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27

Am gestrigen Tage hatte sich wahrhaftig keine Gelegenheit geboten, mit Ellen über die Dinge zu sprechen, die Schwedenklee so sehr am Herzen lagen. Dieser unglaubliche Bursche, der wie ein Meteor vom Himmel gefallen war.

Heute – um die Wahrheit zusagen –, Schwedenklee war mit etwas schwerem Kopf aufgestanden, er war müde, verschlafen, apathisch und freute sich während des ganzen Tages schon auf die Stunde des Schlafengehens. Welch ein Glück, daß dieser Pohl, so amüsant er auch war, am Mittag wieder abreiste!

Aber trotz seiner Müdigkeit beobachtete Schwedenklee, oder sollte er sich täuschen? – daß mit Ellen seit gestern eine Veränderung vor sich gegangen war. Sie schien merkwürdig erregt, sie lachte ohne jeden Grund, zerstreut lief sie hin und her, den ganzen Nachmittag war sie mit ihrer Wäsche und Garderobe beschäftigt.

Von der Antwort auf die bewußte wichtige Frage war nicht die Rede! Vergebens wartete Schwedenklee auf ein Wort, einen Blick. Sie stammelte erregt, wenn sie mit ihm sprach, ihr Blick flackerte, sie errötete, schlug die Augen nieder. Es schien ihm sogar, als ob sie ihm auswiche ...

Am nächsten Tage aber glaubte Schwedenklee zu seinem nicht geringen Staunen zu beobachten, daß Ellen ernsthaft damit beschäftigt war, einzupacken.

Die Sache war, kurz gesagt, die: der Direktor der Vereinigten Sommertheater in Hamburg war Pohls bester Freund. Es bestand, wie Pohl versichert hatte, gar kein Zweifel, daß er Ellen engagieren würde. Im Sommer sollte sie sich in kleineren Rollen einspielen, um im Herbst mit dem Ensemble nach Bremen überzusiedeln. Ein gutes, ein vorzügliches Theater! Der Zufall hatte ihr eine herrliche Gelegenheit geboten, eine geradezu selten günstige Gelegenheit, ihre Laufbahn zu beginnen. War Ellens glückliche Verwirrtheit nicht verständlich?

Natürlich. Oh, Schwedenklee verstand ja wohl manches, er verschloß sich keineswegs vernünftigen Gründen, er wußte nur zu gut, daß eine Frau, die sich die Bühne in den Kopf gesetzt hatte, durch nichts abzubringen war. Aber, hatte sie, Ellen, denn ganz vergessen, daß sie ihm auf eine bestimmte Frage eine bestimmte Antwort schuldig war?

Er bemühte sich, die Sache von der scherzhaften Seite zu nehmen. »Du hast ja noch Zeit, Ellen, wozu diese Aufregung?«

»Ich muß bereit sein, wenn das Telegramm kommt!« schrie Ellen.

Ja, sie schien es in der Tat ganz vergessen zu haben. Allen Andeutungen, die er wagte, wich sie aus. So oft er sie »antwortheischend« ansah – oh, sie verstand seinen Blick sehr wohl! –, geriet sie in hilflose Verwirrung. Sie lenkte sofort errötend ab, sie sprach von ihren Plänen, Erwartungen, und beschwor ihn, nicht nach Hamburg zu kommen, wenn sie das erstemal auftrat. Sie würde auf der Bühne kein Wort hervorbringen können. Aber er mußte ihr versprechen zu kommen, sobald sie einigermaßen eingespielt wäre.

»Aber, ich sehe schon, du wirst nicht kommen, Don Philipp. Du wirst mich rasch vergessen!« sagte sie mit hochgezogener Braue.

Also, er würde sie vergessen? Schwedenklee fand vor Erstaunen kein Wort der Entgegnung.


So vergingen zwei Tage in Unruhe und Spannung. Dann aber sah Ellen den Depeschenboten an der Gartentüre, und sie rannte ihm entgegen.

Strahlend vor Freude schwenkte sie das Telegramm.

Sie umarmte Schwedenklee. »Er hat mich engagiert!« schrie sie in größter Erregung. »Der Direktor war verreist, daher die Verspätung!« Rasch löste sie sich aus der Umarmung und stürzte zu Augusta und beschwor sie, ihr zu helfen, sie wisse weder aus noch ein.

»Mein Gott, Augusta, ob die Wäsche noch trocknen wird?«

Schwedenklee fühlte, daß er erbleichte: er wußte nun, daß sie ihn verlassen würde.

War es zu glauben: in diesen wenigen Tagen hatte Ellen alles vergessen, das Badezimmer mit den Palmen, Florenz, Paris, Japan – sie dachte gar nicht mehr daran. Sie hatte auch ganz vergessen, daß sie ihm versprochen hatte, auf eine gewisse Frage zu antworten ...

Aber nein, nein, sie hatte nicht vergessen. Sie dachte vielleicht jede Sekunde daran! Sie stammelte, errötend, verlegen, voller Scham: »Du verstehst mich doch? Ich freue mich, tätig zu sein, ich freue mich anzufangen. Es ist ja so schön bei dir, du weißt es, aber –! Ich muß ja zusehen, mir mein Leben selbst zu gestalten. Du verstehst mich doch?«

Schwedenklee verstand alles!

»Ich verstehe sehr wohl!« sagte er, lächelnd, nachsichtig, verzeihend.

Aber diese Nachsicht schien sie zu quälen. »Nein, du verstehst mich vielleicht doch nicht?«

»Doch, ich verstehe dich, Ellen.«

Ihr Blick ruhte groß und voller Scheu auf ihm, während ihre Hände seine Wangen streichelten. Genau so zart und sanft, mit zitternden Fingern, wie die Hände ihrer Mutter – seinerzeit in Paris ...


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