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Die Hoffnung auf Neugeburt

 

I

Hat Spanien im Kriege Geld verdient? ... (Nach Kirchenzauber, Hahnenkampf, Stiergefecht, Weinwonne, Bergluft, Maurenglück wird so eine Frage vom Erdenzustand, anno 1923, gefordert.

»Meine Harfe hab' ich gehängt an die Wand.« Kontobücher geistern durch die Luft ...)

 

II

Hat Spanien im Kriege Geld verdient? – Massenhaft. Nur ist ein Aber dabei: den Vorteil hatten Einzelne ... mehr als das Land.

Ist von dem Gelde noch was da? – Massenhaft. Nur ist ein Aber dabei: es wurden deutsche Mark dafür gekauft.

So liegt, zusammengepackt, fünf Jahr' nach Kriegsende, der ganze Fall.

 

III

Aber nur im gröbsten Umriß. Denn auch andres Fremdgeld wurde gekauft; beispielshalber Österreichs Kronen ...

Ein paar wirtschaftliche Tatsachen – die mir aufgefallen sind.

Jedes Ding hat eine Plusrechnung und eine Minusrechnung. Auf dem Minusblatt stehn hier: Telephon, Arbeitsgang, Bahntempo.

Das Telephonbuch für ganz Spanien (es gibt ein solches) ist noch nicht so dick wie das von Berlin.

Der Arbeitsschritt (außerhalb Cataloniens) bleibt ... gemächlich. Esel und Maultier befördern oft Müll, Steine, Fässer, Leute, Möbel – alles. Voll Verstand. (Bei uns arbeitet der Mensch wie ein Tier; in Andalusien das Tier wie ein Mensch.)

Nur dreimal wöchentlich fährt von Granada nach Madrid ein Schnellzug – trotz der verbesserten Bahn. Zeitverlust.

 

IV

Immerhin ... Bei meinem ersten Besuch, 1905, galt eine Peseta sechzig Pfennig – heute zwölftausend Mark Seitdem das Vielfache.. Sie war vier Fünftel vom Franzosenfrank – heute bald dreimal ein Franzosenfrank.

Weiter. Blumen- und Gitterhöfe, die patios, kommen ab: weil der Bodenwert kräftig stieg.

Schwindest du, patio?
Quae commutatio!

Weiter. Bei Granada gibt es heut acht Zuckerfabriken. (Gleich acht.)

Weiter. Vor Sevillas Toren sind Parks und Paläste fertig; grandios angelegt: für die spanisch-amerikanische Bruderausstellung.

Dies ist ... nicht nur eine Schau; vielmehr das Merkmal eines Anfangs.

Südamerika heißt schon »das andre Spanien«.

 

V

Madrid ... Die Straße, wo mein Hotel steht, war 1905 noch nicht da. Das ganze Viertel voll von sechsstöckigen Marmorbauten. Gewollt majestätischer Prunk. Nebenan die Banken. Luxushäuser von weißem Stein. Oben eine sieghafte Goldplastik ... In dieser Art.

Die Puerta del Sol, einst berühmter Mittelpunkt, verblaßt vor dem Neuen. (Sie hat nun beinahe was von Alt-Wien – mit ihren verwohnten Kaffeehäusern.)

 

VI

Auf dem Plusblatt steht sicher das Essen. Man denkt an die Kost von damals mit Schreck, an die von heut mit Sehnsucht. Was hier wächst, weidet, schwimmt, flattert, ist freilich wunderbar auch ohne Kochkunst.

Wie sehr erst mit! (Die Harfe vom Nagel!) Diese langostinos oder Gigantenkrabben. Schmecken fast wie venezianische Scampi. Dies knusperknackende Fischzeug; Meergemüs'; ich möchte sagen: Ozeanklein. Diese percebes, krustige Vielfüßler, wirrsälig-phantastischer als bretonische Seespinnen. Diese cigalas oder Kleinhummern; wie aus rosa Glas, durchsichtig, – sehr ein schöner Anblick. Diese Artischocken als Volkskost; manchmal mit bearner Tunke gefüllt. Diese weißlichfetten Rebhühner, auf Schinken gelegt, ohne Wildgeschmack. Diese verlorenen Eier in einem Bach von warmem Tomatenmus, das fast süß schmeckt, mit einem Brei zerbratener Edelzwiebeln. Dieser Reis mit Schnecken. Dies Ölgebackene voll bittrer Spargelspitzen ...

Grillparzer, mit einem Blick auf Deutschland, schrieb den Jambus:

»Hier nährt man sich, – der Franke nur kann essen!«

Unglücklicher Poet, du kamst nie an den Manzanares. (Hier, in Deutschland, »nährt man sich« –? Auch das ist nicht mehr wahr.)

 

VII

Don Antonio Maura, vormals Ministerpräsident, konservativ, vertritt in den Cortes die Insel Mallorca. Eines abends, in seinem Haus, nicht weit vom Prado, saßen wir zu ebner Erde, unter alten Büchern. Immer andre Zimmer des räumig-steinernen Baues erwiesen sich als mit verjährten Bänden gefüllt. Ruhestimmung; müdes Schweigen.

Der Mann selber ist an siebzig. Ein wunderschönes Gesicht. Bezaubernd große Augen voll Dunkelheit. (Was für ein Frauenbotaniker muß das gewesen sein ... Jetzt aber die Harfe zurück an die Wand!)

Sein Französisch ist schwach wie das aller Spanier. (Am besten spricht noch Don Emilio de Torres, der beim König wohnt; Kabinettschef. Sie sagen den s-Laut so seltsam scharf, wo er ganz weich sein muß.)

 

VIII

Maura hält Eingriffe für nötig. Ist zwar froh, daß Spanien dem Kriege fernblieb. Doch Italien (glaubt er) hat seit dem Krieg die Stählung des Willens ... Spanien muß das auch haben. Friedvoll. Durch Umordnung; Auffrischung; Erziehung.

Maura hält Spanien für rückständig. Es lebe noch im neunzehnten Jahrhundert – aber das ist vorbei. Der Gewinn vom Krieg halb verausgabt: durch Spekulation! Das Zugeflossene steht in keinem Verhältnis zum verteuerten Leben. Er warnt; nur was man Außeramtliches in Spanien heute sieht, ist glänzend – nur das. (Ich lasse weg, was er hier vertraulich sprach.)

Bei alledem verwirft er den Gedanken an eine Diktatur. (Die das Zeitbild düster malen, munkeln was von Generalen ... Diese Worte schrieb ich im April. Fünf Monate darauf hat Primo de Rivera, General, die Diktatur errichtet.) Der spanische Mißerfolg in Marokko scheint ihm »nur eine Staatsangelegenheit«; das Volk bleibe davon unberührt. Seltsam.

Wie nebenbei: »Frankreichs Politik (wider Deutschland) wird außerhalb Frankreichs nicht gebilligt.«

 

IX

Schwermut liegt über den Räumen; Schwermut über Mauras Wesenheit. Warum? Ich denke: weil er so bildhübsch ist und schon einen weißen Bart hat, noch Lebenskraft birgt ... aber nicht lange Frist vor sich sieht. Das wird es sein.

Dann erst wohl der Zorn über die vermeinte Stauung des Landes – in der Stunde, wo Spanien was erreichen müßte; wo man den »Strom der Geschichte an der Stirnlocke packen soll«, wie sich ein Wippchenkonservativer bei uns ausgedrückt hat ... Den Mussolini lehnt Maura schandenhalber ab – und möcht' ihn heimlich ans Herz drücken.

(Unterirdisch der Nachgroll: nicht mehr an der Macht zu sein.)

 

X

Ein schöner, altgewordner, hispano-edler, müder seigneur. Reizend!

(Leute, die Keimvolles verkünden, sind oft gräßlich. Rückständige sind oft reizend ... Reizend? Haben irgendeinen äußeren Vorzug und kamen deshalb nie zu Erwägungen über Ungerechtigkeit.

Wunschbild ist mir: ein Begnadeter, der für die Armen eintritt, ohne arm zu sein; für das Volk eintritt – ohne Volk zu sein.)

 

XI

Abends auf dem Heimweg (die Kälte schnob wie immer mit dem Dunkel über Madrid) fiel mir ein:

War das am Ende der Mann, welcher den tapferen Herold Ferrer hinrichten ließ? Allmächtiger! Bei seinem Sturz, 1909, ließ ich Verse drucken ... Vierzehn Jahre lag das zurück. Ich hätte nicht vermutet, eines Abends in seinem Zimmer zu sein.

Jetzt weiß ich, weshalb er schwermütig ausschaut ...

(Ach, wer weiß etwas!)

 

XII

Ortega hat einen Lehrstuhl für »Metaphysik« an der Universität. Er ist, was man einen Bannerträger nennt. Eine gute Nummer, worauf in Spanien gesetzt wird. Er spricht fließend Deutsch – von Marburg her. Wie so viele Spanier.

Ortega (noch jung; weltmännisch; neben der Metaphysik Leiter eines Verlagshauses) empfindet für Spanien optimistisch, für Europa pessimistisch. (Dies Zweite nullt also das Erste.)

Spanien, wünscht er, soll sich europäisieren. Man sucht vergebens, glaubt er, einen ganz großen spanischen Wissenschaftler in den letzten drei Jahrhunderten.

Er hält Spaniens Aufschwung für denkbar. Vor erst zwei Jahrzehnten kam nach Andalusien die erste moderne Landwirtschaftsmaschine. Doch Europas Zustand scheint einer Wiedergeburt nicht günstig. Die spanische Lebenshaltung ist um das Vierfache verteuert. Europa hat bloß ein defensives Ziel. Kein Boden für den Emporstieg! Defensiv? aber Freudigkeit sei Voraussetzung für gutes Schaffen ...

Ich sage: »Auch für schlechtes; ich hörte mal was von einem frisch-fröhlichen Weltkrieg.« Ich erinnere dann, daß Spanien einst waffenstürmisch war wie Schweden; daß beide jetzt ... nicht ausgebrannt, aber stillgeworden sind. Wie die Venezianer einst Feldzüge fern gen Osten gemacht, wüste Moloquadern erbaut ... aber nun still, still, still geworden sind. Und ich frage mich: Kam diese Reihe, still zu werden, jetzt an Deutschland – gestern das Soldatenparadies?

Er hebt und senkt die Achseln.

Der sozialistische Professor de Los Rios von der Universität Granada verläßt uns ... Für Ortega war der Sozialismus als handelnde Macht enttäuschend. (Für manchen mit ihm. Doch was gelingt auf einen Ruck?)

Sein Urteil über Spanien ist, alles in allem, hoffnungsvoll. Dabei skeptisch, mit Seitentüren versehen; klug mit Bedingungen umwallt.

Er wirkt ... in den Äußerungen als ein theoretischer Mensch; im Äußeren als ein Lebensmensch.

(Das Theoretische hat er gewiß von uns.)

Beim Abschied sag' ich ihm: »Sie sind ein spanischer Preuße!« Er antwortet lachend: »Ein Preuße vom Guadarrama-Gebirg'.«

 

XIII

Ein andrer.

Mitglied des Haager Schiedsgerichts, Präsident des spanisch-amerikanischen Instituts für vergleichendes Recht, Professor für Jus und Geschichte, Don Rafael Altamira y Crevea ... Er blickt auf sein Land heute voll Hoffnung. Er hat einen Abriß der spanischen Zivilisation geschrieben; die pazifistische Literatur geprüft; mit dem Völkerbund sich auseinandergesetzt; auch literar-psychologische Werke veröffentlicht. Am Collège de France, das ihn eingeladen hat, hält er Vorträge, wie schon in Oxford, – und er hat für Paris ein gutes Thema gepackt: Spaniens Entwicklung unter dem Gesichtspunkte des Nichtkriegerischen.

Altamira wendet sich gegen den Irrtum, ein Volk für erledigt zu halten, wenn es militärisch erledigt ist. Den Aufschwung Spaniens erklärt er mir: durch den Verlust der Kolonien. Sieh mal an. Ja ... nicht weil das Land an Land ärmer wurde; doch von diesem Schmerz stammt ein Geist der Sammlung; der Arbeit; des Wiederbeginns.

Die Spanier, betont er, arbeiten jetzt mit Macht. Selbst in Andalusien, wo alles dem Menschen in den Mund wächst! Die soziale Agrarkrisis dort ist ihm gradenwegs ein Merkmal für die Arbeit ... Altamira versichert (mit einem Glück, das vom Nationalismus entfernt ist): selbst in Nordamerika seien die unermüdlichsten Arbeiter heut aus dem Pyrenäenland.

(Große Werkbesitzer haben mir das dann bestritten.)

 

XIV

Altamira. Ein weißer Bart wiederum ... und schwarzbrennende Augen. Aber nicht müde. Sondern überglänzt von Zuversicht auf Besserung; von der Aussicht auf Möglichkeiten. Der Feurige, Vielbeanspruchte wendet sich gegen den Geist gehässiger, konkurrenzhafter Kritik eines Landes am andren. Gegen das Sichrühmen – statt des Schaffens. Kurz: gegen Kraftvergeudung ...

Sein Wort in Gottes Ohr.

Schade: – dieser Jungmensch, erfreulich federnd, sprach kein Wort über Marokko. Wenngleich Spaniens Mißgeschick dort samt etlichem Groll gegen den König (er wurde just von einem Redner im »Ateneo«-Club angegriffen) – wenngleich Marokko heut für Spanien ein Quell des Unwillens ist.

 

XV

Der Berater dieses Königs, Don Emilio de Torres, versichert mir: sein Herr sei liberal – und sehr gütig. Spanien werde verleumdet: als ettikettesteif, zeremoniös ... während es heute demokratischer sei als Amerika.

(Luis Araquistain, ein führender jüngerer Schriftsteller, von dem noch zu sprechen ist, sagt mir, daß heute wirklich in Spanien ein Mensch ziemlich tun kann, was er will.)

Don Emilio öffnet mir (der König ist verreist) die Schloßzimmer. Ah, die Wandteppiche mit Bildern aus dem Don Quixote! Der drugglige Sancho Pansa reitet im Eßsaal an der Mauer hin ...

Mancher schöne Raum. Diese Sèvresvase hat Napoleon geschenkt. (Und hier winkte gewiß Isabella ihren Marfori zum Diwan – so mit gekrümmtem Zeigfinger, bei gespitzter Lippe: »Fuiiit! komm mal längs!« ... Tat sie zuvor einen Blick auf den quadratischen Schloßhof?)

 

XVI

Dort unten mit langsam-feierlichem Schritt holt man jetzo die Fahne. Gelbe Reiter, grüne Reiter. Arkaden, Balustraden – ob dem blendend gelbweißen Innenplatz. An seinem Ende beginnt ... Castilien; Madrid hört auf; plötzlich; mit einem Hieb; mit einem Absturz.

Das Schloß steht am äußersten Rande ...

 

XVII

Wer ist Rektor der Universität Salamanca? Miguel de Unamuno. In Spanien ein Wert, ein Ruhm ... und eine Furcht. Sechzehn Jahre Gefängnis wegen Majestätsbeleidigung. Er hat sie jedoch nicht abgesessen. Vertrug sich mit dem König hernach eine Zeit. Greift ihn jetzt wieder an.

Alle Vorgenannten sind in Spanien bewertet, geschätzt, beachtet – doch bei dem Namen Unamuno regt sich noch andres. Wer ihn hört, sagt (mit verändertem Ausdruck):

»Ah – Unamuno ...!«

 

XVIII

Er spricht ebenfalls Deutsch. Hat Ranke durchschaut ... Die Handschrift – in einem Brief, der mir höchst Kennzeichnendes mitteilt – ist in engliniger Sparsamkeit wie hingeschossen, dabei zart. Fast ein arabisches Schriftbild.

Er weiß, daß heute Spanien blüht und strotzt. Nur in der Politik nicht. Es durchlebt, glaubt er, seine ernsteste Stunde. Was da vor sich geht, ist ihm: der Kampf zwischen dem städtisch-republikanischen Geist ... und dem bäuerlich-dynastischen.

Kernpunkt des Kampfes: der Imperialismus – zumal des Königs, »des unseligen Alfons«, so nennt ihn der Brief.

Unamuno spricht über den marokkanischen Feldzug. Er begreift, weshalb Maura pessimistisch denkt – wenn er von einer Zukunft Spaniens in Afrika träumt. Miguel de Unamuno sieht eine weglose Kluft. Drüben sei die Empfindung »territorialistisch«; hüben spiritualistisch. Grundgetrenntes! Cuba, das Spanisch redet, ist ihm weit spanischer ... als das spanische Marokko, welches Arabisch redet oder Berberisch.

 

XIX

Der Rektor von Salamanca schreibt mir die seltsam entschiedenen Worte: »Das Spanien der Habsburger und der Bourbonen liegt auf dem Totenbett« (està agonizanda).

Die Monarchie, sagt er, bildet Spaniens Hindernis, europäisch zu werden.

Was den Anschluß an Europa schaffen kann, ist ihm: die Republik.

 

XX

Manchmal, in diesen Frühlingswochen, erschien mir Spanien wie ein zauberschönes, hoch beanlagtes Schulkind, – das eine Zeit hindurch gleichgültig war (Gleichgiltigkeit soll ein spanischer Zug sein), aber nun aufwacht ... seine Gaben zeigt und frischen Willen.

Männer, derengleichen hier gemalt sind, stehn wie Lehrer vor ihm – schwankend, streitend.

Daß aber der Augenblick fruchtbar ist, wissen sie alle.

 

XXI

Vielleicht, wenn mit dem Aufgewachten deutsche Jungens öfter spielen und lernen, – vielleicht ist es beiden ein Gewinn. Unsre Schulbänke (gleichnishaft gesprochen) sind höchst fortgeschritten – fehlt nur das Geld, sie zu zimmern ...

 

XXII

Du, spanischer Junge, hast, was wir brauchen. Du brauchst, was wir haben.

Also!


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