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Coda

 

I

Der Fittich rauscht. Die Muse spricht:
      »Don Alfred Kerr! Halb Glück, halb Fluch
      Dünkt mich dein seltsamer Besuch
            Im Licht.
Einst endet wohl ein Tagebuch – –
      Jedoch die Sehnsucht endet nicht.«

 

II

Ich sprach: »Dies Sonnenabenteuer,
      Verzaubert hält es mein Gemüt.
Voll Veilchenglut und Kupferfeuer
      Seh' ich den Horizont im Süd,
Und braune Ketten ohne Ende
      Und Ölbaumhalden silbergrau
Und rosa Dächer, Kaktuswände
      Und Blühgesträuch am Meeresblau
Und meines Lorbeers luftige Blätter.
      Die Welt ist schön – zum Donnerwetter!

Wenn Himmelstöne brechend starben,
      Fühlt' ich es im Gelenk der Hand;
Ich habe halb erloschne Farben
      Und quick erwachte festgebannt.
Und jetzo zieht die Zauberei,
      Nach der die deutschen Sinne darben,
Als Epilog an mir vorbei ...
      Schreib' ich ihn auf? – Ah was! es sei!«

 

III

Spanien, an des Erdteils Rand, von dem Weltentrubel weit, tagverlassen, kaum gekannt, stoisch in der Wesenheit. Nicht geglättet, nicht verbildet, halb in Dornenschlaf gehext, von der Sonne übermildet, daß der Wein zum Munde wächst. Spanien, wo der traumverschwommne Erdensohn betrachtsam schaut, und der Hang fürs Unvollkommne Feierabendwelten baut ... Spanien, gar nicht fortschrittsdurstig, das die Welt beim Alten ließ; triebversponnen, ruhewurstig – – stehngebliebnes Paradies.

 

IV

Fromm bedeckt ist Hals und Busen,
Wenn sie unter schwarzen Blusen
      Ihre schwarzen Röcke raffen,
            Und die Augen sittig glühn.
      Mohrentöchter. Zarte Affen.
            Dunkel; fast olivengrün.

Und sie wandern wundersam
      Im Orangenruch;
Schwarzer Dutt und schwarzer Kamm,
      Schwarzes Spitzentuch.
Eine lächelt fragend-kühn.
(Dunkel; fast olivengrün.)

 

V

Der grause Stierkampf, die corrída, bleibt eine wahre Seelenseuche. Das Publikum will imma wieda die aufgeschlitzten Pferdebäuche; auch Hahnenkampf mit Wettgekreisch und bloßgelegtem Gurgelfleisch.

Der Mensch bleibt eine lästige, zu früh verkalkte Bestie.

 

VI

Avila, du mein Entzücken! Hartsteintrotzig, unverzagt. Türme. Tore. Kämpferbrücken; rauh von Zinnen überragt. Moslimwälle, wuchtbetagt ...

Oben in der Diözese (christlich sanfte Antithese!) thront die heilige Therese.

 

VII

Über deiner Schwesterstadt
      Aus der Mohrenberge Troß
Wolkenhoch und äthersatt
      Hebt sich das Alhambraschloß.

Goldnes Denkmal toter Träume.
      Rosa Mauern. Rosa Zinnen.
Urzypressen. Feigenbäume.
      Und die Rauschebäche rinnen.
Berg-Au. Übergrünte Almen.
      Unterm Schneegebirg die Palmen.

Schnörkelmärchen. Funkelwonnen.
      Tausendfarbne Kringelströme.
Fabelwände. Flüsterbronnen.
      Bunte Bogendiademe.
Glitzerblumen bläulich blühend.
      Myrtenhöfe längst verwittert.
Flammenfrüchte rosa-glühend.
      Träufegärten goldumgittert.
Wisperwinkel. Wasserbecken.
      Hohe, himmelblau erhellte
      Steingewordne Mondgezelte.
Gaukelfenster. Dämmerecken ...

Zeitzerfressne Löwenmäulchen.
      Feenlichter, schimmerhold.
Alabasterkerzensäulchen.
      Kuppeln, violett und gold.
Goldne Träume draußen, drinnen.
Goldne Säle, goldne Zinnen.

... Und die Rauschebäche rinnen.

 

VIII

O Barcelona, Barcelona, du hast dein' Sach' auf dich gestellt. Längst ist der Rhythmus der Bewohna ein Vorklang aus der Neuen Welt.

Man fühlt in großen Linien ... den Takt von Argentinien.

 

IX

Seltsam, diese Dunkelnis!
      Dieses Zwielicht, das mich peinigt.
Schrumpft die Welt zum Schattenriß?

Selbst voll feierlicher Strenge
Sind die Sonnenuntergänge
      In dem Hochland starr und steinigt.

Oben steht das Haus der Qual:
      Escurial.

 

X

Starrheit ohne Schliff und Schmelz. Wälle, Mauern, Tore, Fels. Muren gelblichen Gerölls ... Von der Wacht mit wilder Wucht, stürzt es in die Tajoschlucht.

Maurentrödel, zeitverlassen! Dies Toledo bröckelt steinern mit den Holperstolpergassen, mit Morisken und Zigeinern. Stauberstickt im räudigen Pelz.

Wälle. Mauern. Tore. Fels.

 

XI

Dies fausta, dies illa!
      Manchen Flaschenhals bezwang ich.
Malaga und Manzanilla,
      Roten trank ich, Weißen trank ich.
Schluckte den Rioja gern,
      Adelfüllig, sonnenklar;
      (Dieser ähnelt dem Sauternes).

Doch mein schönster Landwein war
      Aus dem Dorfe Palomar.

 

XII

Wenn dieser Greco, grünlich-bläulich,
      In kältester Verzückung rast
Um einen Heiland, stupsbenast,
            Um tölpelhafte Cherubim –
Dann denkt mein Blick: »Es ist abscheulich!«
            Doch meine Seele denkt: »... Sublim!«

 

XIII

Schwarze Fräuleins auf Altanen. Kerzenkinder, Himmelsbräute. Sakramente, Heiligenfahnen. Goldner Schein und Domgeläute.

Kruzifixe bei Monstranzen; und im Gittergoldgehäus: Heilandsdiener, Gottesschranzen; violette Weihrauchboys  ... Blumen häufen sich zu Berg; schwärzlich stapft der Menschenstrom, nasgelockt vom Räucherwerk, zum Giganten-Wipfeldom.

Doch ein weißes Traumgespinst scheint am Steintor stumm zu stehn. Ein arabisch Auge blinzt – Kirchen waren einst Moscheen! Christi Braut in Kreuzesbrunst hat sie mit Gewalt verwandelt, übergotisch fromm zerschandelt; hold verhunzt.

(Auch betünchte Thorabogen in getauften Synagogen gucken lammfromm und verlogen.)

 

XIV

Hohe Himmelsheil'ge schauen auf die Menge kniegeduckt, auf die Mohrenaugenbrauen eines Jungen, der sich juckt – während seine braune Braut (schwarzgefiedert, matte Haut) auf die Fliesen spuckt.

Orgelflüstern gipfelschwingend. Widerhall in Rätselgängen. Fern entweltlicht, zart verklingend, mit zerschwebenden Gesängen.

Sarkophage; Gottesmütter. Kerzendunkel; Zaubergitter. Tote Pfaffen; tote Ritter ...

 

XV

Murillo: lieblich-lämmlich-kindlich;
      Im Himmelskitsch unüberwindlich!
(Stark neben seinen süßen Masken
      Hängt das Fabrikbild des Velasken ...)

 

XVI

Mittagsglanz; am Katarakt – wo die Sierra, nackt-gezackt, pomphaft die Pupille packt. Oben, ohne Schutz und Schirm, brütet eine breite, brave, gottgeduldige Agave, mitten auf dem Felsgetürm. Die Agave harrt und starrt, fern von jeder Gegenwart, ohne Inhalt, ohne Ziel– wie ein schlafender Schlemihl. Von der Sonne heißgekocht, fristet sie ihr Leben focht, Sommer, Winter, Herbst und Lenz ... ist das eine Existenz? – ? – ? –

 

XVII

Francisco Goya. Bodenschlächtig;
      Bist einer von den Menschenfängern.
Den Alltag malst du ... mitternächtig
      Trotz Winzern, Buben, Stelzengängern,
      Trotz Jungfern und Gitarresängern.

Lemuren schielen vampyrstill.
      Die Sonne selber blinzt verdächtig
Beim Tanz der Mädels; im April.

 

XVIII

Burgos! Zaubertürme. Rampen. Zierer Krimskrams. Steingemäuer. Heilige Erker. Gnadenlampen. Wasserspeier-Ungeheuer. Seitendächer tragen Traufen. Wilde Söller, säulenbündlig. Treppen, die in Nichts verlaufen. Steingeländer stürzend-schwindlig.

Märchengänse; Teufelsvögel. Mißgetümlich, fabeltierisch. Pfeilerfirste; Marmorkegel.

Eine Gotik: juwelierisch.

 

XIX

Heimatlich gewissermaßen
(Wenn sich wild an Haldenhängen
      Lichtgrau Feigenbäume drängen)
Sind im Frühling Abendstraßen;

Wo, vom Bauermann begleitet,
      Leise wippend mit dem Fuß,
Eine Frau das Maultier reitet –
      Andaluz! Andaluz!

Manchmal aus entschwebten Tagen,
      Wie zerspellter Saiten Schall,
Geistern Sarazenensagen,
      Warnend talkt's der Wasserfall.
Kissenberge, duftumfangen,
      Eingedrückt von sachten Wangen ...

Alle Zacken werden weich.
      Und ein lila Abendreich
Spendet späten Schattengruß.
      Kuppen, apfelsinenfarb;
Heuduft, eh' die Sonne starb –
      Andaluz! Andaluz!

 

XX

Cadiz in der Wassermitten einer süder-frischen Welt, sanft vom Silberschmied geschnitten, und wie aus dem Ei gepellt. Rosa, hellgrün sind die Wände, doch die Söller weiß wie Schnee. Und an jedem Straßenende schaut man schimmervoll die See. In dem Städtle kreuz und quer, kehr dich hin, kehr dich her –, guckst aufs Meer.

Cadiz, ohne Wagenrasseln; wo die Bürger nicht berserkern, still sich über Puppengasseln sonnen in verglasten Erkern.

Oder: still und ausgeruht in dem Parque Genovés, jenem Garten an der Flut, sitzen sie auf dem Gesäß.

Träumen ruhig, sachgemäß ... (Palmen ragen rinden-runzlig; Blumen schmeicheln schmiegig-schmunzlig – in dem Parque Genovés.)

Wenn der Regen nachgelassen
      (Auf dem Weltmeer ist's noch hell),
Schreit' ich durch verschollne Gassen
      Nach der Plaza Isabel.

Bleicher wird die Flutenbahn.
      Späte Lüfte, salzig-feucht.
Leiser Glast am Ozean.
      Blinkefeuer. Turmgeleucht.

Staunend steh' ich still und seh's –
      Und das Dunkel flitzt verstohlen
Über weiße Abendmolen
      Zu dem Parque Genovés.

 

XXI

Genug! Bald hat die Feder Ruh –
      Mit Versen voll sind zwanzig Blätter.
Die Welt ist schön, zum Donnerwetter!
      Und Eine – die gehört dazu.

Du klommst mit mir auf jeden Pfad,
      Du zogst mit mir durch alle Fernen,
Du lachtest unter Abendsternen
      Und bliebst mein starker Kamerad.

Und manchmal scholl ein stiller Ton:
      »In Deutschland wartet unser Sohn.«

Du bist, Ihr seid ... der neue Tag,
      Des schweren Herzens leichter Schlag.
Das Lachen nach dem Leide.
      Ihr spannt ein dämmerbuntes Band
Zum Träumebaum ins Kinderland –
      Ihr beide. Ihr beide ...«

 

XXII

Der Fittich rauscht. Die Muse spricht:

»Der Puls des Bluts wird zum Gedicht. Ob Nord, ob Süd – noch einmal prangt die Welt im Licht ... Das Leben blüht.«

 

XXIII

Das Wort verhallt, der Ton verhallt; zum Fenster segelt die Gestalt.

Ich saß am Tisch – im Grunewald.

 


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