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12

Fräulein Nelly Wiedehopf – die Dame mit den turmartig aufgebauten Haaren und den glänzend polierten Fingernägeln – hatte ihre Eigenheiten. Es ging nicht alles so, wie Schwedenklee gedacht hatte. Einmal erschien sie höchst erregt – ihr Polarfuchs war gestohlen worden oder sie hatte ihn verloren. Jedenfalls, der Polarfuchs war verschwunden. Sie redete tagelang von dem Polarfuchs, war in schlechtester Laune, so daß sich Schwedenklee endlich entschloß, ihr einen neuen Polarfuchs zu kaufen. Kaum aber hatte er den Pelz gekauft, da fand sich der alte Polarfuchs wieder! Und nun ließ sie den alten Polarfuchs in einen Muff umarbeiten, mit Seidenfutter und einer eleganten Innenausstattung für Spiegel und sonstige Kleinigkeiten – vergebens wies Schwedenklee darauf hin, daß der Sommer vor der Türe stand.

Kürzlich aber passierte folgende, immerhin etwas peinliche Sache: Nelly erschien mit rotgeweinten Augen. Ihre Tante in Lübeck war gestorben. Sie brauchte ein Trauerkostüm, Reisegeld und, da die Tante sehr arm war, noch einen Zuschuß zu den Beerdigungskosten. »Ich kann die Schwester meiner Mutter unmöglich wie eine Armenhäuslerin begraben lassen auf städtische Unkosten!« Nelly war völlig aufgelöst. Schwedenklee griff in die Brieftasche. Besonders der Zuschuß zu den Beerdigungskosten schmerzte ihn. Ging es nicht etwas sehr weit, daß er sogar die Bestattungskosten einer Tante tragen sollte, von deren Existenz er erst in dem Augenblick etwas erfuhr, da sie starb?

Er empfahl Sparsamkeit, die wahre Trauer zeige sich nicht in Äußerlichkeiten. Er, für seine Person, würde zum Beispiel gern mit einer einfachen Holzkiste zufrieden sein – er würde sie einem der entsetzlichen Särge sogar vorziehen! Überhaupt mache man zu große Scherereien mit Verstorbenen, die ja nur den einen Wunsch hätten, daß man sie in Ruhe lasse.

Nelly nannte ihn herzlos. »Natürlich,« rief sie aus, »du hast ein herrliches Leben genossen, was kümmert es dich, wenn du in einer billigen Kiste begraben wirst? Aber Leute, denen es kümmerlich ging im Leben, wollen wenigstens als Tote einigermaßen wohlhabend erscheinen. Aber das wirst du nie begreifen.«

Immer wurde Nelly sofort ausfallend!

Um es gleich zu sagen: die ganze Sache mit der verstorbenen Tante war eine Lüge. Nelly fuhr nach Lübeck, das ist wahr. Sie erschien nach etwa einer Woche wieder, in ihrem schwarzen Trauerkostüm, das die Blässe ihres Gesichtes herrlich hervorhob, kokettierte sie nach allen Seiten – später aber verplapperte sie sich. Es kam an den Tag, und sie gestand: es war ein Einfall von ihr, dem sie nicht widerstehen konnte.

Schwedenklee war verstimmt und zog sich zurück. Das ging denn doch zu weit. Und dazu hatte Nelly richtig geweint, aus Schmerz über den Tod einer Tante, die gar nicht existierte. Diese Frauen waren wirklich ein Rätsel!

»Nein, nein,« sagte Schwedenklee zu sich, »dir kann man ja schon alles aufbinden!« Seine Eitelkeit war tief verletzt.

Aber Nelly hatte ihre Vorzüge, ohne Zweifel. So war sie, zum Beispiel, sehr leidenschaftlich. Sie zitterte, wenn man sie nur mit den Lippen berührte. Aber vielleicht ist auch das nur Komödie? dachte Schwedenklee, unsicher geworden. Man weiß wirklich nicht mehr, woran man bei diesen Frauen ist!

Sodann war Nelly interessant! Ihr Teint war bleich, und je näher man sie betrachtete, desto bleicher erschien ihr Teint. Sie hatte kleine rötliche Sommersprossen, die den Teint noch durchsichtiger erscheinen ließen. Sie hatte scharfe, helle Vogelaugen, die Brauen wuchsen leicht zusammen, und wenn man sie ganz nahe betrachtete, erschien ihr Gesicht in der Tat fast gespenstisch.

Nelly verstand es, sich zu kleiden – mit nichts! Mit nichts täuschte sie den Luxus einer reichen Ausländerin vor. Man nahm an, daß Schwedenklee Tausende für sie ausgab. Das schmeichelte Schwedenklees Eitelkeit immerhin.

Nelly verstand es, sich zu benehmen. Man konnte mit ihr getrost in ersten Hotels dinieren – die Kellner wichen ersterbend zurück. Ein Lächeln von ihr entzückte den Direktor, die Herren verdrehten die Hälse. (Und doch war sie nur Buchhalterin in einem Herrenschneidergeschäft!) Wie sie ihren Fuß setzte – das allein war ein Roman!

Aber was zuviel ist, ist zuviel. Schwedenklee zog sich zurück. Er erkaltete. Aus purer Bosheit reiste er nach Lübeck – zu Studienzwecken – und sandte ihr eine Ansichtskarte.

Als er zurückkehrte, fand er einen kurzen, aber zu seiner größten Verwunderung herzlich und warm gehaltenen Brief von Nelly vor. Dazu ein Paar antiker goldener Ohrringe, die er ihr geschenkt hatte.

Schwedenklee war beschämt. Er hatte kaum den Mantel abgeworfen, so schrieb er Nelly schon einen langen Brief. »Das mit den Ohrringen würde er ihr nie verzeihen!«

Am nächsten Tage schon kam Nelly. Sie stürzte in seine Arme und biß ihn so stark in die Wange, daß man tagelang ihre Zähne sah. »Das zur Strafe!« sagte sie. Nach Tisch begann sie plötzlich zu singen – nun, kurz und gut, es stellte sich heraus, daß man während seiner Abwesenheit ihre Stimme entdeckt hatte! Sie wollte sich ausbilden lassen. Sie war in größter freudiger Erregung. In Wirklichkeit, Nelly hatte eine kräftige, wenn auch etwas grelle Stimme.

»Du hast jene unerklärliche Nebenschwingung in der Stimme,« sagte Schwedenklee sachverständig, »jenes Timbre, das nur große Sängerinnen haben, dazu hat deine Stimme Umfang. Du hast auch die bezeichnende, etwas belegte Sprechstimme – weiß Gott, wieso ich deine Stimme nicht früher erkannte.«

»Weil du kein wirkliches Interesse für mich hast!«

Schwedenklee tat gekränkt. Die Versöhnung war vollständig. Schon in den nächsten Tagen lud Schwedenklee den Bassisten von der Oper – mit dem er zuweilen Schach spielte – zu sich zum Abendessen. Er sollte sein Urteil abgeben.

Wiederum hatte Augusta sich alle Mühe gegeben. Sie liebte Nelly, denn Nelly lief immer in die Küche, umarmte Augusta, die von der Hitze des Herdes schwitzte, und küßte sie sogar auf die Backe.

Der Bassist aß mit vorzüglichem Appetit und trank ganz allein eine Flasche teuren Rheinwein. Dann sang Nelly zu Schwedenklees Begleitung.

»Herrlich, wunderbar!« schrie der Bassist begeistert und klatschte mit den fetten Händen. »Die Patti, die Hempel, die Farrar – in zwei Jahren werden Sie in Neuyork singen!«

»Siehst du?« sagte Nelly mit einem triumphierenden Blick.

Man schmiedete Pläne, entwarf Programme, wählte Lehrer, der Bassist bot sich für die stimmtechnische Ausbildung an. Und zwar ohne jegliches Honorar! Aber Schwedenklee protestierte energisch und erklärte Schwarz klipp und klar, daß er ihm Nellys Ausbildung nur dann anvertrauen würde, wenn der Sänger sie zu seinen gewohnten Bedingungen als Schülerin annehmen würde. In die Ecke gedrängt, willigte Schwarz endlich ein. Schwedenklee war in gehobener Laune und holte neuen Wein aus seinem Geheimschrank.

Nelly hauchte ihm in einer Sekunde zehn kleine verliebte Küsse auf die Glatze. Es blieb alles beim alten. Trotzdem – die Sache mit der Tante konnte Schwedenklee nie ganz vergessen.


Es wurde schon heiß. Die Kartentische leerten sich langsam. Die Rechtsanwälte, Ärzte, Kaufleute fuhren mit ihren Familien aufs Land. Nur in dieser Zeit wurde man plötzlich gewahr, daß fast alle Stammgäste und Spieler Familienväter waren. Gewöhnlich hielt man sie für Junggesellen ohne jegliche Verpflichtungen.

Schwedenklee reiste mit Nelly auf vier Wochen nach Heringsdorf. Der Bassist Schwarz – der die stimmtechnische Ausbildung übernommen hatte – begleitete sie. Schwedenklee hatte ein kleines Gut an der Ostsee, und Nelly, der er zuweilen von dem Landgut vorgeschwärmt hatte, wollte zuerst dort den Urlaub verbringen. Sie träumte von Hühnern, Schweinen, Leiterwagenpartien. Aber Schwedenklee setzte plötzlich die Besitzung herab – das Haus sei feucht! Die Kinder des Pächters hätten Diphtheritis! Aus irgendeinem Grunde – das fühlte Nelly – wollte er sie nicht in »Siebenbirken« haben.

Aber sie tröstete sich schließlich mit Heringsdorf. Sie brachte ein halbes Dutzend von Badekostümen mit, die Aufsehen erregten, so kühn waren sie. Und woraus waren sie gemacht? Aus nichts!

Nelly feierte Triumphe. Nach drei Tagen schon war sie eine der bekanntesten Erscheinungen in Heringsdorf. Man beneidete Schwedenklee um diese Frau, er fühlte es deutlich. (Und doch war sie nur Buchhalterin in einem Herrenschneidergeschäft!)

Die stimmtechnische Ausbildung nahm ziemlich viele Stunden des Tages in Anspruch. Es gab sogar kleine Eifersuchtsszenen, obschon es Schwedenklees oberstes Prinzip war, nie zu zeigen, daß ihm eine Frau so viel wert war, daß er eifersüchtig werden könnte. »Denn dann«, pflegte er zu sagen, »bist du verloren, mein Sohn!«

Es war ja selbstverständlich, daß Schwedenklee die Hotelrechnungen des Bassisten bezahlte – sonstige Honorare forderte Schwarz während des Badeaufenthalts nicht. Er tat es aus Begeisterung für Nellys Stimme.

Nun, Gott sei Dank, auch diese Wochen gingen vorüber, und nun saß Nelly wieder – duftend, wie aus dem Ei geschält – in der Herrenschneiderei.

Nellys Unterricht bei Schwarz ging natürlich ohne Unterbrechung weiter – in nächster Zeit begann auch der dramatische Unterricht bei einem Schauspieler.

Alles hat schließlich seine Grenzen, dachte Schwedenklee, als er die letzten Stundengelder bezahlte.


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