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Das Verhältnis zu Deutschland

 

I

Die Wahrheit sagen. Nicht schönfärben; nicht schwarzsehn.

Zusammengefaßt: das Verhältnis zu Deutschland liegt heut in drei Punkten.

Erstens: der deutsche Militarismus hat Spaniens geistige Schicht uns entfremdet.

Zweitens: seit Versailles kehrte die Neigung wieder.

Drittens: ihr offenes Betätigen wird von Franzosenfurcht etwas gehemmt.

(Man könnte sagen: Franzosenrücksicht. Eine Rücksicht, aus politischem Grund, nicht ganz freiwillig gewährt ... Also die Kernstimmung leider ähnlich wie in England.)

Jenseits davon: Handelsbereitschaft.

 

II

Für die ersten zwei Punkte dieses Zustands wird Cossio, der weltberühmte Wecker des toten Greco, zum Paradigma. (Sein grundlegendes Werk über den auferstandenen Maler war übrigens deutsch übersetzt, bis auf die letzten paar Seiten, da kam der Krieg, die große Hirnfermate ... Cossio fragt mich: »Was ist aus dem fast fertigen deutschen Buch geworden?« – Es ... geriet in Verlust; wie so vieles!)

Spanien war im Kriege deutschfreundlich. Ja; doch eine Minderheit wirkte gegen Deutschland: grade die geistige Schicht ... die stets deutsche Bildung eingesaugt und geliebt hatte. Seltsam.

Wer für Deutschland geschlossen auftrat, das war in Spanien: Militär und Klerus. Zu meinem Staunen erzählt Cossio: spanische Priester im Innern des Landes trugen damals neben dem Kreuz das Bild Wilhelms des Zweiten herum – weil sie die Schutzburg für Konservatismus und Reaktion in ihm sahen ... indes die freien Denker eine Verfinsterung und Verengung Europas durch die Mannen des lauten Wilhelm fürchteten.

Aber wer wußte denn, dacht' ich, wieviel wirre Rederei bloß dahinter stand ..., die selber zusammenfuhr, als man sie beim Wort nahm – und sie rings einschloß, und zur »Sühne« (der Anlaß war so günstig) bestahl bis aufs Hemd! – Angenehme Menschheit.

 

III

Manuel Cossio, für ganz Spanien ein Begriff der Verehrung, begegnete mir vor zehn Jahren – im Haus meiner liebsten Freunde: bei der adligen und schönen Frau M. Petersen, der wunderbaren Mischung französischen Bluts mit deutschem.

Er hatte damals vom Staatsamt Urlaub. Seine Töchter verlebten einen Winter in Berlin; lernten unsre Sprache rasch. Cossio stand mit aller Herzlichkeit zur deutschen Welt.

Jetzt in Madrid, als wir uns wiedersahen, und ein Krieg dazwischen lag, hat er mir den absonderlichen Verlauf der Stimmung dargelegt. Und ihm ist zu glauben.

 

IV

Was hatte denn Altamira gesagt? »Wir sind genährt mit Kant und Krause«, sprach er. Dabei guckten Altamiras feurig-hoffnungsfrische Augen voll Zuversicht. Und für den Widerspruch in Spaniens Haltung zu Deutschland kam dieselbe, scheinbar paradoxe Begründung. Nämlich:

Von allen geistigen Einflüssen auf Spanien war deutscher Einfluß ausschlaggebend. Grade deshalb ergriffen die von deutschem Geist erfüllten spanischen Liberalen Partei gegen, gegen, gegen ... den deutschen Militarismus im Krieg.

Die spanischen Konservativen aber, die niemals von Philosophie was wissen gewollt, auch von deutscher nicht, traten für Deutschland ein ... Komische Welt.

 

V

Krause? wer ist Krause? ... Jeder Spanier nennt ihn, sobald er die Einwirkung Deutschlands erwähnt. Die Spanier sprechen von »Krausismus«. (»El krausismo«.) und von »Krausisten«. Allmächtiger, wer ist Krause?

Langsam ging mir auf, daß Krause Philosoph gewesen sein muß. Kaum nach Deutschland zurückgekehrt, stürzt' ich an die Bücher mit einem Hechtsprung. Nutzlos! Schwegler, Geschichte der Philosophie, – kein Wort von einem Krause. Theobald Ziegler, Die geistigen und sozialen Strömungen im neunzehnten Jahrhundert, – kein Krause kommt drin vor. Also jetzt das Konversationslexikon.

Aaaah! Karl Christian Friedrich Krause, gestorben 1832. Der ist es. War ein Schüler von Schelling und Fichte.

Etablierte sich, sobald er Hinreichendes von ihnen abgesehn, auf eigne Faust – selbstverständlich gegen sie.

(Der Schulfall. Das geschieht entweder so, daß einer, wo das beknirschte Vorbild »Schwarz« gesagt hat, »Weiß« sagt; also man plagiiert, indem man das Gegenteil äußert. Oder der Knirschknirps umschreibt, was der andre gesagt hat; möglichst sachte; mit eignem Anstrich; und »weicht« etwas »ab« – das Vorbild wird unmerklich und falsch nachgemacht. Es gibt auch eine Mischung von beidem ... Jeder Initiator hat seinen Krause.)

 

VI

Dieser Karl Christian Friedrich Krause, seinerseits, erfand einen Panentheismus. Eine Lehre vom »Absoluten«, das wahrgenommen werden kann. Und so.

Jedenfalls betont (in dem Buche »Psicologia y literatura«) auch Don Rafael Altamira y Crevea deutschfreundlich den Einfluß der »doctrina de Krause«. Man hat ihn häufig festgestellt. Nicht zu bezweifeln sei »la influencia de la filosofia alemana, en particular la Krausista« ... Krause, der Nachmacher (oder Nebenmacher}, half uns im Krieg nicht gegen die intellektuellen Spanier.

 

VII

Fesselnder für den heutigen Tag ist ihre herzliche Haltung zu Gerardo Hauptmann.

Über ihn hielt Professor Altamira schon vor zweiundzwanzig Jahren an der Universität Oviedo Vorträge.

Er bewundert »Los tejedores«, also die »Weber«; auch »La Asunción de Juanita Mattern« – ach, den ganzen dichterischen Menschen. Er nennt ihn »einen der größten Vertreter des Neuidealismus«.

Spaniens geistige Schicht hielt also Hauptmann und Ludendorff auseinander, – wendete sich im Krieg aber zwangsmäßig wider beide.

 

VIII

Heut ist in Spanien Frankreichs Vorherrschaft nicht verkennbar. Zugleich das (halb unterirdische) Wohlwollen für uns.

Wie sehr Frankreich durch seine Politik sich schadet, entgeht keinem, der ein paar Ecken Europas durchquert. Ein allenthalben schwelender Groll.

In Madrid aber geschieht mittlerweile noch folgendes. Irgendein friedlich deutsches Vorhaben soll ins Werk treten – mit kulturvollem Ziel. Musikalischen Inhalts. Die Schicht, welche der obersten Gesellschaft nahesteht, sagt willig zu ... um dann langsam zurückzuweichen. Bei Frankreich anstoßen möchte sie nicht.

Man wendet sich nun an die Hochschulkreise. Wieder sofort Zustimmung und Zusage. Hernach ein allgemeines ... Verhindertsein.

Frankreichs Pyrenäen sind halt Spaniens Nordgrenze; Frankreichs Marokko die Südgrenze; und sonst ringsum Wasser, Wasser, Wasser ...

 

IX

Jemand aus dem südamerikanischen Columbia in Madrid zu treffen, welcher das Werk eines deutschen Schriftstellers kennt ... ist für diesen recht angenehm. Mir widerfuhr es mit Don Sanin Cano, der im europäischen Bruderland publizistisch für Südamerika wirkt. Ein bartlos hochgewachsener Mann, von floskelfreier Haltung.

Er hat Nietzsche drüben, in Lateinisch-Amerika, bekannt gemacht, längst bevor der ins Französische übersetzt war. Er selber lernte Deutsch auf eigentümlichem Weg. Sprach in Columbien, wo er ein Lehramt hatte, mit deutschen Minenarbeitern – und legte so den Grund.

In Madrid, erzählt er, wird heute von Spaniern mehr Deutsch gesprochen als Englisch. Deutsch von solchen, die in Deutschland studiert haben, – Englisch nur von solchen, die mit England Geschäfte machen. Deutsche Geltung nahm innerlich nach dem Krieg eher zu als ab, meint er.

Im Grunde war zwischen Spanien und Frankreich nie ein herzliches Verhältnis – wenn auch die Regierungen um den Anschein bemüht sind ...

Ich finde, daß Frankreichs Vorgehen in Marokko von Spanien kaum verschmerzt sein kann. Nicht mal die napoleonische Zeit! (Im Prado erinnert noch Goyas Bild, wie der Franzose mit Schwarzen ein Blutbad unter Castilianern tätigt ...)

Sanin Cano ist keineswegs franzosenfeindlich (ich auch nicht – nur poincaréfeindlich).

 

X

Später saßen wir in der gut madrilenischen Kneipe »Viña P.«, mit uns war Araquistain, und hernach tranken wir zum Kaffee den einfachen, starken, sehr verbreiteten Branntwein Anis del mono. Wir sprachen von Columbien, von der menschlichen Zukunft, von den Blödheiten der Politik, die Welt tanzte hell vor unsren Augen – und solche Stunden bleiben im Gedächtnis.

Hätten die Leute doch soviel Grips wie wir! Die Leitung der menschlichen Dinge sollte häufiger von Schriftstellern und Zeitungsmännern besorgt werden – als, wie so oft, von dem Idiotenclub, der sich Regierung nennt.

... Mein Freund Julio Alvarez del Vayo hatte die Verbindung mit dem Columbier hergestellt – und ich war ihm dankbar dafür.

 

XI

In Cadiz treff' ich einen Mann, der uns deutsch reden hört. Er sagt:

Zwar sei er in Valencia geboren, aber sechs Jahre lang mit Deutschen wie ein angenommenes Kind gereist, auch in Deutschland.

Als eine deutsche Familie des Hotels von mir erwähnt wird, sagt er lächelnd: »Das sinn Engländer.«

Ich: »Nein, Deutsche!«

Er: »Ja, – die Deutschen, was jetzt nach Cadiz kommt, sprechen immer Englisch; die wollen, daß man sie für Engländer hält. Ist so!«

Ich (unterirdisch): »Der Abgrund soll sie verschlingen – am schönsten Feiertag!«

Er (nach einer Weile): »Übrigens bezahlt mir der Wirt schlecht. Weiß der Herr, was ich täglich bekomme? Eine Peseta. Ist nicht ein Skandal? Vor Ihr Gepäck brauchen nicht mehr zu sorgen, bis Granada! Kann sich auf mir verlassen ...« (Er öffnet die Hand.)

Ich: »Kommen jetzt viel Deutsche her?«

Der Valencianer sagt wörtlich: »Vor dem Krieg und mang dem Krieg sinn viel gekommen – jetzt wenig. Und was jetzt kommen, die wollen bloß Engländer sein. Vor dem Krieg waren ganz gern Deutsche.«

Ich: »– – am schönsten Feiertag!!«

 

XII

Immerhin ...

In Burgos, auf dem Lesetisch des Gasthofs, liegt eine »Revista Siemens«. In Barcelona hängt in allen Kiosken Richard Strauß. Beim Öffnen eines Blattes in Saragossa: »Läßt Henny Porten sich wirklich scheiden?« Der Herausgeber »klagt« mit dem jetzigen Mann – und »preist den Glücklichen, welcher die sympathische Henny heiratet«. In Valladolid rühmt man den Film »Nathan el sabio«. (Bloß kein Wort vom deutschen Ursprung. Sondern es ist ein großartiges Werk, »welches die Firma M. Diaz de C. unsrem Markte darbietet«.)

In Madrid: die AEG. In Katalonien: die »Victoria«. Das alles wird nur herausgegriffen – aus einer ungeheuren Menge deutscher Beziehungen. Orenstein und Koppel. Irgendwo eine »Casa Metzger«. Deutsche Gastarbeit merkt man sowohl auf Schritt wie auf Tritt ...

Weiter; was mir just auffiel. Das hochgeachtete Bruderpaar Kuno und Julio Kocherthaler ist mit seinem Kunstbesitz aus Madrid nicht wegzudenken. Der Architekt Professor Breslauer baut in Spanien ein Haus, nach spanischen Motiven. In meinem Hotel treff' ich Schröder, den Poeten und Einrichter. Er ist nach Toledo geholt, ein Schloß zu betreuen ... Das alles, wie gesagt, sind nur Griffe.

Der Generalkonsul in Barcelona hat was zu tun.

 

XIII

Als ich Peseten hole, sagt mir ein spanischer Bankvorsteher ungefragt: »Frankreichs Politik ist Irrsinn; sie bewirkt Europas Bankrott (la faillite européenne)« ... So sprechen andre Spanier auch.

Privatmeinungen! Schade, daß es auf sie wenig ankommt. Spanien bleibt unser aufrichtiger (platonischer) Freund – und im Handelspunkt läßt sich weit über das Platonische hinausgehn.

Ja, das ist die Sachlage, nach dem Weltunglück.

 

XIV

Ich wünsche mir manchmal zwischen den Völkern bloß noch Handelsbeziehungen!!!

Nicht idealistische Schwätzerei mit Untergangserfolg. Ich will mich einen Krämer nennen lassen; das Gegenteil eines Feldherrn; ein utilitaristisches Sumpfgeschöpf; in völkischer Hinsicht einen Abschaum; einen materialistischen Bold; eine Kreatur ohne mythischen Zug. Bitte. Gern. Immerzu ... Besser als Schwachkopfidealismus mit schließlicher Notenpresse, Hunger, Sklavenabarbeit und Entwicklungssturz.

 

XV

»Lever doodt als Sklav!« hat im Gedränge mancher (unter Mißbrauch Liliencrons) gekräht – weilt aber heute noch, mit demselben vaterländisch-edlen Gesicht, unter uns. Jämmerlicher Humor.

Menschen! schafft euch, nach dem Graus, ein andres Ziel: – ein pathosfreies.

Eine himmlische, geniehafte Wochentäglichkeit ... Und (wie ganz in andrem Sinn Goethe schrieb) »jeglichen Schwärmer schlagt mir ans Kreuz im dreißigsten Jahre!«


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