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Ansichtspostkarten.

Humoreske in 24 gewöhnlichen Postkarten und einem Briefe.

Breslau, den 3. Januar 1901.

Mein lieber Freund Adolf!

Deine Neujahrsansichtskarte war prächtig. Trotzdem erwidere ich Deine freundlichen Wünsche nur auf einer gewöhnlichen Reichspostkarte. Das geschieht weder aus Geiz noch aus Originalitätssucht, sondern darum: Kleiner Silvesterpunsch bei unseren gemeinsamen Freunden August und Heinrich. Die beiden in erhöht spleenigem Zustande, ich etwas schlecht gelaunt. Heinrich weiht sein fünftes (!!) Postkartenalbum ein. Weihnachtsgeschenk von seiner Cousine. Blödsinnig, nicht wahr? (Ich meine das Album.) Wir kommen in eine lebhafte Debatte. Schließlich Wette. Bedingung: Ich versende im Laufe des kommenden Jahres nicht eine einzige Ansichtskarte. Objekt: 500 Mark. Garantie: Ehrenwort. – Lächerlich, die Kerls! Ich habe heute für 20 Mark gewöhnliche Postkarten gekauft. 400 Stück! Ich finde, daß so eine Reichspostkarte in ihrem schlichten, grauen Kleide geradezu vornehm aussieht gegenüber ihren geschminkten Stiefschwestern. Und es ist doch Platz zum Schreiben da, überhaupt wenn man, wie ich, stenographiert. – Wenn ich Dich nächstes Jahr besuche, gebe ich 10 Prozent meines Gewinnes zum besten. A happy new-year!

Richard.

* * *

Breslau, 18. Januar.

Lieber Junge!

Du meinst, so einfach wäre die Sache nicht und meine Gegner würden versuchen, mich reinzulegen. Das erste bestreite ich, das zweite stimmt auffallend. Höre! Draußen ist bei 12 Grad Kälte ein Hundewetter. Da klopft ein elendes, schmächtiges Kind an meine Türe. »Kaufen Sie Ansichtskarten, lieber, gnädiger Herr!« »Nein Kind; aber schenken werd' dir was!« »Betteln darf ich nicht, gnädiger Herr!« »Das ist nicht gebettelt!« »Aber ich darf nichts annehmen.« »Nu, dann nicht!« Türe zu. Jämmerliches Heulen draußen. Türe auf. »So nimm doch was, Mädel!« »Ich darf ja nicht –« Ich reiße ihr sechs Stück aus der Hand und gebe ihr 50 Pfennige. Kaufen darf ich ja. Jauchzt das Mädel auf: »Jetzt krieg' ich 'ne Mark, jetzt krieg' ich 'ne Mark!« »Eine Mark? Von wem?« »Von zwei Herren, die unten stehen und die mich geschickt haben.« A – a – a – ah! Ich zerreiße die Karten. »Hör mal, Kleine, laß dir erst die Mark geben und dann sage, die Karten seien gekauft, aber bald zerrissen worden. Hörst du?« Jawohl! – Ich eile ans Fenster und luge durch die Gardine. Unten im schauerlichsten Schneesturm stehen meine lieben Freunde. Das Mädel kommt und erzählt. Sie lachen beide, und das Kind bekommt die Mark. Da sagt das Mädel noch etwas und läuft bald darauf fort. Die beiden Schlauberger machen wenig geistreiche Gesichter. Ich aber reiße das Fenster auf. »Diener, meine Herren!« Gegenseitige Grimasse! Schluß!

Richard.

* * *

Breslau, 2. Februar.

Mein Lieber!

Ich habe auf meiner ersten Karte was vergessen. Bedingung ist nämlich auch, daß ich keinem Menschen den Grund sagen darf, warum ich keine Karten mit Ansicht verschicke. Falls ich in irgend eine Kalamität komme, darf ich mich mit der Wette nicht entschuldigen. Das ist fatal. Du als gemeinsamer Freund, der an der Geschichte auch seinen Spaß haben soll, bist von der Bedingung ausgenommen worden. Die Kalamitäten kommen schon. Habe da in Liegnitz einen Neffen. Reizender Bengel. Der schreibt: »Libstes Onkelchen! Das Kristkint halt ein ansichtzalpum gebracht. Bitte bitte um eine libigshöhe, das Rahthaus und die Uhnifersetät, auch dem Dohm und so waß. Ich freu mich schregglich.« Ich freue mich nicht schrecklich. Der Junge ist mein Liebling und immer sehr bescheiden. Ich habe ihm eine Laterna magica, eine Schachtel Bleisoldaten und eine Spieluhr geschickt und geschrieben: »Ansichtskarten gibt's von mir nicht.« Weißt Du, ich komme mir geradezu roh vor. Der arme Junge!

Sei gegrüßt! Richard.

Breslau, 15. Februar.

Nun hätte mir die dumme Geschichte auf ein Haar eine Herausforderung zum Duell eingebracht. Du erinnerst Dich wohl noch auf Fritz Heidrich? Er ist ein wüster Pauker geworden. Zufällig treffe ich ihn neulich. Wir sitzen zusammen, er schreibt eine Ansichtskarte an seine Schwester und fragt mich (da ich die Dame kenne), ob ich unterzeichnen wolle. Einen Moment überlegte ich. Eine »selbständige, strafbare Handlung« wäre eine bloße Unterschrift ja wohl nicht gewesen; aber mein Gewissen ist zart. Also lehne ich höflich ab. Himmel, wird der Mensch rasend. »Unerhört!« »Beleidigung!« »Mein Herr!« »Rechenschaft!« »Karte!« »Zeugen!« Du kennst ja den edlen Rummel. Ich blieb ganz ruhig und erklärte ihm: erstens sei ich Duellgegner, zweitens würde ich mit Vergnügen die Karte unterschreiben, sei aber dazu aus einem Grunde, den ich leider jetzt nicht nennen dürfe, außerstande. Er hat sich beruhigt, aber er schneidet mich. Ich füge mich in mein Schicksal und trage den ungeheuren Freundschaftsverlust mit möglichster Würde. Dafür, daß Fräulein Heidrich auf einer Ansichtskarte meine Unterschrift nicht findet, hatte ich weder Lust, ihren Bruder totzuschießen, noch selber in die Grube zu kriechen. Ich hoffe, daß Du trotz dieser lumpigen Gesinnung freundlich gewogen bleibst

Deinem
Richard.

* * *

Breslau, 20. Februar.

Lieber Adolf!

Der Teufel ist los! Er allein kann meiner Tante Eugenie in Posen ( NB. meine einzige Erbtante auf der großen, weiten Welt) eingegeben haben, sich auf ihre alten Tage mit dem Sammeln von Ansichtspostkarten zu befassen. Sie bittet mich nämlich, ihr womöglich Ansichtskarten von Breslau, bezw. Schlesien zu übersenden. Da habe sie doch ihre Jugend und ihre erste Liebe verträumt. Eine fürchterliche Geschichte! Ich kann's mit der Alten nicht verderben, und sie nimmt jeden Quark übel. Ich habe ihr also einen acht Seiten langen Brief geschrieben und in philosophisch-ästhetisch-moralisch-sozialen Ausführungen mein gänzlich negatives Urteil über den Ansichtspostkartensport begründet. Natürlich wird sie aus allem nur das »Nein« heraushören. Ich habe ihr (da sie auf dem Lande lebt) zur Besänftigung geschickt: einen Delikateßkorb, zwei chinesische Hocker (die wünscht sie sich, wie ich weiß) und fünf Flaschen Altvaterlikör (ihre Lieblingssorte). Die Geschichte kostet inklusive Porto 51 Mark 65 Pfg. Ich wollte diesen Monat noch eine Hörnerschlittenfahrt im Riesengebirge machen; nun muß ich sparen. Neugierig bin ich, wie die Tante meine Sendung aufnehmen wird. Gruß!

Richard.

* * *

Breslau, 22. h. m.

Eben habe ich einen wütenden Brief von der Tante bekommen. Zu essen und zu trinken habe sie Gott sei Dank; auch Möbel seien genügend da. Dafür bedanke sie sich, auch für meine Belehrungen. Wie ich junger Kerl mir so was erlauben dürfe. Sie würde nichts Unästhetisches und Unmoralisches tun. Unschuldige Ansichtskarten habe sie gewünscht, sonst nichts. Das sei unverschämt von mir. (Du siehst, lieber Freund, mit philosophischen Erwägungen darf man Frauen nicht kommen, da verdrehen sie alles.) Weiter schreibt sie: Der Himmel habe ihr keine Kinder geschenkt, und nun, da sie alt sei, behandle sie der einzige Sohn ihrer einzigen Schwester so. Der Neffe, den sie immer geliebt, der ihr hätte die Augen zudrücken, sie beerben sollen!!!! Nicht mal zehn Pfennige auf eine Karte hätte er für sie übrig. (Vergleiche mit dieser Logik die 51 Mark 65 Pfennige.) Da sei der Bernhard viel höflicher. Der habe gleich sechs Karten geschickt. (Bernhard ist ein Verwandter aus dem sechsten oder siebenten Gliede, der der Familie und auch der Tante schon ungeheuer viel Ärger gemacht hat.) Wie gesagt, sie, die Tante, würde sich zu richten wissen!!!!! – Ich habe heute gekauft und an die Tante geschickt: ein Künstleralbum vom Riesengebirge (Preis 24 Mark), ein Album von Breslau, dito von der Grafschaft Glatz, dito vom Altvatergebirge, dazu einzelne Photographien von Fürstenstein, Hochwald, Kynsburg usw. Ich habe genau noch einen Taler Geld. Bitte sende mir umgehend (wenn Du kannst) 50 Mark.

Richard.

* * *

Breslau, 25. Februar.

Lieber Freund!

Geld erhalten! Danke! Zurück am 1. März! Es ist alles umsonst gewesen. Die Tante hat mir heute sämtliche Bilder zurückgeschickt, auch die chinesischen Hocker. Ansichtskarten wolle sie haben, nicht »solches Zeug«. Den Delikateßkorb und den Likör hat sie behalten. Darauf gründe ich meine Hoffnung. Nach Ablauf des Jahres, wenn meine Zunge gelöst ist, will ich zu ihr fahren und ihr alles erklären. Stirbt sie allerdings bis dahin (sie ist 72 und leidet an Asthma), so kostet mich die Wette unter Umständen ein Vermögen. Du wirst vermutlich meinen, unter solchen Umständen sei es ratsamer, die Wette verloren zu geben. Aber ich tu's nicht. Ein ungeheurer Trotz hat mich ergriffen. »Dennoch!« ist meine Devise. O mein Freund, ein ergrimmter Duellpauker läßt sich schließlich beschwichtigen, eine beleidigte Tante niemals! Trotzdem wagt den Kampf

Dein mutiger
Richard Löwenherz.

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Breslau, 5. März 1901.

Mein Guter!

Ich fange an, gelinde verrückt zu werden. Denke Dir, ich habe mir einen photographischen Apparat gekauft. (Er kostet 120 Mark; deshalb kann ich Dir auch die 50 Mark noch nicht senden; sei nicht böse, lieber Junge.) Also ich photographiere! Die Tante weiß, daß ich auch gegen diesen »Sport« eine furchtbare Abneigung habe. Deshalb tue ich's. Ich wollte für sie photographieren, das muß sie rühren. (Himmel, das reimt sich ja gar; es ist Zeit, daß ich zu einem Arzt gehe.) Also heute habe ich versucht, das hochberühmte Breslauer Rathaus »aufzunehmen«. Von der »Kornecke« aus, da nimmt sich's am besten aus, aber es ist auch ein gräßlicher Verkehr dort. Beschreibung des Vorgangs unmöglich. Fluchen, Lärmen, Anrempelungen, Gassenjungen, Neugierige, Volksauflauf, Straßenbahnstockung, Schutzleute, zum Überfluß »mein Freund« Heinrich – Du, es war schauderhaft! Ich bin polizeilich notiert worden, ich war einer Lynchjustiz nahe, ich habe das diabolische Gelächter Heinrichs anhören müssen – aber die Aufnahme ist gemacht. Ich fühle mich körperlich sehr elend, nicht zum wenigsten auch von der »kurzen, leichtfaßlichen Anleitung für Amateurphotographen«, die ich habe studieren müssen. Jetzt krieche ich in den Orkus – alias Dunkelkammer. Lebe wohl!

Richard.

* * *

Breslau, den 15. 3.

Lieber Adolf!

Ich möchte Dir einen Vorschlag machen: ich übersende Dir für die 50 Mark, die ich Dir schulde, meinen photographischen Apparat mit allem Zubehör und der famosen »Anleitung«, und wir sind quitt. Du tätest mir einen ungeheuren Gefallen, denn ich hab's satt! Ich habe noch versucht, die Liebichshöhe und die Universität aufzunehmen. Keine meiner Aufnahmen ist geglückt. Die Liebichshöhe ist nur halb zu sehen (vielleicht hat sich der Apparat verschoben) und die Universität sieht aus wie eine verunglückte Mondscheinlandschaft vom Jupiter mit mindestens fünf Monden. (Nach der »Anleitung« zu schließen, hat die Sonne in die Linse geschienen.) Vom Rathaus sieht man gar nichts; dagegen ist mit sprechender Treue der Helm eines Schutzmannes, die grinsende Fratze eines Gassenjungen und die liebliche Rückseite eines Marktweibes zu schauen. Deswegen hab' ich's also satt. Die Tante ist sowieso nicht zu versöhnen. Denke, sie ist in Breslau gewesen. Am Freitag! Ohne mich zu besuchen! Dagegen sind in ihrer Gesellschaft gesehen worden – Heinrich und – – – seine Tante Amalie, die auch aus Posen ist! Merkst Du was? Diese Schurken! Aber ich bin viel zu abgespannt vom Photographieren, um mich jetzt aufzuregen. Kaufe mir nur den elenden Apparat für 50 Mark ab (Du kannst ihn auch für 40 haben), und es ist vollständig zufrieden

Dein Freund
Richard.

NB. Eben kommt das Strafmandat wegen der Rathausaufnahme. Bloß 20 Mark.

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Scheitnig bei Breslau, den 26. März.

Ein Netz von Intriguen umstrickt mich, ein ganzes Heer von Spionen und Feinden ist um mich her. Mit zwei harmlosen Bekannten, denen ich nichts Böses zutraue, mache ich einen Frühlingsbummel hierher. Einer bringt mich durch ein geschicktes Manöver so weit, daß ich Dir eine Karte schicken will. Natürlich eine ohne Ansicht. Auf einen Wink bringt der Kellner eine solche. Kurz, ehe ich das Ding in den Kasten stecke, halte ich es gegen die Sonne. Es war eine verkappte Ansichtskarte! In demselben Augenblicke sah ich in der Nähe August und Heinrich auftauchen. Da zündete ich mir mit der Karte eine Zigarre an und ließ die ganze Blase sitzen. – Ich habe Sehnsucht nach einem aufrichtigen Menschen.

Richard.

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Br., 7. April.

Jetzt fange ich an, auf meine Gegner ernstlich wütend zu werden. Es ist allerdings am Silvester ausgemacht worden, daß sie sich aller möglichen Mittel bedienen dürfen, um mich zur Absendung einer Ansichtskarte zu bringen; aber das geht über den Spaß. Sie sind Urkundenfälscher geworden. Höre und staune: In der letzten Woche erhielt ich – 193 Ansichtskarten. (In Worten: Einhundertdreiundneunzig Ansichtskarten.) Die meisten beginnen mit den Worten: »Auf Ihr gefl. Inserat vom 1. d. M. erlaube ich mir zum gegenseitigen Austausch von Ansichtskarten etc. etc.« Jetzt kann der Scherz böse enden. Was soll ich machen, wenn mir einer der 193 Schreiber, denen ich natürlich nicht antworte, gerichtlich zu Leibe rückt? Das schönste ist: keiner der Schlauköpfe gibt an, wo das Inserat gestanden hat. Es muß eine Zeitschrift gewesen sein, denn die Karten sind aus ganz Deutschland. Heute habe ich sämtliche Annoncen aus sechsundzwanzig Journalheften vergeblich studiert. Das war eine Hundearbeit. Diesen Streich nehme ich ernstlich übel.

R.

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Breslau, 15. April.

Lieber Freund!

Ich begreife nicht, wie Du die Sache so leicht nehmen kannst. Mir ist sehr schwül zu Mute. Höre etwas über die Statistik. Es schrieben von Herren: 1 Assessor, 5 Studiosen (merkwürdigerweise sämtlicher Fakultäten), 1 Arzt, 3 Lehrer, 34 Gymnasiasten etc.; außerdem 133 Damen (nach den Handschriften und dem Geschmack in der Wahl der Karten zu schließen zwischen 11 und 81). Der Assessor, drei Studenten und ein Lehrer drohen bereits mit Klage. Was soll ich tun? Ich muß mich eben verklagen lassen. Was daraus wird, weiß der Himmel. Den beiden gehe ich aus dem Wege. Schreib mir mal einen guten Rat. Herzlichen Gruß.

Richard.

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26. April.

Sie sind Halunken! Sie haben mich ungeheuer mystifiziert! Höre! Um allen unangenehmen Weiterungen aus dem Wege zu gehen, schrieb ich an jeden der mit Klage drohenden Herren einen Brief des Inhalts, daß ich nie ein Inserat behufs Ansichtskartenaustausches losgelassen hätte. Sie möchten mir schreiben, wo die Annonce gestanden hätte. Weißt Du, was geschehen ist? Sämtliche Briefe kamen als »unbestellbar« zurück. Die Kerls existieren gar nicht. Ahnst Du was? Es existiert überhaupt keiner der 193 »Absender«, sondern sämtliche Karten sind Falsifikate. Jetzt sehe ich auch erst, daß in vielen Fällen der auf der Karte angegebene Ort mit dem Poststempel gar nicht übereinstimmt. Wie es die Kerle fertig gebracht haben, mir trotzdem aus 65 Postanstalten Karten zuzustellen, bleibt mir ein Rätsel. Jedenfalls waren die Kopfschmerzen auf meiner Seite, die Geldkosten aber auf ihrer. Ich muß jetzt bald einen Brief an sie schreiben. Mahlzeit!

Richard.

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26. April.

Der Brief lautete: Meine geliebten, teuren, aufrichtigen Freunde! Soeben habe ich die in der Tat reizenden 193 Ansichtspostkarten einem wunderhübschen Album einverleibt und mir selber als Widmung in das Album geschrieben: »Der unergründlichen Schlauheit meiner vielgeliebten Freunde August Gerstein und Heinrich Wolff zum ehrenden Zeugnis.« Für weitere Kartensendungen würde ich tief dankbar sein. Herzlichen Dank auch dem ausgezeichneten Heere Eurer Helfershelfer. Wie gesagt, Ihr habt mir eine große Herzensfreude bereitet. Nur daß Ihr Euch so viel Umstände meinetwegen macht, ist mir etwas peinlich. Schickt doch, bitte, Eure nächsten Karten von Eurem Postamt 10 aus; ich pikiere mich nicht darauf, daß sie in Basel, Zoppot oder St. Wolfgang abgestempelt sind.« Ätsch! Ob sie sich ärgern werden? Ich hoffe! Abgebrüht sind sie allerdings, und Geld und Zeit haben sie auch im Überfluß. – Du! Ich hab' Dich übrigens im ganz leisen Verdachte, daß Du auch hast Karten verschicken helfen; denn 26 Stück sind aus Berlin und Umgegend. Höre, Alter, das wäre furchtbar schlecht von Dir. Zur Genugtuung für mich sei nun unparteiisch genug, meine überstandene Angst nicht zu verraten.

Richard.

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Petersdorf i. R., 5. Juni.

Lieber Adolf!

Ich wollte Dir ja allerdings nie mehr schreiben, nachdem sich in der Tat herausgestellt hat, daß Du im Komplott gegen mich gewesen; aber die Zeit heilt alle Wunden und besänftigt allen Groll, und so will ich, nachdem Du fünf Wochen lang im Exil von meinem Herzen gelebt, Dich als reuigen Sünder wieder zu Gnaden annehmen. Meine Versöhnlichkeit entspringt zum Teil meinem momentanen Glücksgefühl. Ich mache eine Frühlingsfahrt ins Gebirge und habe fabelhaft Glück. Gestern habe ich mich an eine geradezu reizende Familie aus Berlin angeschlossen. (Genauere Adresse verweigere ich.) Die Familie besteht aus einem jovialen, urgemütlichen Herrn Vater, einer prächtigen Frau Mutter und einem Fräulein Tochter, für die das schmückendste Beiwort der deutschen Sprache zu armselig erscheint. Junge, jetzt kann ich noch scherzen; aber es ist schon vorgekommen, daß im Riesengebirge einer total verunglückte, ohne daß er gerade einen Mediziner nötig gehabt hätte. Jedenfalls gebe ich Dir von Zeit zu Zeit über mein Befinden Nachricht. Reichspostkarten habe ich genügend eingesteckt; die werden ja dort oben um alles Geld der Welt nicht zu haben sein.

Richard.

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Neue schlesische Baude, Riesengeb.,
5. Juni, nachm. 2 Uhr 15 Min.

Bulletin: Respiration 25, Puls 111, Temperatur 41,5. Der Patient ist aufgegeben.

Richard.

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Schneegrubenbaude, 5 Juni.

Geliebter Freund!

Es ist Nacht. Meine lieben Reisegefährten sind längst zur Ruhe. Das ganze Haus ist kirchenstill. Nur ich schaue hinaus auf das einsame Gebirge und das schlummernde Schlesierland, über dem der Mond steht und die Sterne. Ein Lied hab' ich geschrieben. Es ist das erste Lied meines Lebens, aber ich glaube, es ist gut. Du kannst es mir glauben, mein Freund, daß ich ernstlich liebe. Ich weiß gar nicht, wie ich gestern, ja heute noch scherzen konnte. Ich möchte Dir gern in einem langen Briefe mein Herz ausschütten (es ist so voll), aber ich habe ja nichts als diese elenden, nüchternen, graugelben Postkarten.

Und ich schreibe immer nur heimlich an Dich. Warum, das ein andermal. »Gute Nacht, Du mein holdes Mädchen.« (Das ist der Refrain von meinem Liede.) Leb wohl!

Dein Richard.

Schneegrubenbaude, 6. Juni, frühmorgens.

Ich kann nicht schlafen, obwohl die Betten sehr gut sind und sich meilenweit kein Laut rührt. Es sind so liebe, gute Menschen. Ich wüßte nicht, was mir an ihnen nicht gefiele. Höchstens, daß sie sehr viele Ansichtskarten verschicken. Aber sie haben so viele gute Freunde und Bekannte, an die sie schreiben müssen. Das ist ein gutes Zeichen, nicht wahr? Und sie beweisen viel Geschmack bei der Wahl der Karten. Alma hat eine entzückende Schrift, und wenn das rosige Kind so über ein niedliches, buntes Blättlein schreibend geneigt ist, das ist ein Bild, selber zum Malen. Angesichts dessen geniere ich mich, mit meinen kahlen, häßlichen Reichspostkarten aufzutreten, und schreibe lieber gar nicht, d. h. ich schreibe heimlich. Schon rötet sich der Himmel; es wird ein schöner Tag werden. Ach, es wird ein herrlicher Tag werden, auch wenn es in Strömen – da, es läutet zum Sonnenaufgang, – ich werde sie sehen, – ich muß schließen –

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Spindlerbaude, nachmittags.

Ich glaube, sie liebt mich!!! Die steilen Abhänge des Hohen Rades sind wir miteinander herabgeklommen. Wir haben die Serpentinen abgekürzt; die Eltern folgten langsamer. Ein paarmal, an ganz steilen Stellen, reichte ich ihr zur Unterstützung die Hand. Dabei zitterte sie leise und wurde rot. O Adolf –

* * *

Prinz Heinrichbaude, abends 10 Uhr.

Ich muß Dir etwas Fatales mitteilen. Almas Mutter ist unzufrieden mit mir, – weil ich keine Ansichtskarten versende. Sie meint, einen Freund auf der Welt, an den er mal schriebe, hätte doch sonst jeder. Jedenfalls folgert sie nun, daß ich keinen Freund habe, und diesen Umstand wieder scheint sie auf Konto eines Gemütsmangels bei mir zu setzen. Die Mutter Almas hält mich für ein gemütloses Ungeheuer. Ist das nicht entsetzlich? Es blieb mir nichts anderes übrig, als mit meinen Reichspostkarten herauszurücken und zu erklären, daß ich schon diverse verschickt habe. Da sah sie mich ganz merkwürdig an und schwieg. Nach einer Weile sagte sie, sie sei sonst auch sparsam, aber auf Reisen verschicke sie Ansichtskarten, schon um den Freunden daheim eine kleine Freude zu bereiten. Nun hält sie mich gar für geizig. O Freund, diese rätselhafte Logik der Frauen! Aber Alma! Muß es nicht furchtbar für ein holdes Mädchen sein, den Mann, dem sich ihre zarte Neigung zuzuwenden beginnt, für einen schmählichen Knicker zu halten? Um einen Gegenbeweis zu liefern, habe ich zwei Flaschen teuersten Weines getrunken. Aber damit scheine ich auch nicht das Rechte getroffen zu haben. Mir ist ganz jämmerlich zu Mute. Wo wäre eine Liebe ohne Leid. Elender Silvesterpunsch!

Richard.

* * *

Schneekoppe, 7. Juni.

Nun habe ich's auch mit dem Vater verdorben. Auf dem höchst beschwerlichen Aufstieg zur Koppe reitet mich der Geier, ihm meine Prinzipien betreffend den Ansichtspostkartensport auseinanderzusetzen. Dabei sind mir im Eifer des Gefechts einige unselige Epitheta entfallen wie »töricht«, »unsinnig«, »Verschwendung«, »Modekrankheit«, »Stumpfsinn« und dergleichen Artigkeiten mehr. Denke Dir, ich Esel sage das einem Manne, den ich selbst habe Dutzende von Ansichtskarten versenden sehen und an dessen Gunst mir alles in der Welt gelegen ist. Wie gesagt, ich muß besessen sein. Es ist kein Wunder, daß er, kurz ehe wir auf dem Kegel ankamen, stehen blieb und sagte: Er achte es sehr hoch, wenn ein junger Mann feste Grundsätze habe, aber die Prinzipienreiterei sei ihm nicht sympathisch. Die sei lediglich dazu da, sich selbst und andere nutzlos zu quälen. – Nun ist alles verloren. Einem »Prinzipienreiter« gibt dieser frohgesinnte Mann sein einziges Kind niemals. Ich weiß nicht, ob ich Dich bitten soll, mich zu verachten oder zu bemitleiden.

Richard.

* * *

Riesenbaude.

Sie ist fort. Ich bin allein. Nach Schmiedeberg sind sie hinunter. Ich wollte mich anschließen, aber der Vater sagte in höflicher Bestimmtheit, ich solle nur meine Reise in der ursprünglich geplanten Route fortsetzen. Er fahre heute schon mit den Seinigen nach Berlin zurück. Fünf Minuten bin ich beim Abstieg noch mit ihr allein gewesen. Ich faßte ihre Hand; sie ließ es geschehen. Es ist verwirrtes Zeug gewesen, was ich gesagt habe; aber sie weiß jetzt, wie ich sie liebe. Die Augen standen ihr voll Tränen. »Daß das mit den Eltern so hat kommen müssen – wegen einer solchen Kleinigkeit,« sagte sie schmerzlich. Auf der Zunge brannte mir das erlösende Wort, – ich brachte es nicht heraus. Und dann sagte sie leise, – stockend, – beinahe flehend: »Schicken Sie uns eine Ansichtskarte, ja?« Ich würgte, würgte und dann – ich wollte »ja« sagen, aber – ich sagte »nein«. Da erblaßte sie jählings. »Verzeihen Sie,« stammelte sie, und ehe ich widerrufen konnte, war sie bei ihren Eltern. – Nun bin ich allein. Ich war nie so allein in meinem ganzen Leben.

Richard.

* * *

Spindelmühl.

Durch den schönen Weißwassergrund bin ich gegangen, ein einsamer Wanderer. Was soll mir die Schönheit dieser Berge und Täler? Der Wald rauscht es und das Wasser braust es, daß ich sie verloren habe, daß ich ein Tor bin, der sein Glück verwettete. Nur die Felsen predigen: Bleibe fest! – Ich wollte, Du wärst bei mir!

Dein unglücklicher
Richard.

* * *

Elbfallbaude, 7. Juni, abends spät.

Prosit! Mir geht es sehr gut. Ich glaube, ich habe die vierte Flasche. Weißt Du, ich muß mir Mut trinken zum – Ansichtspostkartenschreiben. Acht Stück habe ich schon geschrieben: Die erste an Alma, die zweite an Almas Vater, die dritte an Almas Mutter, die vierte an meine Tante Eugenie in Posen, die fünfte an meinen Neffen Fritz in Liegnitz, die sechste an meinen »Freund« Heinrich, die siebente an meinen »Freund« August, die achte an Herrn Studiosus Heidrich. Bloß an Dich schreib' ich keine. Vor Dir schäm' ich mich. Aber es ging wirklich nicht länger. Na prosit!

Richard.

PS. Bitte pumpe mir rasch 500 Mk. Ich muß erst zum 1. Juli eine kleine Hypothek kündigen. Du glaubst gar nicht, wie verjüngt ich bin. Es ist famos in der Elbfallbaude, und die Ansichtskarten sind hübsch. Die erste hat allerdings 500 Mark und »acht Greizer« gekostet. Pröstchen!

* * *

Breslau, 14. Juni.

Mein guter Freund!

Endlich komme ich dazu, Dir einen vernünftigen Brief zu schreiben. Daß ich mit meiner Ansichtskartenwette glänzend Fiasko gemacht habe, weißt Du ja bereits. Die Wette war unsinnig. Es ist für den kultivierten Menschen vollständig unmöglich, ein Jahr lang ohne Ansichtspostkarten auszukommen. So kann ich auch Dein warmherziges Kondolationsschreiben nur insoweit acceptieren, als ich in der Tat vom Pech verfolgt worden bin. Alles andere steht auf Kosten meines bodenlosen Leichtsinns. Doch jetzt bin ich froh, wieder ein freier Mensch ohne Gewissenszwang zu sein. Die bornierte Ausgelassenheit meiner siegreichen Gegner läßt mich vollständig kalt. Du kannst Dir denken, daß sie mich bei meiner Rückkehr aus dem Gebirge auf dem Freiburger Bahnhof hier mit einem gelinden Indianergeheul begrüßten, jeder meine Ansichtskarte von der Elbfallbaude als »Erkennungszeichen« im Hutbande. Aber wie gesagt, ihre idiotischen Freudenausbrüche echauffierten mich nicht. Ich danke Dir übrigens für die prompte Erledigung der 500 Mk.-Angelegenheit. (Schuldschein liegt bei; am 1. Oktober zahle ich.) Die Ehrenschuld ist bereits beglichen. Jetzt tun die Kerls so, als ob ihnen die Geschichte fatal wäre. Fatal ist ihnen sicher nur, daß sie trotz aller Bemühungen nicht herausbekommen, warum ich die Wette so plötzlich verloren gegeben habe. Auf eine etwaige Anfrage bei Dir bitte ich nicht zu reagieren; einen Tropfen Galle muß ich ihnen in den Wein schütten.

Ich habe verloren, und doch habe ich alles gewonnen. Abgesehen von meiner Tante, die mir auf mein offenes Bekenntnis und die zwei Dutzend Ansichtskarten, die ich ihr binnen einer Woche geschickt habe, einen honigsüßen Brief sandte – Almas Vater hat geschrieben. Den lustigen Freund des Humors scheint meine de- und wehmütige Auseinandersetzung der ganzen Angelegenheit unendlich amüsiert zu haben, und so sandte er mir die herzliche Einladung, ihn recht bald in Berlin zu besuchen. Daraufhin habe ich mich kurzerhand per Ansichtskarte für nächsten Sonntag bei ihm angemeldet. Länger halt' ich's auf keinen Fall aus. Ich sehe sie wieder, – es wird alles gut, – sie wird mein eigen werden, – Junge, schönere An- und Aussichten gibt's nicht.

A propos, ich kann wohl bei Dir wohnen? Hole mich also – bitte – Sonnabend abend vom Schlesischen Bahnhofe ab.

Noch eins! Wenn ich meine süße Alma heimführe und Hochzeit feiere, – verehre mir als Hochzeitsgeschenk kein Ansichtspostkartenalbum, sondern überlasse diesen genialen Witz großmütig unseren Freunden Heinrich und August, denen sicher kein besserer einfallen wird.

Auf allerfröhlichstes Wiedersehen Sonnabend.

Dein mündelsicherer Schuldner
Richard.


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