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Stier und Hahn

 

I

Zwei Schwarzsamtne grüßen vor dem Königsaltan zu Pferd. Hernach kommen sie – alle.

Lanzenreiter mit weißen Hüten, roten Buscheln galoppieren in den Kampfzirkus.

Die mehrsten jedoch schreiten zu Fuß: farbig, seiden, grüngold, rotgold. (Das Haar in Zöpfen.)

... Wer ist das? Dieser Fußgänger trägt eine seidenblaue Hose, ganz kurz; eine Goldjacke, ganz kurz. – Das ist der Mörder; der Espada; der Endschlachter.

 

II

Das Tor auf; der Stier. Herein rast er, guckt sich um, geht gleich auf das rote Tuch und – –

Und entläuft vor dem roten Tuch. Ja, er flieht ... Sie tänzeln vor ihm; necken und wirren ihn mit dem Tuch, in Kurzwendungen, eilgewandt – bewußte Blitzkerle.

Der Stier denkt: »Es scheint ein Spiel ...« Doch unheimlich ist ihm; guckt herum; weiß nicht recht. Auf der Weide geschah ihm das niemals.

Er tötet, wie nebenbei, einen Schimmel. Fast zerstreut, der ländliche Stier. (Nur mit unaufheblichem Kopfsenken, daß dem Gaul der Bauch platzt, Eingeweid' heraushängt.)

Er selber blutet. Der Lanzenreiter macht sich aus dem Staube – worinnen er lag. Der Stier tötet, weil er nichts zu tun weiß, ohne Überzeugung, beihin, das zweite Pferd; großer Jubel.

Nein, das zweite Pferd ist nur bauchverwundet. (Sein Bauchloch wird mit Stroh zugestopft – daß es nochmals in die Arena gepeitscht werden kann.)

 

III

Der Stier blickt erstaunt. Verblüfft. Die Hose des einen Picadors schwimmt in Blut. Das dritte Roß. Arme Pferdeln; bloß halbtot; sagen nichts ...

Der Stier wundert sich. Die banderillas sitzen aber jetzt; grimmscharfe Stahlhaken (ich hab' von früher zwei zu Haus). Und regt er den Kopf, rührt er sich nur, so reißen sie ihm wehe Fleischwunden. Sind mit farbigen Kräuseln schmuck besteckt.

Ich denke: der gute Stier; so schuldlos ... Und die anständigen, schweigsamen Rösser. Betagt; aber sie galoppieren ja scharf. Und im Alter das noch zu erleben.

Der Stier steht ratlos. Er blickt um. Rennt stets wieder auf dies rote Tuch. Das ist ein Zwang; sie wissen es ... Jetzt aber, jetzt geht er rückwärts. Ganz ohne Verstellung. Ohne Hehl. Da kriegt er noch vier banderillas, spitzhakig, zwei hübsche blaue, zwei ziere gelbe, sein Blut strömt; die sitzen.

Beifall für den Stößer. Pfiffe für den (zu zaghaften) Stier.

 

IV

Trompeten. Der im Goldjäcklein mit seidenblauer Hose tritt vor. Er wirft die Kappe weg.

Der Stier ist genug ... bespaßt. Die Goldjacke neckt sich ein Weilchen dennoch mit ihm. Nun – Todesstoß?

Nein, der Degen steckt im Rückgrat, aber der Stier läuft weiter mit ihm ... Der Blaugoldne zieht ihm den Degen raus. Dem Stier ist mehr als dumm. Roter Fluß übertrieft ihn. Er wird teilnahmsloser.

Man zieht ihn demnach am Schwanz; ihn, mit der Sterbenswunde. Und immer erst beinah ist er tot.

Nein, jetzt liegt er. – Gepfeif (mehr als Geklatsch; Urteilsverschiedenheiten) ... Der bluthalsige Stier wird vom geschmückten Maultiergespann fortgeschürft. Der Torero neigt sich. Ausgepfiffen.

(Die armen, anständigen Pferdeln! Eine Decke warf man über die Kadaver. Waren sie ganz tot?)

Die Pfützen voll Blut werden mit Sand gefüllt.

 

V

Der zweite Stier. Hüüü! Stürmisch, gleich hinter dem Seiden-Rothosigen her – der über die Brüstung planken muß; mit knapper Not. Hastdunichtgesehn.

Dieser Stier ist sehr wild ... Und doch: er möchte weg – obschon er so wild ist. Er läuft zum Tor zurück. Will hinaus. Da macht man ihn irr; alle ... necken ihn: mit roten Tüchern, Wendungen, Wirrsprüngen.

Die Pferde wieder wollen nicht an den Stier; werden mit Rohrstockhieben rangepeitscht. Wie das vor dem Stier zittert. Und er möchte doch auch nicht ...

O Menschen, Menschen!

 

VI

Der Stier, hfff, rastet; tut sich um; stellt irgendwie dumpfbetreten Ermittelungen an. Zwei Schimmel. Er sprengt mit ganz geringem Kopfnicken ihren Leib, daß mit herausquillendem Gedärm ein Pferd plötzlich fünf Beine hat. Er trieft selber.

Der Lanzenreiter auch, der abgesunken, dann wieder aufgestanden ist – weil der Bulle durch ein scharlachnes (und grünseidengefüttertes) Tuch spielend wegzulenken ist. Naturzwang?

Wenn eines Tags ein Genie unter den Stieren drauf käme, sich von dem Zwang freizumachen ... Edle Toreros, wo bleibt ihr dann? ...

 

VII

Jetzt tröpfelt es. Stiergefecht im Regen. (Die Eintrittskarten für »sombra«, nämlich »Schatten«, kosten mehr – jetzt ist alles »sombra« ...)

Da springen zwei Kerls aus dem Volk, Straßenanzug, von ihrem Platz über die Schranken, dicht vor den Stier; bieten ihm Schach, bloß mit der grauen Jacke. Die Berufskämpfer schreiten ein; das wäre noch schöner; das Publikum aber will's; man soll begnadeten Anfängern freie Bahn lassen; Pfiffgeheul; beide gehn trotzdem ab; die Kampfleitung ... die Direktion ...

Der Espada sticht ihm den Degen jetzt hinein, hinter den Hals, fast ins Kreuz – doch er sitzt nicht.

Der Stier wird noch hilfloser. Man sagt sich: »Gewiß, auch er geht im Freien auf Menschen – aber das hat er nicht verdient.«

Er brüllt. Ich hörte das niemals. Ein ... hoher Ton. So viele gegen einen! Zwanzigtausend wider einen!

Läuft wieder weg. Weg. Weg. Steht. Er schlägt mit dem Schwanz; schlägt mit dem Schwanz ... Böse sieht er nicht aus, nur schnaufend-gehetzt –, arglos-verwundert-ländlich.

Vor dem roten Tuch kneift er schaudernd; hat genug. Von der Weide hat man ihn geholt ... Singt »Weide, grüne Weide«. Die Toreros, jene, machen mit dem Tuch wieder Hopser, verschiedne Hopser. (Er denkt: »Wenn das meine Mutter wüßte!« ... Auch Stiere denken das.) Er glotzt.

 

VIII

Und jetzt kommt das Furchtbare: er leckt die Lippen, er wendet sich ans Publikum. (Der Stier wendet sich ans Publikum.)

Er dreht den Rücken zur Arena, blickt empor nach den Zuschauern: ob ihm keiner hilft ...

Hilft ihm keiner. Sind alle voll Spannung. Zwanzigtausend Bestien.

 

IX

... Der Stier wird abermals gestochen, der Degen fällt jedoch heraus. Er wird zum drittenmal erfolglos gestochen, rennt herum, den Degen im Rückgrat, der Degen fackelt und zittert im Lauf. Der Weidestier, toll vor Schmerz, zeigt allen das Hinterteil, geht ab, will, will, will nicht mehr ...

Da wird er von frischem bespaßt. Ihm ist tod-elend. Zerstreut rennt er wieder mal an. Er steht – blutbedeckt. Sie hauen ihm die Mäntel um die Ohren. Sein Hals ist ... wie in einem Schlächterladen.

Hier kommt wer. Farbleuchtend. Ein neuer Degen; sitzt bis ans Heft. Der Stier ... kniet. (Der Stier kniet.)

Allmächtiger ... Er steht wieder auf. Jubel! Es ist ein Todesaufraffen. Sie schlagen ihm die Mäntel zum zweitenmal um die Ohren, die Tuchnecker. Beleben soll es ihn. Der eine Torero sticht ihn dieserhalb kitzelnd ins Maul ... sticht, sticht sticht ins weiche Maul.

Der Stier geht blutig, langsam an der Barriere hin.

... Er bricht endlich zusammen.

 

X

Der dritte Stier wirft einen Tuchnecker hin. (Bewegung.) Der bleibt leblos liegen – steht hernach auf; geht davon. – Schade. –

Der Ersatzmann, lichtbunt, empfängt auf Knien den Stier. (Das muß schwer sein. Ich, beispielshalber, hab' es noch nie versucht.)

Wenn der Stier ganz nah ist, wird von dem Knienden die capa, das rote Tuch, rasch seitwärts gedreht, gleich gibt der Stier eine Wendung dahin – während der Mann knien bleibt. Dreimal nimmt er so den Stier an. So neckt er ihn, hält und bewegt eine Weile das rote Tuch kniend.

Beifallsgewitter.

Unterdes zuckt von den daliegenden Pferden sterbend eins immer mit den Hinterbeinen. Der Stier ist wund; voll Blut. Er scharrt mit den Vorderfüßen. Er brüllt; jetzt in einem dunklen Ton.

Als der Degen sitzt, aber nicht tief genug, sucht er im Schmerz über die Schranke zu springen. Er geht nun rückwärts. Rückwärts bewegt er sich. Wie abwesend. Der Gladiator sticht ihn zur Aufmunterung ein bißchen mit dem Stahl wieder ins weiche Maul ... Ich seh' weg ... Nun Genickfang durchs Messer, von einer Art Schlächtergehilfen.

Und – Reflexbewegung? Er steht nochmals auf ... Bald wälzt er sich im Todeskampf. Zweiter Nickstoß. An den Hörnern von Maultieren rausgeschleift. (Ist er ganz alle?)

Zuschauer werfen die Mützen hinab. Der Fechter, beim Siegesrundgang, wirft sie zurück. Sand auf die Lachen. Rufe: »Hay cerveza!« (deutsch: Bier gefällig?).

 

XI

Die corrida besteht aus sechs Gängen. Achtzehn tote Pferde; sechs tote Stiere. Das Stierfleisch essen die Armen.

Leidenschaftliche Verachtung für dies alte Römerspiel äußern mir ... hochstehende Spanier. Hochgestellte manchmal.

Die Behörde schirmt, der König ehrt solche Belustigung. Zweihundert Stierzirkusbauten sind im Land.

Ein Spanier sagt mir in lächelndem Ekel: »Ich mußte vor Jahren, bevor ich Botschafter wurde, mal amtlich einem Stiergefecht beiwohnen – mit meinem Vorgesetzten, der halb blind war; ich gab für ihn das Zeichen zum Beginn der Phasen, immer falsch, wir wurden schrecklich ausgepfiffen ... Meine Frau lief nach dem ersten Gang davon ... Nie wieder!«

Die Sehnsucht nach einer Neugeburt geht heute durch Spanien. Neugeburt hin, Neugeburt her – der Stierkampf bleibt. Andalusien ist sein Mutterschoß.

 

XII

Über einen Punkt komm' ich nicht weg: der Stier wird vom Felde durch abgerichtete Ochsen auf den Todespfad gelockt. Eine Verrätergemeinheit ... Wie abgerichtete Wildenten in Schleswig-Holstein die Wander-Enten schäbig in das Mordnetz locken. Ihre Schwestern und Brüder!

Der Ochs ist sozusagen ein entfernter Bruder des Stiers. (Und offenbar der Mensch ein naher Verwandter des Ochsen.)

 

XIII

In Granada zeigt man Stiere, die gezähmt sind. Ich sah sie. Schwarzweiße Riesengeschöpfe, gleich ägyptischen Gottheiten. Sie treten auf Sockel, rutschen auf Knien, kriechen unter Pferden durch. Ein Mann schwingt die Peitsche.

Dies vollzog sich in einem Sprechtheater, welches nach Cervantes getauft ist. Das Parkett, um ein Uhr nachts, raste Zustimmung.

Also nicht verzweifeln. Selbst Stiere bleiben zähmbar. Kopf hoch – Mitwelt!

 

XIV

Hahnenkämpfe sind in Theatern; auch in Halbspelunken. (Nordspanien hat sie nicht.) Hiergegen ist ein Stiergefecht harmlos.

Dies Hacken, Hacken, Hacken, bis der Partner Hahn an Kopf und Hals rohes Fleisch ist – dies spitze Hacken, Hacken, Hacken, bis etwas freigelegte Gurgel vortritt, wirkt übler als die großen, breiteren, sozusagen gediegneren und bekömmlicheren Verwundungen.

Seltsam der Anfang. Sobald Hähne selbzweit in eine Art Rundbau gelassen sind, sobald ihr erstes Krähen und Blähen getan ist: sobald schieben sie deutlich in Duellhaltung die Schnäbel aneinander – wie Studenten bei dem Ruf: »Bindet die Klingen!«

Messen sie?

Dann fliegen sie an. Sie hacken, hacken, hacken, fetzen mit spitzem Sporn.

 

XV

Auch hier will der Sterbende hinaus ... Er hüllt sich dann, der kein Hahn mehr ist, nur das Stück eines Hahns, gekrampft in den beronnenen Federnrest, am Zaun.

Immer noch fliegen Durostücke, fünf Peseten, durch die Luft: es wird auf die Zahl der Wunden gewettet, so bis zum Tod erforderlich sind.

Im alten Asien gab es Krankenhäuser für Tiere.

 

XVI

Auch den Sieger schlachtet man hinterher. Sein Blähen frommte nichts.

Vor dem Weltkrieg hieß ein politisches Buch: »The great illusion« – es betraf den großen Irrtum des Siegers ...

 

XVII

Hähne; Stiere. Rückständige Zivilisation? – Aber bei uns wurden ja die Menschen geschlachtet.

Spanien zehrt vom Glück, dem größeren Irrsinn ferngeblieben zu sein. Die Sünden der Spanier sind nichtig.

Der HErr belohnte sie: durch eine starke Währung.


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