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Es gibt Menschen, die vom Glück geradezu verfolgt werden. Sie wachsen in angenehmen Verhältnissen auf, behütet von Eltern und Verwandten, ihre Gesundheit ist vorzüglich, sie sind begabt genug, um ohne besondere Anstrengungen und Qualen ihre Erziehung zu beenden. Sie haben gerade soviel Leidenschaftlichkeit, als dazu gehört, das Leben zu genießen, allen wirklichen Konflikten aber weichen sie instinktiv aus – oder weichen die Konflikte vor ihnen zurück? Was immer sie anpacken, gelingt, sie kommen nach Monte Carlo und setzen auf eine ganz unmögliche Nummer, schon schiebt ihnen der Croupier zur Verblüffung der ergrauten Serienspieler einen Haufen Banknoten zu. Aber sie, diese vom Schicksal Verwöhnten, finden das vollkommen in Ordnung, so sehr sind sie an die Ovationen des Glücks gewöhnt. Es kann vorkommen, daß solch ein Umschmeichelter einmal aufs Trockene gerät, schon wird ihm der Atem etwas kurz – aber da stirbt im rechten Augenblick irgendein Verwandter, den man völlig vergessen hatte ...

Wie fangen diese Auserwählten es an, daß das Glück ihnen wie ihr Schatten folgt? Tragen sie einen Talisman auf der Brust? Vielleicht die Konstellation der Gestirne –?

Wie kommt es, das ist die Antwort, daß ein Vogel als Papagei am Amazonenstrom zur Welt kommt, dem Paradies der Vögel, in einer Luft, schwirrend von Insekten, warm selbst in den kalten Jahreszeiten – und ein anderer Vogel wird als Sperling in einer Dachrinne Berlins oder Londons geboren, wo jeder Tag ein Problem ist und jeder Winter ein Kampf auf Leben und Tod?


Zu jener Klasse von Umschmeichelten gehörte ohne Zweifel der Architekt Philipp Schwedenklee. Schwedenklee war wohlhabend, ohne gerade ein Rothschild zu sein. Er konnte es sich jedenfalls, zum Beispiel, leisten, einer jungen Dame ein Paar der elegantesten Lackschuhe zu schenken, nur dafür, daß sie einen Abend mit ihm bei einer Flasche Wein verplauderte. Er besaß ein schönes Wohnhaus im alten Westen von Berlin, daneben einige große Bauplätze am Kurfürstendamm, auf denen seit Jahren Scharen von Möbelwagen standen. Diese Bauplätze verzinsten sich mit nur drei Prozent, aber ihr Wert hatte sich im Laufe der Jahre verdreißigfacht. Daneben besaß er ein Landgut in Mecklenburg – aber Schwedenklee kümmerte sich wenig um seine Reichtümer. Sie schimmerten beruhigend im Hintergrund seines Bewußtseins, genug.

Schwedenklee hatte sein Vermögen von seinem Vater geerbt. Der alte Schwedenklee hatte schon mit fünfzehn Jahren im Schweiße seines Angesichts die Maurerkelle geschwungen, zehn Stunden täglich. Mit fünfunddreißig heiratete er eine reiche Gastwirtstochter und wurde Bauunternehmer, und im Alter von fünfundvierzig hatte er bereits einen ganzen Straßenzug einer Provinzstadt in der Mark aufgebaut. Mit fünfzig kam er nach Berlin, und damals erwarb er das schöne Wohnhaus im alten Westen, etwas später, spottbillig, die Bauplätze, deren Wert sich seitdem verdreißigfacht hatte.

Die Begabung des alten Schwedenklee, aus Mauerflächen, Fenstern und Türen ein Haus zusammenzustellen – so sahen seine Bauten aus –, war verfeinert in das Blut des Sohnes übergegangen. Philipp Schwedenklee wurde Architekt. Er war über den Durchschnitt begabt, in der Sauberkeit und Reinheit seiner Zeichnungen übertraf er alle seine Kameraden. Er hatte auch kaum seine Studien beendet, als er sich schon auszeichnete.

Eines Tages nämlich veröffentlichte die kleine Stadt in der Mark, die der alte Schwedenklee zum Teil aufgebaut hatte, ein Preisausschreiben: Eine alte Apotheke sollte in ein kleines Provinzmuseum umgebaut werden. Der alte Schwedenklee machte seinen Sohn auf den Wettbewerb aufmerksam. Und siehe da, schon hatte Philipp Schwedenklee – unter vierzig Bewerbern! – das Preisausschreiben gewonnen. Nun aber zögerte der alte Schwedenklee nicht länger. Er übertrug seinem Sohn die Aufgabe, ihm die Pläne für eine Villa in Schmargendorf, wo er seine Tage zu beschließen gedachte, zu entwerfen. Die Villa war im Rohbau kaum fertig, als ein Nachbar, ein Ofenfabrikant, den jungen Schwedenklee ebenfalls mit dem Entwurf einer Villa beauftragte. Dann kam ein Gastwirt, bei dem der alte Schwedenklee zweimal in der Woche Kegel spielte. Dieser Gastwirt wollte sich vergrößern und wünschte die Entwürfe zu einem Tanzlokal, in einem ganz besonderen, heiteren Stil, mit chinesischen Anklängen. Philipp Schwedenklee aber lehnte diesen Auftrag ohne Umstände ab! Er wollte sich nicht verzetteln, denn, bei Gott, er hatte höhere Pläne, als Tanzlokale mit chinesischen Anklängen zu entwerfen. Der alte Schwedenklee stimmte ihm bei. Philipp reiste zur weiteren Ausbildung nach Italien, und von Italien nach Paris. Einige Jahre blieb er im Ausland. Er gab viel Geld aus, man hörte wenig von ihm. Einmal wurde erzählt, daß er in Paris wie ein wahrer Zigeuner lebe, daß er in sozialistischen, ja sogar anarchistischen Kreisen verkehre. Aber das war offenbar eine Verleumdung, denn er kehrte aus Paris sehr elegant und als ausgezeichneter Billardspieler zurück.

Philipp Schwedenklee nahm sofort fieberhaft den Umbau der Parterrewohnung in dem alten Haus im Westen in Angriff. Wände, Türen und Fenster riß er heraus, zuletzt stand nichts mehr auf dem alten Fleck. Ja, er wollte Berlin, dieser Kapitale des Kitsches, zeigen, was Architektur war! Umbau und Einrichtung dauerten über zwei Jahre: nun aber war jeder Raum, jedes Möbelstück genau nach seinem Geschmack! Führende Zeitschriften veröffentlichten Photographien von Schwedenklees Wohnung. Zusammen mit einem befreundeten Architekten baute er dann ein Riesenhaus am Kurfürstendamm, ein Palais mit Marmortreppen und Marmorsäulen, das großes Aufsehen erregte. Beinahe wäre das Unternehmen eine finanzielle Katastrophe geworden, aber nur beinahe! Die Kinematographie war eigens zu dem Zwecke erfunden worden, um Schwedenklee vor dem Ruin zu bewahren. Sein Palast wurde in ein Kino umgebaut und er verdiente Unsummen.

Schwedenklee wurde später in den Zeitungen noch als der Erbauer eines Elektrizitätswerkes voller Achtung genannt, er baute eine Reihe von Bureauhäusern und Villen. Dann hörte man nichts mehr von ihm. Seine Laufbahn als Architekt, die so verheißungsvoll begonnen, schien zu Ende zu sein.

Er hatte sich in seine Parterrewohnung zurückgezogen und arbeitete, wie verlautete, an einem Werke über Städtebau. Es hieß, daß er Berlin von Grund auf umbauen wolle! Dieses ganze Berlin war völlig falsch angelegt! Er verschob Straßenzüge, ganze Stadtviertel. Sollte jemals aus Berlin etwas werden, so mußte man seinen Schwerpunkt an die Flußläufe verlegen! Der Reiz anderer Großstädte – Paris, London, Neuyork – bestand darin, daß sie von den Flußläufen aus sich entwickelt hatten. Berlin hatte unglücklicherweise seinen Aufschwung in einer Zeit genommen, da die Frachten der Bahnen kaum höher waren als jene der wenig entwickelten Flußschiffahrt. Es hatte sich in die Sandwüste des Westens hinausgeschoben und das landschaftlich schönste Gelände untergeordneten Vororten überlassen. Nun er, Schwedenklee, würde jedenfalls versuchen zu retten, was zu retten war. Ganz besondere Aufmerksamkeit widmete er dem Wirrwarr der Berliner Verkehrsverhältnisse. Auch in dieser Hinsicht würde er eine Lösung finden.

Jahrelang beschäftigten Schwedenklee diese Probleme. Er tat geheimnisvoll – eines Tages würde er Berlin mit seinem Werke überraschen! Zuweilen schlug er sogar einen etwas überheblichen Ton an.

Der alte Schwedenklee jedenfalls erlebte die Veröffentlichung des Werkes nicht mehr.


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