Drei Frauen hat der alte Sünder gehabt, dachte er, so ganz ohne weiteres, und ich komme mit dieser einen Verlobung nicht zurecht. Wie unendlich einfach hatten ihm bisher die Weiber geschienen. Da war er, der ein Weib besitzen mußte, und da war ein Weib, das sich hingeben wollte, wie einfach und selbstverständlich sich so zwei Sinnlichkeiten auseinandersetzen. Selbst mit Liddy, ihre Zusammenkünfte vorigen Sommer im nächtlichen Park von Sirow, es hatte ihn erregt, er hatte sich stets gefreut, wenn er ihr weißes Kleid zwischen den Bäumen aufschimmern sah oder wenn er sie dann atemlos und zitternd in seinen Armen hielt. Aber niemals hatte ihn der Gedanke beunruhigt, was Liddy von ihm denken könnte oder was in ihrer Seele vorging, und jetzt bei diesem Mädchen kamen da plötzlich solche Unsicherheiten über ihn, die ihn ruhelos machten, so der Gedanke, warum liebt dich dieses Mädchen? Sie sieht wohl einen anderen in dir, und das Mißverständnis wird sich aufklären, und du wirst sie verlieren. Und dann die beständige Anstrengung, dieser andere zu sein, den sie in ihm sah. Ach Gott, wußte man denn mit solch einem Mädchen, woran man war? Einmal war es einem ganz nahe und dann so seltsam fern. Vorigen Abend hier im Walde, als der warme Südwestwind wehte und es so berauschend nach feuchter Erde und Knospen duftete, da war alles so selbstverständlich und klar gewesen, da gingen sie eng aneinandergeschmiegt, und ein jedes fühlte das Fieber im Blut des andern. Da waren keine Gedanken nötig. Und dann gleich am nächsten Tage auf dem Spaziergang war sie ganz wieder das Schloßfräulein, das ihn in Distanz hielt, das von der Welt sprach, als sei sie ein wohleingerichteter Salon, in dem lauter guterzogene Menschen unter festen Gesetzen lebten, ja, sie drängte ihm den Edelmut, die feine Erziehung, die Gesetze geradezu auf, legte sie in ihn hinein. Er konnte sie dann fast hassen, er hätte ihr dann gern etwas gesagt, was sie empörte und demütigte, aber er war zu feige. Wenn die weit offen schillernden Augen ihn begierig ansahen, als wollten sie etwas besonders Neues, Schönes aus ihm herauslesen, dann fürchtete er stets, sie würden den uninteressanten Gesellen in ihm entdecken, lauter ungewohnte, abspannende Gedanken. Er seufzte. Ach Gott, und was für unerbittliche Wirklichkeitsmenschen solche Mädchen waren. Jedes Erlebnis bekam feste Konturen, stand so sachlich und deutlich da, als könnte es nie mehr fortgewischt werden. Ein Erlebnis fallen lassen, wie wir eine angerauchte Zigarette fortwerfen, das kannten sie nicht. Ihnen wurde jedes Erlebnis zu einem Besitz, der mitzählte, als müßte es in ein Hauptbuch eingetragen werden für irgendeine künftige Abrechnung. So waren sie alle, von der schwarzen Lene im Krug bis zu Fastrade. Er hatte seine Wirklichkeit nie so recht gefühlt, er war sich stets ein Erlebnis gewesen, das ihm zufällig zuteil geworden war, das ja zuweilen recht vergnüglich war, aber zur Not auch fallen gelassen werden konnte.

Er richtete sich auf, dieses Herumraten an sich und an Fastrade machte ihn müde und unruhig zugleich. Er schenkte sein Glas voll, der alte Portwein hatte zuweilen die Eigenschaft, Dinge, die verworren und schwierig aussahen, plötzlich ganz einfach und klar erscheinen zu lassen. Der Zugwind wehte die Flamme der Kerze hin und her. Gebhard schlummerte, sein Schatten, groß und unförmlich, hüpfte unablässig auf der Wand. Draußen schien der Wind sich gelegt zu haben, nur ein leises, verschlafenes Rauschen ging noch durch den Wald. Deutlich waren jetzt all die kleinen Gewässer ringsum vernehmbar wie ein waches, eigensinniges Lachen, das in die große Ruhe der Nacht hineinspottete. Dann ertönte plötzlich der klagende Ruf eines Kauzes, und ein anderer antwortete ihm noch aus der Ferne. Die haben es gut, dachte Egloff, sich so in der kühlen Dunkelheit anzulocken, durch Zweige und Knospen zueinander zu fliegen, um ihre Liebesnacht zu feiern – raffiniert. Er lehnte sich wieder zurück, er wollte nichts mehr denken, nur Fastrade, Fastrade. Ja, da war es leicht, seine Wirklichkeit zu fühlen, wenn man so königliche Arme hatte und mit einem so königlichen Körper sich abends zu Bett legte und morgens wieder aufstand. Eine angenehme Schläfrigkeit machte ihm jetzt die Glieder schwer, die Gedanken wurden undeutlich, begannen zu Träumen zu werden, zu Träumen, in die das Rauschen des Waldes, das Lachen der kleinen Gewässer hineinklangen und das Rufen der Käuzchen, die schon nahe beieinander waren.

Egloff erwachte von einem kalten Windstoß, der in das Zimmer fegte. Gebhard hatte die Türe geöffnet und schaute hinaus. »Es wird Zeit sein zu gehen«, sagte er, »der Himmel hinter den Bäumen scheint mir schon so weiß.« Egloff sprang auf, der kurze Schlaf hatte ihm gut getan, und er freute sich jetzt auf die Jagd. Er nahm sein Gewehr und löschte die Kerze aus. »Gehen wir«, sagte er.

Draußen war es noch finster, eine gute Strecke gingen sie auf einem bequemen Waldpfade hin, bis sie an ein Sumpfland kamen, das weiß von Nebel war. Die Dunkelheit hellte sich ein wenig auf, sie wurde grauschwarz, und deutlich standen Bäume und Büsche in ihr. Egloff und Gebhard begannen vorsichtig zu gehen, der Boden gab nach, jeder Tritt verursachte ein kleines, plätscherndes Geräusch, dann kamen Strecken, die mit dichtem Moos bewachsen waren, in das der Fuß einsank wie in weiche Polster. Zuweilen blieben die Jäger stehen und horchten hinein in all die kleinen Geräusche des Waldes, das Lispeln und Rauschen, um den einen Ton herauszuhören, auf den sie warteten. Der Boden wurde jetzt fester, vor ihnen standen hohe, alte Föhren, in deren dunkelen Schöpfen ein leichter Wind metallisch knisterte. Gebhard blieb zurück, und Egloff schlich behutsam vorwärts. Eine köstliche Spannung regte ihm das Blut auf. Plötzlich kam ein Ton, der ihm wie Schreck durch die Glieder fuhr. Er wartete, der Ton kam noch einmal, und dann begann dort oben in der Dunkelheit dieses seltsame Zischen und Schnalzen, das für Egloff alle anderen Töne des Waldes auslöschte. Er schlich und sprang, vorsichtig nach Deckung ausspähend und immer hinhorchend auf die Stimme des Vogels, der dort vor ihm leidenschaftlich und schamlos seine Brunst in die Finsternis hineinrief. Schwieg der Hahn eine Weile, dann stand Egloff wie festgebannt still und hörte sein Herz so laut klopfen, als liefe da mit schweren Schritten jemand hinter ihm her. Endlich war er dem Hahne ganz nahe, er sah ihn dort auf dem Föhrenzweige groß und schwarz in der Dämmerung mit seinen wunderlichen steifen Bewegungen. Egloff legte an und schoß, etwas fiel zu Boden, man hörte Schlagen von Flügeln, dann wurde es still. Ein köstliches Gefühl des Triumphes machte Egloff ganz heiß, hinter sich hörte er Gebhard heranlaufen. Alle Aufregung war vorüber, sie gingen zur Schußstelle, da lag der schwarze Vogel mit seinen gebrochenen Augen friedlich da, nichts war an ihm mehr vom Erregenden, das Egloff noch eben jeden Nerv angespannt hatte. Egloff setzte sich auf einen Baumstumpf und zündete sich eine Zigarette an. Der Morgen graute, die Bäume und Sträuche, die eben noch so bedeutungsvoll und wichtig erschienen waren, standen nüchtern und gleichgültig da. Jedesmal nach solcher Jagd hatte Egloff dieses Gefühl der Niedergeschlagenheit und Ernüchterung, wenn das prächtige Raubtiergefühl des Heranschleichens und Horchens vorüber war. »Gehen wir«, sagte er zu Gebhard.

Durch den aufdämmernden Morgen gingen sie nach Hause, der Tag versprach schön zu werden, der Himmel war weiß und dunstig, und zahllose Bekassinen sandten von der Höhe ihre schrillen Triller nieder, und die Elstern schwatzten in den Ellernbüschen. Egloff dachte jetzt nur daran, wie wohlig es sein würde, sich in seinem Bette auszustrecken, alles andere war vorläufig gleichgültig. Auf der Landstraße begegneten sie einem mit zwei Pferden bespannten Jagdwagen, Doktor Hansius vom Städtchen saß darin, sein großes Gesicht mit dem gelben Bartgestrüpp verschwand fast ganz in dem hohen Mantelkragen, die Augen hinter den blauen Brillengläsern waren geschlossen, er schlummerte. »Doktor! Doktor!« rief Egloff. Der Doktor fuhr auf und ließ den Wagen halten. »Ah, Baron Egloff«, sagte er, »guten Morgen. Auf der Jagd gewesen? Na, ich sehe schon, gratuliere.« – »Danke«, erwiderte Egloff und blieb vor dem Wagen stehen, »wo treiben Sie sich so früh umher?« Der Doktor machte eine müde, abwehrende Handbewegung: »Ich, ich, ach Gott, habe keine Ruhe. Gestern abend werde ich nach Witzow abgeholt.« – »Wackeln die alten Herrschaften dort?« fragte Egloff. »O nein«, erwiderte der Doktor, »die Alten wackeln nicht, es sind immer die jungen, die Baronesse Gertrud mit ihren Nerven. Na, und wie ich denn nachts nach Hause komme, finde ich die Nachricht vor, ich soll sofort nach Barnewitz kommen, die Baronin hat eine Nervenattacke. Nerven und Nerven, die sind auch solch eine moderne Erfindung, von der unsere alten Herrschaften nichts wußten.«

»Ja, ja, Doktor«, meinte Egloff, »Sie stehen immer auf seiten der Alten. Na, guten Morgen, im Bette will ich an Sie denken.« Der Doktor fuhr weiter. Also die kleine Liddy ist krank, ging es Egloff durch den Sinn, während er an den Roggen- und Weizenfeldern, die grau von Tau waren, dem Schlosse zuging, meinetwegen vielleicht? Das ist jetzt gleichgültig, das muß jetzt aus sein, war wegen des Fritz Dachhausen immer eine fatale Geschichte.

Zu Hause ging er sofort ins Bett. »Nach der Jagd sich ins Bett zu legen«, sagte er sich, »ist ein ganz fragloses und volles Glück.«


 << zurück weiter >>