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Prado-Postscriptum

 

I

Beim Velazquez ist nur die Mitte seiner Laufbahn umfröstelt. Sein Anfang jedoch und sein Ende sind gar nicht kühl.

Anfang: die Trinker, Spaßkrüppel, Narren.

Ende: (neben den Hilanderas) die rührend ernsten Urgreise: Paul und Antonius. Der selig ergreifende Besuch zweier Grabnahen; unvergeßbar.

Nein, beim Velazquez ist Anfang und Ende trotz allem »Sachlichen« herzerfüllt. Nur die Mitte war höfisch.

(Auch sie nicht in dem Bredawerk.)

 

II

Velazquez, im Besuch des bald hundertjährigen Antonius bei dem gleichaltrigen Paul; in Mariä Krönung, beides aus der späten Zeit: Velazquez ist hier fast murillo-lind.

Mit Engelsköpfen, kraftlieblich; – wenn auch so schalkhaft nicht, so fülleselig nicht wie beim Tizian die Kinder.

So genialisch leuchtend nicht im begnadeten Blick, wie bei Murillo der kleine Johannes ... mit dem schmiegigsten Lamm.

 

III

Ach, fast erschütternd wird im Prado der Gegensatz zwischen Velazquez und Murillo. Fast eine Seelenpein – wenn man von dem Murillo nicht lassen kann. Wenn man diesen Thumann-Genius vor kritischem Gepuff schützen möchte.

Murillo, ja, scheint leer gegen den älteren Velazquez; ist kein ganz großer Maler; schön; – – reißt aber hin mit seinem Ewigkeitskitsch.

Was ist zu tun ... gegen dies Lieblich-Menschlich-Göttlich-Kindlich-Lämmliche?

Das gibt es auf Leinwänden bloß einmal. Dies in Farben Lämmlich-Kitschig-Unsterbliche. Bloß einmal. Ich weiß einen deutschen Namen dafür:

Franz Schubert.

 

IV

Geistert nicht – neben dem Gespensterkampf zwischen Greco und Velazquez; neben der andren Schlacht zwischen Velazquez und Murillo ... geistert nicht ein Totenturnier auch zwischen Velazquez und Goya? – Ich seh's.

Waren die Krüppel, Schwachköpfe, Zwerge, Narren des Velazquez, so der kälbernd blöde Nino de Vallecas, der tierisch-lallende Bobo de Coria, der ganze skurrile Rest – waren sie für den Goya vielleicht ein Weckruf?

Dann blieben sie vereinzelt ... gegen die Schwärme von Goyas Ungestalten.

Dann blieben sie hart begrenzt ... gegen Goyas flimmernden Ozean der Mißgetüme.

Dann blieben sie nur ironisch ... gegen Francisco Goyas fauchende Verzweiflungswelt zerschatteter Tausendfratzen.

Dann blieben sie kaum ein Lächeln ... gegen Goyas Raserei.

Dann blieben sie, kurz und gut, ein Gesellschaftsscherz ... gegen Goyas Gesellschaftskampf.

(Nur Beiläufiges waren sie – gegen ein Nachtgeblüt. Anekdotisches – gegen einen Lebenszwang. Weltliches – gegen ein Arm-in-Arm mit dem Acheron.)

Ecco.

 

V

Velazquez streift sich sozusagen die Bügelfalten glatt ... in dieser Umgebung; Goya selber ist ein Teil von ihr.

Velazquez malt sie als Wesen außerhalb seines Ichs; Goya malt sich hier mit seinem Troß.

(Hätte Velazquez den Goya porträtiert: es müßte gewiß ein Hexerich- und Kauzgemälde sein. Hätte Goya den Velazquez gemalt –, es wäre nur ein ... Bildnis.)

 

VI

Immer noch gefriert einem das Blut vor Goyas Vampyr-Lemuren – aber das Herz lacht vor seiner andren Wesenheit.

Denn er ist, im Prado, zugleich Sonnenmaler, Sinnenmaler, Andaluzmaler; – (nur daß Goyas Sonne verdächtig äugt; nur daß Goyas Weltlust nachtmahrig blinkt).

Der Nachtmahr Goya hat mich damals zuerst gepackt: mit Nebel, Düster, Luftgerinnsel, Spukhauch, mit halbirdischen Furchtbarkeiten, mit Harpyien und Alb-Engeln.

Jetzt war der Lichtmaler tiefer hinreißend.

 

VII

Wenn er so, mit Seitenbärtchen der lebfrohen Kerle, mit Lust und Glanz und Pelottspiel, mit Weinernten und festgehaltenen Kutschen, mit Schaukeln, Wäscherinnen, Gitarresängern, mit frierenden Halbafrikanern samt Hund und Maultier, mit dem fröstelnden Zwerglein beim aufrechten Mädel, mit Stelzengängern, altspanisch in roten Kniehosen, weißem Haarnetz, brauner Jacke, mit Tabakwächtern, Tabakschmugglern, mit Siechenträgern, baumkletternden Jungens ... dieser Satz kommt nie zu Ende.

Jedenfalls: ein Kerlchengeck hält, wie zauberhaft, über seine Liebste den Sonnenschirm; bei der Traubenlese scheint ein Bursch was aufzusagen; eine Stanze? ... Heut sind sie alle tot. (Und von hinten im Gefild regt sich noch was, die Winzer.)

Ein Gesamtwerk, voll Seligkeit – und warnend.

Seht einen Hampelmann wiederum, in die Luft geschleudert von vier Jungfern, der Sommer blüht, – – und sie könnten alle doch höllenverstorben sein.

Jedes dieser Farbgesichte schwebt um Höhen und Tiefen totenhaften Gefilds. Und ob manche gleich so tun, als spielten sie wirklich Blindekuh, – –!

Seltsam diese Bengelchen, spaßend, aus Lederflaschen trinkend, mausend. Zwischen allem ein toter Puthahn; tote Vögel, die Augen gebrochen; vieles ist etwas unterirdisch-verwest gemalt, ob es schon wie blüher Alltag aussieht. Ja, dem Goya seine Sonnenmenschen grinsen mehr als sie lachen. Oder blinzen – aus Augen, die nicht ganz irdisch sind.

Alle Vergänglichkeiten dieser kennenswürdigen, einzigen, glückhaften Erde dämmern schaurig hinter dem Licht.

 

VIII

Jetzt aber, jenseits von Farben, guckt auf seinen Griffel; mit kalter Nadel Geritztes; Widerschein unsterblicher Kupferplatten – oh, wie das alles dämonenflink erpackt, dämonenheiter verzerrt ist ... (Weit mehr fertig gemacht, als man es im Gedächtnis trug.)

Nur Griffe ... So ein verwunderlich fliegender Hund. So weggefegt-gerupfte, klistierte Steißhühnchen, – das sind Männerchen, von Kupplerinnen und Frauenzimmern erschöpft, zerpumpt, entwest.

Oder: die klagend-anklagenden, die schneidenden »desastres de la guerra«, »Schrecken des Krieges«, – wie er sie voll Todhaß höhnt, peitscht, bespuckt.

Eine Menschheit ist entlarvt. Staatbildende Stützen durchhellt.

Und es heißt unter einem Kriegsbild, schon damals: »Murio la verdad« – »die Wahrheit starb««

 

IX

Dann wieder manches bürgerlich: wunderbar zugegriffen; errafft; hingedrängt. Etwan: ein reiferes Weib, aus Liebe durchs Wasser watend, die Kleider seltsam hoch ... Oder der Mann im Kabinett, mit entblößtem Arsch. Oder ein Frauensbild samt Pferd auf dem Seil; auf dem Seil.

Goya malt Majestätsbeleidigungen ... ins Schloß. Menschenächtungen ... in sein versperrtes Haus.

Von ganzem Herzen dem Sonnenland verhaftet – wie der Unterwelt.

Ist er ein Einzelner?

... Francisco Goya y Lucientes ist: Kernsaft von Spanien. Ein Ausbund seiner Wonnen und Abgründe. Sein lockendster und sein drohendster Glanz. Der Janus von Castilien plus Andaluz.

(Und, bei allem Gehusche, denkwürdig als Techniker.)

 

X

Nochmals, darf man (ich habe solche Furcht) den Murillo schön finden? ... Als ich einstens, 1905, aus Spanien zurückkehrte, klang etwas nach, abends um sechs, noch in der Kurfürstenstraße mittendrin, wie fernbeschwingte Musik. Fliegen wollte man, über jeden Sonnenuntergang fort, einmal noch zu dieser durchmalten Halbinsel. Da hängt und wittert verborgenbunte Leinwand; Unerforschtes; in Europa vergleichslos.

Es gibt nur einen Prado. (Aber nicht nur einen Prado gibt es.)

Dies Erinnern zehrt ... anders als Florenz.

 

XI

Darf man den Murillo schön finden? Verboten ist es? ... Ihr könnt mich (der Ausdruck sei mir gestattet), ihr könnt mich am sichersten hier vielleicht kunstgeschichtlich widerlegen.

Doch ein Johannesknab mit dem Lamm; doch die Gottesfrau mit dem Wickelband; doch der heilige Felix von Cantalicio mit Maria und dem Christusbüble; doch diese (aber wirklich!) unbefleckte Empfängnis; doch diese fromme Justa und fromme Rufina ...

Entschuldigen, bitte, freundlich. Aber das sind (Thumann völlig in Betracht gezogen) Werte. Du schmeichel-schmiegiges Lamm, – du! ...

Wird es erlaubt, Lieblichkeit dargestellter Dinge zu lieben? (Ohne zur Schlichtheit erst auf einem Umweg zu kommen?)

Sagt: ja.

Es gilt nicht immer nur: festzustellen, wie »das Grün auf dem Blau sitzt« ... Es kommt nicht bloß auf das (im weitesten Sinn) Herstellerische der Kunst an. Sondern, Verzeihung auch (wenn man's recht betrachtet, von einem gewissen Standpunkt, unter bestimmten Voraussetzungen, genau besehn) gewissermaßen sogar auf den, immerhin bloß durch Kunst zu erzeugenden (sozusagen) Seelenvorgang.

Er war kein allererster Malermeister? Er war ... eine Musik.

Begnadigt ihn.

 

XII

Ihr verwerft Murillo ... und vergöttert zugleich den Tizian. Warum (wenn ihr je das Glück hattet, nach Madrid zu kommen) liebt ihr da Tizians »Fecundidad«? Es ist eines der Weltwunder. Mein letzter Blick; beim Abschied vom Prado.

Kleinwesen – lieblicher noch als auf Tizians venezianischer Assunta. Massenhaft Kinderle, Kinderle, Kinderle. Der härteste Hagestolz müßte lächeln, stocken, tauen.

 

XIII

Allenfalls die Marmorvenus dabei ist vom Übel ... wenn sie auch köstlich mit dem Finger – ich weiß nicht wohin an ihrer Gestalt – zeigt ...

Hätte der Prado-Tizian statt solcher Steingestalt was Lebendes hingesetzt – eine junge Mutter! (Keine von Rubens, um Gottes willen.)

Eine helle, heitere, säugende, wache, knackfrische, junge, junge, junge Mutter.

Sie müßte fest an ihrer Brust ein Puppenfräulein halten; so ein Doldenjöhr; so eine kleine Kelchperson, die sauft, sauft, sauft.

Derlei bleibt in der Welt ja doch das Schönste. Das Hoffnungsvollste. In unseligen Zeiten die Seligkeit.

(Ende des Prado-Postscriptums.)


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