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Avila; Burgos; Escorial; Toledo

 

I

Dies Tagebuch ist noch nicht leer – doch alles muß ein Ende haben. Vier Orte werden heut gemalt. Zwei andre nächstens. Dann Schluß.

Vor dem Schluß meldet sich ein Schmerzgefühl, wie beim Verlassen des Landes.

Dieses halb unerforschten, für sich atmenden, wunderreich-fremden Bezirks der Sehnsucht.

 

II

Rauheit, Sprödheit, Wüstheit, Starrheit ... Wälle, Mauern, Tore, Fels.

Steiniges Staubgrün. Graugelb. Mit Abstürzen, Düsternis – marokkanisch. (Das ist: Toledo.)

 

III

Trotz der Eroberung durch Alfons den Soundsovielten (er kam in Begleitung des Cid) herrschte noch überlegen hier der Maurengeist. In verfälschter Firma; wie so oft.

Weiter wird Arabisch in Toledo gesprochen ... bis (erst fünfhundert Jahre darauf!) man das erstickt.

Blutig dunkelt hier der Turm spanischer Kirchenmacht.

Galoppierender Verfall. Heut ein Zehntel der Bewohner von einst.

Gewesen; gewesen; gewesen.

 

IV

Holpriges Bergnest. Granitbuckel. Felsdorf. Steinerne Zufallshäuser, regellos. Stolpergassen durcheinandergewürfelt.

Ein alter Trödel – zwischendrin Opale, Smaragdhaufen.

Araberstadt! Emirhof! Mit benageltem Tor; Brücken, Zinnen. Mit gemetzten Rundstraßen einer Sarazenenfeste. Mit ... nicht mit Abgründen; sondern Schuttabhängen.

Nicht mit Wänden; sondern Muren ins Wasser. In die Tajoschlucht.

Vormals eine Wacht und eine Macht. Ein Hort und ein Horst ... Heut ein Gerümpelfleck. (Mit Smaragdhaufen.)

 

V

Manchmal scheint mir Toledo noch anders: Wie ein räudiger Adler. Nein, wie das Nest eines solchen – und in der Mitte liegt jener Diamant: Kohinoor. (Das ist die Kathedrale.)

 

VI

Kathedrale!

Kargheit ... bei Farbfenstern, Marmorplatten, Prunksärgen, goldenen Hochgittern, Tausendformen, Seltenheiten.

Mit kostbarem Gestühl von Walnußholz, mit Jaspiszierat und Alabastersäulchen, kunstgegliedert für den Hintern sitzender Bischöfe.

Mit Kapellen, Kapitelsälen, Schatzgewölben voll perlschweren Geschmeids. Mit Heiligenschmuck, für Trillionen.

 

VII

Und mit einem Doppelkreuzgang von alter Wuchtmajestät ...

In Gelassen dieser Steingalerie wittern Ungeheuer, für Festzüge, »gigantones«, darunter der Cid, riesengroß, hoffnungslos, mit Stoffkleidung angetan.

Vollends ein Scheusal schießt mit dem Kopf nach vorn; will beißen. (Größer als die Tarasque, die ich zu Tarascon einst sah.) Wenn der verschollene Küstercaballero hinten pufft, beißt sie ...

Wie lieblich fuhrst du zurück – denkst du daran? Es war ein wolkiger Nachmittag.

 

VIII

Die Bethäuser Santa Maria Bianca und Del Transito waren einst wunderschöne Synagogen. Hernach: Zwangskirchen; ein Hirnzustand.

Die Sinagoga del Transito hegt heute noch ihr Ornament hebräischer Lettern – das oben an der Wand feiervoll hinläuft. Obschon dort längst Geistliche hantierten, denen bloß das Haar des Hinterkopfes beschnitten war.

Wo die heilige Thora stand, liegen Calatravamitglieder in Särgen. Ihre Parvenüleichname drücken dem toten Rabbi das Herz ab – der vielleicht geröstet worden ist.

Der schöne Tempel selbst war vom Bankier Peters des Grausamen, Don Samuel Levi, gebaut – welchen der Fürst hernach hinrichten ließ.

Ich würde niemals gegen meinen Bankier so grausam sein.

El Transito bedeutet: das Hinübergehn; den Tod. Könnte jedoch von dem Worte »sic transit« kommen – das auf jeden Wechsel des Irdischen zielt.

... Peter der Dumme machte den »transito« schließlich selber durch – nachdem sein Gedenken in aller Eile von dahinsterbenden Geschlechtern etwas vermaledeit worden war.

 

X

Ich sah Toledo jetzt bei bedrohlichem Himmel. Da blickt es noch räudiger. Dies Glaubensraubnest.

Fels der Trostlosigkeit; der Skelettqual; des Mangels; – mit Kunstverschwendung.

Trümmerloch – voll dunkelflammender Herrlichkeit.

(Aber dies Karge wirkt auf einen Preußen so hinreißend nicht. Wir kennen das ... ohne viel herzumachen. Sind aus einer Gegend, wo das erstaunte Wort jener Bayerin haftet: »Da wachst ja nix –!« Preußische Kargheit ist nur sandig – wenn Spaniens Kargland Apfelsinen trägt.)

 

XI

Ins Tal ziehn die Frauen heut noch zur Quelle; schöpfen Wasser; wie zweitausend Jahre davor.

Oben, auf dem Granit, hat Greco gehaust. Ich ging durch seine Zimmer – von wo er auf den Moslimweiler (samt der kostbarsten Inquisitionsbaude) geblickt hat ... und mit dem Zukunftspinsel Vergangenheit malte.

Avila, elfhundert Meter hoch, ist ... mehr als ein maurocastilisches Rothenburg. (Mehr als ein berber-katholisches Hildesheim.)

Wieder Ausgucke; Kronzinnen; Morgenlandstürme; Wehrgänge; Kampfmauern; Römerbrücken ... Es ist keine Stadt: nur eine Stadtmauer.

Die heiliggesprochene Therese, bildhübsch und rund, Überbürgerin von Avila, wird von Herzen seit ihrem Priorat um 1580 hier verehrt. (Mit Fug – denn sie hatte, wie ich, Verzückungen und schrieb fünf Bände.)

Theresienstadt wächst aus dem Fels ... und aus der Vorzeit.

Traumhaft-Stehngebhebenes. Zeitverlassenes. Ein bewohntes Pompeji – elfhundert Meter hoch.

 

XIII

Ja, hinter jedem Mauertor, das lichtöffnend nach Avila geht, hat man Durchblicke zu Steingassen, hochbetagt. (Mir dämmert Passau.)

Unten, fern und nah, Klöstereien, Stiftungen, Anwesen. (Karmeliterhaftes.) Glockentürme rings. Ein Bauerndom.

Firnluft ... in Pompeji.

Die letzten Moriscos wurden erst 1610 hier getilgt. Avila »verarmte seitdem gänzlich«. Die heilige Therese konnte nichts tun, obschon diese Doktorin gute Beziehungen zu einflußreichen Stellen des Firmaments hatte.

Für den Ort aber gilt der Kleistvers: »Und ein Gestein sagt dir von ihm: er war.«

 

XIV

In Burgos ist der Cid geboren. (Dies Wort kommt vom arabischen Sidi: Herr.)

»Treulos und grausam« blieb der Söldnergraf, nach geschichtlichem Zeugnis. Am Tor hängt er, mit seinem Vollbart. »Pavor Maurorum« – der Maurenschreck. Der Ausrotter.

Burgos ist heut eine gutluftige, reine, sehr bewohnbare Stadt. Mit Fensterglasschränken an den Häusern (wie Cadiz – wovon ich noch sprechen will). Und die Kathedrale ...

 

XV

Die Kathedrale wirkt nicht unangenehm gotisch. Nicht spitz. Vielmehr die Türme fast abgestumpft. Vieles durchbrochen. Sehr bekringelt. Schwellend reich.

Die Gotik beginnt, mit einem Wort, juwelierisch zu werden.

Nadelbüchsen aus Elfenbein. Dazu, Gott sei Dank, schiere Quadratmauern wie in Sevilla. (Die Rechtecke versöhnen allemal mit Krimskrams.)

Erträglichste Gotik.

 

XVI

Nur von außen kommt hier die Wirkung. Ich will sie malen.

Steingebälk. Totenunholde. Höllenfratzen. Mißgeburten, affig, teuflisch. Fabelgänse. Oben, unten, vorne, hinten: – ein Gewirr. Traufen, steinerne Firste, Heiligensäulen, Kringeltürme, Söller, Standjungfrauen, Kreuze, Querrinnen, Löwen, Zuckergußpfeiler hoch in die Luft, Wappen, Steinbrücken, Nachtvögel, Cherubim – seht ihr die Kirche jetzt? ... mit Buckeldächlein und (insonders herrlich) mit ganz kurzen, rundgebogenen, zwecklos schwindligen Steingeländern, ohne dahinter andres als die steile, stürzende Steinmauer. Seht ihr das? Denn ein Gesamtes (all der Baumkuchenpyramiden auf je einem Rechteck) wird nirgends erblickt ...

Kurz: gotisch – doch im Süden gemacht. Unterirdische Neigung zum Rund, zum Quadrat. Haß gegen Stech-Spitzes.

... Erträglichste Gotik.

 

XVII

Ein »Koffer des Cid«, aus Leder und Holz, ist im Kreuzgang an die Wand gekettet. (Für einen Schrankkoffer war der Cid zu ungebildet.)

»Cofre de el Cid«, – welchen er »den zwei Juden Rachel und Vidas für ein Darlehen von sechshundert Mark mit Sand gefüllt übergab«. Ein prächtiger Zug des frischen Draufgängers und Nationalhelden.

(Falls jedoch Rachel den Koffer mit Sand gefüllt hätte, – – na!)

 

XVIII

Burgos ist eine muntere Stadt. Schon im Sommer verkühlt sich hier das emsige Volk, um für das Spucken Stoff zu haben.

Jenseits am Fluß liegen adelscastilische Wohnhäuser. Schlummrig die »Casa de Miranda«, mit Wappen, Säulenhof, Portal.

Ein Nachbar schließt sie ritterlich auf.

O Verfall! Drin ist heut ... nicht eine Gerberei, sondern was Erstaunlicheres.

Ich sah: ganze Schweine werden hier als Fässer verarbeitet. Gefüllte Mumien. Schwarze Schweine, weiße Schweine bilden samt ihrem ausgehöhlten Pfotenpaar ein Gefäß. Lederflaschen von mächtig tierischer Gestalt.

So weht ein Hauch der Vergänglichkeit in Burgos – auch die irdische Hülle des Cid befindet sich hier ...

 

XIX

Ihr jedoch, arme Sau-Leichen, was tut ihr jetzt mit dem Wein im Bauch?

Lebend muß man ihn kriegen – darauf kommt es an.

 

XX

Wo findet Philipp der Zweite Schlaf? Man weiß es, von Schiller. Der Escorial ist schon wieder aus Granit.

Philipp vollzog hier einen Wettkampf mit dem Gebirg – das er vielleicht kirren wollte. Da hat er in durchsteintes Grün, an tausend Meter hoch, neben die Stummheit einer Bergwand sein Abschiedsschloß gebaut.

Ein Schloß im Sinn des Abschließens. Ein Abschluß gegen Irdisches.

Die Landschaft karstig (nicht garstig) – bei nahem Schnee. In solche Unregelmäßigkeit ließ der Menschenhasser eine koloßhaft quadrige Regularität satzen.

(... eine koloßhaft quadrige Regularität satzen.)

 

XXI

Der Escorial: grandiose Zurechtweisung der Natur. Ein bewußtes Übergipfeln. Ein totenköpfig eiskaltes »Siehste!«

Ein Seelenzuchthaus. Daher hat diese Gruftvilla neunundachtzig Springbrunnen.

Und zwölfhundert Türen; – für Gespenster.

 

XXII

Der Dom daneben. Das Äußerste von stämmiger Untersetztheit. Mit Elefantiasispfeilern. Jede Säule dick wie ein Zimmer.

Der dunkle Bauherr kniet, seitlich vom Altar, hoch, in Bronze.

 

XXIII

Nur der Eingang des Orts, den er bei Schiller als Ruheposten angibt – nur dieser schmale Treppengang ist schaurig; von Kerzen prunksam-finster beflackert.

Unten die Särge sind in Schubladen geordnet. »Reich assortiertes Sarglager.«

In der obersten Schublade altert Karl der Fünfte. Philipp unter ihm.

 

XXIV

So fromm war er, daß droben in seinem Escorialschlafzimmer ein Türl nach dem Dom zu öffnen ist – da hat er die Messe bequem im Bett gehört. Er sorgte für alles.

Durch die Gänge, wo er vielleicht stundenlang angestrengt den fürchterlichen Knaben Karl verflucht hat, schritt ich.

Durch Philipps Arbeitszimmer ging ich – und fand es nicht halb so freudlos wie auf unsren Bühnen. Der Schreibtisch, ohne Shannonregistrator für Todesurteile.

 

XXV

Schlaf jedoch fand jener nicht im Escorial – denn zur Sommerzeit siedeln die Bürger Madrids in das nahe Dorf, sich zu erfrischen. Die kalte Strenge wird vom Familienglück entfeierlicht.

Philipp ist infolge des scheiterhaufenlosen, folterfreien Sommerbetriebs veruneinsamt. Ha, Tyrannnn, deshalb vergönn' ich dir zehen Jahre Zeit, in der Schublade darüber nachzudenken.

 

XXVI

Frau Maria Luisa K., königlicher und holder – bei Gott! – als Goyas unkönigliche Maria Luisa, fuhr uns nach dem Escorial von Madrid. Zur Hochfläche stieg auf umlüftetem Weg das Auto (ohne, wie bei Philipp, in ein da fé zu entarten).

Der breite Fahrdamm ist herrlich. Sie, aus Valencia, sitzt oft schweigend. Spricht sie deutsch zu uns: so ist es, wie wenn ein Südvogel flötet. Spricht sie spanisch zum Kutschmann: so ist es wie stilles Tropfengeträuf ... Wir fühlen das Glück einer menschlichen Begegnung.

 

XXVII

Wir sausten dann empor ins Gebirge, noch bis zum Alto del Leon – wo ein Leu steinern über die Ferne guckt; über die stolze, strenge, schwermütig-schöne Au. Nachmittags fuhren wir heim zur Stadt.

Ein Gedenktag im Leben.


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