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Die Bretter

 

I

Deutsch ist hier unter Gebildeten verbreiteter als Englisch. Gewiß. Doch Französisch verbreiteter als Deutsch.

Als ich eingeladen war, im Ateneo von Madrid zu sprechen, hielt ich den Vortrag in französischer Sprache – mit den Beginnworten: »Employer la langue française n'est point approuver la politique française«.

So ... taktvoll muß man sich heut entschuldigen: in dem neuen Mittelalter, worein die Erde sinkt. Als Zwangsgenosse dieser blöden Zeit.

(Also: statt kurzweg die Sprache, wenn man sie beherrscht, als Verständigungsmittel zu sehn; gleichviel welche; je nach den Umständen, wonach eine geboten ist: statt dessen beteuert man, beim Gebrauch von Verkehrseinrichtungen, seine Unschuld.)

 

II

Im Ateneo, der vom Staat betreuten Anstalt mit dreihunderttausend Bänden und mit einem klubartigen Haus ... in diesem geistigen Focus Madrids glomm noch ein glanzvolles Gedenken an Einstein, der vom selben Katheder kürzlich gesprochen hatte.

Mein Thema war: »Los fundamentos de una nueva critica literaria«. Die Zeitungen hatten herzliche Grußworte gebracht.

Und ganz ohne Gezier: die Erinnerung an dies alles bleibt seltsam und wertvoll. Für den Schriftsteller gilt Goethes Wort: »So war mir's, als ich wundersam ... mein Lied in fremder Sprache vernahm.«

 

III

Eine Kritik der spanischen Bühne von heut' ist hier unmöglich. Wer durchreist, stößt auf Zufälliges.

Ich beurteile nicht, was dort gespielt wird; sondern was ich dort spielen sah.

Junge Spanier seufzten zu mir, daß ihr Land noch keinen Regisseur hat. Zu wenig geprobt wird.

Üblich sind heute zwei Aufführungen desselben Stücks am gleichen Tag: um sechs und um halb elf. Noch bei Tragödien steht auf dem Zettel: »Kinder unter drei Jahren dürfen nicht mitgebracht werden«. (»Queda prohibida la entrada a los niños menores de tres anos«.)

Bei fast allen ernsten Stücken, die ich sah, waren kleine Kinder mit.

 

IV

Ein Don Enrique Madrazo (der selber Dramen geschrieben hat – ich kenne davon ein effektvoll-pädagogisches, »Nelis«, mit Untergang durch Cognac und mit sozialem Wettergroll) ... Madrazo nennt für die spanische Bühnenebbe drei Ursachen: kirchliche Hemmung; Schlamperei der Truppe; Unsauberkeit der Kritik (die ihre eignen Stücke spielen läßt).

Abseits vom ernsten Schauspiel pendeln heute die Spanier »entre los toros y el cine«, zwischen Stierkampf und Film.

Hierneben blüht aber noch das Singspiel, die zarzuela.

Während meines Aufenthalts gab es nichts von Galdos; nichts von Guimera; nichts von Benavente; nichts von Martinez Sierra; nichts von Marquina.

 

V

In die Kritik sucht Manuel Pedroso, ein erfrischend-kluges Geblüt, ernsthaften Zug zu bringen. Ohne Vettermichelei.

Der Widerstand ist groß.

Die Zuschauer von Madrid wollen zwar immer neue Stücke – doch kein neues Theater. Also kein hocheuropäisches mit Hebbel, Ibsen, Maeterlinck, Hauptmann, Shaw, Strindberg, Wedekind, Sternheim, Toller, O'Neill.

Heute, so versichert mir Luis Araquistain, wird selten Calderon gespielt. Nicht Lope; nicht Tirso de Molina. Echegaray kaum noch. Von Shaw so ziemlich nur das Pygmalionstück. Von Ibsen ganz wenig. (Die »Gespenster« besonders.) Araquistain vermißt auch den großen spanischen Schauspieler.

 

VI

Über alle diese Zustände sprach ich lang' mit Pedroso. Er begleitete mich, nach dem Theater, eines Nachts, in das Hotel, dort war schon fast alles dunkel, aber wir setzten uns noch in den Vorraum und tranken Bier; aus Santander. Name: »Doble bock«; mit etwas bittrem Geschmack ohne Kohlensäure. (Auch solcherlei festzuhalten, gehört zu dem unbestimmbaren Glück des Daseins) ... Wir waren die Letzten.

 

VII

Araquistain, Mitte Dreißig, der in der Neuen Welt und in London gelebt hat, versucht im Drama, was Pedroso kritisch versucht: den Stoß vorwärts.

Auf zwei Bühnen hintereinander wurde sein Stück »Remedios heroicos« gespielt. Es ist ein dicht und gut gebautes Werk. Der alte, große Sturmbock aus Norwegen steht Gevatter. Die Hörer haben wenig Sinn dafür.

Ein Sohn leidet unter dem Gedanken an die Tuberkulose des verstorbenen Vaters. Die Mutter löst ihn von der Furcht; nämlich sein Vater war nicht sein Vater ...

Der wirkliche Vater tritt ihm entgegen: gesund – aber niedrig und leer. Alles das entflammt in der jungen Seele zornigen Schmerz. Die Welt geht ihm unter.

 

VIII

Man spielt das Stück in dem vornehmen Teatro de la Princesa. (Die Intellektuellen meiden dies aristokratische Haus; die Aristokraten meiden ein intellektuelles Stück. So die äußeren Bedingungen.)

... Der junge Hauptspieler wurde so unerträglich, daß ein Trieb in mir schwoll: hinaufzuklettern. Ihn alle zu machen.

(Bloß: der Paßzwang hätte die Flucht erschwert.)

 

IX

Das Buch gibt mehr als die Darstellung. Dann sah ich: »La seca«; Die Dürre. Ländliches Schauspiel; von Alvarez de Sotomayor.

Schollenkitsch. Mit etwas agrarsozialem Geraunz gegen die Pächter. Ein harter Pachtherr bedrängt zugleich die tugendhafteste Dorfbraut. In dieser Art. Der Fluß tritt über: und wer ertrinkt? ... Als gemeldet wurde, daß jenes Pächterscheusal umkam, brüllten die Hörer vor Spott.

Der Poet kroch nur verschüchtert nach vorne.

 

X

Hier aber hat Spaniens bester Schauspieler mitgewirkt: Enrique Borras. In Spanien findet man, er habe »zuviel von Zacconi«. Ich finde: nicht genug von Zacconi ...

Borras (er muß hier fortwährend etwas von »Enkeln« äußern, welche »dereinst« ... und so) – Borras ist ein vorzüglicher Sprecher.

Ein Arienbringer, beredtsam stufend ... in dem Lande Calderons.

 

XI

Das war im Teatro Español. Es ist (und ich zog in Gedanken meine Schuh' ab) das umgebaute, längst erneute Haus, in dem Calderons Dramen zu seiner Lebzeit gespielt worden sind.

Auf demselben Platze, wo es stand, reihen sich im Sommer Tische, daran das Volk trinkt. Mittendrin das Denkmal. Ich ging hin.

Herr C.! Meine Hochachtung; complimenti; g'schamster Diener.

 

XII

Vorher waren wir, am Nachmittag, über Gänge, Treppen, Tiefen, Höhen auf eine Bühne gestapft – wo eben geprobt wurde.

Borras stand im Zwielicht an der Versenkung. Der Poet, ein junger Spanier in Versen, suchte hier sein erstes Schicksal. Die Probe ward unterbrochen. Man beschnupperte sich. Stille Bühnenmädel, bürgerlich gekleidet, standen im Soffitendämmer. Balken quietschten anheimelnd. Das Parkett: ein Vacuum.

Hernach klommen wir empor, in einen hinterseitigen Ruheraum – wo Bildnisse, langverjährt, von Dichtern und Schauspielern an Wänden alterten.

Rings alles verwohnt. Gewesene Welt.

Die Truppe des Borras wollte freundlich den »Alcalden von Zalamea« für mich an einem besonderen Abend spielen – doch meines Bleibens war nicht länger.

 

XIII

Die Dramenform kommt für Madrid heute von Frankreich; der Inhalt nicht.

Im Teatro Lara gibt man »La mala ley« von Linares Rivas; dies »schlechte Gesetz« ist ein spanisches Gesetz: es zwingt Väter, das Erbteil an großjährige Kinder auszuliefern – auch wenn der Alte dadurch verarmt.

Viel Schluchzen im Sperrsitz. Eine harte Schwiegertochter. Hingegen sehr eine gute Tochter – die zum Vater hält. Alles schnäuzt sich und schnüffelt. Zwischendurch schreien Kinder etwas, das auf Deutsch »Maami!« heißt ... oder: »Ich will aber nicht!!!«

(Susala, dusala ...)

 

XIV

Ein Merkmal guten Spiels: daß trotzdem die Ergriffenheit anhält. Das Ineinander ist hier wohlgestuft. Abgestimmt. Alles sitzt.

Ich frage mich: Hat ein Stück solcher Art noch Sinn, wenn das »schlechte« spanische Gesetz beseitigt ist? –

Doch! Die Weinenden wissen ja nicht, daß es besteht ...

 

XV

Von den zarzuelas gefiel mir eine sehr. (»La Monteria« nicht. Kulissenbäuerinnen und Ausstattung. Doch selbst in so einer Operette tönt arabisches Moll – neben allerhand Fallotria.)

Weit fesselnder war: »El señor Joaquin«. Irgendeine Durchschnitts-zarzuela. Ganz ortszuständig! Straßenszenen, Ausrufer, Blinde, Musikanten. Bürgerliches Liebespaar. Feinkostgeschäft. Der komische Polizist. Alles ohne die Affigkeiten der Operette.

Ein Lustigmacher verspottet hier, entzückend, spanische Tänzerinnen – man liegt unter dem Stuhl ... Alles jedoch schließt mit einem getragenen Chor und Solo trauervoll; weich; entschwebend.

Südliche Schwermut eines Landes – das am Ende des Erdteils hängt.

Wieder arabisches Moll. (Liebe Mauren, ihr seid nicht tot.)

 

XVI

Volkhaftes blüht immer noch im Tanz.

Flamencos auf dem Tisch, wie vor achtzehn Jahren, sah ich nicht mehr.

Isabellita Ruiz? Nur hübschbeinig; hochbeinig. Balletteusengleich; mit Castagnetten ... die man hernach nicht mehr wegdenken kann.

Doch die Corduanerin Dora, »La Cordobesita«, – die hat Rhythmus. Wippende Kraft. Peitschende Kraft. Stoßkunst. Leis andeutende Trittbewegung. Köstlicher Fußtakt. Ein Fingergeschmitz ... auch ohne Castagnetten.

Langsames Beinheben; Hüftenruck. Dies takthafte Seitwärtsgeschieb. Dies Gangschreiten. Mimik nur wenig, doch sehr schlagend. Manchmal fast Bauchtanz ... Dann ein Prall, ein Hieb, – aus! (Mit der Musik zugleich.)

Alles das ist bodenschlächtig. Ein Weibskerl. Keine Schönheit: eine Wucht.

Und auch hier ... das Moll der Mauren. (Ihr seid nicht tot!)

 

XVII

Alles in allem: Geht es der spanischen Bühne wie der spanischen Weltmacht? Nach starker Leistung tiefes Ruhen?

Was Tirso dem Hennequin gab; Lope dem Beaumarchais; Alarcon dem Molière; Calderon vielleicht dem Corneille: das empfängt Spanien von Frankreich heute sehr verkümmert wieder.

Doch der gallische Krug füllt sich mit spanischem Saft. (Pentameter.)

Etwas langsam ...

Kommt ein Labtrank für Europa noch einmal heraus?

Schwillt jene Traube schon, in Argentinien? – (Wenn's aber nicht kann sein, füg' ich mich drein. Man überschätze die Notwendigkeit solcher Dinge nuuur nicht. Die Welt ist groß – und herbergt viel.)

 

XVIII

Einmal, im Teatro Cervantes zu Granada, ist (für drei gezähmte Stiere) mitten ins Parkett eine Arena notbehilflich eingebaut.

So ein ganz niedres Rundmäuerle, mit rotem Stoff bezogen.

Die Zuschauer sitzen meist auf dem Bühnenpodium. Kleine Kinder dabei, tief in der Nacht.

Draußen im Gang Elefantenklötze. Schminkspiegel. Ein rosagekleideter Junge, sieben Jahr', probt auf dem Kopf – an einem Tischchen.

Der Unternehmer kommt auf das Podium zu mir, als einem vermutlich Fremden. Fragt voll Höflichkeit: »Sie sind Herr Direktor Fernand aus Brüssel?« – Nach gewissenhaftem Überlegen sprach ich:

»... Nein.«

 

XIX

Die Luftspringerinnen setzen sich, wenn die Arbeit getan ist, neben die Zuschauer. Bei mir eine Mutter mit vier Töchtern. (Die Mutter sprang nicht mit.)

Alle fünf damenhaft. Angeborene Vornehmheit.

 

XX

... Nach Eins ist es aus. Die Stadt schlummert schon. Es bläst von der Sierra Nevada. Nur die Schritte der Zuschauer hallen. Der eine Stier brüllt.


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