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Die holde Fahrt

 

I

Hugo Lederer (dessen ehernes Heine-Standbild auf den Empfang in Hamburg wartet) erzählte mir einmal: Er hielt, beim Kneten des wunderbaren Bismarck-Rolands, einen lebenden Adler in der Werkstatt. Der war fast eingewohnt.

Als es aber Frühling wurde, stieß er mit Gewalt an die oberen, dicken Lichtfenster – und wollte hinaus.

Dem Menschen geht es nicht anders. Wenn der Frühling kommt, muß, muß, muß er ein Ding drehn. Ohne Literatur.

Die letzte literarische Handlung war: in einem Raume bei S. Fischer das Durchsehn meines frisch gekommenen Buches »Newyork und London«.

Die letzte literarische Belustigung war: vor dem Einsteigen in den Nachtzug bringt man mir lachend ein Zeitungsblatt – ich lese, was ein criticulus, irgendein Spärlich, dessen Kummer die Halbpotenz bleibt, als Quittung für belichteten Talentmangel äußert. (Spärlich!)

Der Zug schiebt los ... von der Literatur.

Guten Abend, gute Nacht. Morgen früh, wenn Gott will, bist du in Stuttgart (Württemberg) erwacht.

 

II

Wegen des Franzoseneinbruchs ins deutsche Westland fährt man über Genf nach Spanien.

Die Fahrt ist wie die Liebe – sie höret nimmer auf.

(Aber auch die Gärten des maurischen Schlosses Alcázar, wo diese Zeilen ins Tagebuch kommen, sind wie die Liebe – denn sie hören nimmer auf.

Und die Welt ist ein Garten. Wären die Einwohner bloß nicht so dumm.

Und Spanien steht in vollem Blust und Glanz – während wir uns mit dem Elend balgen. Wann endet es?)

 

III

Also vormals brauchte man bis nach Sevilla siebzig Stunden; heut fast eine Woche.

Doch dies Verweilen wird so schön. Frisches, ehrenfestes, immer noch wohlhäbiges Zürich! Zwei Stunden Rast (weil der Genf-Zug nicht wartet). Die Zeit langt kaum, dem schweizerischen Freunde, Hans Trog, einen Gruß zu senden.

Rasch in ein »Metzgerbräu«. Kerniges, entbehrtes Bier; gebackner Kalbskopf – schlllf! (Und »Saaltöchter« bedienen).

Dann schläft man in Bern. Diese Stadt ist ein Entzücken – ich seh' sie zum erstenmal. Ein andres Bozen. Morgens der Markt! Laubengänge. Früchte. Himmlisch ...

Die Bärlein tief im gemauerten Graben. Ihr müßt hier bleiben, denk' ich –, während unsereins gen Süden macht. Adieu, Bären.

 

IV

Mittags leuchtet über Genf eine großmütige Sonne. Genf – du Tor des Lichts.

In Ferney, wo Voltaire einst saß (der Fleck ist heut französisch), haben sie vor seinem Standbild ein Denkmal für die Gefallenen von 1914 bis 1918 mit vier eroberten Granaten umsäumt ... Er schrieb an Friedrich (oder Friedrich an ihn?): »Ich lasse die Welt so dumm zurück, wie ich sie vorfand.«

Ganz wahr ist es nicht – aber der Aufstieg währt unangenehm lange.

Frau Lambert, die heut Voltaires Schloß besitzt, hat es für den Besuch gesperrt. 1911 war er noch möglich ...

Im Garten blüht wild und reich die primula veris.

Eine kommt in dies Tagebuch.

Das Schloß liegt hoch. Frühlingsluft. Die »Piep« singen – wie mein Söhnchen Michael gern sagt. Um den See Berge riesenhaft. Die Sonne durchmildet, übermüdet, ummildet alles. »Mon lac est le premier« ... schrieb er.

Ewiges Gedenken. Ewige Hoffnung – nach allem, trotz allem. Ewig erneute Zuversicht.

Komm, primula veris.

 

V

Abendlich-dunkles Genf. (Denn hier muß man wieder schlafen.)

Ich klimme hinauf in den verjährten Teil. Unfahrbare Steilstraßen aus alter Zeit. Rousseaus Geburtsviertel.

Diese Nachtgassen über der Stadt Genf – streng, winklig, spitzwegverschollen. Ernste, hohe Steinhäuser ... am schmalen Steig. Verstorbne Bürgermeistereien. Torgitter. Ein Blick hinab – in schläfrig fernes Licht.

Gutnacht, Genf.

 

VI

Ich jage mittags durch die Provence. Zum wievielten Mal im Leben? ...

Es ist noch alles da! (In Lyon, bei Tisch, gab es wieder den ersten Graves: den bleichgoldnen, halbsüßen Sonnentrank. Auf Deutschlands Wohl!)

Provence –, die hat kein Krieg verändert. Die bebrannten Steine; den grauporigen Fels. Die silbrigen Ölbäume, schwarzen Zypressen – und rosa, weiß, gelbgrünliches Fruchtgesträuch ... bei Steinhäusern, graugelben, mit mattbraunem Flachdach.

(Und nahfern, vermilchend, Cevennenzüge. Mehr sag' ich nicht.)

 

VII

Alles noch da! Der Hirt mit Lämmern. Weite Äcker voll dicker Weinstümpfe; Wein ragt wie schwarzes, kurzes, starkes Hirschgeweih aus braunem Erdreich.

Ölbäume wiederum. Dichtes Frischgrün. Primula veris; in Sturzbächen blüht sie. (Und mattrosa Rollenziegel über frohen, bäuerlich-grünen Fensterläden.)

Provence!

Hinter allem, abends ... nicht eine Sonne; vielmehr eine kugelhafte Rosaglut und strahliges Kupferfeuer: der sinkende Schein des nicht mehr fernen Südmeers. (Zuvor, über dem Ölfels, stand ein Gewitter) ...

Provence! ... Provence!

 

VIII

Ich schlief in Narbonne. In der Zeitung »Le petit Méridional« stand mit großen Lettern: »Tout le Reich derrière Cuno pour la résistance à outrance« – das ganze Deutschland hinter dem Kanzler, zum äußersten Widerstand.

Einen Gruß; nach Norden.

Narbonne ...? Mittelalterliches Städtel – voll Pyrenäenluft und schon Seeluft; in der Morgenfrühe ... Ulkig-torkelnder Platanenboulevard. Ein Denkmal für Gambetta.

Viel kosiges Katzengetier. Das Fräulein im Gasthof erzählt: immer seien zehn Katzen mindestens im Haus. Sie mehren sich; man liebt sie. Zehn mindestens.

Ein Kathedralerl, uralt. Wie vergessen und nicht abgeholt.

Ganz durcheinander. Hier gotisch ein Steingebälk, dort romanisch ein dräuendes Rundtürmlein. Alles luftvoll, himmeldurchlässig, offen ... in der Morgenfrühe.

(Und ein südfranzösischer Notar eilt an der verlorenen Mauer hin; zwei Damen gehn zur Andacht.)

 

IX

In Perpignan bekam ich einen Eßkorb; einen panier repas. Die Wirtin (zwei junge Nichten waren angekommen, Küsse, Jubel) schnitt alles mit einer Helferin zurecht, hui, tat in den Korb noch ein Lachen – außerdem war darin Roastbeef, Salami, Paste aus Lemans, Ei, Weißbrot, Camembert, eine Flasche Wein ... Das kostete vormals vier Franken; jetzt neun; hach, der Weltkrieg ...

(Auch lag damals immer ein Korkzieher drin; jetzt nicht mehr; hach, der Weltkrieg!)

 

X

In dieser Gegend fängt es an, griechisch auszusehn.

Dann aber: blaue, jetzt braune Kulissen, unbelaubt.

Ist hier Spanien?

Leuchtwonne. Meeresahnung. Blühsträucher.

Plötzlich ein Traumgesicht wie von gelben Zigarrenbändchen am braunen Kistel. Was Brenngelbes bei brauner Erde.

Alles blüht reicher als in der Provence. Lichtgrün. Zartblau. Glyzinen ...

Meerfrühling! Spanien-Frühling! Pyrenäenfrühling! (O Meerfrühling. O Spanien-Frühling. O Pyrenäenfrühling.)

 

XI

Und Fruchtbäume sinken bis an die Seeflut. Bergige Kegel; ferne Dreieckszacken. Agaven graugrün.

Der Kaktus, ha, mit flacher Stachelscheibe –, der Kaktus drängt sonnenwärts. Wände davon, zwei Meter hoch.

Und zwischen rosa Dächern immer das Meerblau. Manchmal was Weißes: Wäsche.

Waschende Frauen, an Bächen fern kniend. Braungefels. Ginstergelb im Klüftgeripp. (Braungefels. Ginstergelb im Klüftgeripp.)

Und Platanenbäume mit lichtgelblichen Beeren, wie frisch gesproßt ... indes die dicken braunen Pompons noch von früher dran sind.

Und der stumpfe, matte Fels wie geschnitten –, alles voll wartenden, wachsenden Weins.

... Und wenn jemand etwa, gottbehüte, kein Dichter ist, was er jedoch zu sein hat: so könnt' er's hier werden.

 

XII

Jetzt aber bricht es aus. Ganze braune bergige Weinwüsten. Weinkessel. Weinwelten. An der Blauflut ...

Zwischendurch nur fußhohe Steinmäuerchen – auf durchsteintem, fast locker würfigem Grunde. Der Wein auf braunem Fels wächst zum Mittelmeer hinab.

(Einen hunderttausendfachen Schlund müßte der Mensch haben.)

 

XIII

Ist Spanien hier? ... Männer, untersetzt, mit Mützenüberhang und breiten Plüschhosen.

Aber nun: diese Ackerer mit rotem Barett (wie Nachtkappen), mit hänfenen Schuhen, mit Lederflaschen – das sind Catalonier!

Und gelbe Steinstädte mit gelben Steinhäusern samt hoch durchbrochenem, gelbem Steinturm liegen im Braungrün vor den Hängeketten des nun baumlos blauen Steingebirgs.

Ist Spanien hier?

 

XIV

Gegenüber sitzt ein Mädelchen, zwei Jahr alt. Mit gläsern-schwarzen Augen, ein Murillokind. Das schwarze Glas aus einem, einem, einem Stück. Der Vater sagt schmeichelnd: »... bonita!«

Sie steht auf der Bank; halb auf dem Vater. Beweglich und fest. Das entschlossene süße Ding hat einen Hund gesehn. Sie schreit und stampft. »Un perro!«

Von Barcelona wird geredet.

Ich bin in Spanien ... Zum viertenmal in diesem Sein. Nach Bern und Genf und Ferney und Provence und Narbonne.

Endlich.

 

XV

Die Luft ist ein Glück. Der Himmel ist ein Reichtum. Die Welt ist ein Garten.

... Duldendes, schlechtbedachtes, unsterblich geliebtes Deutschland – fern im Nord!

Spanien prangt und flimmert.


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