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Juninacht.

Der Sommerhimmel war schwarz wie ein dunkles, geheimnisvolles Menschenauge. Mit schwülem Ernste schaute er auf die Erde – unbewegt, finster und heiß. Manchmal nur zuckte ein jähes Aufleuchten durch den schweigenden Blick, wenn ein Blitz aufflammte von dem Gewitter, das am fernen Horizonte stand.

Da war ein Rain, mit Sommerkraut reich bewachsen: Ginster blühte da, Johanneskraut, Feldkamille und Wucherblume, und alle hatten den schweren, schwülen Duft der Juninacht, den Duft, den das Kornfeld, das sich über den Rain neigte, mit seinem heißen Atem noch mehrte. Das war die Luft, die unser Blut heiß und dickflüssig macht, die Atmosphäre, die unseren Willen ermüdet und unsere Leidenschaften entzündet.

So beim Stephan, der schon lange auf dem Raine lag. Unruhig wälzte er sich in dem Grase, wie ein Kranker, der schwer am Fieber leidet und nur, wenn er lange gekämpft, einmal ermüdet stille liegt. Dann blickte der Stephan in die Kornhalme hinein wie in einen dichten Wald, in dem die Johanneskäferchen huschten wie feingeschwungene Fackeln kleiner, tanzender Feldgeister.

Aber da raffte er sich auch schon wieder auf und schaute nach dem Dorfe hinunter. Schwarz und düster lagen die Menschenhäuser im Tal, und der Kirchturm sah drohend wie ein finsterer Riese herauf.

Nur in dem einen Hause war noch Licht … in der Schenke. Dort war Tanzmusik. Den summenden Ton des Basses hörte der Stephan deutlich, auch manchmal einen schrillen Ton der Klarinette. Am schlimmsten war's, wenn ein jauchzender Menschenruf herauf klang.

Dann ballte der einsame junge Bursche die Faust.

Vor zwei Stunden noch war auch er da unten. Er tanzte nicht, er saß finster hinter einem Tische und trank ein Glas nach dem anderen. Das Bier brachte ihm die Therese, die junge Tochter des Wirtes, und allemal, wenn sie's vor ihn hinstellte, ohne ihn anzuschauen, raunte er ihr eine Beleidigung zu.

Er hat ihr furchtbare Dinge gesagt in dieser harten, abgerissenen Weise. O, er hat auch das Recht dazu! Sie hat ihm Treue gelobt, sie hat ihn geküßt, sie hat ihm versprochen, sein Weib zu werden. Hundertmal hat sie's versprochen.

Und? – Und sie sah ihn nicht an, sie ließ ihn sitzen in seiner Pein, sie tanzte mit allen, mit jedem, am öftesten mit dem Emil, und dann, wenn sie in seinen Armen lag und mit ihm tanzte, dann drehte sich um den Stephan der ganze Saal, die ganze Welt, und zuletzt sah er nichts mehr als blutrote Ringel.

Und wieder hieb er das Glas auf den Tisch und schrie nach Bier. Da kam nicht die Therese, da kam das Schenkmädel. Der riß er das leere Glas aus der Hand, stand auf und schwankte über den Saal. Wie er ausgeschaut, was wohl die Leute gesagt haben, weiß er nicht. Er steuerte nur auf das Schanksims zu, in dem die Therese war. Aber wie die ihn sah, erschrak sie und huschte blitzschnell zur Tür hinaus.

Da war er ihr nach wie ein Aar. Um das ganze Haus lief er, durch den ganzen Garten; aber er fand sie nicht. An der Tür kam er endlich keuchend an. Sie mußte ja doch in den Saal zurückkommen, also würde er drinnen auf sie warten.

Da stand plötzlich sein Vater vor ihm, der bis dahin in einem Nebenzimmer gespielt hatte. Der faßte seinen Buben streng ins Auge:

»Heim gehst du, Stephan, aber bald!«

»Heim – ich? – Hehe! – Ich heim! – Ich – ich werd' mich schön hüten – werd ich mich –«

»Du gehst heim, sag' ich, und wenn du nochmal da 'reinkommst, da ohrfeig' ich dich vor allen Leuten, … wie du dich benimmst!«

Der Stephan hat erst dagestanden, wie vom Donner erschlagen, aber dann ist er gegangen. Der Vater würde ihn wirklich geohrfeigt haben. Durch das Dorf ist er gestürmt, den Bergweg hinauf, weit nach der Stadt hin. Was er wohl wollte! Vielleicht fortlaufen, auswandern, nie wiederkommen. Aber plötzlich besann er sich anders und kehrte um. Er kam wieder zur Schenke. Es war noch immer Tanzmusik drinnen, und er meinte die Therese laut lachen zu hören. Da wollte er hinein. Der Vater war jetzt nicht mehr da, der war längst zu Hause; es mußte ja wohl Mitternacht sein.

Und er ging doch nicht hinein. Er hatte das Gefühl, es würden alle Leute helllaut auflachen, wenn sie ihn sähen, und da ging er endlich schwankend, zähneknirschend nach Hause.

Einen Feldweg mußte er einschlagen; an dem lag sein väterliches Gut, ganz abseits vom Dorfe. Wie er auf die Anhöhe kam, von der man noch die Schenke sehen kann, setzte er sich ins Gras.

Und so sitzt er noch jetzt, und ist doch wohl längst wieder eine Stunde vergangen und mehr. Wie er an seine ganze Schmach und Niederlage denkt, wirft er sich wieder auf die Erde, seine Fußspitzen bohren sich in den Boden, und sein heißer, kochender Atem schlägt in ganz feinen Perlen nieder an einem schwarzen Feldstein.

Da … jetzt ein letzter, schrill quiekender Laut dort unten … die Tanzmusik ist aus.

Jetzt muß der Emil kommen, der elende, verfluchte Kerl, der ihm die Therese gestohlen hat. Natürlich muß er kommen, sein Vatersgut lag ja an demselben Seitenwege wie das seine.

O der Schuft, der so seinen Freund betrog! In die Schule waren sie miteinander gegangen, aufgewachsen waren sie miteinander, beim Militär waren sie miteinander gewesen, noch neulich zum Pfingstmarkte waren sie miteinander.

Und jetzt! Oh!! Das ganze glühende Verlangen nach dem geliebten Mädchen, all das heiße Weh, die glühende Angst, es zu verlieren, diese kochende Luft – all das flammt und loht in dem armen Burschen durcheinander und schürt sich in ihm zu brennender Wut.

Mit einem Rucke greift der Stephan in die Tasche und zieht einen harten Gegenstand hervor. Es ist ein Messer. Beim Pfingstmarkte hat er's gekauft. Der Emil hat gerade ein solches.

Er öffnet das Messer. Es geht schwer auf, es ist noch zu neu. Wenn er's dicht vor die Augen hält, sieht er die Klinge funkeln. Er hat noch nichts damit geschnitten, er hat's immer noch aufgespart; er wird's erst heute das erstemal gebrauchen.

Mitten in der Fieberglut friert der Stephan. Aber nur auf Sekunden. Dann ist's vorbei. Dann ist sein Kopf um so heißer.

Es mußte sein – es mußte! Einer bekam das Mädel, der andere mußte daran glauben. Das war klar! Etwas anderes gab es nicht.

Wenn er nur käme! Wenn's nur nicht zu lange dauerte! Das ist ein schauderhaftes Warten so, und die Hand, wahrhaftig, die Hand zittert ihm. Aber das ist eben die Wut, die er hat. Sonst ist's nichts. Natürlich nicht!

Er lauscht den Weg hinab. Er kann nichts sehen und hören. Unten nur bei der Schenke hört er's noch lärmen, und die Dorfstraße entlang ziehen lachende Leute.

Wenn er doch käme, doch käme!

Halt! – Da! – Was war das! Ist er das? Oder war's eine Täuschung? Wenn's doch ein einziges Mal hell blitzte! Aber der Himmel bleibt stumm und schwarz. Es ist gräßlich finster.

Aber jetzt – das waren Tritte, deutliche Tritte! Jetzt kommt's! Wenn er nur nicht zu zeitig gesehen würde, sonst reißt der Kerl aus. Furcht würde er schon vor ihm haben. Am besten ist's, der Stephan versteckt sich im Kornfeld. Jawohl, das ist am besten! Aber wie er in die hohen Halme hineintreten will, scheut er sich, und sein starkes Bauerngefühl führt ihn zur nächsten Wasserfurche. Dort versteckt er sich.

Er steht gebückt. Ein paar blühende Ähren streicheln ihm die Wange, ein aufgescheuchter Käfer summt über seinen Kopf hinweg. Sonst rührt sich nichts. Nur das Messer, das bebende Messer in seiner Hand zerschneidet einen grünen Halm. Der fällt, vorzeitig gemäht, dem Stephan tot vor die Füße. Es ist wunderbar, daß er den kleinen Vorfall bemerkt: aber er bemerkt ihn und zieht das Messer schonend weg von den Ähren.

Es bleibt so unheimlich still. Warum kommt er nicht? Ahnt er etwas? Macht er einen Umweg? Oder – ist er noch – ist er noch – bei der Therese?

Wild fährt der Bursche auf, die Arme schleudert er zur Seite, tief dringt das Messer in die heilige Saat, vor den Augen tanzen die Ringel, – ein Feuer, – das Kornfeld sieht er in Flammen, – alle Menschlichkeit hört auf, ein Tier ist er, eine Bestie –

Und da Tritte – nahe – ganz nahe –

»Schuft! Zieh dein Messer! Dein Messer, sag' ich! Wehr dich! Oder du bist – du bist – du bist –«

»Stephan! Stephan!«

»Du bist kalt, sag' ich – du bist ver … loren!«

Ein Stoß! Er fühlt, wie das Messer durch weiches Fleisch fährt, und dann steht er wie versteinert still, den Messergriff fest in der Hand. Auch die Gestalt ihm gegenüber rührt sich nicht.

Da – ein Jammerlaut – ein heller Blitz –

»Jesus! Vater! Vater! Vater! Du bist's – du bist's!«

Ein prasselnder Donnerlaut erschüttert die Feste des Himmels, und der Stephan liegt am Boden. – – –

Eine tonlose Stimme, kaum menschlich noch, fragt:

»Stephan – du – du willst mich – erstechen?«

Keine Antwort.

»Stephan, meine Hand – meine Hand –«

Da wird er wach, da faßt er die Hand des Mannes, der neben ihm auf den Boden sinkt.

»Was – was ist?! – O! – das – das ist ja – eine Jesushand, – ein Eisen ist durch, – und das Blut – das rote Blut – und ich – und du Vater, – und ich hab's nicht gewußt, – ich hab's doch nicht gewußt –«

»Stephan, hilf mir, – mir wird – übel – ich – ich –«

Der Stephan fängt ihn auf.

* * *

Eine Weile später erholt sich der Vater.

»Komm heim, Stephan!«

»Heim? Ich? – Ich kann nicht heim, – jag mich fort, – jag mich doch fort, – schlag mich doch tot!«

»Komm nur jetzt heim, Stephan!« –

Sie gehen. Das Gewitter ist jetzt ganz nahe. Blitz fällt auf Blitz, und der Donner rollt laut.

»Wie ist die Binde? Das Blut läuft so durch das Schnupftuch.«

»Es geht, Stephan, es geht schon!«

»O Vater! O, gerade die rechte Hand! Die Hand, die mich großgezogen hat!«

Und der starke Bursche weint rasend.

»Laß nur gut sein, Stephan. Arbeiten kannst ja du, wenn sie lahm würde.«

»Wenn sie lahm würde, – deine rechte Hand lahm, – das – das wär' mein Tod!«

»Nur still! 's ist tausendmal besser, ich hab' eine lahme Hand, als du trafst den anderen.«

* * *

Und wieder ein Weilchen später, ehe sie in den Hof treten, bleibt der Vater stehen und sagt:

»Wegen der Therese! Wegen der! Der ihre Mutter ist – na, ihr Mann hat sie aus dem Hause gejagt, – da ist sie verkommen und gestorben, – und die Therese ist ihr ähnlich aufs Haar.«

»Vater!«

»Ja, ich hätt' dir's schon eher sagen sollen. Wie ich jung war, wie du, da wollt' ich der Therese ihre Mutter heiraten. Sie schlug mich aus. Da nahm ich unsere Mutter. Gut war ich ihr damals nicht; aber nicht eine böse Stunde hab' ich mit ihr gehabt – nicht eine böse Stunde!«

»Vater, ist das so? Ist das so

Sie treten in den Hof.

»Komme erst zum Wasser, Stephan; ich muß mir erst die Hand waschen.«

»Vater – die Mutter! Was wirst du der Mutter sagen?«

»Die Wahrheit werd' ich ihr sagen.«

»Vater, ich fürcht' mich!«

»Vor der Mutter?«

Das fragt er mild, beinahe lächelnd.

Dann treten sie an den Brunnentrog, und der alte Bauer kühlt sich die wunde Hand. Der Stephan stützt ihn dabei fürsorglich. Wie sie so still und stumm stehen, klingen Schritte jenseit der Hofmauer, und es pfeift einer ein Tanzstück.

Das ist der Emil. Er ist wohl vergnügt. Er glaubt wohl, daß er gewonnen habe.

Es ist wunderbar: der Stephan hört ihn ohne Groll pfeifen. Der denkt jetzt nur an den Vater, und er ist glücklich, als er hört, daß der Vater die verwundete Hand öffnen und schließen kann.

Da geht die Haustür. Das ist die Mutter.

»Vater! Stephan! Seid ihr da?«

»Ja, am Brunnen!«

»Was macht ihr denn dort?«

»Komm nur einmal her, Anna!«

Sie kommt. Schwindelnd hält sich der Stephan an die Brunnenröhre. Er hört kaum, wie die Mutter leise aufschreit, wie der Vater kurz, aber deutlich alles erzählt; er hört nur, wie das Wasser rauscht, und es ist ihm, als ob es sich alles in sein Gehirn ergösse. Er wird erst klarer, als der Vater sagt:

» Derder bitt's ab, Stephan; denn wenn ich nicht die Hand vorgehalten hätte, da wär' die von uns dreien am schlimmsten dran gewesen!«

Da sinkt er vor der Mutter in die Kniee. Die einfache Frau ist blaß und zittert heftig. Aber ihr Gesicht bleibt doch milde, und endlich sagt sie nichts als:

»Kommt ins Haus, das Gewitter geht los!«


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